Märchen der Völker — Sindbad der Seefahrer, Vierte Reise
„Wisset ihr edlen Herren, daß meine vierte Reise einzigartig ist und ohnegleichen.
Wieder war ich auf dem Meere.
Meine ruchlose Seele musste mit dem Seeteufel ein Bündnis geschlossen haben;
er hatte mich wieder hinausgezogen um mit mir in seinen unberechenbaren Launen
weiterhin Schindluder zu treiben.
In guter Fahrt ging es eine Reihe von Tagen,
bis ein gewaltiger Sturm über uns hereinbrach, der unser Schiff zerschlug
und die Trümmer wie ein Klafter Kleinholz auf eine Insel warf.
Die meisten der Kaufleute waren mit ihrem Hab und Gut im Meer versunken.
Ich selbst schwamm fast einen ganzen Tag im Wasser, bis Gott, der Erhabene,
mir mit drei anderen Leidensgefährten Gelegenheit gab, festes Land zu erreichen.
Um unseren letzten Lebenshauch festzuhalten,
ernährten wir uns eine Zeitlang von spärlichem Gras.
Der Aufenthalt auf dieser Insel brachte keine Hoffnung auf Rettung,
sondern nur neues Verhängnis.
Wir fielen in die Hände von riesigen Gorilla-ähnlichen Geschöpfen,
die Menschenfresser waren und sich mit einem wahren Heißhunger auf und stürzten.
Ich mußte zusehen, wie meine Gefährten am Spieß geröstet wurden;
doch als die haushohe Hand eines dieser Ungeheuer nach mir greifen wollte,
merkte ich zum ersten Mal in meinem Leben, daß sich ein ausgezeichneter Läufer war.
Als ich einen ganzen Tag gelaufen war, setzte ich mich atemlos auf einen Felsen
und stellte erleichterten Herzens fest, daß mir meine Flucht gelungen war.
In dem Tale vor mir erblickte ich nun zu meinem größten Erstaunen
eine große Stadt mit Zinnen und Türmen, die ein fremdartiges Gepräge trug.
Schon kamen mir einige Menschen entgegen, die schwarz wie die Mohren
und vermummt in weißen Tüchern wie Beduinen aussahen.
Sie führten mich zu ihrem König, der, obgleich auch von schwarzer Haut,
ein gütiger Herrscher war.
Seine Sprache verstand ich nicht; aber ein Dolmetscher machte mir verständlich,
daß dieser Herrscher über die Maßen erfreut sei, mich kennengelernt zu haben,
und mich auf alle Zeiten als seinen Freund betrachten wolle.
Ja, daß die Ehrung die er mir zu- dachte, noch eine viel größere sei;
er habe, so machte man mir plausibel, den Wunsch,
mich als leibhaftigen Schwager zu beglückwünschen.
Die Schwester des Königs, eine alte schwarze Vettel, die so dick war,
dass sie einer riesigen überreifen Birne glich, sollte meine Frau werden.
Ich sagte zu allem Ja und Amen,
machte mich aber bei der ersten besten Gelegenheit aus dem Staube.
Heimlich bestieg ich ein Schiff,
nahm alle Schätze mit, mit denen man mich überhäuft hatte,
und konnte nach vielen Irrfahrten mein Heimatland wieder erreichen.“