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Friedrich Nietzsche. Also Sprach Zarathustra. Zweiter Teil, Von den Mitleidigen

Von den Mitleidigen

Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren? " Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen als unter Thieren. " Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat. Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen müssen?

Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die Geschichte des Menschen!

Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden.

Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham.

Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne.

Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde!

Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein darf!

Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen.

Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde!

Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken.

Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab.

Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze.

Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus.

"Seid spröde im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" - also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben.

Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem Baume pflücken: so beschämt es weniger.

Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben.

Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! Glaubt mir, meine Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen.

Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bös gethan, als klein gedacht!

Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse böse That." Aber hier sollte man nicht sparen wollen.

Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, - sie redet ehrlich.

"Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die böse That; das ist ihre Ehrlichkeit.

Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen.

Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: "besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch für dich giebt es noch einen Weg der Grösse!" - Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch ihn hindurch.

Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.

Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht.

Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nützen.

Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dirthatest, - wie könnte ich das vergeben! " Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und Mitleiden. Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch!

Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen. " Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." - So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!

Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen!

"Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich mir" - so geht die Rede allen Schaffenden.

Alle Schaffenden aber sind hart. - Also sprach Zarathustra.

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Von den Mitleidigen ||compassionate ||misericordiosos From the compassionate Van het medeleven Do compassivo От сострадания

Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur Zarathustra! |||||mockery|||||| |||||burla|||||| Mine venner, det var et hån mot vennene dine: "Bare se på Zarathustra! Mina vänner, din vän blev hånad: "Se bara på Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren? |||||||beasts Går han ikke blant oss som blant dyr? Går han inte bland oss som bland djur? " Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen als unter Thieren. |||||spoken||recognizing|||||| "Men det er bedre sagt på denne måten:" Den som kjenner går blant mennesker enn blant dyr. " Men det är bättre att säga så här: "Den vetande går bland människor än bland djur. " Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat. ||||||recognizing|||||cheeks| "But man himself is called by the perceiving one: the animal that has red cheeks. "Men mennesket selv er kalt til den som kjenner: dyret som har røde kinn. Men mannen själv kallas till det kräsna: djuret som har röda kinder. Wie geschah ihm das? How did this happen to him? Hvordan skjedde det med ham? Hur hände det honom? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schämen müssen? ||||||||||have to Is it not because he has had to be ashamed too often? Er det ikke fordi han skammet seg for ofte?

Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die Geschichte des Menschen! ||||||||||story|| Slik snakker den som kjenner: Skam, skam, skam - det er historien om mennesket!

Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden. ||commands|||noble|||||commands|||||suffering ||||||||||da||||| Og det er grunnen til at den edle ikke gir seg til skamme: han gir seg til skammen fremfor alle som lider.

Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. ||||||merciful||blessed|||||||lacks|||| ||||||misericordiosos|||||||||falta|||| Sannelig, jeg liker ikke dem, de barmhjertige, som er velsignet i sin medfølelse: de er for fratatt skam.

Muss ich mitleidig sein, so will ich’s doch nicht heissen; und wenn ich’s bin, dann gern aus der Ferne. ||compassionate|||||||call|||||||||

Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde! |cover|||||||||||||||||||| |verbo|||||||||||||||||||| Jeg liker også å dekke hodet mitt og flykte før jeg ennå ikke blir gjenkjent: og så ber jeg dere gjøre det, vennene mine!

Möge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, über den Weg führen, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein darf! may|||||sorrowless||||||||such||||||||honey||| |||||sin dolor||||||||||||||||||| Måtte min skjebne alltid føre meg til de som lider, som deg, og de som jeg kan ha håp og måltid og honning til felles!

Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen.

Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Brüder, ist unsre Erbsünde! |||||||||||||||||original sin |||||||||||||||||pecado original Så lenge det har vært mennesker, har ikke mennesker gledet seg nok: Det alene, mine brødre, er vår arvesynd!

Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken. |||||||unlearn||||||||||to think up Og hvis vi lærer å glede oss bedre, lærer vi best hvordan vi skal skade andre og tenke på smerte.

Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab. |||||||||||wipe||||||soul| |||||||||||limpio|||||||

Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schämte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze. ||||suffering|suffering||||||||||||||||diminished|||harshly||| |||||||||||||||||||||me comporté|||||| For da jeg så den lidende lide, skammet jeg meg for hans skam; og da jeg hjalp ham, forbanna jeg meg mot stoltheten hans.

Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig; und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus. |liabilities|||||vengeful|||||small favor|||||||a|nail|| ||||||vengativo|||||||||||||Nage|| Store forpliktelser gjør ikke takknemlige, men hevnløse; og hvis den lille fordelen ikke blir glemt, vil den bli til en gnagende orm.

"Seid spröde im Annehmen! |brittle||accepting Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" draws|||||accept |||||asumen Vis at du godtar! " - also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. |||||||to give away| - så jeg anbefaler de som ikke har noe å gi bort.

Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. ||||giver|||||friend||friends Fremde aber und Arme mögen sich die Frucht selber von meinem Baume pflücken: so beschämt es weniger. |||poor|may|||fruit|||||pluck|||| Men fremmede og fattige kan selv plukke frukten fra treet mitt; det er mindre skamfullt for det.

Bettler aber sollte man ganz abschaffen! beggar|||||abolish Wahrlich, man ärgert sich ihnen zu geben und, ärgert sich ihnen nicht zu geben. ||annoys||||||annoys||||| Sannelig, man er irritert over å gi til dem, og man er irritert over å ikke gi dem.

Und insgleichen die Sünder und bösen Gewissen! |igualmente||||| Og syndere og dårlig samvittighet på samme tid! Glaubt mir, meine Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen. ||||guilt pangs|bite||biting |||||educan|| Believe me, my friends: guilt feelings lead to biting. Tro meg, vennene mine: anger får deg til å bite.

Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. |worst||||| But the worst are the small thoughts. Men det verste er de små tankene. Wahrlich, besser noch bös gethan, als klein gedacht! Truly, it is better to have done something wrong than to think small! Faktisk er det bedre fortsatt gjort dårlig enn tenkt lite!

Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse böse That." Indeed||||pleasure||small||spares||||| |||||||maldades|||||| Aber hier sollte man nicht sparen wollen. |||||spare|

Wie ein Geschwür ist die böse That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, - sie redet ehrlich. ||||||||itches||scratches||breaks|||| ||úlcera||||||||rasca|||||| Den dårlige gjerningen er som et sår: det klør og riper og bryter ut - det snakker ærlig.

"Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die böse That; das ist ihre Ehrlichkeit. |||sickness|||||||||honesty

Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen. But||mushrooms|||||thought||crawls||ducks||||nowhere||||||decayed||withered|||| |||||||||||se agacha||||en ninguna parte||||||||||||

Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in’s Ohr: "besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! |||||possessed|||||||||||draw||| ||||||||||||||||sacas||| Auch für dich giebt es noch einen Weg der Grösse!" |||gives|||||| Det er fremdeles en måte for storhet for deg også! " - Ach, meine Brüder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns durchsichtig, aber desshalb können wir noch lange nicht durch ihn hindurch. ||||transparent||therefore||||||||through

Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. |||||to|||silence|||

Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. |||the|||against|||||most unjustly|||||||| ||||||en contra|||||injustamente||||||||

Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestätte, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nützen. |||||||||||resting place|||||||field bed|||||||benefit |||||||||||reposo|||||||cama de campaña|||||||

Und thut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber dirthatest, - wie könnte ich das vergeben! |||||evil||||forgive|||||did|||||did||||| |||||malos|||||||||hiciste|||||te hiciste||||| " Also redet alle grosse Liebe: die überwindet auch noch Vergebung und Mitleiden. ||||||overcomes|||forgiveness|| Man soll sein Herz festhalten; denn lässt man es gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch!

Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? |||||happened||follies||||compassionate |||||sucedieron|||||| Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen? |||||caused||||||| |||||stiftó|||||||

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist! Woe|||||||height||||||

Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen. |||||||||||hell||||||| " Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." |recently|||||||||||||||||| - So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! |||warned|before||||||||heavy|cloud Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! ||||in|weather signs |||||señales del tiempo

Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen! marked||||||||||||||||||beloved|| Merket||||||||||||||||||||

"Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich mir" - so geht die Rede allen Schaffenden.

Alle Schaffenden aber sind hart. ||||hard - Also sprach Zarathustra.