Kann ein Alkoholverbot Menschen vom Feiern abhalten?
Hamburg hat in der Schanze und auf St. Pauli Alkoholverkaufsverbote verhängt, damit weniger Menschen kommen. Das funktioniert nicht überall.
Er schwört, dass das sein einziges Bier sei und er wirklich keinen Ärger wolle. Es ist Freitagnacht, kurz nach halb eins, auf der Reeperbahn in Hamburg. Die Polizei umstellt einen jungen Mann. In der linken Hand hält er eine Bierflasche, mit der rechten macht er Abwehrbewegungen. "Nobody told me anything", sagt er mit britischem Akzent. Und ja, er habe das Bier zwar hier in einem Kiosk gekauft, aber der Ladenbesitzer habe nicht gesehen, wie er damit weitergegangen sei. Dass das Mitnehmen von Bier plötzlich strafbar sei, habe er nicht gewusst, "I just came here to party".
Doch mit der Party wird es an diesem Wochenende – und zu diesen Zeiten – in Hamburg nicht so einfach. Woche für Woche kamen zuletzt immer mehr junge Menschen an Freitagen und Samstagen auf den Straßen zusammen. Die seit März geltenden Abstandsregeln wurden kaum eingehalten.
Nach dem Alkoholverkaufsverbot droht das Trinkverbot
Der Hamburger Senat schaute erst zähneknirschend auf die Party-Wochenenden, am vergangenen Dienstag griff er durch: Für dieses Wochenende gilt ein Alkoholverkaufsverbot für die Ausgehviertel. Am Freitag, Sonnabend und Sonntag, jeweils von 20 Uhr bis 6 Uhr, dürfen Kioske, Supermärkte und Gastronomen keinen Alkohol "to go" verkaufen.
(Bild: Marc Röhlig)
Die Hoffnung: Mit dem fehlenden Verkauf bleiben auch die Menschen weg, es wird weniger voll, weniger chaotisch. Sollte trotzdem wieder massiv gecornert werden, drohte die Stadt vorab auf der Landespressekonferenz mit weiteren Maßnahmen: vom Kiez-Betretungsverbot bis zum Trinkverbot im öffentlichen Raum. "Das ist doch nur Aktionismus", sagt Patrycja, "die Politik will den Anwohnern zeigen, dass sie agiert, mehr nicht." Obwohl die Polizei da sei, habe sie bisher niemanden des Platzes verwiesen.
Die 30-Jährige steht mit zwei Freunden am Schulterblatt direkt vor der Roten Flora. Es ist früher am Abend und im beliebten Schanzenviertel drängen sich die Menschen. Die Ladenbesitzer haben Bänke rausgestellt, alle sitzen dicht an dicht. Auch nach 23 Uhr sind es noch über 20 Grad. Patrycja hält einen Plastikbecher in der Hand, drin ist ein Wodka-Mix. "Dieses Verbot zeigt null Wirkung", sagt sie, "schau dich doch um." Alle hätten einfach vor 20 Uhr ihren Alk gekauft.
Patrycja ist mit ein paar Freunden aus Berlin angereist. Das Wochenende war lange geplant, sie wollten es nicht wieder absagen. Ihre Kumpel spielen gerade gegen eine andere Gruppe Bier-Pong. "Ich will anonym bleiben", ruft einer rüber, "nenn mich Hans-Dieter".
Viele machen junge Partygänger für die neuen Corona-Zahlen verantwortlich
In den vergangenen sieben Tagen sind beim Robert Koch-Institut 3786 neue Corona-Meldungen aus den Gesundheitsämtern bundesweit eingegangen – ein Drittel mehr als in der Woche davor. Die Fallzahlen steigen erneut in ganz Deutschland an (SPIEGEL). Neben den Massenansteckungen beim Fleischriesen Tönnies geben viele auch den Corona-Partys die Schuld: In vielen größeren Städten in Deutschland cornerten an den vergangenen Juli-Wochenenden jeweils Hunderte Menschen dicht an dicht in den Szenekiezen.
Allein in Berlin ahndete die Polizei nach bento-Informationen seit März mehr als 6300 Verstöße gegen die Eindämmungsmaßnahmen. Darunter fallen zu geringe Abstände zu anderen Menschen, vor allem aber unerlaubte Kneipenöffnungen und Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz. Denn gerade die Abstandsregeln fallen mit nur 917 Verstößen eher gering aus. Die große Mehrheit, 684 Verstöße, wurden im April geahndet. Im Juli waren es nur noch 20, sagt eine Polizeisprecherin zu bento.
Wer draußen cornert ist wohlmöglich weniger gefährdet als Kneipenbesucher in geschlossenen Räumen
Dass nun den Jungen die Schuld am neuen Anstieg gegeben wird, hält Patrycja, die Berlin-Besucherin im Schanzenviertel, für unfair. "Aus ein bisschen Feiern einen Generationenkonflikt zu machen geht gar nicht", sagt sie. Sie habe über Wochen zuhause gearbeitet, keine Freundinnen und Freunde getroffen. In einem Verein habe sie sich für ältere Menschen engagiert, wollte Einkäufe erledigen – doch es meldete sich niemand, sagt sie. Nun dürfe doch ein bisschen Party erlaubt sein: "Wir wollen uns ja nicht besaufen, sondern nur ein bisschen Spaß."
Ob Feiern im öffentlichen Raum tatsächlich so riskant ist, ist umstritten. Das Coronavirus Sars-CoV-19 wird nach jüngstem Wissensstand vor allem auch über Aerosole übertragen – mikroskopische Tröpfchen, die sich vor allem in geschlossenen und schlecht belüfteten Räumen gut verbreiten (SPIEGEL). Sprich: Wer mit seinem Bier Schulter an Schulter unter freiem Himmel steht, ist wohlmöglich trotzdem weniger gefährdet als Kneipenbesucher, die brav auf Abstand am Tresen sitzen.
Auch Hüseyin kann die Hamburger Verordnung nicht so ganz verstehen. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht, normalerweise wäre Hüseyins St. Pauli Shop, ein Kiosk auf der Reeperbahn, jetzt voll. Kiezbesucherinnen kaufen hier ihr Wegbier, Partywütige Wodka für die Mische, Touristinnen und Touristen decken sich mit Tüddelkram ein. Jetzt sitzen fünf Kerle auf Bänken vor dem Laden, zwei kaufen drinnen ein, sonst ist nichts los. Sein Wochenendumsatz sei zu Beginn der Coronakrise auf zehn Prozent runter, sagt Hüseyin. "Dann hatten wir den zuletzt wieder auf immerhin 40, heute Abend werden es wohl wieder nur zehn, wenn das so weitergeht."
(Bild: Marc Röhlig)
Im Gegensatz zur Schanze ist der Kiez auf St. Pauli beinahe leergefegt. Die Bordelle haben geschlossen, in den Stripclubs und Kneipen gelten Abstandsregeln. "Es ist warm, die Leute wollen feiern – und sind doch nicht da", sagt Hüseyin, "vielleicht zündet das Verbot ja doch."
Die Reeperbahn ist am ersten Abend des Verbots fast leergefegt
Seit dem Beginn der Coronakrise steht er nicht mehr hinter der Kasse, sondern an der Tür, achtet darauf, dass alle Masken aufziehen und den Abstand einhalten. Nun schaut er auch noch, dass keiner den Alkohol mitnimmt, sondern auf einem der beiden Bänken vor dem Laden austrinkt. Er könne verstehen, dass die Politik so handeln muss, habe aber Angst um seine Läden. "Wenn das jetzt in der Strenge wieder ein paar Wochen so weitergeht, war's das für mich."
Alkoholverbote in deutschen Innenstädten gab es schon früher, unter anderem in Erfurt und Freiburg. Immer wurden sie früher oder später von Gerichten gekippt. Man könne den Menschen ohne vernünftige Begründung nicht vorschreiben, wo sie trinken dürfen (Tagesschau). Ob die Coronakrise hier eine Ausnahme wird, muss sich zeigen.
(Bild: Marc Röhlig)
Die Große Freiheit, es ist jetzt kurz vor zwei Uhr morgens. Jasmin, 25, steht etwas verloren mit ihrem Junggesellinnenabschied da. Sechs Frauen, extra aus Hannover angereist. "Team Bride" steht in goldenen Buchstaben auf ihrem Shirt. Sie wissen nicht so recht, wo sie noch hingehen wollen, in Hamburgs Amüsiermeile amüsiert es sich heute nicht so gut. "Aber das wussten wir ja", sagt Jasmin, "ist halt dieses Jahr nicht ganz so der klassische Junggesellenabschied".
Vorab hatten sich die Freundinnen beraten, ob man das Partywochenende wirklich durchziehen wolle, sagt Jasmin. Aber den Spaß wollte man sich durch das Verbot nicht nehmen lassen: "Würde ich das ernst nehmen, wäre ich ja nicht hier."
Hamburgs Polizei ist mit der Nacht zufrieden
Während die Frauen eng beisammen stehen und sich mit einer anderen Gruppe unterhalten, zieht die Polizei gegenüber fünf Schwarze raus. Keiner hat Alkohol bei sich, dicht beisammen standen sie auch nicht. Die Jungs müssen sich an der Wand aufstellen, ihre Shirts lüften. Ihre Blicke zeigen, dass sie solche Kontrollen gewöhnt sind.
Die Polizei will sich zu einzelnen Kontrollen nicht äußern, sagt aber am Samstagmorgen gegenüber bento, die Bürgerinnen und Bürger hätten die Corona-Maßnahmen "vernünftig umgesetzt". Die wenigen Verstöße, die es gab, seien nicht nennenswert.
Die Szenen wirken wie aus einem klassischen Rapvideo: Junge Männer mit trainiertem Bizeps stehen in einer Industrieruine, ein Auto fährt nachts an der Tankstelle vor, Feuer flammt auf. Um zu erkennen, dass es sich um rechten Rap handelt, muss man genauer hinhören. "Ich will nach Walhalla, zu den Helden meiner Kindheitstage", rappt Chris Ares irgendwann, "deutsche Rapper laufen rum wie auf der Streetparade". Hier die echten Deutschen, da der bunte Rest also.
Das im Juni veröffentlichte Video stammt von Chris Ares. Der 1992 geborene Rapper, der eigentlich Christoph Aljoscha Zloch heißt, hat in den vergangenen Jahren so etwas wie den Soundtrack für das neurechte Milieu von "Identitären" und "Junger Alternative" veröffentlicht.