Wie das Coronavirus unser Leben verändert | quer vom BR
Jahrzehntelang hat uns der Kapitalismus beigebracht:
Du bist wichtig. Es geht um deinen Spaß.
Deine Selbstverwirklichung.
Nun lehrt uns etwas Kleines, Rundes mit dem Namen Corona:
Dein Egoismus kann krank machen.
Das Individuum ist unwichtig, es geht um's Kollektiv, um uns.
Deshalb haben wir dazu aufgerufen, unseren Alltag zu ändern,
jeder einzelne für sich und die Gesellschaft insgesamt.
Die politische Elite in Bayern reagiert vorbildlich:
Politikerderblecken in Zeiten von Corona? Zu riskant.
Der Nockherberg: auf unbestimmt verschoben.
Obwohl er mit gut 500 Gästen unter der kritischen Grenze gewesen wäre.
Fastenprediger Maxi Schafroth in Arbeitsquarantäne.
Ich glaube, dass man hier hätte sagen müssen,
man sendet ein Signal und wir sitzen da und zeigen auch,
dass wir eine gewisse Stabilität und auch eine Sicherheit ausstrahlt.
Aber wie gesagt, die Kapitäne wollten von Bord gehen.
Ich wäre als Kapitän noch geblieben, als Fastenprediger.
Aber vielleicht geht's nicht mehr anders?
Schließlich müssen auch Bürger zurückstecken,
wie Familie Beusterien. Ein Interview auf Abstand. Denn:
Wir waren in den Faschingsferien in Südtirol zum Skifahren.
D.h.: eine ganze Familie in Quarantäne.
Die Kinder dürfen nicht in Kindergarten und Schule,
weil sie im Risikogebiet waren.
Samstagabend wären wir zu einer größeren Sache eingeladen gewesen,
da wurde uns dann schon so ein bisschen durch die Blume gesagt:
Das wäre jetzt nicht so toll, wenn ihr da kommt.
Da war es gerade auch erst losgegangen mit dem Südtirol-Thema.
Da fanden wir es schon noch ein wenig befremdlich.
Inzwischen wird es immer mehr, da kann man das schon nachvollziehen.
Dann noch Anja Beusteriens Schnupfen. Sie musste sich testen lassen.
Heute das Ergebnis: kein Corona.
Die Kinder aber können frühestens Montag wieder in die Schule.
Daheimbleiben für den Seuchenschutz. Das ist konsequent und ...
... gilt bisher noch nicht für Lehrer.
Sabine Wolf war auch in Südtirol,
hat keinen Test gemacht und muss trotzdem in die Schule.
Schüler in Quarantäne, aber Lehrer nicht?
In erster Linie sind es die Eltern, die uns anrufen und sagen:
Kann mein Kind in die Schule kommen? Ist da eine Lehrkraft erkrankt?
Wir kommunizieren das schon mit den Eltern:
Keine Sorge, es sind keine Symptome, es ist kein Corona da.
Aber es beruhigt die Eltern nicht wirklich,
weil viele Situationen offen sind.
Geht der Kollektivismus bei uns noch nicht weit genug?
So wie in Italien.
Da hat es das Virus geschafft. Alle sind gleich.
Ein ganzes Land unter Quarantäne.
Im Schnitt steckt ein Infizierter zwei bis vier andere an.
Um das zu verhindern, riegeln die Behörden ab.
Ich glaube, dass man kommunizieren muss,
dass Politik durchaus Autorität haben soll,
aber auch heute vielleicht den etwas sozialpädagogischeren Ansatz
und die Leute reinholen und nicht von oben verordnen:
Wir machen jetzt das und das.
Sondern erklären, Politik muss erklären.
Z.B., dass die Maßnahmen wirken.
In der Kollektivdiktatur China gehen die Ansteckungen zurück
und auch in Codogno, dem "ground zero" der Seuche in Italien.
Deswegen gibt's jetzt auch in Bayern solche Bilder:
Hier hätten es am Mittwoch über 7000 Leute sein sollen.
Beim Eishockey-Playoff der Nürnberg Ice Tigers.
Aber: abgesagt.
Die komplette Eishockeyliga stellt den Betrieb ein.
Die Verantwortung ist da. Wenn du Großveranstaltungen austrägst
mit über 1000 Fans, dann muss man sich da genauso stellen
und dieser Verantwortung stellen,
um dieses Corona-Virus nicht weiter ausbreiten zu lassen.
Die Ice Tigers hatten sich Hoffnungen auf die Meisterschaft gemacht,
aber Herdenschutz geht vor.
Und Dienstagabend in München? So was.
Die Heavy-Metal-Band "Lordi" spielt.
Vor weniger als 1000 Zuschauern, also alles erlaubt.
Aber vernünftig?
Warum sollen wir uns den Abend von dem Scheiß da versauen lassen?
Ich hab auch ein Desinfektionsmittel dabei, also ich bin safe.
Gut, zwei Kumpels von mir kommen nicht,
weil sie pflegebedürftige Eltern zu Hause haben.
Da brauchen sie das nicht auch noch anschleppen, aber sonst ...
Für die meisten Jungen ist das Virus ungefährlich,
aber sie können Alte und Kranke anstecken.
Das Rockkonzert ist was anderes als die Semesterprüfung,
wo man 1 m auseinander sitzt.
In einem kleinen Berlin Klub haben sich 29 Menschen angesteckt.
Und die wiederum haben womöglich hundert weitere infiziert.
Es ist nur eine Frage der Zeit,
bis darunter jemand mit Vorerkrankung ist.
Müssen also alle daheim bleiben?
Oder sollten sich die Schwachen zurückziehen,
damit die Starken weitermachen können?
Holger Klein verzichtet nicht nur, für ihn geht es an die Existenz.
Er ist Messebauer, 90% seines Umsatzes sind weggefallen.
Heute warnt Markus Söder vor einem wirtschaftlichen Corona-Infarkt.
Aber natürlich fühlt man
eine gewisse, minimalst kleine Verantwortung, dass man sagt:
Das ist vielleicht ganz richtig, was da passiert.
Aber die Existenzangst schlägt dem entgegen.
Wenn wir das jetzt tatsächlich ein halbes Jahr lang machen müssen,
dann wissen wir tatsächlich nicht mehr, wovon wir leben können.
Bayern ist in dieser Woche noch unsortiert:
Die einen spüren die Auswirkungen des Virus bereits.
Die anderen verdrängen noch.
Und ständig neue Maßnahmen schüren eher mehr Verunsicherung.
Eigentlich untypisch fürs bayerische Kollektiv.
Ich glaube, das Naturell des Zurückgelehnten
auf einem schönen Holzmobiliar und sich erst mal entspannen
und schauen, was da kommt, das ist eine charakterliche Beschaffenheit,
die gerade in solchen Situationen
man sich zunutze hätte machen können.
So ein Gemeinschaftsgefühl muss man in gewisser Weise leiten.
Gleiche Regeln für alle.
Denn einen kollektiven Wunsch gibt es: Dass es aufhört.