Warum uns Verschwörungen lieber sind als Zufälle
Es gibt viele Gründe, warum Leute an Verschwörungserzählungen glauben, auch wenn sie keinerlei faktische
Rücklage haben.
Die eine Ursache, den einen Fehler, der dazu führt, gibt es nicht.
Das alles ist ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren, die für jede Person unterschiedlich
stark verantwortlich für den Glauben an diese Erzählungen sind.
Was allerdings auffällt ist, dass es es ziemlich viele wirre Geschichten um die wahren Hintergründe
von den plötzlichen Toden Prominenter, unvorhergesehener Naturkatastophen oder Pandemien gibt und recht
wenige darüber, warum man nach seinem Waschgang immer weniger Socken hat als davor.
– Das klingt erstmal ganz lustig, aber die Beobachtung bleibt. Um fast jedes große geschichtliche Ereignis ranken sich verschiedenste Verschwörungserzählungen.
Und dort fast ausschließlich.
Erzählungen, die sich verhältnismäßig irrelevanten Ereignissen widmen und nicht
in irgendeiner weise mit größeren realen Begebenheiten verknüpft werden, gibt es kaum.
Das ist ja doch recht unlogisch, dass die Hinweise auf eine globale Kontrollmacht nur
dort zu finden sind, wo etwas passiert, das viele bewegt.
Um es etwas sarkastischer auszudrücken: Hätte der Mensch schon zu dem Zeitpunkt gelebt,
als die Dinosaurier durch Meteoritenstürme ausstarben, hätte er dahinter eine Verschwörung
gewittert.
Eine Studie aus 2011 hat beispielsweise gezeigt, dass Leute viel eher an ein politisch motiviertes
Attentat glaubten, wenn ihnen erzählt wurde, dass der Tod eines fiktiven Staatsoberhaupts
zu einem Krieg geführt hat.
Die Kontrollgruppe, der dieselbe Geschichte nur ohne den erwähnten Kriegsbeginn erzählt
wurde, ging jedoch von einem natürlichen Tod des Staatsoberhaupts aus.
Was Studien wie diese zeigen ist, dass Menschen dazu neigen hinter als groß wahrgenommenen
Ereignissen auch große Ursachen zu vermuten.
In der Fachsprache nennt man dieses Phänomen “proportionality bias”.
Ergo: Wenn Prinzessin Diana bei einem Autounfall ums Leben kommt sorgt dass für wild sprießende
Verschwörungserzählungen.
Wenn dasselbe Schicksal den Hausmeister der Gesamtschule Stuckenborstel ereilt, wiederum
nicht.
Die Information, dass hinter einem so gesellschaftlich relevanten Ereignis normales menschliches
Versagen steckt, ist für unser Gehirn nicht befriedigend und es versucht eine ausgleichende
Erklärung zu finden, die dem Momentum des Ereignisses gerecht wird.
Wer dieser Verzerrung nicht nur zum Opfer fällt, sondern sie aktiv zu seiner Überzeugung
macht ist nicht mehr weit davon entfernt, zu glauben, dass Geschichte planbar sei und
es aus welchen Gründen auch immer, ab einer gewissen Relevanz keine Zufälle oder Fehler
mehr geben könne.
Dazu kommt noch, dass wir eher dazu neigen spektakuläreren Erklärungen zu glauben,
wenn wir von dem Ereignis selbst betroffen sind.
Blöderweise hat unser Gehirn auch ungeheuren Respekt vor Kontrollverlust, der besonders
bei Anschlägen, Naturkatastrophen oder ähnlichem in uns hochkommt.
Also eben jenen Ereignissen, die wir mit spektakulären Erklärungen bestücken wollen.
Unser Gehirn mag Muster, Durchblick und eine daraus resultierende Planbarkeit für sich
selbst aber die findet man bei solchen Ereignissen häufig nicht.
Also neigt das Gehirn dazu gewisse Informationen zu ignorieren und in dem Ereignis ein Muster
zu deuten, das den Chaos-Faktor ausklammert.
So haben wir ein sortiertes aber nicht mehr wahrheitsgetreues Bild des Ereignisses, dass
zwar angenehmer aber halt auch häufig wirre Scheiße ist.
– Und ich sage es hier erneut, weil jedes Mal, wenn ich über derartige psychologische Fehlschlüsse spreche es mindestens einen Experten gibt, der darüber lacht, wie dumm solche Leute
doch seien und dass man selbst ja immer auf Fakten höre: Nein, dieser Denkfehler ist
kein Anzeichen mangelnder Intelligenz und nein, jemand, der aus seiner eigenen selektiven
Wahrnehmung heraus keinen solchen Fehler bei sich erinnern kann, ist nicht automatisch
ein intelligenterer, besserer Mensch.
An Verschwörungserzählungen zu glauben ist leider auch nicht einfach eine Frage der Bildung,
sondern, wie vielleicht klar geworden ist, ein komplexes Zusammenspiel aus psychologischen
wie gesellschaftlichen Tendenzen, die jeden von uns hin und wieder in diese Denkstrukturen
neigen.
Neben den hier behandelten gibt es noch zahlreiche weitere Phänomene, die in vielen Fällen
Aufschluss über das eigene Denken bieten und zumindest dabei helfen können, sich selbst
dabei zu erwischen, wie man zum Beispiel einer Erklärung nur glauben schenkt, weil sie Kontrolle
vermittelt.
Also, bevor das nächste Mal gesagt wird, eine einzelne Person hätte eine globale Katastrophe
von langer Hand geplant, ist es vielleicht doch sinnvoller daran festzuhalten, dass alle
gerade etwas ahnungslos im Kreis laufen, auch wenns unter Umständen unangenehmer ist.