Sick über Drogensucht, sein zerbrochenes Elternhaus und Prävention an Schulen
Im Grunde hat dann meine Sucht
mein Gefühl zu dieser Stadt und der Situation offengelegt.
Wenn ich mich ungewollt, ungeliebt, nicht erwünscht gefühlt habe,
und das im eigenen Zuhause.
* Titelmelodie *
Mein Name ist Sick, ich bin 1973 in Hamburg/Saar geboren.
Wohne seit 2 Jahren mittlerweile in Berlin.
Ich bin Bestseller-Autor und Entertainer.
Wenn ich auf unsere Familie gucke, ist es fast überall so,
dass die Männer in der Familie das Suchtproblem mit sich tragen.
Und die Frauen im Grunde versuchen, die Familie zusammenzuhalten.
Meine Mutter hat auch lange drunter gelitten,
dass sie diesen Kreis auch nicht durchbrechen kann.
Der innigste Moment, den ich mit meinem Vater hatte,
war, als er seinen Schlafzimmerschrank aufgemacht hat
und mir 400 kg Cannabis gezeigt hat mit dem passenden Bargeld dazu.
Genauso abweisend hat sich mein Vater jedem Menschen gegenüber verhalten.
Meine Mutter hat sich das nur
ziemlich schnell nicht mehr gefallen lassen.
Ich bin 13 Jahre alt, meine Mutter sagt mir,
pack deine Sachen, wir ziehen übermorgen um,
von Sindelfingen nach Hannover.
Der neue Freund meiner Mutter holte uns in Sindelfingen.
Wir packten den Lkw voll, sind 3 Stunden auf der Autobahn unterwegs.
Und meine Mutter geht pinkeln an der Raststätte,
er hält mich am Arm kurz fest und sagt: Du, ich muss dir was sagen,
Deine Mutter liebe ich, doch du bist unerwünscht.
Ich hab meine Mutter gehasst, dass sie mit diesem Idioten zusammen ist.
Hab den Idioten sowieso gehasst.
Hab das erste Bild von Hannover gehasst, Goetheplatz,
direkt fast am Steintor, also direkt am Rotlichtviertel.
Ja, so hat Hannover angefangen.
Und so hat mein... Abdichten,
Zumachen, Nicht-mehr-auseinandersetzen-Wollen
bei mir angefangen.
Ich hatte Hass auf die ganze Welt
und wusste nicht, wie ich es sagen sollte.
Und habe eigentlich schon mit Mitte 13 gemacht, was ich wollte.
Im Grunde habe ich mir einen Ersatz gesucht,
also in Form von Drogen und kriminell sein.
Also Ersatz für die Emotionen, die mir flöten gegangen sind zu Hause.
Im Normalfall ist es so,
dass man sich emotional in seinem Elternhaus austauscht
und für Probleme eine Lösung findet.
Das hat bei mir alles nicht mehr stattgefunden.
Tabak und Alkohol waren die ersten Suchtmittel,
die ich natürlich konsumiert habe.
Dann mit 13 kam das Cannabis, mit 15 das Heroin.
Dieser fehlende Umgang mit seinen eigenen Emotionen -
die Droge konnte das stopfen.
Aber halt nur Stopfen. Das macht die Sache nicht gut.
Das ist wie Schmerzmittel nehmen gegen Schmerzen,
aber die Ursache nicht bekämpfen.
Man betäubt das einfach nur und bleibt halt so.
Ich bin verhaftet worden, habe dann meine Haft durchgezogen.
Habe erst mal 18 Monate Therapie gemacht.
Dort habe ich die tolle Mutter meiner Tochter kennengelernt.
Seitdem gibt es noch einen lebenden Grund für mich,
warum ich das ändern wollte.
* Musik *
Ich hab in der Zwischenzeit schon so viele Therapien gemacht,
dass ich einen Therapeut hatte,
der ganz klar in der Großgruppe 60 Knackis angebrüllt hat:
Mir scheißegal, was ihr labert.
Ihr seid verkackte Junkies,
und ein verkackter Junkie ist kein guter Vater. Punkt aus.
Wie kannst du so was sagen?
Aber als das Kind dann da war
und ich nachts heulend an ihrem Bett gesessen habe,
wusste ich ganz genau, was er gemeint hat.
Egal, wie viel Geld du machst und was du deinem Kind alles kaufen kannst:
Du bist ein emotionaler Krüppel.
Emotional kannst du deinem Kind gar nichts beibringen.
Nichts.
Ich habe dadurch schwere Depressionen gekriegt.
Und ja, der absolute Tiefpunkt in meinem Leben.
Es war ein langer Weg der Aufarbeitung.
Seitdem ich angefangen habe,
das zu sortieren und mich damit auseinanderzusetzen,
seitdem hat es nicht mehr aufgehört.
Und ich denke, das wird auch niemals aufhören.
Weil immer wieder neue Dinge kommen, die dich belasten können,
wenn du sie nicht abarbeitest.
Die ersten Schulbesuche waren für mich so,
dass ich die erste halbe Stunde auf dem Schulgelände gedacht habe,
okay, wenn die Eltern das wüssten, dass ich hier rumturne,
die würden mit Steinen schmeißen.
So "Wie könnt ihr den Typen in unserer Schule lassen"?
Mittlerweile weiß ich, dass das, was ich mache, gut ist.
Ich fühle mich nicht mehr fremd, wenn ich "meinen Auftrag" erledige
oder das mache, also Präventionsarbeit an Schulen.
Sondern ich habe das Gefühl, ich gebe was zurück,
und zwar was immens Wichtiges.
Ich, mit einer Information an Schulen.
Aber das Allerwichtigste, glaube ich, ist die Emotion, die ich mitbringe.
Die meisten Kids, die meine Koks-Geschichte hören,
die haben plötzlich ein ganz neues Bild vom Drogenkonsum.
Boah, das geile Koks,
das sich die ganzen Rappers und haste-nicht-gesehen
und die ganzen Schwerstreichen auf ihren Luxusyachten reinziehen...
Nee, Koks sieht so aus!
Das ist Koks.
Fickt dich komplett weg.
Das sind so die Dinge, die ich auch an den Schulen so mitteile.
Achtet auf eure Emotionen.
Wenn ihr sie nicht versteht,
sprecht mit jemanden darüber, der es versteht.
Traut euch, auch darüber zu sprechen, also auch untereinander.
Gerade erst mal untereinander, im Freundeskreis. Tauscht euch aus.
Jeder erzählt, wie geil das war, war cool,
und da habe ich das und das erlebt
und da habe ich das und das mit dem gemacht.
Aber dass Mama vorletzte Woche nach 2 Flaschen Wodka
bewusstlos in der Küche umgefallen ist, erzählt keiner gern.
Aber das sind die Dinge,
die unsere Kinder prägen oder unseren Nachwuchs prägen.
Und das ist so meine Quintessenz des Gelernten: Sprich es laut aus.
Ich habe mich jetzt lange nach Ruhe und Gelassenheit gesehnt.
Das spiegelt sich auch in meinem Wohnort wider.
Bei mir sagen sich gegenüber auf der Wiese
so um 21:30 Uhr Hase und Igel gute Nacht.
Und um 22 Uhr fährt das letzte Auto mal vorbei.
Und dann ist Ruhe.
Hier in Berlin ist auch das erste Mal,
dass ich mir meinen Wohnort selbst ausgesucht habe
in den letzten 25 Jahren.
Sonst war immer fremd diktiert.
Meistens hat der Staatsanwalt gesagt, wo ich wohne.
Jetzt habe ich das erste Mal ein Gefühl von Zuhause.
Hier bin ich angekommen.
* Titelmelodie *
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2019)
So Ihr Lieben, das war "Germania" mit Sick.
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