Der Preis für unser komplexes Gehirn
Die Schizophrenie ist eine sehr rätselhafte Krankheit, die uns viel über die menschliche
Wahrnehmung deutlich macht und möglicherweise der Preis für das ist, was uns als Menschen
so besonders macht.
Im letzten Video habe ich über die Schizophrenie gesprochen.
Genauer gesagt über die Ursachen, Symptome und die Behandlung dieser sehr besonderen
psychischen Erkrankung.
Diese Krankheit kann uns vor Augen führen wie unselbstverständlich eigentlich unsere
alltägliche Wahrnehmung ist.
Denn Betroffene hören Stimmen, fühlen sich von außen kontrolliert oder nehmen sich nicht
mehr als eine zusammengehörige Person wahr.
Vieles was uns im Alltag so normal vorkommt, basiert auf unvorstellbar komplexen Abläufen
im Gehirn, die alles andere als selbstverständlich sind.
Die Schizophrenie zeigt uns also ganz deutlich,
dass unsere Erfahrung der Welt auch ganz anders sein könnte.
Das was wir also objektive Wahrnehmung empfinden, ist eine Konstruktion, die von unserem Gehirn
gemacht wird.
Und da kann es eben zu Störungen kommen.
„Menschen sollten wissen, dass vom Gehirn, und nur vom Gehirn, unser Vergnügen, Freude,
Heiterkeit und Humor, aber auch unsere Traurigkeit, Schmerz, Bestürzung und Tränen ausgehen.
Es ist wiederum dieses, welches uns verrückt oder wahnsinnig macht, das Schrecken
und Angst verursacht. Diese Dinge, an denen wir leiden, kommen alle von dem Gehirn.“
Selbst wenn die Symptome der Schizophrenie
wie Halluzinationen oder Ich-Störungen durch Medikamente eingedämmt werden können, ist
es schwierig die Welt je wieder als normal zu sehen.
Das berichten viele der Betroffenen und es ist auch vollkommen logisch.
Solche Erfahrungen zeigen auf dramatische Weise, dass die Welt auch ganz anders sein
kann.
Und sie führen ganz deutlich vor Augen, dass die Welt, wie wir sie wahrnehmen eine Konstruktion
des Gehirns ist.
Wenn Menschen diese Fremdheitserfahrung, diese Isolationserfahrung, diese kognitiven Störungen
einmal erlebt haben, dann ist es nicht immer einfach unbeschwert weiterzuleben.
Dabei denke ich gerade an so etwas wie Ich-Störungen.
Denn wenn einem deutlich wird, dass dieses Ich keiner festen Wesenheit entspricht, sondern
bloß ein weiteres gedankliches Muster ist, wenn auch ein sehr Komplexes, dann kann dies
auch ohne akute Symptome eine große Rolle für das weitere Leben spielen.
Psychisch gesunde Menschen können solche Erfahrungen z.B. mit psychedelischen Substanzen
erleben.
Und auch da berichten viele Menschen, dass der Konsum einen neuen Blick auf Bewusstsein
und Realität für sie bedeutete.
Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen können auch Tiere bekommen.
Nur Schizophrenie ist dem Menschen vorbehalten.
Die schwere Krankheit ist der Preis, den der Mensch für sein komplexes Gehirn zahlt.
Der Gedanke dahinter ist zunächst folgender: Knapp 1% der Bevölkerung leidet an Schizophrenie.
Das ist nicht wenig.
Normalerweise werden potenziell beeinträchtigende Störungen innerhalb einer Population mit
der Zeit immer seltener vererbt, weil die Betroffenen durch ihren Nachteil durchschnittlich
weniger Kinder haben.
Das bedeutet, dass Schizophrenie irgendwie auch mit einem Vorteil für die Gesamtpopulation
einhergehen, beziehungsweise die Nebenwirkung eines vorteiligen Effekts sein muss.
Es gibt nicht das eine bestimmte Gen, welches allein für die Schizophrenie verantwortlich
ist.
Vielmehr gibt es mehrere unabhängige Gene, die gemeinsam dafür verantwortlich sind,
wie anfällig eine Person für diese Störung ist.
In der jüngeren Forschung hat man diese Gene genauer untersucht.
In einer Studie von 2015 wurden die sogenannten HARs, die ‚human accelerated regions‘
betrachtet.
Das sind einfach ausgedrückt bestimmte menschliche Gensegmente, die unsere Spezies teilweise
sehr stark von anderen unterscheidet.
Einige davon sind verantwortlich für das, was uns Menschen von anderen Arten abhebt.
Nun saßen diese HARs überzufällig oft in direkter Nähe zu Genen, die Schizophrenie
mitverursachen.
Das ließ die Wissenschaftler vermuten, dass diese Schizophrenie Gene dort irgendetwas beeinflussen.
Sie führten daher noch eine Analyse der Genexpression durch: Sie sahen sich also an, wo und wann
diese speziellen Schizophrenie-Gene im Körper aktiv sind.
Sie hatten zum Beispiel Einfluss auf den präfrontalen Cortex, welcher verantwortlich für höhere
kognitive Funktionen wie das vorausschauende Denken, die Aufmerksamkeit, die Verhaltensplanung
und die Kontrolle von Impulsen ist.
Also genau die Dinge, die bei der Schizophrenie beeinträchtigt sind.
Die Gene waren außerdem mitverantwortlich für die Weiterleitung eines Botenstoffes,
ebenfalls im präfrontalen Cortex.
Bei der Schizophrenie ist diese Weiterleitung gestört.
Und auch schon 2007 haben Forscher in einer Studie 3 bestimmte Gene untersucht, die mit
Schizophrenie in Verbindung gebracht werden.
Alle drei Gene beeinflussen die Struktur des Gehirns, und zwar vor allem die Hirnregionen,
die sich während der menschlichen Evolution am meisten verändert haben.
Vermutlich gibt es also eine Kopplung zwischen diesen Schizophrenie-Genen und solchen Erbgutbereichen,
die Kreativität, geistige Flexibilität und Fantasie prägen.
Und es gibt auch noch weitaus mehr Arbeiten, die ähnliche Ergebnisse zeigen.
Das lässt vermuten, dass der Sinn des Wahnsinns tatsächlich unsere höheren kognitiven Funktionen
sind, die uns als Menschen ausmachen.
Und eine weitere spannende Erkenntnis spricht dafür: Habt ihr schon einmal von der Sichelzellenanämie
gehört?
Sie führt zu einer Beeinträchtigung des Blutflusses und bringt damit eine Reihe körperlicher
Komplikationen mit sich.
Es ist eine genetisch bedingte Krankheit, die normalerweise auch aus der Population
durch Selektion verschwunden wäre.
Warum ist dies nicht der Fall?
Naja, wenn nur ein Allel eines Sichelzellgens vorhanden ist, dann zeigt der Träger keine
Symptome und nun kommt das Spannende: Dieser Mensch ist gegen Malaria immun!
Und tatsächlich ist das Sichelzellgen in Populationen aus Malariagebieten besonders
verbreitet.
Bei der Schizophrenie ist es nun so, dass zahlreiche Studien darauf hindeuten, dass
die Verwandten von Menschen mit Schizophrenie in der Tat eine überdurchschnittlich ausgeprägte
kreative Intelligenz haben.
Das gilt zwar auch bedingt für die Schizophrenie-Erkrankten selbst, jedoch sind bei ihnen die gedanklichen
und sprachlichen Prozesse für gewöhnlich so desorganisiert, dass sie keinen wirklich
produktiven Nutzen daraus ziehen können.
Aber auch da gibt es prominente Beispiele wie z.B.
John Nash, der Vater der Spieltheorie.
Ihr kennt bestimmt die Verfilmung seiner Biografie „A beautiful mind“.
Er schaffte es trotz der Krankheit und langer Klinikaufenthalte seine Studien fortzuführen.
Es gibt da natürlich noch viele weitere Beispiele wie Vincent van Gogh oder auch Isaac Newton.
Und wenn die genialen Genies nicht selbst an Schizophrenie oder einer ähnlichen Störung
litten, dann kam sie eben häufig im Verwandtenkreis vor.
Einer der genialsten Menschen, die je gelebt haben, hatte einen Sohn, der an Schizophrenie litt:
Albert Einstein.
Als Menschen sind wir nicht nur die bei Weitem anpassungsfähigsten aller Lebewesen, sondern
wir können uns z.B. auch mit Kunst, Musik und Religion beschäftigen.
Der Preis dafür scheint zu sein, dass einige von uns wahnsinnig werden.
Daher kommt dann auch diese Aussage, die ich schon letzte Woche auf Instagram gepostet
habe: „Schizophrenie ist nicht nur eine Krankheit der Menschen, vielleicht ist es
die Krankheit der Menschheit.“
In der Beschreibung habe ich euch die erwähnten Studien und auch weitere Videos von mir verlinkt,
die euch in diesem Zusammenhang interessieren könnten.
Außerdem findet ihr dort natürlich auch wie immer einige Buchempfehlungen, im Speziellen
die Bücher, auf denen dieses Video basiert.
Ja, dann erstmal vielen Dank fürs Zuschauen.
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und des Podcasts mitzubekommen und ansonsten bis zum nächsten Mal.