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Die Abenteuer Tom Sawyers, Die Abenteuer Tom Sawyers (11)(12)(13)

Die Abenteuer Tom Sawyers (11)(12)(13)

Elftes Kapitel. Kurz nach neun Uhr wurde das ganze Dorf durch die schreckliche Neuigkeit alarmiert. Obwohl sich damals noch niemand etwas von einem Telegraphen träumen ließ, flog die Nachricht doch von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, mit fast telegraphischer Eile. Natürlich gab der Schullehrer für nachmittags frei. Man hätt‘s ihm sehr übel genommen, hätte er‘s nicht getan. Ein blutiges Messer war bei der Leiche gefunden und durch ein paar Leute als das des Muff Potter rekognosziert worden — so hieß es. Und man sagte ferner, ein verspäteter Bürger habe Muff Potter in der Gegend des Verbrechens um ein oder zwei Uhr getroffen, wie er sich in einem Wassergraben wusch, und Muff Potter sei plötzlich ausgerissen — alles verdächtige Umstände, besonders das Waschen, was sonst gar nicht zu Potters Gewohnheiten gehörte. Man sagte auch, der Ort sei nach dem „Mörder“ durchsucht (das Volk ist nicht träge, belastende Momente zu suchen und zu einem Urteilsspruch zu gelangen), daß er aber nicht gefunden worden sei. Reiter waren nach allen Himmelsrichtungen ausgesandt, und der Sheriff hatte die beste Hoffnung, man werde ihn (nicht den Sheriff!) noch vor der Nacht erwischt haben.

Der ganze Ort war unterwegs nach dem Kirchhof. Toms Herzeleid schwand, und er schloß sich der Prozession an, nicht weil er nicht tausendmal lieber anderswohin gegangen wäre, als vielmehr unter dem Zwang eines schrecklichen, unerklärlichen Antriebs. An dem gräßlichen Schauplatz angelangt, zwängte er seinen kleinen Körper durch die Menge und genoß den ganzen traurigen Anblick. Es schien ihm eine Ewigkeit, seit er hier gewesen. Jemand packte seinen Arm. Er fuhr herum, und sein Blick traf auf Huckleberry. Dann sahen beide wie auf Verabredung seitwärts und fürchteten, es möge ihnen jemand das Einverständnis vom Gesicht lesen können. Aber alles schwatzte durcheinander und achtete nur auf den schrecklichen Anblick vor sich.

„Armer Bursche!“ „Armer, junger Bursche!“ „Eine Lehre für Leichenräuber!“ „Muff Potter muß hängen für das da, wenn man ihn erwischt!“ Das waren so die Bemerkungen, die fielen, und der Geistliche sagte: „Es war ein Gericht. Seine Hand ist hier sichtbar!“ In diesem Augenblick erschauerte Tom von Kopf bis zu Fuß, denn seine Augen fielen auf des Indianer-Joes gleichgültiges Gesicht.

Die Menge begann zu flüstern und zu tuscheln. „Er ist‘s, er ist‘s! Er kommt!“

„Wo, wo?“ fragten zwanzig Stimmen. „Muff Potter! Hallo, er steht still! Seht mal, er kommt hierher zurück! Laßt ihn nicht entwischen!“

Leute, die in den Zweigen der Bäume über Tom saßen, sagten, er habe nicht den geringsten Versuch gemacht, zu entschlüpfen, er stand nur und schaute zweifelnd und wie erstarrt um sich.

„Teuflische Frechheit!“ sagte einer der Umstehenden. „Wagt‘s, zurückzukommen und sein Werk ganz ruhig zu betrachten! Hat wohl nicht gedacht, schon Gesellschaft hier zu finden!“

Die Menge teilte sich jetzt, und der Sheriff kam ostentativ hindurchgeschritten, Potter am Arm führend. Des armen Burschen Gesicht sah blaß aus, und aus seinen Augen sprach die Furcht, die ihn beherrschte. Als er vor dem Ermordeten stand, zuckte er wie unter einem Hieb zusammen, verbarg das Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus.

„Ich hab‘s nicht getan, Freunde.“ schluchzte er. „Auf Ehr‘ und Seligkeit, ich tat‘s nicht!“

„Wer hat dich denn angeklagt?“ schrie eine Stimme. Dieser Hieb saß. Potter nahm die Hände vom Gesicht und schaute in sichtbarster Hilflosigkeit um sich. Er sah Joe und rief aus: „O, Joe, du versprachst mir, niemals —“

„Ist das Euer Messer?“ Und es wurde vom Sheriff vorgehalten.

Potter wäre umgefallen, wenn man ihn nicht aufgefangen und ihn auf die Erde niedergelassen hätte. Dann sagte er: „Dacht‘ ich mir‘s doch, wenn ich nicht zurückkäme und —“, er schauderte. Dann erhob er seine kraftlose Hand mit müder Gebärde und flüsterte: „Sag‘s ihnen, Joe, sag‘s ihnen — ‘s ist nichts mehr zu machen.“

Dann standen Huckleberry und Tom stumm und starr und hörten den kaltherzigen Lügner ganz gemütlich Bericht erstatten; sie erwarteten jeden Augenblick, Gottes Blitzstrahl werde ihn treffen, und wunderten sich, ihn solange unberührt stehen zu sehen. Und nachdem er geendet hatte und gesund und heil blieb, dachten sie nicht mehr daran, ihren Eid zu brechen und des armen Gefangenen Leben zu retten, denn es war zweifellos, daß Joe sich dem Satan verschrieben hatte, und es wäre wohl gefährlich gewesen, sich mit einer solchen Macht einzulassen.

„Warum liefst du nicht davon? Warum, zum Teufel, kamst du hierher zurück?“

„Konnt‘ nicht anders — ich konnt‘ nicht anders,“ stöhnte Potter. „Ich wollt‘ wohl fortlaufen, aber ich konnt‘ nirgends hinkommen als hierher!“

Und er fing wieder an zu schluchzen.

Joe wiederholte seinen Bericht, ebenso ruhig, ein paar Minuten später und beschwor ihn auf Verlangen, und die Burschen, die den Lichtstrahl immer noch nicht hervorbrechen sahen, wurden dadurch in ihrem Glauben, daß er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe, noch mehr bestärkt. Er war mit einem Schlage für sie der Gegenstand des unheimlichsten Interesses geworden, wie nichts anderes, und sie konnten die bezauberten Blicke nicht von ihm wenden. Sie beschlossen innerlich, ihn nachts, wenn sich einmal die Gelegenheit böte, zu belauern, in der Hoffnung, seines schrecklichen Herrn und Meisters ansichtig zu werden.

Joe half den Körper des Ermordeten aufheben und auf einen Karren laden, um ihn fortzuschaffen. Und es ging ein Flüstern durch das schaudernde Volk, daß die Wunde ein wenig zu bluten anfinge! Die Knaben hofften, dieser glückliche Umstand werde den Verdacht in die wahre Richtung lenken. Aber sie waren enttäuscht, als mehrere der Leute sagten: „Er war nur drei Schritt von Muff Potter entfernt, als es geschah.“

Toms schreckliches Geheimnis, seine furchtbare Mitwisserschaft störte seinen Schlaf während mehr als einer Woche; und eines Morgens beim Frühstück sagte Sid:

„Tom, du wirfst dich im Schlaf herum und sprichst so viel, daß du mich die halbe Nacht wach erhältst.“

Tom erbleichte und senkte die Augen.

„‘s ist ein böses Zeichen,“ sagte Tante Polly mit Nachdruck. „Was hast du auf dem Herzen, Tom?“

„Nichts — nichts — ich weiß nicht.“ Aber seine Hand zitterte so, daß er seinen Kaffee verschüttete.

„Und du schwatzt solchen Unsinn,“ fuhr Sid fort. „In der letzten Nacht sagtest du: ,‘s ist Blut, ‘s ist Blut, nichts als Blut.‘ Du sagtest das immer wieder. Und dann sagtest du: ‚Ängstigt mich nicht — ich will alles sagen.‘ Sagen — was? Was willst du sagen?“

Tom schwamm alles vor den Augen. Es ist nicht zu sagen, was geschehen sein würde, wenn nicht plötzlich die Spannung aus Tante Pollys Gesicht gewichen wäre und sie Tom, ohne es zu wissen, zu Hilfe gekommen wäre. Sie sagte: „Kann mir‘s denken! Der schreckliche Mord ist‘s. Ich selbst träume jede Nacht davon. Manchmal träum‘ ich, ich selbst hätt‘s getan.“

Mary sagte, sie wäre gerade so angegriffen davon. Sid schien befriedigt. Tom ging aus der Affäre so beruhigt hervor, als es nur immer möglich war, simulierte während einer Woche Zahnschmerzen und band sich jede Nacht die Backen fest zu. Er wußte nicht, daß Sid wachte und des öfteren die Bandage lockerte und dann, auf den Ellbogen gestützt, eine gute Weile lauerte, dann wieder alles in Ordnung brachte und sich hinlegte. Toms Gemütsverstimmung wich nach und nach, und die Zahnschmerzen begannen ihm lästig zu werden und wurden ganz abgeschafft. Wenn es Sid gelungen war, etwas von Toms unbewußtem Murmeln aufzufangen, so behielt er es jedenfalls für sich. Tom schien es, als könnten seine Schulkameraden nicht oft genug Totenschau über Katzen halten und dadurch seine Erinnerung immer wieder auffrischen. Sid fiel auf, daß Tom niemals den Beschauer spielen wollte, obwohl er sonst doch gewöhnt war, bei allem den Führer abzugeben; er merkte auch, daß Tom sich nie unter den Zeugen befand — und das war auffallend. Schließlich entging Sid durchaus nicht die entschiedene Abneigung Toms gegen diese ganze Spielerei, und seine Bemühungen, ihr aus dem Wege zu gehen. Sid grübelte darüber, sagte aber nichts. Indessen, schließlich schwand alle Unruhe und hörte auf, Toms Geist zu quälen.

Jeden Tag oder doch jeden zweiten in dieser traurigen Zeit passte Tom auf eine Gelegenheit, um zu dem kleinen Gitterfenster zu laufen und allerhand kleine Annehmlichkeiten für den „Mörder“ hineinzuschmuggeln. Das Gefängnis war ein trübseliges, kleines, halbverfallenes Loch und stand in einem Sumpfe außerhalb des Dorfes. Wärter waren nicht aufgestellt, denn es hatte selten Gäste zu beherbergen. Diese Geschenke halfen sehr dazu, Toms Gemüt aufzuheitern. Die Dörfler hatten nicht übel Lust, Joe beim Kragen zu nehmen und ihm wegen der Leichenberaubung den Prozeß zu machen, aber so furchtbar war sein Ruf, daß niemand sich fand, der Lust gehabt hätte, die Sache zu übernehmen. So wurde sie denn unterlassen. Vorsichtigerweise hatte Joe bei seinen Geständnissen jedesmal gleich mit der Rauferei begonnen, ohne über die vorhergegangene Leichenberaubung ein Wort zu verlieren. Daher schien es das weiseste, wenigstens vorläufig die Angelegenheit nicht vor Gericht zu ziehen.

Zwölftes Kapitel. Einer der Gründe, die Toms Geist von seiner geheimen Erregung abgezogen hatten, war, daß er einen neuen und wichtigen Gegenstand des Interesses fand. Becky Thatcher hatte aufgehört, zur Schule zu kommen. Tom hatte mehrere Tage mit seinem Stolze gekämpft und versucht, sie „unter den Wind zu bekommen,“ aber vergeblich. Er ertappte sich dabei, wie er um ihres Vaters Haus herumstrich, nachts, und sich dabei sehr unglücklich fühlte. Sie war krank. Wie, wenn sie sterben mußte! In dem Gedanken war Verzweiflung. Er hatte kein Vergnügen mehr am Kriegspielen, nicht einmal mehr an seinem Piraten-Beruf. Der Glanz des Lebens war dahin, nichts als Finsternis war geblieben. Er ließ seinen Reifen liegen und seinen Bogen; er hatte keinen Spaß mehr daran. Seine Tante war beunruhigt. Sie fing an, allerhand Medizinen an ihm zu probieren. Sie gehörte zu den Leuten, die auf jede Medizin schwören und alle neu erfundenen Heilmethoden. Sie war unermüdlich in ihren Experimenten. Sobald sie von etwas Neuem in der Branche hörte, brannte sie darauf, es zu probieren; nicht an sich selbst, denn sie war nie leidend; aber am ersten besten, der ihr in die Hände fiel. Sie war Abonnentin sämtlicher „Heil“-Zeitschriften und jedes gedruckten, wissenschaftlichen Betruges; den größten Unsinn, mit dem nötigen feierlichen Ernst vorgetragen, nahm sie wie ein Evangelium auf in ihrer Unwissenheit. Alle Abhandlungen über Ventilation, das Zubettgehen und Aufstehen, Essen und Trinken, über das Maß der nötigen Bewegung, die Gemütsverfassung, die Art der Kleidung, erschienen ihr einfach einwandfrei, und sie merkte gar nicht, daß die Gesundheits-Journale des laufenden Monats gewöhnlich all das widerriefen, was sie im Monat vorher empfohlen hatten. Sie war einfachen Herzens und so ehrenhaft, wie der Tag lang ist, und so war sie ein leichtes Opfer. Sie sammelte ihre prahlerischen Zeitschriften mit den Quacksalber-Medizinen, und so gewaffnet, ritt sie, den Tod hinter sich, auf ihrem fahlen Pferd, „die Hölle hinter sich,“ um eine Metapher zu brauchen. Aber sie argwöhnte niemals, daß sie nicht ein Engel der Genesung und der Balsam des Herrn in Person für die leidende Nachbarschaft sei.

Die Wasserbehandlung war neu und Toms übles Befinden kam ihr wie gerufen. Jeden Morgen in aller Frühe wurde er herausgeholt, in einen Holzschuppen geschleppt und mit einer Sintflut kalten Wassers überschüttet. Dann rieb sie ihn trocken mit einem Handtuche, gleich einer Feile, und er wurde zurücktransportiert. Darauf wurde er in ein nasses Tuch gerollt und wieder unter seine Bettdecke gestopft, bis er schwitzte, wie eine Seele im Fegfeuer, und „ihre Schmutzflecken drangen durch alle Poren heraus,“ wie Tom sagte. Indessen, alledem zum Trotz, wurde der Junge immer melancholischer, niedergeschlagener und gleichgültiger. Sie fügte heiße Bäder, Sitzbäder, Gießbäder und Sturzbäder hinzu. Der Junge blieb leblos wie eine Leiche. Sie begann das Wasser mit Blasen ziehenden Haferschleimpflastern zu versetzen. Sie überlegte seine Aufnahmefähigkeit und füllte ihn wie einen Krug täglich mit allen möglichen quacksalberischen Mittelchen an.

Tom war allmählich gegen all diese Verfolgungen gleichgültig geworden. Dieser Zustand erfüllte der alten Dame Herz mit Entsetzen. Diese Gleichgültigkeit mußte um jeden Preis gebrochen werden. Zu dieser Zeit gerade vernahm sie vom „Schmerzentöter“. Sie ordnete sofort täglich ein Lot an. Sie versuchte es selbst und war sehr befriedigt davon. Es war wie Feuer in flüssiger Form. Sie ließ die Wasserkur und alle anderen Methoden und beschränkte sich auf den Schmerzentöter. Sie gab Tom einen Teelöffel und wartete ängstlich auf die Wirkung. Ihre Unruhe war mit einem Schlage zu Ende, ihr Geist hatte wieder Frieden. Denn die „Gleichgültigkeit“ war gebrochen. Der Bursche hätte kein wilderes, mehr von Herzen kommendes „Interesse“ zeigen können, wenn sie ein Feuer unter ihm angezündet hätte.

Tom fühlte, daß es Zeit war, aufzuwachen. Diese Lebensweise hätte ja ganz romantisch sein können, war aber nachgerade zu anstrengend und zu eintönig. So grübelte er über verschiedenen Plänen seiner Befreiung und verfiel schließlich darauf, sich als Freund des Schmerzentöters zu bekennen. Er verlangte so oft danach, daß er lästig wurde, und seine Tante ihm schließlich befahl, sich selbst zu helfen und sie in Ruhe zu lassen. Wäre es Sid gewesen, kein Schatten würde ihre Freude getrübt haben; da es aber Tom war, beobachtete sie die Flasche mit Aufmerksamkeit. Sie fand, daß die Medizin beständig weniger wurde, es fiel ihr aber nicht ein, daß der Junge eine Bodenritze im Speisezimmer damit anfüllte.

Eines Tages war Tom wieder bei dieser Arbeit, als Tante Pollys gelbe Katze des Weges kam, schnurrend, den Teelöffel begehrlich betrachtete und um ein bißchen bettelte. Tom sagte zu ihr: „Bitt nicht drum, wenn du‘s nicht brauchst, Peter!“

Aber Peter gab zu verstehen, er habe es nötig.

„Überleg‘s noch mal.“

Peter blieb dabei.

„Na, du hast drum gebeten, und ich will‘s dir geben; aber wenn‘s dir nicht gefällt, darfst du niemand Vorwürfe machen als dir selbst.“

Peter war einverstanden; so öffnete Tom seine Schnauze und goß den Schmerzenztöter hinein. Peter machte einen Riesensatz in die Luft, stieß ein Kriegsgeheul aus und fuhr immer rund im Kreise herum durchs Zimmer, gegen Möbel stoßend, Blumentöpfe umwerfend, kurz, lauter Verwirrung anrichtend. Dann erhob er sich auf die Hinterbeine und tanzte sinnlos vor Vergnügen herum, den Kopf über die Schultern zurückgeworfen, mit einer Stimme, aus der grenzenloses Behagen klang. Tante Polly kam gerade noch rechtzeitig herein, um sie mit einem letzten Hurra durchs Fenster fliegen zu sehen, mit ihr die Reste der Blumentöpfe. Die alte Dame stand starr vor Erstaunen, über ihre Brillengläser hinwegschauend. Tom lag auf der Erde und krümmte sich vor Lachen.

„Tom, was um des Himmels willen fehlt der Katze?“

„Ich weiß nicht,“ stöhnte der Junge.

„So was hab‘ ich doch noch nicht gesehen! Was kann sie haben?“

„In der Tat, ich weiß nicht, Tante. Katzen tun immer so, wenn sie vergnügt sind.“

„Tun sie — wirklich?“ Es war etwas in dem Ton, was Tom stutzen machte.

„Hm — ja. Das heißt — ich meine, sie tun‘s.“

„Du meinst?“

„Hm — ja —“

Die alte Dame bückte sich, Tom wartete mit ängstlichem Interesse. Zu spät entdeckte er ihre List. Der Griff des Teelöffels war unter der Tischdecke sichtbar. Tante Polly zog ihn heraus und hielt ihn in die Höhe. Tom fuhr zusammen und senkte die Augen. Tante Polly hob ihn an dem gewöhnlichen Henkel — seinem Ohr — in die Höhe und klopfte ihm mit ihrem Fingerhut tüchtig auf den Kopf.

„Nun, sag‘ mal, wozu mußt du das arme Tier so quälen?“

„Ich hab‘s ja aus Mitleid getan — weil sie keine Tante hat.“

„Hat keine Tante! Hansnarr! Was hat das hier zu tun?“

„‘ne Menge. Denn hätt‘ sie eine gehabt, so würd‘ sie selbst ‘s ihm gegeben haben! Sie hätt‘ ihr die Gedärme rausgeröstet, ohne mehr zu fühlen, als wenn‘s ein Mensch gewesen wäre!“

Tante Polly fühlte plötzlich Gewissensbisse. Das setzte die Sache in ein neues Licht. Was grausam war gegen eine Katze, mußte auch gegen einen kleinen Burschen grausam sein. Sie begann, zu seufzen, sie fühlte sich traurig. Ihre Augen wurden ein bißchen feucht, sie legte die Hand auf Toms Kopf und sagte freundlich:

„Ich hab‘s gut gemeint, Tom. Und Tom, es hat dir genützt!“

Tom schaute zu ihr auf mit ein bißchen Schelmerei in seinem Ernst und sagte:

„Ich weiß wohl, Tante, daß du‘s gut meintest, und ich meinte es gut mit Peter. Es tat ihm auch gut! Ich hab‘ ihn nie so lustig rumlaufen gesehen —“

„Na, mach, daß du weiter kommst, Tom, ehe du mich wieder ärgerst. Und versuch doch mal ‘n braver Junge zu sein, und du brauchst auch keine Medizin mehr zu nehmen.“

Tom kam sehr frühzeitig zur Schule. Es war bekannt geworden, daß dieses sehr seltene Ereignis in letzter Zeit jeden Tag sich zugetragen hatte. Und dann, wie seit kurzem stets, lungerte er am Tor des Schulhofes, statt mit seinen Kameraden zu spielen. Er sagte, er wäre krank, und er sah auch so aus. Er stellte sich, als sähe er überall hin, wohin seine Blicke tatsächlich beständig gerichtet waren — die Straße hinunter. Plötzlich kam Jeff Thatcher in Sicht und Toms Miene hellte sich aus. Er spähte einen Augenblick angestrengt und wandte sich dann betrübt ab. Als Jeff ankam, hielt ihn Tom an und suchte ihn geschickt über Becky auszuholen, aber der herzlose Jeff tat, als sähe er den Köder gar nicht. Tom wartete und wartete, hoffend, sobald ein wehender Rock in Sicht kam und die Inhaberin desselben verwünschend, sobald er sah, daß es nicht die Rechte war. Schließlich erschienen keine Röcke mehr, und er verfiel in hoffnungslosen Trübsinn. Dann auf einmal kam doch noch ein Rock durchs Tor herein, und Toms Herz tat einen mächtigen Sprung. Im nächsten Moment war er draußen und schoß drauf los wie ein Indianer, springend, lachend, Buben stoßend, mit Risiko von Leib und Leben über den Zaun setzend, Purzelbäume machend, auf dem Kopf stehend — kurz, lauter heroische Dinge verrichtend und fortwährend hinüber schielend, ob Becky Thatcher ihn beobachtete. Aber sie schien von alledem gar nichts wahrzunehmen; sie schaute nicht hin. War es möglich, daß sie seine Anwesenheit wirklich nicht bemerkt hatte? Er betrieb seine Kunststücke in ihrer unmittelbaren Nähe; fuhr, ein Kriegsgeheul ausstoßend, um sie herum, schlug einem Jungen die Mütze herunter, schleuderte sie auf den Schulhof, brach durch eine Gruppe, sie nach allen Richtungen auseinandersprengend und fiel dabei selbst gerade Becky vor die Nase hin, sie fast umstoßend — sie wandte sich ab, das Näschen rümpfend, und er hörte sie sagen:

„Pa! Einige Burschen kommen sich schon sehr wichtig vor — immer müssen sie sich breit machen!“

Tom wurde blutrot. Er rappelte sich auf und trollte davon, zermalmt und mutlos.

Dreizehntes Kapitel. Tom zögerte nun nicht länger. Ihn erfüllte ein finsterer, verzweifelter Gedanke. Er wäre ein verlassener, freundloser Junge dachte er. Niemand liebte ihn. Wenn sie merken würden, wozu sie ihn getrieben, würden sie vielleicht betrübt sein. Er hatte versucht, das Rechte zu tun und brav zu werden, aber man ließ ihn nicht. Da man sich durchaus von ihm befreien wollte, mochte es so sein. Und man würde ihn für die Folgen verantwortlich machen — warum auch nicht? Welches Recht haben Freundlose, sich zu beklagen? Ja, sie hatten ihn zum äußersten getrieben, er würde ein Leben voll Verbrechen führen; ‘s gab keine Wahl. — Inzwischen war er weit hinunter zu „Meadow-Land“ gekommen, und die Schulglocke tönte lockend an sein Ohr — sie wollte ihn wohl zurückhalten. Er seufzte bei dem Gedanken, nie, nie wieder den alt-vertrauten Ton hören zu sollen — es war sehr hart, aber mußte sein; da er in die kalte Welt hinausgetrieben war, mußte er sich unterwerfen — aber er vergab ihnen! Dann kamen Tränen — schwer und bitter.

Gerade in diesem Augenblick begegnete ihm sein Herzensfreund Joe Harper — mit trüben Augen und zweifellos einen großen, schrecklichen Entschluß im Herzen. Offenbar waren hier „zwei Seelen und ein Gedanke.“ Tom seine Augen mit dem Ärmel trocknend, begann etwas herauszustottern von einem Entschluß, aus grausamer und liebloser Behandlung zu fliehen, in die weite Welt zu gehen und niewiederzukommen und schloß damit, daß er hoffe, Joe werde ihn nicht vergessen.

Aber es zeigte sich, daß Joe im Begriff gewesen, an Tom das gleiche Verlangen zu stellen und ihn zu diesem Zweck gesucht hatte. Seine Mutter hatte ihn gezüchtigt, weil er Rahm getrunken haben sollte, den er nie gesehen, von dem er überhaupt gar nichts wußte; es war klar, sie mochte ihn nicht mehr und wollte nichts von ihm wissen, sie wollte ihn einfach los sein. Da sie es so wollte, war für ihn nichts zu tun, als nachzugeben. Er hoffte, sie würde glücklich sein und nie bereuen, daß sie ihren armen Jungen in die fühllose Welt hinausgetrieben hatte, zu leiden und zu sterben.

Indem die beiden Burschen trübselig weiterschlichen, machten sie einen neuen Bund, einander beizustehen, Brüder zu sein und sich nie zu trennen, bis sie der Tod einst von ihren Kümmernissen erlösen werde. Dann begannen sie Pläne zu schmieden. Joe war dafür, Eremit zu werden, in einer elenden Hütte aus Stroh zu liegen und einmal vor Kälte, Mangel und Kummer zu sterben. Aber, nachdem er Tom angehört hatte, sah er ein, daß ein Verbrecherleben voll von aufregenden Abenteuern vorzuziehen sei und stimmte zu, Pirat zu werden.

Drei Meilen unterhalb St. Petersburgs, an einem Fluß, wo der Mississippi die Kleinigkeit von einer Meile Breite hatte, war eine lange, schmale, bewaldete Insel, mit einer Sandbank an der Spitze, die wählten sie als Rendezvouzplatz aus. Sie war unbewohnt, lag fern der heimatlichen Küste, gegenüber einem dichten und völlig unbewohnten dickichtartigen Walde. So wurde die Jackson-Insel gewählt. Wer der Gegenstand ihrer Seeräuberei sein sollte, war eine Frage, die sie weiter nicht bekümmerte. Dann suchten sie Huckleberry Finn auf, und er verband sich ihnen sofort, denn ihm war jede Karriere recht; er war einverstanden. Sie trennten sich einstweilen, um sich an einer einsamen Stelle auf der Sandbank, zwei Meilen oberhalb des Dorfes um ihre Lieblingsstunde, das heißt, um Mitternacht, wieder zu treffen. Es befand sich dort ein kleines Holzfloß, das sie zu kapern beschlossen. Jeder sollte Haken und Stricke mitbringen und solchen Proviant, den er auf möglichst unauffällige und geheime Weise würde stehlen können — wie es sich für Ausgestoßene schickt. Und bevor noch der Nachmittag um war, hatten sie sich den Genuß verschafft, das Gerücht auszustreuen, das Dorf werde sehr bald „was hören“. Alle, denen diese geheimnisvolle Mitteilung wurde, hatte man gebeten, „den Mund zu halten und zu warten.“

Gegen Mitternacht kam Tom mit einem gekochten Schinken und ein paar Kleinigkeiten an und blieb in dichtem Gestrüpp auf einem kleinen Ufervorsprung stehen, den Platz der Zusammenkunft überschauend. Es war sternklar und totenstill, der gewaltige Strom lag ruhig — gleich einem Ozean. Tom lauschte einen Augenblick, aber kein Ton störte die Stille. Dann ließ er ein langgezogenes, besonderes Pfeifen hören. Es wurde von unten beantwortet. Tom pfiff nochmals; auch dieses Signal wurde ebenso erwidert. Dann sagte eine vorsichtige Stimme:

„Wer ist da?“

„Tom Sawyer, der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘. Nennt eure Namen!“

„Huck Finn, ‚der Bluthändige‘ und Joe Harper, ‚der Schrecken der Meere‘.“ Tom hatte diese Namen aus seinen Lieblingsbüchern gewählt.

„‘s ist gut. Gebt die Losung!“

Zwei heisere Stimmen stießen dasselbe schreckliche Wort gleichzeitig in die betrübende Nacht hinaus: „Blut!“ Darauf rollte Tom seinen Schinken über den Abhang und ließ sich selbst ebenso hinunter, bei dem Experiment Kleider und Haut in Mitleidenschaft ziehend. Es gab zwar einen bequemen, leichten Weg die Küste entlang bis unterhalb des Ufervorsprungs, aber er ermangelte der Anregung durch Schwierigkeit und Gefahr, die doch so wertvoll sind für einen Seeräuber.

Der ‚Schrecken der Meere‘ hatte eine Speckseite mitgebracht und hatte sich mit dem Hierherschleppen fast ausgerenkt. Finn, ‚der Bluthändige‘, hatte einen kleinen Kessel gestohlen und eine Quantität halb trockene Tabakblätter, auch ein paar Maiskolben, um Pfeifen daraus zu machen. Aber keiner der Piraten rauchte oder kaute — außer er selbst. Der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘ sagte, man könne ohne Feuer nichts anfangen. Das war ein weiser Gedanke; Zündhölzer waren zu der Zeit noch völlig unbekannt. Sie sahen ein Feuer flackern auf einem großen Floß, hundert Meter oberhalb, schlichen heimlich hin und setzten sich in den Besitz einer Fackel. Sie machten eine bedeutende Unternehmung daraus, alle Augenblicke „Pst!“ sagend und dann und wann plötzlich innehaltend und den Finger an die Lippen legend; markierten Dolchstöße und gaben Befehle in düsterstem Tone, daß, wenn der Feind angriffe, er eins haben solle, denn „ein toter Mann verrät nichts.“ Sie wußten allerdings ganz gut, daß die Schiffer alle im Dorfe unten seien, um zu schlafen oder zu trinken, das war aber kein Grund für sie, diese Sache in nicht seeräubermäßiger Weise zu betreiben.

Sie fuhren sogleich ab, Tom kommandierend, Huck am Hinterteil, Joe vorn sitzend. Tom stand in der Mitte, lichtbeschienen und mit verschränkten Armen und gab mit lauter, strenger Stimme seine Befehle.

„Laviert und bringt‘s Schiff vor den Wind!“

„Ganz recht, Herr!“

„Tüchtig, tüch—tig! !“

„Wohl, wohl, Herr.“

„‘nen Strich abfallen lassen!“

„Abgefallen ist, Herr!“

Wie sie so beständig und eintönig in der Mitte des Stromes dahintrieben, war es selbstverständlich, daß diese Befehle nur der Form wegen gegeben wurden und in Wirklichkeit an niemand gerichtet waren.

„Was für Segel führt‘s Schiff?“

„Hauptsegel, Toppsegel und Klüversegel, Herr.“

„Bramsegel rauh! Bringt‘s vor den Wind, sechs von euch an die Vortopmarssegel! Vorwärts, Leute, lustig! !“

„Ho, ho, Herr!“

„Marssegel runter! Schoten und Brassen! Vor — wärts, Jungens!“

„Ho, ho, Herr!“

Das Floß trieb in der Mitte des Stromes. Die Jungen legten sich zurecht und lagen dann still auf dem Ohr. Der Fluß ging nicht so hoch, so machten sie nicht mehr als zwei bis drei Meilen. Während der nächsten dreiviertel Stunden wurde kein Wort gesprochen. Jetzt kam das Floß dem Dorf gegenüber vorbei. Zwei oder drei Lichtpunkte zeigten, wo es lag, friedlich schlafend, dicht an der breiten Fläche des lichtbeschienenen Flusses, ohne Ahnung von dem Unerhörten, das sich hier zutrug. Der ‚schwarze Rächer‘ stand unbeweglich, die Arme gekreuzt, den letzten Blick auf den Schauplatz seiner glücklichen Jugend und seiner letzten Leiden werfend und in dem Wunsche, „sie“ könnte ihn hier sehen, draußen auf der wilden See, Gefahr und Tod mit furchtlosem Herzen ins Angesicht sehend, mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen seinem Schicksal entgegengehend. Es war nur eine Kleinigkeit für seine Einbildungskraft, Jacksons Insel aus dem Gesichtskreise des Dorfes fortzudenken, und so konnte er den letzten Blick mit gebrochenem, aber befriedigtem Herzen hinübersenden. Die anderen Piraten nahmen gleichfalls Abschied. Und sie alle schauten solange, daß sie nahe daran waren von der Strömung aus dem Bereich der Insel getrieben zu werden. Aber sie entdeckten die Gefahr noch rechtzeitig und trafen Vorkehrungen, sie abzuwenden. Um zwei Uhr morgens landete das Floß auf der Sandbank, zweihundert Meter oberhalb der Spitze der Insel, und sie wanderten hin und her, bis sie ihre Ladung geborgen hatten. Zu dem kleinen Floße gehörte auch ein altes Segel, das spannten sie in den Büschen an einer abgelegenen Stelle auf, um ihre Vorräte darunter zu bergen. Sie selbst aber wollten bei gutem Wetter in freier Luft schlafen, wie es Ausgestoßenen ziemt.

Sie machten ein Feuer an zwanzig bis dreißig Fuß im tiefsten Schatten des Waldes und kochten dann ein paar Kleinigkeiten als Abendessen in ihrer Bratpfanne und verzehrten die Hälfte des mitgebrachten Schinkens.

Es schien ihnen herrlich, in dieser wild-ungebundenen Weise im jungfräulichen Wald eines unentdeckten und unbewohnten Eilandes zu schmausen, fern von den Hütten der Menschen, und sie nahmen sich vor, nie wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Das flackernde Feuer erhellte ihre Gesichter und warf seinen roten Schein auf die Baumsäulen ihres Waldtempels und auf das Laubwerk und das Gewirr der Schlinggewächse. Als die letzte Schinkenkruste den Weg alles Eßbaren gegangen war, streckten sich die Burschen auf dem Grase aus, erfüllt von Behagen. Sie hätten einen kühleren Platz finden können, aber sie wollten sich nicht eines so romantischen Vergnügens berauben, wie es das prasselnde Lagerfeuer ihnen bot.

„Ist‘s nicht nett!“ fragte Joe.

„Herrlich ist‘s!“ bestätigte Tom.

„Was würden die Jungs sagen, wenn sie uns sehen könnten?“

„Sagen? Na, die würden doch gleich sterben, um hier sein zu können — nicht, Hucky?“

„Denk wohl,“ brummte Hucky. „Mir paßt‘s schon. Möchte nirgends sein als hier. Hab‘ niemals genug zu essen gehabt — und hier kann niemand kommen und einen für ‘nen Landstreicher nehmen und anfahren.“

„‘s ist gerad ein Leben für mich,“ bekräftigte Tom. „Man braucht morgens nicht aufstehen, braucht nicht zur Schule zu gehen, sich nicht zu waschen und ähnliche Dummheiten.“

„Du siehst, Joe, ein Pirat braucht nichts zu tun, wenn er zu Hause ist, aber ein Einsiedler, der muß immerfort beten, und dann darf er keinen Scherz treiben, und immer so allein!“

„O, ‘s ist so,“ sagte Joe, „aber ich hatt‘ nicht dran gedacht — weißt du. Ich bin ein gut Teil lieber Pirat, als daß ich‘s damit versucht hätte.“

„Du mußt wissen,“ fuhr Tom fort, „Einsiedler werden die Menschen nicht mehr so viel wie früher, aber vor ‘nem Piraten haben sie immer Respekt. Und ein Einsiedler muß auf der härtesten Stelle, die er finden kann, schlafen und sich den Kopf mit Sackleinwand und Asche bedecken und draußen im Regen stehen und —“

„Warum muß er Sackleinwand und Asche auf den Kopf tun?“ fragte Huck.

„Weiß selbst nicht. Aber ‘s ist bestimmt so. Einsiedler tun‘s immer. Du müßtest‘s auch tun, wenn du ‘n Einsiedler wärst.“

„Heißt, wenn ich‘s möcht‘.“

„Na, was wolltest du denn tun?“

„Das weiß ich nicht. Aber ich tät‘s nicht!“

„Na, Hucky, du mußt‘s! Wie wolltest du dich drum drücken?“

„Weil ich‘s halt einfach nicht täte. Ich lief fort — glaub‘ ich.“

„Lief fort! Na, du würdest ein schöner Kerl von ‘nem Einsiedler sein! ‘ne Schande!“

Der ‚Bluthändige‘ gab keine Antwort, er hatte Besseres zu tun. Eben hatte er einen Maiskolben fertig ausgehöhlt, tat jetzt Tabakblätter hinein, drückte eine glühende Kohle drauf, machte aus einem Binsenrohr einen Stiel und stieß dicke Rauchwolken hervor; er befand sich im Zustand ausschweifendsten Behagens.

Plötzlich sagte Huck: „Was haben Piraten zu tun?“

„O, die haben zuweilen lustige Zeiten,“ belehrte Tom, „nehmen Schiffe weg und verbrennen sie, vergraben alles Gold daraus an einer unheimlichen Stelle ihrer Insel, wo Geister und solche Dinger sie bewachen, und töten alle auf dem Schiff — lassen sie über ‘ne Planke springen.“

„Und sie schleppen die Frauen auf ihre Insel,“ sagte Joe, „die Frauen töten sie nicht.“

„Nein,“ stimmte Tom zu, „sie töten keine Frauen — dazu sind sie zu edel, Und dann sind die Frauen auch immer wunderschön, immer!“

„Und tragen die aller-allerschönsten Kleider. Lauter Gold und Diamanten,“ sagte Joe wieder mit Begeisterung.

„Wer?“ fragte Huck.

„Na — die Piraten.“

Huck beschaute kritisch seine eigenen Kleider. „Ich schätze, ich wäre für ‘nen Piraten zu schlecht gekleidet,“ sagte er mit traurigem Pathos, „aber ich hab‘ keine anderen als diese.“

Aber die anderen beiden trösteten ihn damit, daß die schönen Kleider früh genug kommen würden, wenn sie nur erst mal ihr Abenteuerleben begonnen haben würden; sie machten ihm begreiflich, daß seine Lumpen es für den Anfang schon täten, obwohl es für bessere Piraten sich schickte, in anständigerer Garderobe zu erscheinen.

Allmählich wurde die Unterhaltung einsilbig und Müdigkeit begann sich auf die Augenlider der kleinen Landstreicher zu senken. Die Pfeife entfiel den Fingern des ‚Bluthändigen‘, und er schlief den Schlaf des Gerechten und des Müden.

Der ‚Schrecken des Meeres‘ und der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘ kamen nicht so leicht zum Schlafen. Sie sagten ihr Abendgebet innerlich und legten sich nieder, da niemand hier war, dessen Autorität sie hätte zwingen können, niederzuknien und es laut zu sprechen. In Wahrheit hatten sie Lust, es überhaupt nicht zu sprechen, aber sie hatten doch Furcht, soweit vom Wege abzuirren, um nicht ein plötzliches, speziell für sie bestimmtes Donnerwetter vom Himmel herabzubeschwören. Dann endlich befanden sie sich ganz dicht am Rande des Schlafes — als noch einmal ein Störenfried auftrat, der sich nicht abweisen lassen wollte. Es war das Gewissen. Sie begannen die unbestimmte Empfindung zu haben, daß sie doch wohl unrecht getan hätten, fortzulaufen. Danach dachten sie an die gestohlenen Lebensmittel und damit begann erst die rechte Selbstquälerei für sie. Sie versuchten sie von sich abzuwenden, indem sie sich des gestohlenen Zuckerwerks und der Äpfel erinnerten, die sie auf dem Kerbholz hatten. Aber das Gewissen ließ sich durch solche mageren Einwände nicht beruhigen. Es schien ihnen schließlich doch unmöglich, um die unumstößliche Tatsache herumzukommen, daß Äpfelstehlen lediglich „stibitzen“ sei, während das Forttragen von Schinken, Speckseiten und solchen Wertgegenständen nur als vollgültiger, klarer Diebstahl bezeichnet werden könne — und dagegen gab es ein Verbot in der Bibel! Worauf sie innerlich beschlossen, daß, solange sie auch bei dem Geschäft bleiben würden, ihre Seeräubereien nicht wieder durch das Verbrechen des Diebstahls gebrandmarkt werden sollten. Ihr Gewissen schloß auf dieser Grundlage denn auch Waffenstillstand, und diese merkwürdig inkonsequenten Piraten fielen in tiefen Schlummer.

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Elftes Kapitel. الفصل الحادي عشر. Eleventh chapter. Kurz nach neun Uhr wurde das ganze Dorf durch die schreckliche Neuigkeit alarmiert. بعد الساعة التاسعة صباحًا ، شعرت القرية بأكملها بالقلق من الأخبار الرهيبة. Shortly after nine o'clock the whole village was alarmed by the terrible news. Obwohl sich damals noch niemand etwas von einem Telegraphen träumen ließ, flog die Nachricht doch von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, mit fast telegraphischer Eile. Although at that time no one dreamed of a telegraph, the news flew from mouth to mouth, from house to house, with almost telegraphic haste. Natürlich gab der Schullehrer für nachmittags frei. Of course, the school teacher released for the afternoon. Man hätt‘s ihm sehr übel genommen, hätte er‘s nicht getan. They would have taken it very badly if he hadn't done it. Вони б дуже погано сприйняли це, якби він цього не зробив. Ein blutiges Messer war bei der Leiche gefunden und durch ein paar Leute als das des Muff Potter rekognosziert worden — so hieß es. A bloody knife had been found on the body and reconnoitred by a few people as that of Muff Potter - so it was said. 遺体のそばには血のついたナイフがあり、マフ・ポッターのものだと何人かが偵察していた--という。 Und man sagte ferner, ein verspäteter Bürger habe Muff Potter in der Gegend des Verbrechens um ein oder zwei Uhr getroffen, wie er sich in einem Wassergraben wusch, und Muff Potter sei plötzlich ausgerissen — alles verdächtige Umstände, besonders das Waschen, was sonst gar nicht zu Potters Gewohnheiten gehörte. And it was further said that a late citizen had met Muff Potter in the area of the crime at one or two o'clock, washing himself in a ditch, and that Muff Potter had suddenly run off—all suspicious circumstances, especially the washing, which was nothing else was part of Potter's habit. さらに、遅刻した市民が1時か2時に犯行現場でマフ・ポッターに会い、溝で体を洗っていたところ、マフ・ポッターが突然逃げ出したという話もある。 І далі йшлося про те, що якийсь запізнілий громадянин зустрів Маф Поттера в районі злочину о першій або другій годині ночі, коли той мився в канаві, і що Маф Поттер раптово втік - усі ці обставини були підозрілими, особливо миття, яке зовсім не входило до звичок Поттера. Man sagte auch, der Ort sei nach dem „Mörder“ durchsucht (das Volk ist nicht träge, belastende Momente zu suchen und zu einem Urteilsspruch zu gelangen), daß er aber nicht gefunden worden sei. It was also said that the place had been searched for the "murderer" (the people are not lazy to look for incriminating moments and arrive at a verdict), but that he had not been found. また、その場では「犯人」を探したが(決定的な瞬間を探し出し、評決に至るまで国民は怠らない)、見つからなかったとも言われている。 Також було сказано, що місце обшукували в пошуках "вбивці" (народ не зволікає шукати компрометуючі моменти і виносити вироки), але його не знайшли. Reiter waren nach allen Himmelsrichtungen ausgesandt, und der Sheriff hatte die beste Hoffnung, man werde ihn (nicht den Sheriff!) Riders were sent out in all directions, and the sheriff had every hope that he (not the sheriff!) 四方八方に騎馬隊が出動し、保安官は自分(保安官ではない!)が見つかることを一番の望みとしていた。 noch vor der Nacht erwischt haben. caught before the night. 日暮れ前に

Der ganze Ort war unterwegs nach dem Kirchhof. The whole place was on its way to the churchyard. Toms Herzeleid schwand, und er schloß sich der Prozession an, nicht weil er nicht tausendmal lieber anderswohin gegangen wäre, als vielmehr unter dem Zwang eines schrecklichen, unerklärlichen Antriebs. Tom's heartache subsided, and he joined the procession, not because he would not rather have gone elsewhere, but under the compulsion of some terrible, inexplicable impulse. An dem gräßlichen Schauplatz angelangt, zwängte er seinen kleinen Körper durch die Menge und genoß den ganzen traurigen Anblick. Arriving at the ghastly scene, he pushed his small body through the crowd and savored the whole sad sight. Es schien ihm eine Ewigkeit, seit er hier gewesen. It seemed to him an eternity since he had been here. Jemand packte seinen Arm. Someone grabbed his arm. Er fuhr herum, und sein Blick traf auf Huckleberry. He wheeled around, and his eyes met Huckleberry's. Dann sahen beide wie auf Verabredung seitwärts und fürchteten, es möge ihnen jemand das Einverständnis vom Gesicht lesen können. Then they both looked sideways, as if by appointment, and feared that someone might be able to read the agreement on their faces. Aber alles schwatzte durcheinander und achtete nur auf den schrecklichen Anblick vor sich. But everyone chattered at once, only paying attention to the terrible sight before them.

„Armer Bursche!“ „Armer, junger Bursche!“ „Eine Lehre für Leichenräuber!“ „Muff Potter muß hängen für das da, wenn man ihn erwischt!“ Das waren so die Bemerkungen, die fielen, und der Geistliche sagte: „Es war ein Gericht. 'Poor lad!' 'Poor young lad!' 'A lesson for body robbers!' 'Muff Potter has to hang for that if he gets caught!' Such were the remarks that fell, and the cleric said, 'It was a dish. Seine Hand ist hier sichtbar!“ In diesem Augenblick erschauerte Tom von Kopf bis zu Fuß, denn seine Augen fielen auf des Indianer-Joes gleichgültiges Gesicht. His hand is visible here!” At that moment Tom shivered from head to toe, for his eyes fell on Indian Joe's indifferent face.

Die Menge begann zu flüstern und zu tuscheln. The crowd began whispering and whispering. „Er ist‘s, er ist‘s! Er kommt!“

„Wo, wo?“ fragten zwanzig Stimmen. "Where, where?" asked twenty voices. „Muff Potter! "Muff Potter! Hallo, er steht still! Hello, he is standing still! Seht mal, er kommt hierher zurück! Look, he's coming back here! Laßt ihn nicht entwischen!“ Don't let him get away!"

Leute, die in den Zweigen der Bäume über Tom saßen, sagten, er habe nicht den geringsten Versuch gemacht, zu entschlüpfen, er stand nur und schaute zweifelnd und wie erstarrt um sich. People sitting in the branches of the trees above Tom said he hadn't made the slightest attempt to escape, he just stood and stared around, dubious and frozen.

„Teuflische Frechheit!“ sagte einer der Umstehenden. "Devilish impudence!" Said one of the bystanders. „Wagt‘s, zurückzukommen und sein Werk ganz ruhig zu betrachten! "Dare to come back and watch his work calmly! Hat wohl nicht gedacht, schon Gesellschaft hier zu finden!“ Didn't think I'd find company here yet!"

Die Menge teilte sich jetzt, und der Sheriff kam ostentativ hindurchgeschritten, Potter am Arm führend. The crowd parted now and the sheriff ostentatiously strode through, leading Potter by the arm. Des armen Burschen Gesicht sah blaß aus, und aus seinen Augen sprach die Furcht, die ihn beherrschte. The poor fellow's face looked pale, and from his eyes spoke the fear that dominated him. Als er vor dem Ermordeten stand, zuckte er wie unter einem Hieb zusammen, verbarg das Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. When he stood in front of the murdered man, he flinched as if he had been hit, buried his face in his hands and burst into tears.

„Ich hab‘s nicht getan, Freunde.“ schluchzte er. "I didn't do it, friends," he sobbed. „Auf Ehr‘ und Seligkeit, ich tat‘s nicht!“ "On honor and bliss, I didn't do it!"

„Wer hat dich denn angeklagt?“ schrie eine Stimme. "Who accused you?" a voice yelled. Dieser Hieb saß. This blow sat. Potter nahm die Hände vom Gesicht und schaute in sichtbarster Hilflosigkeit um sich. Potter took his hands from his face and looked around in obvious helplessness. Er sah Joe und rief aus: „O, Joe, du versprachst mir, niemals —“ He saw Joe and exclaimed, "Oh, Joe, you promised me you would never -"

„Ist das Euer Messer?“ Und es wurde vom Sheriff vorgehalten. "Is this your knife?" And it was held out by the sheriff.

Potter wäre umgefallen, wenn man ihn nicht aufgefangen und ihn auf die Erde niedergelassen hätte. Potter would have fallen over if he had not been caught and lowered to the ground. Dann sagte er: „Dacht‘ ich mir‘s doch, wenn ich nicht zurückkäme und —“, er schauderte. Then he said: "I thought so, if I didn't come back and—" he shuddered. Dann erhob er seine kraftlose Hand mit müder Gebärde und flüsterte: „Sag‘s ihnen, Joe, sag‘s ihnen — ‘s ist nichts mehr zu machen.“ Then he raised his feeble hand with a weary gesture and whispered, "Tell them, Joe, tell them—there's nothing more to be done."

Dann standen Huckleberry und Tom stumm und starr und hörten den kaltherzigen Lügner ganz gemütlich Bericht erstatten; sie erwarteten jeden Augenblick, Gottes Blitzstrahl werde ihn treffen, und wunderten sich, ihn solange unberührt stehen zu sehen. Then Huckleberry and Tom stood silent and rigid and listened quite comfortably to the callous liar's report; they expected God's lightning bolt to strike him at any moment, and marveled to see him standing untouched for so long. Und nachdem er geendet hatte und gesund und heil blieb, dachten sie nicht mehr daran, ihren Eid zu brechen und des armen Gefangenen Leben zu retten, denn es war zweifellos, daß Joe sich dem Satan verschrieben hatte, und es wäre wohl gefährlich gewesen, sich mit einer solchen Macht einzulassen. And after he had finished and remained safe and sound, they thought no more of breaking their oath and saving the poor prisoner's life, for it was doubtless that Joe had committed himself to Satan, and it would probably have been dangerous to have tangled with such a power.

„Warum liefst du nicht davon? "Why didn't you run away? Warum, zum Teufel, kamst du hierher zurück?“ Why the hell did you come back here?"

„Konnt‘ nicht anders — ich konnt‘ nicht anders,“ stöhnte Potter. "Could not help it - I could not help it," groaned Potter. „Ich wollt‘ wohl fortlaufen, aber ich konnt‘ nirgends hinkommen als hierher!“ "I probably wanted to run away, but I could not get anywhere except here!"

Und er fing wieder an zu schluchzen. And he started sobbing again.

Joe wiederholte seinen Bericht, ebenso ruhig, ein paar Minuten später und beschwor ihn auf Verlangen, und die Burschen, die den Lichtstrahl immer noch nicht hervorbrechen sahen, wurden dadurch in ihrem Glauben, daß er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe, noch mehr bestärkt. Joe reiterated his report, as calmly, a few minutes later, summoning him on demand, and the guys who still did not see the beam break through were more encouraged in their belief that he had made a pact with the devil , Er war mit einem Schlage für sie der Gegenstand des unheimlichsten Interesses geworden, wie nichts anderes, und sie konnten die bezauberten Blicke nicht von ihm wenden. In one fell swoop he had become the object of the most uncanny interest for them, like nothing else, and they could not take their enchanted glances from him. Sie beschlossen innerlich, ihn nachts, wenn sich einmal die Gelegenheit böte, zu belauern, in der Hoffnung, seines schrecklichen Herrn und Meisters ansichtig zu werden. They made up their minds to stalk him at night if the opportunity arose, hoping to catch sight of his terrible lord and master.

Joe half den Körper des Ermordeten aufheben und auf einen Karren laden, um ihn fortzuschaffen. Joe helped lift the body of the murdered man and load him on a cart to take him away. Und es ging ein Flüstern durch das schaudernde Volk, daß die Wunde ein wenig zu bluten anfinge! And a whisper went through the shuddering people that the wound began to bleed a little! Die Knaben hofften, dieser glückliche Umstand werde den Verdacht in die wahre Richtung lenken. The boys hoped that this fortunate circumstance would lead the suspicion in the true direction. Aber sie waren enttäuscht, als mehrere der Leute sagten: „Er war nur drei Schritt von Muff Potter entfernt, als es geschah.“ But they were disappointed when several of the people said, "He was only three steps away from Muff Potter when it happened."

Toms schreckliches Geheimnis, seine furchtbare Mitwisserschaft störte seinen Schlaf während mehr als einer Woche; und eines Morgens beim Frühstück sagte Sid: Tom's terrible secret, his terrible connivance disturbed his sleep for more than a week; and one morning at breakfast Sid said:

„Tom, du wirfst dich im Schlaf herum und sprichst so viel, daß du mich die halbe Nacht wach erhältst.“ "Tom, you toss and turn in your sleep and talk so much that you keep me up half the night."

Tom erbleichte und senkte die Augen. Tom paled and lowered his eyes.

„‘s ist ein böses Zeichen,“ sagte Tante Polly mit Nachdruck. "'Tis a bad sign," Aunt Polly said emphatically. „Was hast du auf dem Herzen, Tom?“ "What's on your mind, Tom?"

„Nichts — nichts — ich weiß nicht.“ Aber seine Hand zitterte so, daß er seinen Kaffee verschüttete. "Nothing - nothing - I don't know." But his hand shook so that he spilled his coffee.

„Und du schwatzt solchen Unsinn,“ fuhr Sid fort. "And you babble such nonsense," Sid continued. „In der letzten Nacht sagtest du: ,‘s ist Blut, ‘s ist Blut, nichts als Blut.‘ Du sagtest das immer wieder. "Last night you said: 'it's blood, 'it's blood, nothing but blood.' You said that over and over again. Und dann sagtest du: ‚Ängstigt mich nicht — ich will alles sagen.‘ Sagen — was? And then you said, 'Don't scare me — I want to say everything.' Say, what? Was willst du sagen?“ What are you trying to say?"

Tom schwamm alles vor den Augen. Tom swam everything before his eyes. Es ist nicht zu sagen, was geschehen sein würde, wenn nicht plötzlich die Spannung aus Tante Pollys Gesicht gewichen wäre und sie Tom, ohne es zu wissen, zu Hilfe gekommen wäre. There is no telling what would have happened if the tension had not suddenly drained from Aunt Polly's face and she had come to Tom's aid without knowing it. Sie sagte: „Kann mir‘s denken! She said, "I can guess! Der schreckliche Mord ist‘s. The terrible murder is. Ich selbst träume jede Nacht davon. I myself dream about it every night. Manchmal träum‘ ich, ich selbst hätt‘s getan.“ Sometimes I dream I did it myself."

Mary sagte, sie wäre gerade so angegriffen davon. Mary said she was just so offended by it. Sid schien befriedigt. Sid seemed satisfied. Tom ging aus der Affäre so beruhigt hervor, als es nur immer möglich war, simulierte während einer Woche Zahnschmerzen und band sich jede Nacht die Backen fest zu. Tom emerged from the affair as calm as possible, faking a toothache for a week and binding his cheeks tightly every night. Er wußte nicht, daß Sid wachte und des öfteren die Bandage lockerte und dann, auf den Ellbogen gestützt, eine gute Weile lauerte, dann wieder alles in Ordnung brachte und sich hinlegte. He didn't know that Sid kept watch and often loosened the bandage and then, leaning on his elbows, lay in wait for a good while, then put things right again and lay down. Toms Gemütsverstimmung wich nach und nach, und die Zahnschmerzen begannen ihm lästig zu werden und wurden ganz abgeschafft. Tom's mood subsided gradually and the toothache began to bother him and was eliminated altogether. Wenn es Sid gelungen war, etwas von Toms unbewußtem Murmeln aufzufangen, so behielt er es jedenfalls für sich. If Sid had managed to catch some of Tom's unconscious mumbling, he kept it to himself. Tom schien es, als könnten seine Schulkameraden nicht oft genug Totenschau über Katzen halten und dadurch seine Erinnerung immer wieder auffrischen. It seemed to Tom that his schoolmates couldn't do enough cat inquests to refresh his memory. Sid fiel auf, daß Tom niemals den Beschauer spielen wollte, obwohl er sonst doch gewöhnt war, bei allem den Führer abzugeben; er merkte auch, daß Tom sich nie unter den Zeugen befand — und das war auffallend. Sid noticed that Tom never wanted to play the spectator, although he was used to being the leader in everything; he also noticed that Tom was never among the witnesses - and that was striking. Schließlich entging Sid durchaus nicht die entschiedene Abneigung Toms gegen diese ganze Spielerei, und seine Bemühungen, ihr aus dem Wege zu gehen. Finally, Sid did not fail to notice Tom's decided dislike of this whole gimmick and his efforts to avoid it. Sid grübelte darüber, sagte aber nichts. Sid pondered this, but said nothing. Indessen, schließlich schwand alle Unruhe und hörte auf, Toms Geist zu quälen. Meanwhile, eventually, all anxiety faded and stopped tormenting Tom's mind.

Jeden Tag oder doch jeden zweiten in dieser traurigen Zeit passte Tom auf eine Gelegenheit, um zu dem kleinen Gitterfenster zu laufen und allerhand kleine Annehmlichkeiten für den „Mörder“ hineinzuschmuggeln. Every day, or every other day during this sad time, Tom saw off an opportunity to run to the small barred window and smuggle in all sorts of little goodies for the "murderer". Das Gefängnis war ein trübseliges, kleines, halbverfallenes Loch und stand in einem Sumpfe außerhalb des Dorfes. The prison was a dreary, little, half-ruined hole, and stood in a swamp outside the village. Wärter waren nicht aufgestellt, denn es hatte selten Gäste zu beherbergen. Guards were not posted, because it rarely had guests to accommodate. Diese Geschenke halfen sehr dazu, Toms Gemüt aufzuheitern. These gifts helped a lot to cheer up Tom's mind. Die Dörfler hatten nicht übel Lust, Joe beim Kragen zu nehmen und ihm wegen der Leichenberaubung den Prozeß zu machen, aber so furchtbar war sein Ruf, daß niemand sich fand, der Lust gehabt hätte, die Sache zu übernehmen. The villagers were keen to take Joe by the collar and prosecute him for the robbery, but so terrible was his reputation that no one was found willing to undertake the matter. So wurde sie denn unterlassen. So it was omitted. Vorsichtigerweise hatte Joe bei seinen Geständnissen jedesmal gleich mit der Rauferei begonnen, ohne über die vorhergegangene Leichenberaubung ein Wort zu verlieren. Carefully, Joe had started the scuffle as soon as he confessed, without saying a word about the previous robbery. Daher schien es das weiseste, wenigstens vorläufig die Angelegenheit nicht vor Gericht zu ziehen. Therefore, it seemed wisest, at least for the time being, not to drag the matter to court.

Zwölftes Kapitel. Twelfth Chapter. Einer der Gründe, die Toms Geist von seiner geheimen Erregung abgezogen hatten, war, daß er einen neuen und wichtigen Gegenstand des Interesses fand. One of the reasons that had drawn Tom's mind away from his secret excitement was that he found a new and important object of interest. Becky Thatcher hatte aufgehört, zur Schule zu kommen. Becky Thatcher had stopped coming to school. Tom hatte mehrere Tage mit seinem Stolze gekämpft und versucht, sie „unter den Wind zu bekommen,“ aber vergeblich. Tom had struggled with his pride for several days, trying to get them "under the wind," but to no avail. Er ertappte sich dabei, wie er um ihres Vaters Haus herumstrich, nachts, und sich dabei sehr unglücklich fühlte. He found himself roaming around her father's house at night feeling very unhappy. Sie war krank. She was sick. Wie, wenn sie sterben mußte! How if she had to die! In dem Gedanken war Verzweiflung. There was despair in that thought. Er hatte kein Vergnügen mehr am Kriegspielen, nicht einmal mehr an seinem Piraten-Beruf. He no longer enjoyed playing war games, or even his pirate profession. Der Glanz des Lebens war dahin, nichts als Finsternis war geblieben. The splendor of life was gone, nothing but darkness remained. Er ließ seinen Reifen liegen und seinen Bogen; er hatte keinen Spaß mehr daran. He left his tire and his bow; he did not enjoy it anymore. Seine Tante war beunruhigt. His aunt was worried. Sie fing an, allerhand Medizinen an ihm zu probieren. She started trying all kinds of medicines on him. Sie gehörte zu den Leuten, die auf jede Medizin schwören und alle neu erfundenen Heilmethoden. She was one of those people who swear by every medicine and every newly invented healing method. Sie war unermüdlich in ihren Experimenten. She was tireless in her experiments. Sobald sie von etwas Neuem in der Branche hörte, brannte sie darauf, es zu probieren; nicht an sich selbst, denn sie war nie leidend; aber am ersten besten, der ihr in die Hände fiel. As soon as she heard of anything new in the business, she was burning to try it; not on herself, for she never suffered; but on the first best that came into her hands. Sie war Abonnentin sämtlicher „Heil“-Zeitschriften und jedes gedruckten, wissenschaftlichen Betruges; den größten Unsinn, mit dem nötigen feierlichen Ernst vorgetragen, nahm sie wie ein Evangelium auf in ihrer Unwissenheit. She was a subscriber to all "Healing" magazines and every printed scientific scam; in her ignorance she accepted the greatest nonsense, presented with the necessary solemnity, as if it were gospel. Alle Abhandlungen über Ventilation, das Zubettgehen und Aufstehen, Essen und Trinken, über das Maß der nötigen Bewegung, die Gemütsverfassung, die Art der Kleidung, erschienen ihr einfach einwandfrei, und sie merkte gar nicht, daß die Gesundheits-Journale des laufenden Monats gewöhnlich all das widerriefen, was sie im Monat vorher empfohlen hatten. All the treatises on ventilation, going to bed and getting up, eating and drinking, the amount of exercise required, the state of mind, the manner of dress, seemed to her simply impeccable, and she did not realize that the current month's health journals were usually all revoked what they had recommended the month before. Sie war einfachen Herzens und so ehrenhaft, wie der Tag lang ist, und so war sie ein leichtes Opfer. She was simple in heart and as honorable as the day is long, so she was an easy victim. Sie sammelte ihre prahlerischen Zeitschriften mit den Quacksalber-Medizinen, und so gewaffnet, ritt sie, den Tod hinter sich, auf ihrem fahlen Pferd, „die Hölle hinter sich,“ um eine Metapher zu brauchen. She collected her boastful journals of quack medicine, and so armed, with death behind her, she rode her pale horse, "hell behind," to use a metaphor. Aber sie argwöhnte niemals, daß sie nicht ein Engel der Genesung und der Balsam des Herrn in Person für die leidende Nachbarschaft sei. But she never suspected that she was not an angel of recovery and the Lord's balm in person for the suffering neighborhood.

Die Wasserbehandlung war neu und Toms übles Befinden kam ihr wie gerufen. The water treatment was new and Tom's nauseous condition came at just the right time. Jeden Morgen in aller Frühe wurde er herausgeholt, in einen Holzschuppen geschleppt und mit einer Sintflut kalten Wassers überschüttet. Every morning at the crack of dawn he was taken out, dragged to a woodshed and showered with a deluge of cold water. Dann rieb sie ihn trocken mit einem Handtuche, gleich einer Feile, und er wurde zurücktransportiert. Then she rubbed him dry with a towel, like a file, and he was transported back. Darauf wurde er in ein nasses Tuch gerollt und wieder unter seine Bettdecke gestopft, bis er schwitzte, wie eine Seele im Fegfeuer, und „ihre Schmutzflecken drangen durch alle Poren heraus,“ wie Tom sagte. Then he was rolled in a wet cloth and stuffed back under his covers until he was sweating like a soul in purgatory, and "her filth spurted out through every pore," as Tom said. Indessen, alledem zum Trotz, wurde der Junge immer melancholischer, niedergeschlagener und gleichgültiger. However, in spite of all this, the boy became more and more melancholy, dejected and indifferent. Sie fügte heiße Bäder, Sitzbäder, Gießbäder und Sturzbäder hinzu. She added hot baths, sitz baths, pouring baths, and tumble baths. Der Junge blieb leblos wie eine Leiche. The boy remained lifeless like a corpse. Sie begann das Wasser mit Blasen ziehenden Haferschleimpflastern zu versetzen. She began to spike the water with blistering gruel plasters. Sie überlegte seine Aufnahmefähigkeit und füllte ihn wie einen Krug täglich mit allen möglichen quacksalberischen Mittelchen an. She considered its capacity and, like a jug, filled it daily with all sorts of quack remedies.

Tom war allmählich gegen all diese Verfolgungen gleichgültig geworden. Tom had gradually become indifferent to all this persecution. Dieser Zustand erfüllte der alten Dame Herz mit Entsetzen. This condition filled the old lady's heart with horror. Diese Gleichgültigkeit mußte um jeden Preis gebrochen werden. This indifference had to be broken at any cost. Zu dieser Zeit gerade vernahm sie vom „Schmerzentöter“. At that time she just heard about the "pain killer". Sie ordnete sofort täglich ein Lot an. She immediately ordered a daily plumb line. Sie versuchte es selbst und war sehr befriedigt davon. She tried it herself and was very satisfied with it. Es war wie Feuer in flüssiger Form. It was like fire in liquid form. Sie ließ die Wasserkur und alle anderen Methoden und beschränkte sich auf den Schmerzentöter. She left the hydrotherapy and all other methods and limited herself to the pain killer. Sie gab Tom einen Teelöffel und wartete ängstlich auf die Wirkung. She gave Tom a teaspoon and waited anxiously for the effect. Ihre Unruhe war mit einem Schlage zu Ende, ihr Geist hatte wieder Frieden. Her restlessness ended in one fell swoop, her mind was at peace again. Denn die „Gleichgültigkeit“ war gebrochen. Because the "indifference" was broken. Der Bursche hätte kein wilderes, mehr von Herzen kommendes „Interesse“ zeigen können, wenn sie ein Feuer unter ihm angezündet hätte. The lad could not have shown a wilder, more heartfelt "interest" if she had lit a fire beneath him.

Tom fühlte, daß es Zeit war, aufzuwachen. Tom felt it was time to wake up. Diese Lebensweise hätte ja ganz romantisch sein können, war aber nachgerade zu anstrengend und zu eintönig. This way of life could have been quite romantic, but it was just too exhausting and too monotonous. So grübelte er über verschiedenen Plänen seiner Befreiung und verfiel schließlich darauf, sich als Freund des Schmerzentöters zu bekennen. So he brooded over various plans for his liberation and finally decided to declare himself a friend of the Pain Killer. Er verlangte so oft danach, daß er lästig wurde, und seine Tante ihm schließlich befahl, sich selbst zu helfen und sie in Ruhe zu lassen. He asked for it so often that it became annoying, and his aunt finally told him to help himself and leave her alone. Wäre es Sid gewesen, kein Schatten würde ihre Freude getrübt haben; da es aber Tom war, beobachtete sie die Flasche mit Aufmerksamkeit. Had it been Sid, no shadow would have marred her joy; but since it was Tom, she watched the bottle with attention. Sie fand, daß die Medizin beständig weniger wurde, es fiel ihr aber nicht ein, daß der Junge eine Bodenritze im Speisezimmer damit anfüllte. She found that the medicine was getting less and less, but it never occurred to her that the boy was filling a crack in the floor of the dining room with it.

Eines Tages war Tom wieder bei dieser Arbeit, als Tante Pollys gelbe Katze des Weges kam, schnurrend, den Teelöffel begehrlich betrachtete und um ein bißchen bettelte. One day Tom was at this work again when Aunt Polly's yellow cat came along the way, purring, looking covetously at the teaspoon and begging for a bit. Tom sagte zu ihr: „Bitt nicht drum, wenn du‘s nicht brauchst, Peter!“ Tom said to her, "Don't ask if you don't need it, Peter!"

Aber Peter gab zu verstehen, er habe es nötig. But Peter indicated that he needed it.

„Überleg‘s noch mal.“ "Think again."

Peter blieb dabei. Peter stayed with it.

„Na, du hast drum gebeten, und ich will‘s dir geben; aber wenn‘s dir nicht gefällt, darfst du niemand Vorwürfe machen als dir selbst.“ "Well, you asked for it, and I will give it to you; but if you don't like it, you must not blame anyone but yourself."

Peter war einverstanden; so öffnete Tom seine Schnauze und goß den Schmerzenztöter hinein. Peter agreed; so Tom opened his snout and poured in the painkiller. Peter machte einen Riesensatz in die Luft, stieß ein Kriegsgeheul aus und fuhr immer rund im Kreise herum durchs Zimmer, gegen Möbel stoßend, Blumentöpfe umwerfend, kurz, lauter Verwirrung anrichtend. Peter made a giant leap in the air, uttered a howl of war and drove around and around in circles through the room, bumping into furniture, knocking over flowerpots, briefly, causing sheer confusion. Dann erhob er sich auf die Hinterbeine und tanzte sinnlos vor Vergnügen herum, den Kopf über die Schultern zurückgeworfen, mit einer Stimme, aus der grenzenloses Behagen klang. Then he rose on his hind legs and danced around senselessly with delight, head thrown back over his shoulders, in a voice filled with boundless pleasure. Tante Polly kam gerade noch rechtzeitig herein, um sie mit einem letzten Hurra durchs Fenster fliegen zu sehen, mit ihr die Reste der Blumentöpfe. Aunt Polly came in just in time to see them fly through the window with a last hurrah, the remains of the flower pots with them. Die alte Dame stand starr vor Erstaunen, über ihre Brillengläser hinwegschauend. The old lady stood rigid in astonishment, looking over her glasses. Tom lag auf der Erde und krümmte sich vor Lachen. Tom lay on the ground, doubled over with laughter.

„Tom, was um des Himmels willen fehlt der Katze?“ "Tom, what on earth is wrong with the cat?"

„Ich weiß nicht,“ stöhnte der Junge. "I don't know," the boy moaned.

„So was hab‘ ich doch noch nicht gesehen! "I've never seen anything like it! Was kann sie haben?“ What can she have?"

„In der Tat, ich weiß nicht, Tante. "Indeed, I don't know, aunt. Katzen tun immer so, wenn sie vergnügt sind.“ Cats always pretend when they are amused."

„Tun sie — wirklich?“ Es war etwas in dem Ton, was Tom stutzen machte. "Do they - really?" There was something in the tone that made Tom stumble.

„Hm — ja. Das heißt — ich meine, sie tun‘s.“ That is - I mean, they do."

„Du meinst?“ "You mean?"

„Hm — ja —“

Die alte Dame bückte sich, Tom wartete mit ängstlichem Interesse. The old lady stooped, Tom waited with anxious interest. Zu spät entdeckte er ihre List. Too late he discovered her ruse. Der Griff des Teelöffels war unter der Tischdecke sichtbar. The handle of the teaspoon was visible under the tablecloth. Tante Polly zog ihn heraus und hielt ihn in die Höhe. Aunt Polly pulled it out and held it aloft. Tom fuhr zusammen und senkte die Augen. Tom winced and lowered his eyes. Tante Polly hob ihn an dem gewöhnlichen Henkel — seinem Ohr — in die Höhe und klopfte ihm mit ihrem Fingerhut tüchtig auf den Kopf. Aunt Polly lifted him up by the usual handle - his ear - and patted him soundly on the head with her thimble.

„Nun, sag‘ mal, wozu mußt du das arme Tier so quälen?“ "Well, tell me, what do you have to torture the poor animal like that for?"

„Ich hab‘s ja aus Mitleid getan — weil sie keine Tante hat.“ "I did it out of pity, after all - because she doesn't have an aunt."

„Hat keine Tante! "Does not have an aunt! Hansnarr! jester! Was hat das hier zu tun?“ What does this have to do with anything?"

„‘ne Menge. "'A lot. Denn hätt‘ sie eine gehabt, so würd‘ sie selbst ‘s ihm gegeben haben! For if she had had one, she would have given it to him herself! Sie hätt‘ ihr die Gedärme rausgeröstet, ohne mehr zu fühlen, als wenn‘s ein Mensch gewesen wäre!“ She would have roasted her guts without feeling any more than if it had been a human being!"

Tante Polly fühlte plötzlich Gewissensbisse. Aunt Polly suddenly felt remorse. Das setzte die Sache in ein neues Licht. This put the matter in a new light. Was grausam war gegen eine Katze, mußte auch gegen einen kleinen Burschen grausam sein. What was cruel to a cat had to be cruel to a little fellow. Sie begann, zu seufzen, sie fühlte sich traurig. She began to sigh, feeling sad. Ihre Augen wurden ein bißchen feucht, sie legte die Hand auf Toms Kopf und sagte freundlich: Her eyes getting a little moist, she put her hand on Tom's head and said kindly:

„Ich hab‘s gut gemeint, Tom. "I meant well, Tom. Und Tom, es hat dir genützt!“ And Tom, it benefited you!"

Tom schaute zu ihr auf mit ein bißchen Schelmerei in seinem Ernst und sagte: Tom looked up at her with a little mischievousness in his seriousness and said:

„Ich weiß wohl, Tante, daß du‘s gut meintest, und ich meinte es gut mit Peter. "I know well, Auntie, that you meant well, and I meant well for Peter. Es tat ihm auch gut! It did him good too! Ich hab‘ ihn nie so lustig rumlaufen gesehen —“ I've never seen him walk around so funny -"

„Na, mach, daß du weiter kommst, Tom, ehe du mich wieder ärgerst. "Well, get on with it, Tom, before you annoy me again. Und versuch doch mal ‘n braver Junge zu sein, und du brauchst auch keine Medizin mehr zu nehmen.“ And try to be a good boy, and you won't have to take any more medicine either."

Tom kam sehr frühzeitig zur Schule. Tom came to school very early. Es war bekannt geworden, daß dieses sehr seltene Ereignis in letzter Zeit jeden Tag sich zugetragen hatte. It had become known that this very rare event had been happening every day lately. Und dann, wie seit kurzem stets, lungerte er am Tor des Schulhofes, statt mit seinen Kameraden zu spielen. And then, as he had always done recently, he loitered at the gate of the schoolyard instead of playing with his comrades. Er sagte, er wäre krank, und er sah auch so aus. He said he was sick, and he looked it. Er stellte sich, als sähe er überall hin, wohin seine Blicke tatsächlich beständig gerichtet waren — die Straße hinunter. He posed as if looking everywhere his eyes were actually steadily directed - down the street. Plötzlich kam Jeff Thatcher in Sicht und Toms Miene hellte sich aus. Suddenly Jeff Thatcher came into view and Tom's face brightened. Er spähte einen Augenblick angestrengt und wandte sich dann betrübt ab. He peered strained for a moment and then turned away sorrowfully. Als Jeff ankam, hielt ihn Tom an und suchte ihn geschickt über Becky auszuholen, aber der herzlose Jeff tat, als sähe er den Köder gar nicht. When Jeff arrived, Tom stopped him and skillfully tried to tease him about Becky, but heartless Jeff pretended not to see the bait. Tom wartete und wartete, hoffend, sobald ein wehender Rock in Sicht kam und die Inhaberin desselben verwünschend, sobald er sah, daß es nicht die Rechte war. Tom waited and waited, hoping as soon as a flapping skirt came into sight and cursing its owner as soon as he saw that it wasn't the right one. Schließlich erschienen keine Röcke mehr, und er verfiel in hoffnungslosen Trübsinn. Eventually, no more skirts appeared, and he lapsed into hopeless gloom. Dann auf einmal kam doch noch ein Rock durchs Tor herein, und Toms Herz tat einen mächtigen Sprung. Then all of a sudden a skirt came in through the gate, and Tom's heart leapt. Im nächsten Moment war er draußen und schoß drauf los wie ein Indianer, springend, lachend, Buben stoßend, mit Risiko von Leib und Leben über den Zaun setzend, Purzelbäume machend, auf dem Kopf stehend — kurz, lauter heroische Dinge verrichtend und fortwährend hinüber schielend, ob Becky Thatcher ihn beobachtete. In the next moment he was outside, darting like an Indian, jumping, laughing, pushing boys, risking life and limb over the fence, doing somersaults, standing on his head—in short, doing all sorts of heroic things and squinting all the time whether Becky Thatcher was watching him. Aber sie schien von alledem gar nichts wahrzunehmen; sie schaute nicht hin. But she seemed to perceive nothing of all this; she did not look. War es möglich, daß sie seine Anwesenheit wirklich nicht bemerkt hatte? Was it possible that she really had not noticed his presence? Er betrieb seine Kunststücke in ihrer unmittelbaren Nähe; fuhr, ein Kriegsgeheul ausstoßend, um sie herum, schlug einem Jungen die Mütze herunter, schleuderte sie auf den Schulhof, brach durch eine Gruppe, sie nach allen Richtungen auseinandersprengend und fiel dabei selbst gerade Becky vor die Nase hin, sie fast umstoßend — sie wandte sich ab, das Näschen rümpfend, und er hörte sie sagen: He performed his tricks in their immediate vicinity; drove around them, howling war-howls, knocked off a boy's cap, threw it into the schoolyard, broke through a group, scattering them in all directions, falling right in front of Becky himself, nearly knocking her over—she turned turned up her nose and heard her say:

„Pa! "Pa! Einige Burschen kommen sich schon sehr wichtig vor — immer müssen sie sich breit machen!“ Some fellows already feel very important - always they have to spread!"

Tom wurde blutrot. Tom turned blood red. Er rappelte sich auf und trollte davon, zermalmt und mutlos. He scrambled to his feet and trotted away, crushed and despondent.

Dreizehntes Kapitel. Thirteenth Chapter. Tom zögerte nun nicht länger. Tom now no longer hesitated. Ihn erfüllte ein finsterer, verzweifelter Gedanke. A dark, desperate thought filled him. Er wäre ein verlassener, freundloser Junge dachte er. He was a deserted, friendless boy, he thought. Niemand liebte ihn. Nobody loved him. Wenn sie merken würden, wozu sie ihn getrieben, würden sie vielleicht betrübt sein. If they realized what they had driven him to do, they might be saddened. Er hatte versucht, das Rechte zu tun und brav zu werden, aber man ließ ihn nicht. He had tried to do the right thing and be good, but they wouldn't let him. Da man sich durchaus von ihm befreien wollte, mochte es so sein. Since one wanted to get rid of him by all means, it might be so. Und man würde ihn für die Folgen verantwortlich machen — warum auch nicht? And he would be held responsible for the consequences - why not? Welches Recht haben Freundlose, sich zu beklagen? What right do the friendless have to complain? Ja, sie hatten ihn zum äußersten getrieben, er würde ein Leben voll Verbrechen führen; ‘s gab keine Wahl. Yes, they had pushed him to the extreme, he would live a life of crime; 'twas no choice. — Inzwischen war er weit hinunter zu „Meadow-Land“ gekommen, und die Schulglocke tönte lockend an sein Ohr — sie wollte ihn wohl zurückhalten. — By now he had come far down to “Meadow-Land,” and the school bell rang enticingly in his ear — probably trying to hold him back. Er seufzte bei dem Gedanken, nie, nie wieder den alt-vertrauten Ton hören zu sollen — es war sehr hart, aber mußte sein; da er in die kalte Welt hinausgetrieben war, mußte er sich unterwerfen — aber er vergab ihnen! He sighed at the thought that he would never, ever hear that familiar tone again—it was very hard, but it had to be; driven out into the cold world, he had to submit—but he forgave them! Dann kamen Tränen — schwer und bitter. Then came tears - heavy and bitter.

Gerade in diesem Augenblick begegnete ihm sein Herzensfreund Joe Harper — mit trüben Augen und zweifellos einen großen, schrecklichen Entschluß im Herzen. Just then he met his dear friend, Joe Harper, dim-eyed and no doubt with a great, terrible resolve in his heart. Offenbar waren hier „zwei Seelen und ein Gedanke.“ Tom seine Augen mit dem Ärmel trocknend, begann etwas herauszustottern von einem Entschluß, aus grausamer und liebloser Behandlung zu fliehen, in die weite Welt zu gehen und niewiederzukommen und schloß damit, daß er hoffe, Joe werde ihn nicht vergessen. Apparently here were "two souls and one thought." Tom, drying his eyes on his sleeve, began to stutter out something about a resolve to flee cruel and unloving treatment, to go out into the wide world and never come back, and concluded that he hoped Joe won't forget him.

Aber es zeigte sich, daß Joe im Begriff gewesen, an Tom das gleiche Verlangen zu stellen und ihn zu diesem Zweck gesucht hatte. But it turned out that Joe had been about to make the same request of Tom and had sought him out for that purpose. Seine Mutter hatte ihn gezüchtigt, weil er Rahm getrunken haben sollte, den er nie gesehen, von dem er überhaupt gar nichts wußte; es war klar, sie mochte ihn nicht mehr und wollte nichts von ihm wissen, sie wollte ihn einfach los sein. His mother had chastised him for drinking cream, which he had never seen, of which he knew nothing at all; it was clear she no longer liked him and wanted nothing to do with him, she simply wanted to be rid of him. Da sie es so wollte, war für ihn nichts zu tun, als nachzugeben. Since she wanted it that way, there was nothing for him to do but give in. Er hoffte, sie würde glücklich sein und nie bereuen, daß sie ihren armen Jungen in die fühllose Welt hinausgetrieben hatte, zu leiden und zu sterben. He hoped she would be happy and never regret having driven her poor boy out into the uncaring world to suffer and die.

Indem die beiden Burschen trübselig weiterschlichen, machten sie einen neuen Bund, einander beizustehen, Brüder zu sein und sich nie zu trennen, bis sie der Tod einst von ihren Kümmernissen erlösen werde. Slouching on, the two lads made a new covenant to stand by each other, be brothers, and never part until death puts them from their sorrows. Dann begannen sie Pläne zu schmieden. Then they began to make plans. Joe war dafür, Eremit zu werden, in einer elenden Hütte aus Stroh zu liegen und einmal vor Kälte, Mangel und Kummer zu sterben. Joe was for becoming a hermit, lying in a miserable hut made of straw and dying once from cold, want and sorrow. Aber, nachdem er Tom angehört hatte, sah er ein, daß ein Verbrecherleben voll von aufregenden Abenteuern vorzuziehen sei und stimmte zu, Pirat zu werden. But after listening to Tom, he saw that a life of crime full of exciting adventures was preferable and agreed to become a pirate.

Drei Meilen unterhalb St. Three miles below St. Petersburgs, an einem Fluß, wo der Mississippi die Kleinigkeit von einer Meile Breite hatte, war eine lange, schmale, bewaldete Insel, mit einer Sandbank an der Spitze, die wählten sie als Rendezvouzplatz aus. Petersburg, on a river where the Mississippi was as little as a mile wide, was a long, narrow, wooded island, with a sandbank at the head, which they chose as a rendezvous-place. Sie war unbewohnt, lag fern der heimatlichen Küste, gegenüber einem dichten und völlig unbewohnten dickichtartigen Walde. It was uninhabited, far from the home coast, opposite a dense and completely uninhabited thicket-like forest. So wurde die Jackson-Insel gewählt. This is how Jackson Island was chosen. Wer der Gegenstand ihrer Seeräuberei sein sollte, war eine Frage, die sie weiter nicht bekümmerte. Who should be the object of their piracy was a question which did not trouble them further. Dann suchten sie Huckleberry Finn auf, und er verband sich ihnen sofort, denn ihm war jede Karriere recht; er war einverstanden. Then they sought out Huckleberry Finn, and he immediately joined them, for any career was fine with him; he agreed. Sie trennten sich einstweilen, um sich an einer einsamen Stelle auf der Sandbank, zwei Meilen oberhalb des Dorfes um ihre Lieblingsstunde, das heißt, um Mitternacht, wieder zu treffen. They parted for a while, only to meet again at their favorite hour, that is, at midnight, in a lonely place on the sandbank two miles above the village. Es befand sich dort ein kleines Holzfloß, das sie zu kapern beschlossen. There was a small wooden raft there, which they decided to capture. Jeder sollte Haken und Stricke mitbringen und solchen Proviant, den er auf möglichst unauffällige und geheime Weise würde stehlen können — wie es sich für Ausgestoßene schickt. Everyone was to bring hooks and ropes and such provisions as he could steal in the most inconspicuous and secret way possible—as befits outcasts. Und bevor noch der Nachmittag um war, hatten sie sich den Genuß verschafft, das Gerücht auszustreuen, das Dorf werde sehr bald „was hören“. And before the afternoon was out they had the pleasure of spreading the rumor that the village would "hear something" very soon. Alle, denen diese geheimnisvolle Mitteilung wurde, hatte man gebeten, „den Mund zu halten und zu warten.“ All those to whom this mysterious communication was made had been asked to "shut up and wait."

Gegen Mitternacht kam Tom mit einem gekochten Schinken und ein paar Kleinigkeiten an und blieb in dichtem Gestrüpp auf einem kleinen Ufervorsprung stehen, den Platz der Zusammenkunft überschauend. About midnight Tom arrived with a boiled ham and a few bits and pieces, and paused in thick undergrowth on a small ledge overlooking the meeting place. Es war sternklar und totenstill, der gewaltige Strom lag ruhig — gleich einem Ozean. It was starry and dead still, the mighty river lay calm—like an ocean. Tom lauschte einen Augenblick, aber kein Ton störte die Stille. Tom listened for a moment, but no sound disturbed the silence. Dann ließ er ein langgezogenes, besonderes Pfeifen hören. Then he let out a long, special whistle. Es wurde von unten beantwortet. It was answered from below. Tom pfiff nochmals; auch dieses Signal wurde ebenso erwidert. Tom whistled again; this signal was likewise returned. Dann sagte eine vorsichtige Stimme: Then a cautious voice said:

„Wer ist da?“ "Who is it?"

„Tom Sawyer, der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘. "Tom Sawyer, the 'Black Avenger of the Spanish Sea'. Nennt eure Namen!“ State your names!"

„Huck Finn, ‚der Bluthändige‘ und Joe Harper, ‚der Schrecken der Meere‘.“ Tom hatte diese Namen aus seinen Lieblingsbüchern gewählt. "Huck Finn, 'The Bloodhanded' and Joe Harper, 'The Terror of the Seas'." Tom had chosen these names from his favorite books.

„‘s ist gut. "'s good. Gebt die Losung!“ Give the slogan!"

Zwei heisere Stimmen stießen dasselbe schreckliche Wort gleichzeitig in die betrübende Nacht hinaus: „Blut!“ Darauf rollte Tom seinen Schinken über den Abhang und ließ sich selbst ebenso hinunter, bei dem Experiment Kleider und Haut in Mitleidenschaft ziehend. Two hoarse voices uttered the same dreadful word simultaneously into the sorrowful night: "Blood!" At that Tom rolled his ham down the slope and lowered himself down as well, damaging clothes and skin in the experiment. Es gab zwar einen bequemen, leichten Weg die Küste entlang bis unterhalb des Ufervorsprungs, aber er ermangelte der Anregung durch Schwierigkeit und Gefahr, die doch so wertvoll sind für einen Seeräuber. While there was a comfortable, easy way along the coast below the headland, it lacked the stimulation of difficulty and danger so precious to a pirate.

Der ‚Schrecken der Meere‘ hatte eine Speckseite mitgebracht und hatte sich mit dem Hierherschleppen fast ausgerenkt. The 'Terror of the Seas' had brought a side of bacon and almost dislocated himself lugging it here. Finn, ‚der Bluthändige‘, hatte einen kleinen Kessel gestohlen und eine Quantität halb trockene Tabakblätter, auch ein paar Maiskolben, um Pfeifen daraus zu machen. Finn 'the bloodhanded' had stolen a small cauldron and a quantity of semi-dry tobacco leaves, also some cobs of corn to make pipes with. Aber keiner der Piraten rauchte oder kaute — außer er selbst. But none of the pirates smoked or chewed — except himself. Der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘ sagte, man könne ohne Feuer nichts anfangen. The 'black avenger of the Spanish sea' said that you can not start anything without fire. Das war ein weiser Gedanke; Zündhölzer waren zu der Zeit noch völlig unbekannt. That was a wise thought; Matches were completely unknown at the time. Sie sahen ein Feuer flackern auf einem großen Floß, hundert Meter oberhalb, schlichen heimlich hin und setzten sich in den Besitz einer Fackel. They saw a fire flickering on a large raft a hundred yards above, crept stealthily to it, and put themselves in possession of a torch. Sie machten eine bedeutende Unternehmung daraus, alle Augenblicke „Pst!“ sagend und dann und wann plötzlich innehaltend und den Finger an die Lippen legend; markierten Dolchstöße und gaben Befehle in düsterstem Tone, daß, wenn der Feind angriffe, er eins haben solle, denn „ein toter Mann verrät nichts.“ Sie wußten allerdings ganz gut, daß die Schiffer alle im Dorfe unten seien, um zu schlafen oder zu trinken, das war aber kein Grund für sie, diese Sache in nicht seeräubermäßiger Weise zu betreiben. They made a considerable enterprise of it, saying 'Pst!' every moment, and now and then stopping suddenly and putting finger to lips; marked stabs in the back and gave orders in the somber tones that if the enemy attacked he should have one, for "a dead man betrays nothing." They knew quite well, however, that the boatmen were all down in the village to sleep or to rest drink, but that was no reason for them not to pursue this business in a non-piracy manner.

Sie fuhren sogleich ab, Tom kommandierend, Huck am Hinterteil, Joe vorn sitzend. They drove off at once, Tom commanding, Huck at the rear, Joe in front. Tom stand in der Mitte, lichtbeschienen und mit verschränkten Armen und gab mit lauter, strenger Stimme seine Befehle. Tom stood in the middle, bathed in light and with his arms crossed, giving his orders in a loud, stern voice.

„Laviert und bringt‘s Schiff vor den Wind!“ "Tack and bring the ship before the wind!"

„Ganz recht, Herr!“

„Tüchtig, tüch—tig! !“

„Wohl, wohl, Herr.“ "Well, well, sir."

„‘nen Strich abfallen lassen!“ "'drop a line!"

„Abgefallen ist, Herr!“ "Fell away, Lord!"

Wie sie so beständig und eintönig in der Mitte des Stromes dahintrieben, war es selbstverständlich, daß diese Befehle nur der Form wegen gegeben wurden und in Wirklichkeit an niemand gerichtet waren. As they drifted so steadily and monotonously in midstream, it was self-evident that these orders were given for the sake of form, and were in fact addressed to no one.

„Was für Segel führt‘s Schiff?“ "What kind of sails does the ship carry?"

„Hauptsegel, Toppsegel und Klüversegel, Herr.“ "Mainsail, topsail and jibsail, sir."

„Bramsegel rauh! "Top sail rough! Bringt‘s vor den Wind, sechs von euch an die Vortopmarssegel! Bring it downwind, six of you to the fore topsails! Vorwärts, Leute, lustig! Forward, people, funny! !“

„Ho, ho, Herr!“

„Marssegel runter! "Martian sails down! Schoten und Brassen! Pods and bream! Vor — wärts, Jungens!“ For - wards, boys!"

„Ho, ho, Herr!“ "Ho, ho, Lord!"

Das Floß trieb in der Mitte des Stromes. The raft floated in the middle of the stream. Die Jungen legten sich zurecht und lagen dann still auf dem Ohr. The boys settled in and then lay still on their ear. Der Fluß ging nicht so hoch, so machten sie nicht mehr als zwei bis drei Meilen. The river didn't go that high, so they didn't make more than two to three miles. Während der nächsten dreiviertel Stunden wurde kein Wort gesprochen. For the next three quarters of an hour, not a word was spoken. Jetzt kam das Floß dem Dorf gegenüber vorbei. Now the raft passed the village opposite. Zwei oder drei Lichtpunkte zeigten, wo es lag, friedlich schlafend, dicht an der breiten Fläche des lichtbeschienenen Flusses, ohne Ahnung von dem Unerhörten, das sich hier zutrug. Two or three points of light showed where it lay, sleeping peacefully, close to the wide expanse of the light-lit river, unaware of the outrage that was happening there. Der ‚schwarze Rächer‘ stand unbeweglich, die Arme gekreuzt, den letzten Blick auf den Schauplatz seiner glücklichen Jugend und seiner letzten Leiden werfend und in dem Wunsche, „sie“ könnte ihn hier sehen, draußen auf der wilden See, Gefahr und Tod mit furchtlosem Herzen ins Angesicht sehend, mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen seinem Schicksal entgegengehend. The 'Black Avenger' stood motionless, arms crossed, taking the last look at the scene of his happy youth and his final woes, and wishing 'she' might see him here, out on the wild sea, danger and death with fearless Facing hearts, meeting his fate with a fierce smile on his lips. Es war nur eine Kleinigkeit für seine Einbildungskraft, Jacksons Insel aus dem Gesichtskreise des Dorfes fortzudenken, und so konnte er den letzten Blick mit gebrochenem, aber befriedigtem Herzen hinübersenden. It was a trifle for his imagination to keep Jackson's island out of sight of the village, and so he was able to cast the last glimpse across with a broken but satisfied heart. Die anderen Piraten nahmen gleichfalls Abschied. The other pirates also took their leave. Und sie alle schauten solange, daß sie nahe daran waren von der Strömung aus dem Bereich der Insel getrieben zu werden. And they all looked as long as they were close to being driven out of the area of the island by the current. Aber sie entdeckten die Gefahr noch rechtzeitig und trafen Vorkehrungen, sie abzuwenden. But they discovered the danger in time and took precautions to avert it. Um zwei Uhr morgens landete das Floß auf der Sandbank, zweihundert Meter oberhalb der Spitze der Insel, und sie wanderten hin und her, bis sie ihre Ladung geborgen hatten. At two o'clock in the morning the raft landed on the sandbar, two hundred yards above the tip of the island, and they wandered back and forth until they had recovered their cargo. Zu dem kleinen Floße gehörte auch ein altes Segel, das spannten sie in den Büschen an einer abgelegenen Stelle auf, um ihre Vorräte darunter zu bergen. With the little raft came an old sail, which they strung up in the bushes in a secluded spot to stow their supplies underneath. Sie selbst aber wollten bei gutem Wetter in freier Luft schlafen, wie es Ausgestoßenen ziemt. But they themselves wanted to sleep in the open air in good weather, as befits outcasts.

Sie machten ein Feuer an zwanzig bis dreißig Fuß im tiefsten Schatten des Waldes und kochten dann ein paar Kleinigkeiten als Abendessen in ihrer Bratpfanne und verzehrten die Hälfte des mitgebrachten Schinkens. They made a fire at twenty or thirty feet in the deepest shade of the forest, and then cooked a few supper in their skillet and ate half the ham they had brought with them.

Es schien ihnen herrlich, in dieser wild-ungebundenen Weise im jungfräulichen Wald eines unentdeckten und unbewohnten Eilandes zu schmausen, fern von den Hütten der Menschen, und sie nahmen sich vor, nie wieder in die Zivilisation zurückzukehren. It seemed delightful to them to feast in this wild, unbound manner in the virgin forest of an undiscovered and uninhabited island, far from the huts of men, and they resolved never to return to civilization. Das flackernde Feuer erhellte ihre Gesichter und warf seinen roten Schein auf die Baumsäulen ihres Waldtempels und auf das Laubwerk und das Gewirr der Schlinggewächse. The flickering fire illuminated their faces and threw its red glow on the tree pillars of their forest temple and on the foliage and tangle of creepers. Als die letzte Schinkenkruste den Weg alles Eßbaren gegangen war, streckten sich die Burschen auf dem Grase aus, erfüllt von Behagen. When the last crust of ham had gone the way of all edible, the boys stretched out on the grass, filled with contentment. Sie hätten einen kühleren Platz finden können, aber sie wollten sich nicht eines so romantischen Vergnügens berauben, wie es das prasselnde Lagerfeuer ihnen bot. They could have found a cooler spot, but they didn't want to deprive themselves of as romantic a treat as the roaring campfire offered them.

„Ist‘s nicht nett!“ fragte Joe. "Isn't it nice!" asked Joe.

„Herrlich ist‘s!“ bestätigte Tom. "Lovely it is!" confirmed Tom.

„Was würden die Jungs sagen, wenn sie uns sehen könnten?“ "What would the guys say if they could see us?"

„Sagen? Na, die würden doch gleich sterben, um hier sein zu können — nicht, Hucky?“ Well, they'd die in a minute to be here - wouldn't they, Hucky?"

„Denk wohl,“ brummte Hucky. "Think well," grumbled Hucky. „Mir paßt‘s schon. "It's fine with me. Möchte nirgends sein als hier. Wouldn't want to be anywhere but here. Hab‘ niemals genug zu essen gehabt — und hier kann niemand kommen und einen für ‘nen Landstreicher nehmen und anfahren.“ Never had enough to eat - and here nobody can come and take you for a hobo and hit you."

„‘s ist gerad ein Leben für mich,“ bekräftigte Tom. "'Tis just a life for me," Tom affirmed. „Man braucht morgens nicht aufstehen, braucht nicht zur Schule zu gehen, sich nicht zu waschen und ähnliche Dummheiten.“ "You don't have to get up in the morning, you don't have to go to school, you don't have to wash, and silly things like that."

„Du siehst, Joe, ein Pirat braucht nichts zu tun, wenn er zu Hause ist, aber ein Einsiedler, der muß immerfort beten, und dann darf er keinen Scherz treiben, und immer so allein!“ "You see, Joe, a pirate doesn't need to do anything when he's at home, but a hermit, he must pray all the time, and then he mustn't joke, and always so alone!"

„O, ‘s ist so,“ sagte Joe, „aber ich hatt‘ nicht dran gedacht — weißt du. "O, 'tis so," said Joe, "but I hadn't thought of it - you know. Ich bin ein gut Teil lieber Pirat, als daß ich‘s damit versucht hätte.“ I'm a good part rather pirate than have tried it."

„Du mußt wissen,“ fuhr Tom fort, „Einsiedler werden die Menschen nicht mehr so viel wie früher, aber vor ‘nem Piraten haben sie immer Respekt. "You must know," Tom continued, "people don't become hermits as much as they used to, but they always respect a pirate. Und ein Einsiedler muß auf der härtesten Stelle, die er finden kann, schlafen und sich den Kopf mit Sackleinwand und Asche bedecken und draußen im Regen stehen und —“ And a hermit must sleep on the hardest spot he can find, and cover his head with burlap and ashes, and stand outside in the rain and—'

„Warum muß er Sackleinwand und Asche auf den Kopf tun?“ fragte Huck. "Why must he put burlap and ashes on his head?" asked Huck.

„Weiß selbst nicht. "Don't know myself. Aber ‘s ist bestimmt so. But 'tis certainly so. Einsiedler tun‘s immer. Hermits always do. Du müßtest‘s auch tun, wenn du ‘n Einsiedler wärst.“ You'd have to do it even if you were a hermit."

„Heißt, wenn ich‘s möcht‘.“ "Meaning, if I want to."

„Na, was wolltest du denn tun?“ "Well, what were you going to do?"

„Das weiß ich nicht. "I don't know. Aber ich tät‘s nicht!“ But I wouldn't!"

„Na, Hucky, du mußt‘s! "Well, Hucky, you have to! Wie wolltest du dich drum drücken?“ How were you going to get around it?"

„Weil ich‘s halt einfach nicht täte. "Because I just wouldn't do it. Ich lief fort — glaub‘ ich.“ I ran away - I think."

„Lief fort! "Ran away! Na, du würdest ein schöner Kerl von ‘nem Einsiedler sein! Well, you'd be a fine fellow of a hermit! ‘ne Schande!“ 'Shame!"

Der ‚Bluthändige‘ gab keine Antwort, er hatte Besseres zu tun. The 'blood-handed man' gave no answer, he had better things to do. Eben hatte er einen Maiskolben fertig ausgehöhlt, tat jetzt Tabakblätter hinein, drückte eine glühende Kohle drauf, machte aus einem Binsenrohr einen Stiel und stieß dicke Rauchwolken hervor; er befand sich im Zustand ausschweifendsten Behagens. He had just hollowed out a cob of corn, put tobacco leaves in it, put a glowing coal on it, made a stalk out of a rush and blew out thick clouds of smoke; he was in the most extravagant state of contentment.

Plötzlich sagte Huck: „Was haben Piraten zu tun?“ Suddenly Huck said, "What do pirates have to do?"

„O, die haben zuweilen lustige Zeiten,“ belehrte Tom, „nehmen Schiffe weg und verbrennen sie, vergraben alles Gold daraus an einer unheimlichen Stelle ihrer Insel, wo Geister und solche Dinger sie bewachen, und töten alle auf dem Schiff — lassen sie über ‘ne Planke springen.“ 'Oh, they have merry times sometimes,' instructed Tom, 'taking ships and burning them, burying all the gold from it in some spooky place on their island where ghosts and such things are guarding them, and killing everyone on the ship—leaving them jump a plank.”

„Und sie schleppen die Frauen auf ihre Insel,“ sagte Joe, „die Frauen töten sie nicht.“ "And they drag the women to their island," Joe said, "the women don't kill them."

„Nein,“ stimmte Tom zu, „sie töten keine Frauen — dazu sind sie zu edel, Und dann sind die Frauen auch immer wunderschön, immer!“ "No," Tom agreed, "they don't kill women - they're too noble for that, And then the women are always beautiful, too, always!"

„Und tragen die aller-allerschönsten Kleider. "And wear the very-most-beautiful clothes. Lauter Gold und Diamanten,“ sagte Joe wieder mit Begeisterung. All gold and diamonds," Joe said again with enthusiasm.

„Wer?“ fragte Huck. "Who?" asked Huck.

„Na — die Piraten.“ "Well - the pirates."

Huck beschaute kritisch seine eigenen Kleider. Huck looked critically at his own clothes. „Ich schätze, ich wäre für ‘nen Piraten zu schlecht gekleidet,“ sagte er mit traurigem Pathos, „aber ich hab‘ keine anderen als diese.“ "I suppose I'd be too badly dressed for a pirate," he said with sad pathos, "but I've got none but these."

Aber die anderen beiden trösteten ihn damit, daß die schönen Kleider früh genug kommen würden, wenn sie nur erst mal ihr Abenteuerleben begonnen haben würden; sie machten ihm begreiflich, daß seine Lumpen es für den Anfang schon täten, obwohl es für bessere Piraten sich schickte, in anständigerer Garderobe zu erscheinen. But the other two consoled him that the pretty clothes would come soon enough once they had started their life of adventure; they made him understand that his rags would do for a start, although it was becoming for better pirates to appear in decent clothes.

Allmählich wurde die Unterhaltung einsilbig und Müdigkeit begann sich auf die Augenlider der kleinen Landstreicher zu senken. Gradually the conversation became monosyllabic and tiredness began to settle on the eyelids of the little tramps. Die Pfeife entfiel den Fingern des ‚Bluthändigen‘, und er schlief den Schlaf des Gerechten und des Müden. The whistle fell from the fingers of the 'Bloodhanded' and he slept the sleep of the just and the weary.

Der ‚Schrecken des Meeres‘ und der ‚schwarze Rächer des spanischen Meeres‘ kamen nicht so leicht zum Schlafen. The 'terror of the sea' and the 'black avenger of the Spanish sea' did not come to sleep so easily. Sie sagten ihr Abendgebet innerlich und legten sich nieder, da niemand hier war, dessen Autorität sie hätte zwingen können, niederzuknien und es laut zu sprechen. They said their evening prayer inwardly and lay down, since there was no one here whose authority could have forced them to kneel down and say it aloud. In Wahrheit hatten sie Lust, es überhaupt nicht zu sprechen, aber sie hatten doch Furcht, soweit vom Wege abzuirren, um nicht ein plötzliches, speziell für sie bestimmtes Donnerwetter vom Himmel herabzubeschwören. In truth they felt like not saying it at all, but they were afraid to stray so far as not to summon down from heaven a sudden thunderstorm specially destined for them. Dann endlich befanden sie sich ganz dicht am Rande des Schlafes — als noch einmal ein Störenfried auftrat, der sich nicht abweisen lassen wollte. Then, finally, they were very close to the edge of sleep - when once again a troublemaker appeared who refused to be turned away. Es war das Gewissen. It was the conscience. Sie begannen die unbestimmte Empfindung zu haben, daß sie doch wohl unrecht getan hätten, fortzulaufen. They began to have the vague feeling that they had probably done wrong in running away. Danach dachten sie an die gestohlenen Lebensmittel und damit begann erst die rechte Selbstquälerei für sie. Then they thought about the stolen groceries and that's when the real self-torment began for them. Sie versuchten sie von sich abzuwenden, indem sie sich des gestohlenen Zuckerwerks und der Äpfel erinnerten, die sie auf dem Kerbholz hatten. They tried to turn her away by remembering the stolen candy and the apples they had on the tally stick. Aber das Gewissen ließ sich durch solche mageren Einwände nicht beruhigen. Es schien ihnen schließlich doch unmöglich, um die unumstößliche Tatsache herumzukommen, daß Äpfelstehlen lediglich „stibitzen“ sei, während das Forttragen von Schinken, Speckseiten und solchen Wertgegenständen nur als vollgültiger, klarer Diebstahl bezeichnet werden könne — und dagegen gab es ein Verbot in der Bibel! It seemed impossible to them, after all, to get around the indisputable fact that stealing apples was merely "pilfering," while carrying away hams, sides of bacon, and such valuables could only be called outright, outright theft—and this was forbidden in the Bible ! Worauf sie innerlich beschlossen, daß, solange sie auch bei dem Geschäft bleiben würden, ihre Seeräubereien nicht wieder durch das Verbrechen des Diebstahls gebrandmarkt werden sollten. Whereupon they resolved inwardly that so long as they would stick with the business, their piracy should not again be branded with the crime of theft. Ihr Gewissen schloß auf dieser Grundlage denn auch Waffenstillstand, und diese merkwürdig inkonsequenten Piraten fielen in tiefen Schlummer.