Missbrauchsdebatte in der Kirche: Ende der Vertuschung? | quer vom BR
Der Sonntagsgottesdienst in dieser unterfränkischen Pfarrei
ist nur spärlich besucht.
Und das liegt nicht nur an Corona,
sondern an den Ereignissen der letzten Wochen.
Ich glaube, ich hab die ganze Nacht drüber nachgedacht
und nicht geschlafen, weil ich's nicht glauben kann.
Es ist unglaublich. Man ist sprachlos.
Ich bin gar nicht in den Gottesdienst.
Ich bin fünfmal um die Kirche rumgelaufen,
dass ich mich etwas abreagiert hab. Aber es ist dramatisch.
Was die Gläubigen hier so ungläubig zurücklässt,
ist ein schwerwiegender Vorwurf:
Ihr Pfarrer soll vor 10 Jahren einen sexuellen Missbrauch begangen haben.
Während die einen fassungslos sind, suchen andere Hilfe im Gebet.
Der Mesner hat die Wallfahrtskerze angezündet.
Dass das ganze Nachgerede ein Ende hat.
Und wie reagiert die Kirche?
Das Bistum Würzburg
hat dem Geistlichen die Ausübung des priesterlichen Dienstes verboten,
bis der Sachverhalt geklärt ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Die Kirche greift durch. Das war nicht immer so.
Hatte sie sich nicht oft hinter eine Mauer des Schweigens zurückgezogen?
Eine Taktik, die viel Vertrauen gekostet hat.
Ich fühl mich da nicht aufgeklärt
und hab den Glauben an die Kirche verloren.
Die Katholiken, die Christen laufen ihnen weg.
Aufklärung? Was bedeutet das genau?
Betroffene wie Matthias Katsch sagen: endlich die Namen veröffentlichen.
Nicht nur der Täter, sondern auch von denen, die Verbrechen gedeckt haben,
das Missbrauchs-System am Laufen gehalten haben.
Ich möchte gerne wissen, wer da einen Anteil hatte.
Ich möchte auch entlastet werden von der quälenden Frage,
ob ich selbst schuld bin, ob ich etwas falsch gemacht habe.
Das ist das, was Kinder oder Jugendliche sich oft fragen
nach solchen Übergriffen.
Und dann zu erfahren:
Nein, du kannst gar nichts dafür, weil eine Institution
einen Täter fahrlässig auf dich losgelassen hat.
Das ist schon ein wichtiges Faktum
für die persönliche Auseinandersetzung.
In München planen sie nun den großen Wurf.
Kardinal Reinhard Marx hat eine neue Studie angekündigt.
Die soll endlich ein altes Versprechen einlösen.
Wir haben den Opfern zu wenig zugehört.
All das darf nicht folgenlos bleiben.
Die Betroffenen haben Anspruch auf Gerechtigkeit.
Das zentrale Versprechen:
Der Bericht soll erstmals Namen und Verantwortlichkeiten benennen.
Die Frage klären:
Wer wusste was? Wer hat sich schuldig gemacht?
Das Gutachten müsste sich
mit Fällen wie dem von Pfarrer Peter H. beschäftigen.
Als Kaplan in Bottrop
vergeht er sich in den 70er-Jahren an mehreren Ministranten.
Einer von ihnen ist Markus Elstner.
Ich wurd sexuell missbraucht.
Ich musste üben, das zu sagen, dass es wirklich rauskam oder rauswollte.
Wie Recherchen von Frontal21 und CORRECTIV zeigen,
wurde der pädophile Priester nicht angezeigt, sondern nur versetzt,
vom Bistum Essen in die Diözese München-Freising.
Erzbischof damals: Joseph Ratzinger.
Gegen den Rat eines Psychiaters
wird Peter H. im gleichen Jahr als Seelsorger eingesetzt
und arbeitet wieder mit Kindern.
Erst in München, später in Grafing,
wo er 12 Jugendliche in einem Jahr missbraucht.
Ein typisches Muster im Missbrauchs-System,
um das Ansehen der Kirche nach außen unbefleckt zu halten,
meint der Theologe und Psychiater Wunibald Müller,
der jahrelang Priester mit psychischen Problemen betreut hat.
In Zeiten von Corona spricht er mit uns per Videotelefon.
Dann hat der Betreffende in der Regel
ein Gespräch mit dem Bischof geführt oder mit dem Personalchef,
hat Reue gezeigt, hat gesagt, er beichte, er macht Exerzitien usw.
Damals, vor 20 Jahren, hat man das oft dem Priester noch abgekauft.
Es hat oft dazu geführt, dass der Betreffende
einfach in eine andere Pfarrei vermittelt wurde.
Wird es dieses Mal gelingen, auch die Verantwortung
prominenter Kirchenvertreter beim Namen zu nennen?
Betroffene zweifeln daran, denn die gleiche Kanzlei,
die jetzt für München die Aufarbeitung betreiben soll,
ist im Erzbistum Köln vorerst daran gescheitert.
Letzte Woche wurde hier
die Veröffentlichung eines ähnlichen Gutachtens
aus "äußerungsrechtlichen Gründen" abgesagt.
Es scheint so zu sein,
dass am Ende das Interesse von Tatverdächtigen oder Beschuldigten
höher gewertet wird
als das Interesse der Öffentlichkeit und der Betroffenen,
endlich die Wahrheit zu erfahren
über das, was in der Vergangenheit geschehen ist.
Seine Forderung:
Statt durch von der Kirche beauftragte Kanzleien
müsste die Aufarbeitung
durch staatliche, unabhängige Stellen erfolgen.
Mit uns will die Diözese München-Freising darüber nicht reden.
Die deutschen Bischöfe lehnen den Vorschlag bisher ab.
Im Bistum Würzburg brennt indes die Wallfahrtskerze.
Möge sie Licht ins Dunkel bringen, was auch immer zum Vorschein kommt.