Ansprache des Bundespräsidenten 03.04.2021
Guten Abend Ihnen allen an diesem zweiten Ostern in der Pandemie.
Vor einem Jahr hatten wir uns aufs nächste Ostern gefreut,
auf einen Frühling ohne Pandemie.
Aber unsere Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
Im Gegenteil, die dritte Welle trifft uns gerade mit aller Härte.
Ich weiß, nach 13 Monaten helfen Durchhalteparolen nicht weiter.
All die Appelle zu Geduld und Vernunft und Disziplin
werden stumpf in diesen zermürbenden Zeiten.
Ein Gefühl von Ohnmacht und Frust macht sich breit,
und so kommt zu den Sorgen über Gesundheit, Schule, Arbeit,
Wirtschaft eine weitere Dimension hinzu: eine Krise des Vertrauens.
Vor allem deshalb wende ich mich heute an Sie.
Vertrauen, das beruht in einer Demokratie
auf einer sehr fragilen Übereinkunft zwischen den Bürgern
und ihrem Staat: Du, Staat, tust deinen Teil,
ich Bürger tue meinen.
Ich weiß: Sie, die Bürgerinnen und Bürger,
tun in dieser historischen Krise Ihren Teil.
Sie leisten viel, und Sie verzichten auf viel.
Bei manchen geht es im Lockdown längst nicht mehr
um verlorenes Einkommen, es geht um die blanke Existenz.
Umso mehr verstehe ich die Ungeduld,
den Frust über die Rückschläge der vergangenen Monate.
Es ist viel getan worden, auch viel gelungen.
Trotzdem: Es gab Fehler,
beim Testen, beim Impfen, bei digitalen Lösungen.
Die Pandemie hält unserem Land den Spiegel vor:
der Hang zum Alles-regeln-wollen, unsere Angst vorm Risiko,
das Hin- und Herschieben von Verantwortung.
Wie wir das ändern und wie wir auch unsere Institutionen
krisentauglicher machen, all das wird aufzuarbeiten sein.
Jetzt aber sind wir mitten in der dritten Welle.
Und jetzt braucht es alle Kraft von allen Seiten, um sie zu brechen.
Die nächsten Wochen werden noch einmal
herbe Einschränkungen fordern, das wissen Sie so gut wie ich.
Umgekehrt will ich Ihnen versichern: So wie die Pandemie
Ihnen viel abverlangt, so dürfen Sie auch viel von der Politik verlangen.
Ihre Erwartung an die Regierenden ist klar: Rauft euch zusammen.
Natürlich gibt es nicht den einen Königsweg heraus aus der Pandemie.
Und deshalb braucht es den politischen Streit,
aber der Streit darf nicht zum Selbstzweck werden.
Bund oder Land, Partei oder Koa- lition, Umfragen rauf oder runter,
das darf jetzt nicht die Hauptrolle spielen.
Wir brauchen Klarheit und Entschiedenheit,
wir brauchen verständliche und pragmatische Regelungen,
damit die Menschen Orientierung haben, damit dieses Land
wieder das aus sich herausholen kann, was in ihm steckt.
Doch seien wir ehrlich.
Rauft euch zusammen, das ist berechtigt, aber es reicht nicht.
Raufen wir uns alle zusammen, liebe Landsleute.
Holen wir raus, was in uns steckt.
Empören wir uns nicht nur über die anderen oder über die da oben.
Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht geht, sondern dass es geht,
wenn alle ihren Teil tun.
Das ist mir wichtig, wenn ich von Vertrauen spreche.
Denn am Ende ist Vertrauen in der Demokratie nichts anderes als dies:
uns selbst vertrauen.
Und dafür haben wir jeden Grund.
In Rekordzeit wurden Impfstoffe entwickelt,
ganz wesentlich hier in Deutschland.
Jetzt geht es weiter: Die Impfstofflieferungen
ziehen in den kommenden Wochen kräftig an, die Produktion in Europa
wird ausgebaut, die Hausärzte steigen jetzt ins Impfen ein.
Ich habe vorgestern meine erste Impfung erhalten,
und ich vertraue allen,
ich betone, allen in Deutschland zugelassenen Impfstoffen.
Das Impfen ist der wichtigste Schritt
auf unserem Weg aus der Pandemie – also nutzen Sie die Möglichkeiten.
Machen Sie mit.
Leider ist der Weg länger als erhofft.
Nicht nur für uns,
viele unserer Nachbarn trifft es sogar noch deutlich härter.
Manch andere sind weiter als wir.
Am Ziel jedenfalls ist noch keiner.
Und Bilanz sollten wir erst am Ende ziehen.
Wissen Sie noch?
Vor einigen Monaten, nach der ersten Welle, da wollten wir uns schon
mit Genugtuung als Pandemieweltmeister sehen.
Und heute? Das glatte Gegenteil.
Heute überbieten wir uns geradezu in Schwarzmalerei.
Ich frage mich: Warum muss es in Deutschland
eigentlich immer der Superlativ sein?
Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?
Die Wahrheit ist: Wir sind nicht Pandemieweltmeister,
wir sind aber auch nicht Totalversager.
Sondern wir sind die Bundesrepublik Deutschland.
Wir zweifeln viel, aber wir können auch viel.
Und aufs Können, nicht aufs Zweifeln, kommt es jetzt an.
Wir leben zusammen in diesem Land,
und wir wollen gemeinsam eine gute Zukunft.
Also: Haben wir doch Vertrauen in uns, und geben wir acht aufeinander.
Liebe Landsleute, für Christen bedeutet Ostern die Gewissheit,
dass der Tod und das Bedrückende nicht das letzte Wort haben,
und ein Fest der Hoffnung
soll es für alle Menschen in unserem Lande sein.
Zu dieser Hoffnung haben wir guten Grund.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Osterfest.