tagesthemen 07.09.2021, 22:00 Uhr - Schlagabtausch der Parteien bei der letzten Sitzung vor der Bundestagswahl
Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den tagesthemen.
Diese Sendung wurde vom NDR live untertitelt (07.09.2021)
Heute im Studio: Caren Miosga
Guten Abend.
Das war mal was im Bundestag.
Es war die wohl letzte Sitzung dieser Wahlperiode,
aber mit Sicherheit die rabaukigste.
Hier konnte man erleben, was WahlKAMPF bedeutet.
Die Kandidaten und die Kandidatin ums Kanzleramt
lieferten sich ein Triell ganz ohne Fragen von Moderatoren.
Selbst die Noch-Kanzlerin fuhr die Krallen aus.
Obwohl sich doch Angela Merkel auf Teufel komm raus
aus dem Ringen um ihre Nachfolge rauszuhalten schien.
Dass sie nun ihre Prinzipien über den Haufen wirft,
lässt nur den Schluss zu:
Dass in der Union die blanke Angst vor dem Verlust der Macht
auch bei ihr angekommen ist.
Eine Erinnerung an die letzte Bundestagssitzung dieser Legislatur.
Es wird eine denkwürdige. Meine Güte, was für eine Aufregung!
Für die sorgte die Kanzlerin aber selbst.
Merkel - im Wahlkampfmodus -
holt zum Angriff auf SPD, Grüne und Linke aus.
Bürgerinnen und Bürger hätten die Wahl.
Entweder eine Regierung, die mit SPD und Grünen
die Unterstützung der Linken in Kauf nimmt.
* Stimmengewirr * Sie zumindest nicht ausschließt.
Oder ... * Stimmengewirr * Ich sag ja nur die Wahrheit.
Oder eine von CDU/CSU und Armin Laschet als Bundeskanzler
geführte Bundesregierung:
Die mit Maß und Mitte unser Land in die Zukunft führt.
Und der SPD-Kanzlerkandidat? Regt sich nicht auf - im Gegenteil.
Er richtet an die Union für die Zusammenarbeit
ein wörtlich "schönes Danke".
... auch an Sie, Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel.
Kritik an Steuerplänen der Union: ja.
Aber auf die Kanzlerin lässt Scholz nichts kommen,
inszenierte sich zuletzt als ihr eigentlicher Nachfolger.
Und heute von ihm eine Art "Wir schaffen das" nach der Pandemie.
Der Aufschwung kommt. Wir wachsen aus der Krise raus.
Aber deshalb ist auch klar zu sagen:
Wir werden die finanziellen Verpflichtungen aus dieser Krise
auch bewältigen können.
Ein leidenschaftliches Jeder-gegen-jeden
bieten sich die anderen Rednerinnen und Redner.
AfD gegen Koalition und Kanzlerin:
Ihre letzte Amtszeit, Frau Merkel,
war für Deutschland eine Periode des beschleunigten Abstiegs.
Die Linke gegen die FDP:
Ich will zum Schluss gerne den Satz von Lindner abgewandelt wiederholen:
Es ist besser, gut mit der Linken zu regieren,
als falsch mit Lindner zu regieren.
Unser Land braucht einen Politikwechsel.
Die FDP teilt gegen alle aus,
auch gegen ihren Favoriten fürs Kanzleramt, Laschet.
Wenn der Kanzlerkandidat der CDU sagt,
vor uns stünde ein Erneuerungs-, ein Modernisierungsjahrzehnt:
Dann hat er recht.
Aber welch trauriges Zeugnis stellt er damit seiner Partei aus,
die 16 Jahre reagiert hat?
Baerbock, Grünen-Kanzlerkandidatin, schlägt in dieselbe Kerbe.
Sie haben es vermasselt.
Gemeint: die Große Koalition beim Thema Klimaschutz.
Das Dramatische, warum das jetzt kein Fingerschnips werden wird,
wie wir Klimaneutralität erreichen können, ist:
Dass Sie acht Jahre als GroKo in einer Zeit der Vollbeschäftigung,
sprudelnder Steuereinnahmen, niedrigster Zinsen.
Und dass einfach diese Chance nicht genutzt haben.
Laschet, kein Bundestagsmitglied, als Ministerpräsident aber mit Rederecht:
Er lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen,
gegen seine Mitbewerber um das Kanzleramt auszuteilen.
Erst Richtung Baerbock:
Immer so zu tun, als sei alles diese Bundesregierung schuld.
In elf Ländern regieren Sie mit.
Und wenn es da nicht gut läuft, sind Sie auch dafür verantwortlich.
Dann an Scholz:
Man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen
und reden wie Saskia Esken - das passt nicht zusammen.
Eine aufgeregte Debatte in einer politisch aufregenden Zeit.
Zur Generaldebatte in Wahlkampfzeiten
hat Hauptstadtstudio-Leiterin Tina Hassel diese Meinung.
Darf eine Kanzlerin Wahlkampf machen?
Klar.
Nur die Art, wie Merkel ihre wohl letzte Bundestagsrede
für einen Werbeblock für Laschet nutzte:
Das wirft auf ihren Abgang einen Schatten.
Die sonst so präsidiale Kanzlerin keilt heftig gegen Scholz,
den beliebtesten Kanzlerkandidaten.
So kennt man es nur vom politischen Aschermittwoch.
Und den mochte sie nie.
Sie lobt nicht nur Laschet, sondern warnt auch vor einem Linksruck,
bedient so sogar die Rote-Socken-Kampagne der Union.
Ein größeres Wahlkampfgeschenk konnte sie kaum machen.
Bislang hieß Merkels Credo:
Wer mir nachfolgt, muss schon selber laufen können.
Auch Kanzlerkandidat Laschet betonte kürzlich noch,
Wahlkampfhilfe von Merkel würde ihm eher schaden.
Jetzt aber scheint die Lage so dramatisch,
dass Laschet doch seine vielleicht letzte Karte spielen muss.
Frei nach dem Motto:
Lieber mit Merkels Hilfe ins Kanzleramt stolpern,
als aus eigenen Stücken untergehen.
Und die Kanzlerin?
Auch sie scheint ein Debakel ihrer Union nicht ausschließen zu können
und hat wohl kühl abgewogen, was ihr mehr schadet:
Der Ausflug in die Niederungen der Parteipolitik,
ausgerechnet am Tag, an dem es um ihr Vermächtnis geht.
Oder aber später in Geschichtsbüchern lesen zu müssen,
sie habe nach 16 Jahren Kanzlerschaft eine Rot-Grüne herbeigeführt.
19 Tage vor der Wahl
scheint der Union das Wasser bis zum Hals zu stehen.
Und ausgerechnet der so heftig attackierte Scholz
reagiert nüchtern und gelassen, ganz im Stil der Kanzlerin.
Ärgern sich Merkel und die Union
auch noch so über den angeblichen Erbschleicher ihrer Politik:
Heute hat Scholz wieder die Raute gemacht.
Die Meinung von Tina Hassel.
Das ist das Besondere an dieser Wahl und auch an Angela Merkel:
Erstmals geht eine Kanzlerin aus freien Stücken.
Nach 31 Jahren im Bundestag.
Hier war sie gerade ein Jahr Abgeordnete
und Frauenministerin im Kabinett Kohl.
Wie ist das, wenn man das halbe Lebe in der Politik verbracht hat
und plötzlich Schluss ist?
Politikerinnen und Politiker gehen ja nicht einfach einem Beruf nach.
Macht macht süchtig und der Entzug zuweilen große Probleme.
Neben Angela Merkel werden noch weitere langjährige Abgeordnete
diesen Herbst den Bundestag verlassen.
Hanni Hüsch hat drei getroffen und viel erfahren.
Über verlorene Kämpfe und gewonnene Einsichten.
Die find ich lustig, die nehm ich mit.
Der Heilige Vater muss in den Karton, Fabio De Masi packt -
Schluss mit Bundestag.
Samt erfolgversprechender Stürmerkarriere beim FC Bundestag.
Wo haben Sie gespielt, Linksaußen?
Linksaußen, ja.
Das liegt aber daran, dass viele 'nen rechten Fuß haben.
Der Linksaußen hat mächtig aufgemischt.
Im Wirecard-Untersuchungsausschuss:
Aufklärer mit Biss und Hang zur Selbstausbeutung.
Den Finanzminister hat er gepiesackt, der müsse sich verantworten!
Es gibt einen gewissen Stolz.
Ich hab auch in den sieben Jahren versucht,
'nen guten Job zu machen für die Leute.
Aber ich bin auch frustriert:
Wir haben es nicht geschafft, die Lebensverhältnisse so zu verbessern,
dass die Zufriedenheit und der soziale Zusammenhalt stärker ist.
Er mag Cassius Clay.
Wandfüllend die Abgeordnetenschlacht von Kiew.
Kämpfen ist sein Thema, im Visier auch seine Fraktion.
Zu sehr mit sich selbst beschäftigt, sein Abgang ist auch Botschaft.
Ich will mit meinem Schritt auch meiner Partei signalisieren:
Wir können viel mehr schaffen,
wenn wir uns in zentralen Fragen gut aufstellen.
Bei Fragen die die Bevölkerung bewegen: ökonomischen und sozialen.
Kein Zorn, keine Sentimentalität zum Abschied.
Schickt sich nicht für einen,
der seinen Glauben auf dem Schreibtisch bezeugt.
Ein Geschenk von Andrea Nahles.
Hätt nicht gedacht, dass ich noch mal in die tagesthemen komm.
So kann's kommen.
Das isch heut das letschte Mal im Plenarsaal.
Und wie fühlt sich das an?
Des fühlt sich gut an.
Wenn man 30 Jahre dabei war, isch doch des in Ordnung.
Volker Kauder ist mit sich im Reinen.
30 Jahre Bundestag - für die Union.
Parteisoldat, Schlitzohr-Potenzial, Angela Merkels rechte Hand.
13 Jahre:
Keiner war länger Fraktionschef als der Kauder aus dem Schwäbischen.
Merkel hat ihn eingefangen, hoch befördert –
auch wenn er ihr zunächst als Kanzlerin nichts zutraute.
Ich betrachte Loyalität als wichtig in der Zusammenarbeit.
Den Eindruck erwecken, man sei loyal und hintenrum was anderes zu machen,
isch meine Art nie gewesen.
Heute nimmt er in der letzten Reihe Platz.
Vorne, wo er so lange die Dinge dirigierte,
sitzt Ralph Brinkhaus.
Es war ein Politputsch, 2018, er galt ihm und Merkel.
Egal, ich habe des gut wegstecken können und komm damit klar.
Das gehört eben zur Demokratie.
"Die Ulla ist in Ordnung", sagt Volker Kauder.
Die Grande Dame der SPD, rheinischer Zungenschlag,
ministeriabel - noch so ein Superlativ.
Acht Jahre Gesundheitsministerin, Höllenjob, Hassfigur.
Auch sie sagt Adieu.
Man muss sich abschotten können und trotzdem sensibel bleiben für das,
wo echte Anliegen sind.
Ich wollte nie zynisch werden oder irgendwie so anders.
Corona war hart, kaum Kontakte.
Schwierig für eine, die gerne netzwerkt, mitmischt,
Menschen braucht.
Ich bin eine Quotenfrau.
Ohne die Quote wäre ich nicht im Parlament.
Ich glaube nicht,
dass meine Arbeit schlechter war als die von vielen Männern hier.
Bye-bye, Bundestag. Und was bleibt?
Wenn man so lange in der Politik war,
wird man den Schnabel nicht halten können.
Ich würd's immer wieder machen. Jederzeit.
Das Schöne war sicherlich, dass ich das Privileg hatte,
dafür bezahlt zu werden, das Land gerechter zu machen.
Und es gibt eigentlich nichts Besseres.
Er geht nicht - im Gegenteil:
Der Vize der scheidenden Kanzlerin schickt sich an,
nach Jahrzehnten in der Politik, sich noch mal neu zu erfinden.
Und zugleich so zu bleiben, wie er immer war:
Nüchtern, bisschen stoisch, hanseatisch kühl.
Wer hätte gedacht, dass ihn diese Eigenschaften
gleichsam scholzomatisch ins Kanzleramt tragen könnten?
Das ist nach derzeitigen Umfragen zumindest ja möglich.
Ob sich der SPD-Kandidat am Abend in der ARD-Wahlarena
ausnahmsweise aus der Fassung bringen ließ - Philipp Schroeder.
Für die sozialdemokratische Seele ist es wie der Wiederaufstieg.
Die SPD spielt um den Titel:
19 Tage vor der Bundestagswahl
führen Partei und Kandidat in Umfragen.
Ich erwarte, dass die SPD stärkste Kraft wird.
Ich glaube fest daran.
Nicht nur wegen der Umfragen, auch wegen der Stimmung.
Ich bin Metzger, ich merk das jeden Tag hinter der Theke.
Da kann man sich auch über Politik unterhalten.
Die SPD-Jusos: So gute Umfragen kennen sie noch nicht.
Wenn es nach dem Parteinachwuchs geht, ist er schon Kanzler.
Es ist sehr bewegend, zu merken, wie viele mir zutrauen,
Regierungschef in Deutschland zu werden.
Das ist ja kein leichtes Amt.
Aber der Jubel der Fans zählt nicht bei der ARD-Wahlarena.
Es geht um den Umgang der Kandidaten mit den Fragen
und den Problemen der Wähler.
Und denen geht es heute v.a. um soziale Themen –
um Bildung nach Corona z.B.
Wie wollen Sie hinbekommen,
dass Lernrückstände bei Schülerinnen und Schülern geschlossen werden?
Einfach den Ländern, die für die Schulbildung zuständig sind,
mit Geld helfen, dass Sie das nachholen können.
Nachholkurse anbieten können.
Das werden die auch hinkriegen, die geben sich die beste Mühe.
Und es geht um die Entwicklung des Rentensystems.
Es bleibt für die Rentner nichts mehr über.
Bleiben Sie bei 48 Prozent, was ist mit Endalter 67?
Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters
findet nicht statt.
Da stehe ich dafür.
Scholz bleibt keine Antwort schuldig,
will Klimakanzler werden trotz Kohlestrom bis 2038.
Nur bei einer Frage will sich nicht festlegen:
Kann ich die SPD wählen,
ohne die Linkspartei in die Regierung zu heben?
Jetzt entscheiden die Bürgerinnen und Bürger.
Je stärker das Votum für die SPD ist, umso besser wird es,
eine gute Regierung zu bilden.
Wenn es nach den SPD-Fans beim Public Viewing nebenan geht,
bleibt ihr Kandidat in Führung.
Aber entschieden wird das Rennen in 19 Tagen -
von den Wählerinnen und Wählern.
Auf eines wird der Kanzlerkandidat nicht gerne angesprochen,
ebenso wenig wie seine Kabinettskolleginnen und -kollegen.
Weil alle wissen, was sie hier angerichtet haben: Afghanistan.
Klar ist, die Bundesregierung
war auf die schnelle Eroberung durch die Taliban nicht vorbereitet.
Sie begann viel zu spät, gefährdete Menschen zu retten.
Auch Bundeswehrsoldaten
wiesen die Regierung schon Wochen zuvor darauf hin.
Nun sind Geheimdokumente ans Licht gekommen, die beweisen sollen,
dass auch von Amerikanern deutliche Warnrufe kamen - früh und laut.
Die aber verhallten scheinbar ungehört.
Michael Stempfle.
Als Botschafterin in den USA
zählt Emily Haber zu Deutschlands wichtigsten Diplomaten im Ausland.
Sie hält u.a. Kontakt mit Geheimdiensten, wie der CIA.
Und gibt Informationen weiter
von der Botschaft in Washington ans Auswärtige Amt.
Eine Warnung von Haber Anfang August:
Die afghanische Regierung könne schnell kollabieren.
Das berichtet der Spiegel.
Die Botschaften sind auch Informationssammelstellen vor Ort.
Es gibt auch Verteidigungsattachees, die Verbindungen ins Militär haben,
in die Politik, zu den Geheimdiensten.
Deshalb unterhält die Bundesrepublik Deutschland solche Botschaften.
Etwas später tritt ein, was Haber sagte.
Der Truppenabzug war abgeschlossen,
aber noch immer waren Deutsche und Ortskräfte im Land.
Dann verlassen die Amerikaner in der Nacht zum 15.8. unangekündigt
die grüne Zone und verlagern ihr Lager an den Kabuler Flughafen.
Panik.
Nicht nur verbliebene NATO-Soldaten und Ortskräfte wollen raus,
auch viele Afghanen.
Und die Taliban?
Diejenigen, die das Land mit Anschlägen gequält hatten,
übernehmen die Macht.
Das Auswärtige Amt tut aber so,
als habe es die Warnungen von Botschafterin Haber nie gegeben.
Die Geschwindigkeit, mit der sich die afghanischen Sicherheitskräfte
vor den Taliban zurückgezogen und kapituliert haben:
Die haben weder wir noch unsere Partner, auch nicht unsere Experten,
so vorausgesehen.
Aufarbeitung im Parlament.
Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Kahl -
in geheimer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Die Ministerin Kramp-Karrenbauer im Verteidigungsausschuss.
Doch die Abgeordneten bekommen den Bericht von Botschafterin Haber
nicht zu sehen.
Nur so viel:
So konkret sei der Bericht nicht gewesen, heißt es, eher allgemein.
Die Opposition: sauer.
Es erschließt sich uns nicht:
Warum verweigert das Auswärtige Amt
den Bundestagsabgeordneten die Kenntnisnahme des Berichts?
Wenn er inhaltlich angeblich so harmlos gewesen sein soll.
Wie der Informationsfluss im Auswärtigen Amt
zu Afghanistan im August war, unklar.
Es sei schwer zu beurteilen, was den Minister erreicht habe,
so Experten, und doch:
Heute ist man schlauer:
Das Auswärtige Amt hätte sich darauf einstellen müssen,
in Worst-Case-Szenarien denken müssen.
Hätte nach diesem Drahtbericht sofort handeln müssen.
Die Bundeswehr nach Kabul verlegen müssen und die Evakuierung starten.
Abgeordnete sehen sich darin bestätigt,
ein Untersuchungsausschuss müsse die Vorgänge aufklären.
Michael Stempfle im Hauptstadtstudio,
die Frage jetzt muss doch lauten:
Wem könnte es nützen,
so ein Geheimpapier an die Öffentlichkeit zu geben?
Zunächst ist es ungewöhnlich,
dass so ein brisantes Papier lanciert wird.
Da wird mit harten Bandagen gekämpft.
Aber es geht wohl nicht so sehr um Parteipolitik,
sondern es kämpfen die Apparate untereinander.
Das Verteidigungsministerium, Auswärtiges Amt, Innenministerium
und Kanzleramt:
Sie haben nicht so gut miteinander gearbeitet
in diesem Fall.
Das wird hier noch einmal deutlich.
Dem anderen Apparat wird jeweils die Schuld zugeschoben.
Die deutsche Botschaft in Kabul hatte doch schon
vor einer schnellen Einnahme der Stadt durch die Taliban gewarnt.
Was macht dieses Papier jetzt noch mal brisanter?
Mehrere Thesen kommen ins Wanken. Dass die Amerikaner diese grüne Zone
unangekündigt verlassen haben zum Beispiel.
Denn aus dem Papier geht hervor,
dass die Amerikaner das angedeutet haben,
also dass sie auch überraschend dort rausgehen könnten.
Viele Thesen, die die Regierung vertreten haben, geraten ins Wanken.
Was sagt nun der Außenminister?
Er rückt das Papier nicht raus.
Sie gucken lieber in die Zukunft.
Morgen gibt es ein Treffen mit dem amerikanischen Kollegen in Ramstein.
Man wird über Afghanistan sprechen.
Es wird eine virtuelle Gruppe geben,
mit der man sich über Afghanistan unterhält.
Man will versuchen, dort Einfluss zu nehmen.
Dass sich die Lage dort stabilisiert
und dass keine großen Fluchtbewegungen auslöst werden.
Die radikalen Kräfte sollen möglichst nicht das Sagen haben.
Das ist die Hoffnung der Deutschen und der Amerikaner morgen.
Welchen Einfluss der Westen auf die Taliban ausüben kann:
Das lässt sich wohl schon daran ablesen,
wie die neue Regierung in Kabul aussieht.
Die Taliban haben heute
die ersten Mitglieder ihrer Übergangsregierung vorgestellt.
Markus Spieker in Kabul:
Wer sind die Taliban-Vertreter, die jetzt in Kabul regieren wollen?
Einige kennt man von internationalen Terror-Fahndungslisten.
Den Verteidigungs- oder Innenminister z.B.
Der neue heute Regierungschef
war damals verantwortlich für das Sprengen der Buddha-Statuen.
Andere kennt man nicht.
Die meisten Minister bezeichnen sich als Mullahs.
Andere sind Paschtunen,
die aber nicht repräsentativ sind für die afghanische Bevölkerung.
Denn sie stellen nur 40 Prozent der Bevölkerung.
Was passiert mit dem Frauenministerium?
Die Taliban hatten ja angekündigt,
auch Frauen sollten an der Regierung teilnehmen.
Das Ministerium für Frauenangelegenheiten
war nach der Vertreibung der Taliban eingerichtet worden.
Das wird wieder abgeschafft.
Weibliche Minister wird es auch nicht geben.
Es gibt dagegen wieder das Ministerium zur Förderung der Tugend
und Verhinderung des Lasters.
Hier wurden bereits
viele Gegendemonstrationen niedergeknüppelt.
Wir haben gehört, was die USA und Deutschland sich wünschen
im Gegenzug zu humanitärer Hilfe:
Dass nämlich nicht die radikalsten Taliban das Sagen haben.
Wird dieses Kabinett die Hand ausstrecken Richtung Westen?
Ich denke schon.
Vor allen Dingen die ausgestreckte, offene Hand.
Denn man braucht Geld und Expertise.
Es gibt Ansprechpartner für die Regierung jetzt.
Man muss sehen, wie groß der Einfluss sein kann.
Danke, Markus Spieker.
Gehen wir nach Lesbos, an einen Ort, der eine Mahnmal wurde
für den traurigen Umgang Europas mit geflüchteten Menschen:
Aus Afghanistan oder wie 2015 aus Syrien.
Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her,
dass das Flüchtlingslager Moria fast komplett niederbrannte.
Dass weinende Kinder, verzweifelte Frauen und Männer zurückblieben
ohne Hoffnung auf ein lebenswertes Leben.
Das Feuer von Moria war ein Hilfeschrei in Richtung Europa,
dem ein öffentlicher Aufschrei folgte.
Doch das galt nur für eine kurze Nachrichtenweile.
Wie Anja Miller erfahren musste,
hat sich nach einem Jahr für allzu viele nichts geändert.
Familie Shirzat aus Afghanistan kam vor zwei Jahren auf Lesbos an.
Zweimal wurde ihr Asylantrag abgelehnt.
Die Familie sitzt fest im Nirgendwo von Kara Tepe.
Shukran Shirzat ist Kunstlehrer.
Mit seinen Bilder versucht er, ein "Zuhause" zu schaffen.
Er weiß, dass sie auch den kommenden Winter hier verbringen werden.
Es gibt keine Kämpfe oder Brände, das ist gut für mich.
Ich konnte meine Bilder aufhängen
und habe mit meiner Frau ein Zuhause in einem Zelt.
Es ist etwas besser für sie als im alten Lager Moria.
Es gibt einige neue Container, einzelne Stromanschlüsse und Wasser.
Die Nacht, als es brannte,
mussten Shukran und seine Familie in Moria miterleben.
An mehreren Stellen wurde gleichzeitig Feuer gelegt.
Die Flammen breiteten sich in enormem Tempo aus,
erfassten Planen, Container, Möbel.
Beinah alles verbrannte in dieser Nacht.
* Rufen *
Shukran verschlägt es bei der Erinnerung die Sprache.
Auch diese Familie flüchtete vor zwei Jahren aus Afghanistan.
Fatima Karimi erzählt von ihrem schwierigen Alltag im Camp.
Wir brauchen bessere Lebensbedingungen.
Die Situation im Camp ist sehr schlecht derzeit.
Wir füllen Essen in Flaschen und Körbe,
weil überall Mäuse sind, die es wegessen.
Für viele ist das Übergangslager Dauerzustand.
Zu den Belastungen der Flucht kommen die Erlebnisse im Camp.
Vor allem für Kinder ist das traumatisierend.
Wir sehen viele Kinder und Heranwachsende
mit jeder Art psychischer und mentaler Probleme.
Aber auch Entwicklungsstörungen,
die mit den Bedingungen und dem Migrationsprozess zusammenhängen.
Im letzten Jahr wurde der Bau eines neuen Lagers beschlossen,
um Kara Tepe zu entlasten.
Außerhalb der Wohngebiete, am Waldrand.
Aber hier ist nichts, nur eine Mülldeponie.
Bauarbeiten haben nicht mal begonnen.
Es gibt Widerstand – von Nachbarn und Anwohnern.
Wir sind gegen die Schaffung des Lagers.
Wir sind gegen jede Form
dauerhafter Unterbringung von Menschen auf der Insel.
Hier leben etwa 80.000, 90.000 Einwohner.
Wir können keine 10.000 Menschen unterbringen.
Bald werden die Nächte kalt auf Lesbos.
Die Menschen werden sie erneut in Zelten und Containern verbringen
und müssen hoffen, dass sie es besser aushalten als im letzten Winter.
Vieles stand im Bundestag heute im Zeichen des Wahlkampfes.
Aber trotz verbaler Attacken fasste das Parlament auch Beschlüsse,
zum Beispiel einen über einen Corona-Richtwert.
Damit beginnen weitere Nachrichten mit Susanne Daubner.
Die Sieben-Tage-Inzidenz bei Neuinfektionen
soll nicht mehr maßgeblich sein.
Sondern v.a. die Krankenhausbelegung mit Corona-Patienten,
die Hospitalisierungsrate.
Sie gibt an, wie viele Corona- Infizierte pro 100.000 Einwohner
binnen sieben Tagen in Kliniken eingeliefert wurden.
Der Bundesrat muss Freitag in einer Sondersitzung darüber abstimmen.
Im Streit über Polens Justizreform hat die EU-Kommission
beim Europäischen Gerichtshof Finanzsanktionen beantragt.
Der EuGH könnte tägliche Zwangsgelder in sechsstelliger Höhe verhängen.
Polen schuf 2018 am Obersten Gericht
eine Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern.
Die EU sieht darin ein Mittel zur Einflussnahme des Staates
auf die Justiz.
Polens Justizminister nannte den Schritt der EU-Kommission
eine "Aggression gegen Polen".
Am Unabhängigkeitstag kamen in vielen Städten Brasiliens
Zehntausende zu Massenkundgebungen zusammen:
Sie zeigten ihre Unterstützung für Präsident Bolsonaro.
Der rechtsextreme Politiker hatte seine Anhänger dazu aufgerufen,
um angesichts sinkender Umfragewerte Stärke zu demonstrieren.
Bolsonaro liefert sich
eine Auseinandersetzung mit dem obersten Gerichtshof.
Der ermittelt u.a. wegen Verbreitung von Falschinformationen gegen ihn.
In mehreren Städten gab es Gegenproteste.
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft
hat sich deutlich verschlechtert.
Das zeigt das Konjunkturbarometer
des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung.
Mehr von Stefan Wolff aus der Frankfurter Börse.
Die deutsche Wirtschaft ist schneller und besser
durch die Corona-Krise gekommen als erwartet.
V.a. die Exporte trugen zum starken Wachstum bei.
Doch jetzt zeigen sich erste Bremsspuren.
Ein Auslöser ist der Materialmangel.
Chips, Bauholz und andere Vorprodukte können nicht geliefert werden.
Das bremst Unternehmen, die mehr verkaufen könnten,
als sie herstellen können.
Für Unsicherheit in Wirtschaft und an Finanzmärkten
sorgt auch die Delta-Variante.
Der Aufschwung, so heißt es, kühle deutlich ab.
Aber Wirtschaftsforscher rechnen nur mit einer Wachstumsdelle,
also verlangsamtem Aufschwung in den kommenden Monaten.
Die Internationale Automobil- Ausstellung wurde heute eröffnet.
Glaubt man den Autobauern,
werden sie die Industrie in eine neue Zukunft lenken.
Mit weniger stinkigen Altlasten, die Luft und Klima verpesten.
Und mit weniger Berührungsängsten
zu umweltschonenderen Vehikeln auf zwei Rädern.
Die haben, v.a. in den Städten,
schon zum Überholen der Verbrenner angesetzt.
Lukas Graw über eine IAA der anderen Art.
Ein Auto, das sich zum Parken verkleinern lässt.
Könnte so ein Fahrzeug
die zeitraubende Parkplatzsuche künftig erleichtern?
Immerhin eine Antwort auf die Frage,
wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte.
Die IAA Mobility, erstmals in München,
will nicht nur Autos präsentieren, sondern die Verkehrswende mitdenken.
Ob im Auto, auf dem Fahrrad oder im öffentlichen Nahverkehr –
alles greife ineinander.
Der Fokus liege auf Elektromobilität.
Doch längst nicht alle sind überzeugt.
Am Morgen blockieren Protestierende
mehrere Autobahnzubringer Richtung München und IAA.
Auch vor dem Eingang zum Messegelände: Proteste.
Die Veranstaltung sei ein Ablenkungsmanöver.
Die IAA versucht, sich sehr divers darzustellen,
die Verkehrswende zu repräsentieren.
Aber dahinter steht eine Lobby, die die Verkehrswende ausbremst.
Die Veranstalterin sagt dagegen, man nehme das Thema ernst:
Wir denken weiter, auch die Gegendemonstranten sollten das.
Nicht in Feindbildern verharren,
sondern Beiträge leisten für die Mobilität der Zukunft.
Für Debatten zum Thema sei die Messe bereit.
Auch deshalb findet die IAA Mobility nicht nur in der Messehalle,
sondern auch mitten in München statt.
Jeder soll mitreden dürfen.
Die IAA will sich neu erfinden.
Ob das so schnell funktioniert?
Experten haben Zweifel:
Man erkennt, dass die IAA in einer ähnlichen Transformation steckt
wie die gesamte Branche.
Man muss hier die neuen Felder Connectivity, autonomes Fahren,
E-Mobilität jetzt zeigen.
Und man muss zeigen, dass man Teil der Gesellschaft ist,
wo das Auto ein Teil des Verkehrssystems ist.
Dass in München über die IAA gesprochen wird,
dafür sorgt schon eine besondere Autospur:
Zwischen Messegelände und Innenstadt
ist die "Blue Lane" für normale Pendler gesperrt.
Hier dürfen während der Messe nur E-Autos und Taxis fahren.
Ob die Ausstellung für die Verkehrswende richtungsweisend wird,
muss sich zeigen.
Aber schon ist klar:
Fußgänger, Radfahrer, Autos
kämpfen in Innenstädten längst um jeden Zentimeter.
Uns bleibt nur noch, weiterzugeben an Claudia Kleinert.
Morgen wird es sehr sonnig.
Danach wird es wechselhafter.
Von Norden kommen dichtere Wolken.
Daher also auch weniger Sonnenstunden im Norden.
Am Donnerstag erst ein sonniger Start.
Dann aus Westen Schauer und Gewitter.
Am Freitag dann für alle mehr Schauer und Gewitter.
Es wird nicht mehr so warm.
Jetzt erst in den nächsten Stunden und morgen Temperaturen bis 28 Grad.
Im Südwesten schaffen wir örtlich die 30 Grad.
Für alle gilt: Temperaturrückgang zu Beginn der nächsten Woche.
In der Nacht sternenklar.
Für die meisten ist es ein sonniger Tag morgen.
Nach Nordosten ein paar Wolken, Die lockern sich aber auf.
Die nächsten Tage bringen wechselhafteres Wetter:
Am Donnerstag erst Schauer und Gewitter.
Es gibt mehr Quellwolken.
Die Schauer und Gewitter können kräftiger sein.
Das Schauer- und Gewitterband weitet sich aus.
Das waren die tagesthemen.
Hier folgt der britische Thriller Eye in the Sky
mit Helen Mirren und Alan Rickman.
Um 00.05 Uhr bringt Constantin Scheiber Sie
im nachtmagazin auf den neuesten Nachrichtenstand.
Bis dahin.
Tschüss.
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