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Der Biograph, Bevor Haftbefehl berühmt wurde… | KURZBIOGRAPHIE

Bevor Haftbefehl berühmt wurde… | KURZBIOGRAPHIE

genauer gesagt: Main-Park.

Ein Gebäudekomplex aus fünf Hochhäusern

mit jeweils 14 Stockwerken.

Hier machte der Main eine Biegung

und so mancher Offenbacher am liebsten die Biege.

Drogen, Junkies und Kriminalität gehörten hier zum Alltag.

Insgesamt kein optimaler Ort für eine unbeschwerliche Kindheit.

Doch im siebten Stock eines der Hochhäuser wuchs jemand auf,

der da trotzdem durchmusste:

Aykut Anhan, heute besser bekannt als "Haftbefehl".

Wir fragen uns: Wieso waren er und seine Familie an diesem Ort?

Inwiefern prägte ihn diese Zeit in solch einem Umfeld?

Und vor allem: Wie genau schaffte er den Absprung?

Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2020)

Die Eltern von Aykut waren in den 80er Jahren aus der Türkei

als Gastarbeiter nach Hessen gekommen.

In den Taschen hatten sie damals nur das Nötigste.

Während der Vater, ein zazaischer Kurde,

aus dem Osten des Landes stammte,

kam seine Mutter wiederum von der Schwarzmeerküste.

Aykut und seine Brüder waren also halb türkisch, halb kurdisch,

ausgeben tun sie sich bis heute wohl dennoch eher als Kurden.

In der Hermann-Steinhäuser-Straße 4,

der Anschrift ihrer Unterkunft im Mainpark,

waren sie mit ihrer ausländischen Herkunft in bester Gesellschaft.

Doch auch unabhängig von ihrer Nationalität,

lautete die allgemeine Tätigkeit der Bewohner hier: Zeit totschlagen.

Die Sinnlosigkeit und die mangelnden Perspektiven ignorieren,

so beschreibt es Aykuts Bruder.

Um dem womöglich entgegenzuwirken,

versuchte es sein Vater nach der Ankunft als Gastarbeiter

in der Fabrik des Autoherstellers Opel.

Die anstrengende Arbeit gefiel ihm aber scheinbar gar nicht.

Nach nur sechs Monaten verlor er seinen Job wieder.

Aykuts Bruder erinnert sich,

ihr Vater war im Viertel trotzdem ein respektierter Mann,

jemand mit Charisma.

Er musste einen angeblich nur anschauen,

schon hätte man innegehalten.

Eine berufliche Alternative musste her.

So eröffnete Aykuts Vater eine Spielothek,

die auch türkische Live-Konzerte veranstaltete.

Eine der ersten Locations in Deutschland,

in denen die Gastarbeiter zur Musik ihrer Heimat tanzen konnten.

Und das Geschäft lief bald gut.

Am Ende des Tages

waren wohl regelmäßig 5000-10.000 Euro in der Kasse.

Viel Geld, das aber nicht in Aykuts Spielzeug reinvestiert,

sondern als Wetteinsatz verzockt wurde.

Jeden Abend ging das so.

Aykut ging zu der Zeit zwar schon in die Schule,

bekam von der Spielsucht seines Vaters jedoch nichts mit.

Er bemerkte nur:

Die finanzielle Situation seiner Familie wurde immer schlechter.

Eine Abwärtsspirale, die 1999 ihren Tiefpunkt erreichte.

Sein Vater sah keinen anderen Ausweg mehr und nahm sich das Leben.

Was für ein Schock.

Rückblickend musste es für Aykut und seine Brüder

ein Dammbruch gewesen sein.

Erst im Nachhinein verstanden sie:

Ihr Vater hatte unter starken Depressionen gelitten.

Die ganze Struktur der Familie kam so ins Wanken.

Der Vater als Kontrollinstanz fehlte plötzlich,

während seine Mutter auf einmal auf sich gestellt war

und sich allein um ihre Kinder kümmern musste.

Was macht das mit einem pubertierenden 14-Jährigen,

der ohnehin mit seiner Umgebung zu kämpfen hat?

Für Aykut war der Verlust seines Vaters natürlich unfassbar hart.

Doch die Straße nahm ihn in den Arm, wie er es selbst gerne formuliert.

Das heißt nichts anderes als:

dem Verkauf von Drogen am berüchtigten Marktplatz

in Offenbach stand nichts mehr im Wege.

Aber: Die erste Anzeige wegen räuberischer Erpressung

flatterte ebenso schnell ins Haus.

Ein 2-wöchiger Kurzarrest im Knast war die Folge.

Man bedenke: Aykut war da, wie gesagt, gerade einmal 14 Jahre alt.

Als er wieder rauskam,

schwor er sich, in seinem Leben nie wieder ins Gefängnis zu gehen.

Würde ihm das gelingen?

Seiner Erinnerung nach

wollte oder konnte er sich nämlich immer noch nicht ans Gesetz halten.

So besuchte er die Schule ab der siebten Klasse

nur noch unregelmäßig, irgendwann gar nicht mehr.

Eine Ausbildung durchzuziehen, das hatte ebenfalls nicht geklappt.

Zu verführerisch war der Gedanke,

an einem Tag als Dealer vermeintlich mehr verdienen zu können

als bei legaler Arbeit im gesamten Monat.

So häuften sich die Anzeigen gegen Aykut über die Jahre immer weiter,

bis sie ein solch hohes Ausmaß angenommen hatten,

dass der Staat einen Haftbefehl gegen ihn anordnete.

Mit 18 Jahren sah er also plötzlich keine andere Möglichkeit mehr,

als das Land zu verlassen.

Noch einmal in einer Zelle abhängen, wollte er auf keinen Fall mehr.

Erst recht nicht über drei Jahre lang.

* Fluggeräusche *

Waren in Deutschland die letzten Jahre nur so an ihm vorbeigerauscht,

kam er im Ausland das erste Mal ins Grübeln.

Zurück in die Heimat konnte Aykut auch erst mal noch nicht.

Und so begann er das, was man als Schreibtherapie bezeichnen könnte,

sein schwieriges Leben in Rap-Texten zu verarbeiten.

Über zwei Jahre verbrachte er in Istanbul,

notierte viele Zeilen und ließ die Zeit einfach so davonstreichen.

Je mehr er sich mit der Deutsch-Rap-Welt auseinandersetzte,

desto mehr wurde ihm klar:

Das muss doch noch viel besser gehen, viel authentischer.

* Fluggeräusche *

* Dampflokomotiven-Hupen *

Zurück in Deutschland

musste sich Aykut aber erst mal um den Haftbefehl kümmern,

der immer noch gegen ihn lief.

Denn er wusste: Nur Idioten gehen in den Knast.

Einsichtig und gleichzeitig offensiv

begab er sich also unangekündigt ins Büro des Amtsrichters.

So erinnert sich Aykut an das Gespräch:

Der Richter überlegte einen Augenblick

und musterte ihn von oben bis unten.

Was für eine Erleichterung.

Bis heute ist Aykut dankbar für die Gutmütigkeit des deutschen Staats.

Auch wenn er geschworen hatte, sich an die Vereinbarungen zu halten,

gelang ihm das nur ein paar Monate lang.

Erneut war das schnell verdiente Geld auf der Straße zu verlockend

und wenig später im eigenen Wettbüro.

Als Konstante blieb lediglich das Rappen,

was nach und nach zu erster Aufmerksamkeit führte.

Schnell wurden so auch erste Labels auf ihn und seine Songs aufmerksam.

Was schon damals das Besondere daran war?

Aykut, oder fortan "Haftbefehl", kam wirklich von der Straße

und rappte davon, was er erlebt hatte,

was nicht zuletzt an seinem Rappernamen deutlich wird.

Man kaufte ihm als Hörer alles ab,

was bei den einen zu großer Bewunderung,

bei den anderen erst noch zu starker Abneigung führte.

"Haftbefehl" polarisiert bis heute

und begeistert mit seiner gelebten Authentizität

längst nicht mehr nur die Leute, die Ähnliches durchlebt haben wie er.

Feiert ihr "Haftbefehl"?

Celo & Abdi, zwei alte Weggefährten aus Frankfurt, tun das bestimmt.

Schaut euch also unbedingt den "Germania"-Beitrag

über die beiden Jungs an.

Und ein weiteres interessantes Video ist hier ebenfalls verlinkt.

Bis zur nächsten Inspiration. Der Biograph.

Bevor Haftbefehl berühmt wurde… | KURZBIOGRAPHIE Before Haftbefehl became famous... | BRIEF BIOGRAPHY Voordat Haftbefehl beroemd werd... | BRIEVE BIOGRAFIE

genauer gesagt: Main-Park.

Ein Gebäudekomplex aus fünf Hochhäusern

mit jeweils 14 Stockwerken.

Hier machte der Main eine Biegung

und so mancher Offenbacher am liebsten die Biege.

Drogen, Junkies und Kriminalität gehörten hier zum Alltag.

Insgesamt kein optimaler Ort für eine unbeschwerliche Kindheit.

Doch im siebten Stock eines der Hochhäuser wuchs jemand auf,

der da trotzdem durchmusste:

Aykut Anhan, heute besser bekannt als "Haftbefehl".

Wir fragen uns: Wieso waren er und seine Familie an diesem Ort?

Inwiefern prägte ihn diese Zeit in solch einem Umfeld?

Und vor allem: Wie genau schaffte er den Absprung?

Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2020)

Die Eltern von Aykut waren in den 80er Jahren aus der Türkei

als Gastarbeiter nach Hessen gekommen.

In den Taschen hatten sie damals nur das Nötigste.

Während der Vater, ein zazaischer Kurde,

aus dem Osten des Landes stammte,

kam seine Mutter wiederum von der Schwarzmeerküste.

Aykut und seine Brüder waren also halb türkisch, halb kurdisch,

ausgeben tun sie sich bis heute wohl dennoch eher als Kurden.

In der Hermann-Steinhäuser-Straße 4,

der Anschrift ihrer Unterkunft im Mainpark,

waren sie mit ihrer ausländischen Herkunft in bester Gesellschaft.

Doch auch unabhängig von ihrer Nationalität,

lautete die allgemeine Tätigkeit der Bewohner hier: Zeit totschlagen.

Die Sinnlosigkeit und die mangelnden Perspektiven ignorieren,

so beschreibt es Aykuts Bruder.

Um dem womöglich entgegenzuwirken,

versuchte es sein Vater nach der Ankunft als Gastarbeiter

in der Fabrik des Autoherstellers Opel.

Die anstrengende Arbeit gefiel ihm aber scheinbar gar nicht.

Nach nur sechs Monaten verlor er seinen Job wieder.

Aykuts Bruder erinnert sich,

ihr Vater war im Viertel trotzdem ein respektierter Mann,

jemand mit Charisma.

Er musste einen angeblich nur anschauen,

schon hätte man innegehalten.

Eine berufliche Alternative musste her.

So eröffnete Aykuts Vater eine Spielothek,

die auch türkische Live-Konzerte veranstaltete.

Eine der ersten Locations in Deutschland,

in denen die Gastarbeiter zur Musik ihrer Heimat tanzen konnten.

Und das Geschäft lief bald gut.

Am Ende des Tages

waren wohl regelmäßig 5000-10.000 Euro in der Kasse.

Viel Geld, das aber nicht in Aykuts Spielzeug reinvestiert,

sondern als Wetteinsatz verzockt wurde.

Jeden Abend ging das so.

Aykut ging zu der Zeit zwar schon in die Schule,

bekam von der Spielsucht seines Vaters jedoch nichts mit.

Er bemerkte nur:

Die finanzielle Situation seiner Familie wurde immer schlechter.

Eine Abwärtsspirale, die 1999 ihren Tiefpunkt erreichte.

Sein Vater sah keinen anderen Ausweg mehr und nahm sich das Leben.

Was für ein Schock.

Rückblickend musste es für Aykut und seine Brüder

ein Dammbruch gewesen sein.

Erst im Nachhinein verstanden sie:

Ihr Vater hatte unter starken Depressionen gelitten.

Die ganze Struktur der Familie kam so ins Wanken.

Der Vater als Kontrollinstanz fehlte plötzlich,

während seine Mutter auf einmal auf sich gestellt war

und sich allein um ihre Kinder kümmern musste.

Was macht das mit einem pubertierenden 14-Jährigen,

der ohnehin mit seiner Umgebung zu kämpfen hat?

Für Aykut war der Verlust seines Vaters natürlich unfassbar hart.

Doch die Straße nahm ihn in den Arm, wie er es selbst gerne formuliert.

Das heißt nichts anderes als:

dem Verkauf von Drogen am berüchtigten Marktplatz

in Offenbach stand nichts mehr im Wege.

Aber: Die erste Anzeige wegen räuberischer Erpressung

flatterte ebenso schnell ins Haus.

Ein 2-wöchiger Kurzarrest im Knast war die Folge.

Man bedenke: Aykut war da, wie gesagt, gerade einmal 14 Jahre alt.

Als er wieder rauskam,

schwor er sich, in seinem Leben nie wieder ins Gefängnis zu gehen.

Würde ihm das gelingen?

Seiner Erinnerung nach

wollte oder konnte er sich nämlich immer noch nicht ans Gesetz halten.

So besuchte er die Schule ab der siebten Klasse

nur noch unregelmäßig, irgendwann gar nicht mehr.

Eine Ausbildung durchzuziehen, das hatte ebenfalls nicht geklappt.

Zu verführerisch war der Gedanke,

an einem Tag als Dealer vermeintlich mehr verdienen zu können

als bei legaler Arbeit im gesamten Monat.

So häuften sich die Anzeigen gegen Aykut über die Jahre immer weiter,

bis sie ein solch hohes Ausmaß angenommen hatten,

dass der Staat einen Haftbefehl gegen ihn anordnete.

Mit 18 Jahren sah er also plötzlich keine andere Möglichkeit mehr,

als das Land zu verlassen.

Noch einmal in einer Zelle abhängen, wollte er auf keinen Fall mehr.

Erst recht nicht über drei Jahre lang.

* Fluggeräusche *

Waren in Deutschland die letzten Jahre nur so an ihm vorbeigerauscht,

kam er im Ausland das erste Mal ins Grübeln.

Zurück in die Heimat konnte Aykut auch erst mal noch nicht.

Und so begann er das, was man als Schreibtherapie bezeichnen könnte,

sein schwieriges Leben in Rap-Texten zu verarbeiten.

Über zwei Jahre verbrachte er in Istanbul,

notierte viele Zeilen und ließ die Zeit einfach so davonstreichen.

Je mehr er sich mit der Deutsch-Rap-Welt auseinandersetzte,

desto mehr wurde ihm klar:

Das muss doch noch viel besser gehen, viel authentischer.

* Fluggeräusche *

* Dampflokomotiven-Hupen *

Zurück in Deutschland

musste sich Aykut aber erst mal um den Haftbefehl kümmern,

der immer noch gegen ihn lief.

Denn er wusste: Nur Idioten gehen in den Knast.

Einsichtig und gleichzeitig offensiv

begab er sich also unangekündigt ins Büro des Amtsrichters.

So erinnert sich Aykut an das Gespräch:

Der Richter überlegte einen Augenblick

und musterte ihn von oben bis unten.

Was für eine Erleichterung.

Bis heute ist Aykut dankbar für die Gutmütigkeit des deutschen Staats.

Auch wenn er geschworen hatte, sich an die Vereinbarungen zu halten,

gelang ihm das nur ein paar Monate lang.

Erneut war das schnell verdiente Geld auf der Straße zu verlockend

und wenig später im eigenen Wettbüro.

Als Konstante blieb lediglich das Rappen,

was nach und nach zu erster Aufmerksamkeit führte.

Schnell wurden so auch erste Labels auf ihn und seine Songs aufmerksam.

Was schon damals das Besondere daran war?

Aykut, oder fortan "Haftbefehl", kam wirklich von der Straße

und rappte davon, was er erlebt hatte,

was nicht zuletzt an seinem Rappernamen deutlich wird.

Man kaufte ihm als Hörer alles ab,

was bei den einen zu großer Bewunderung,

bei den anderen erst noch zu starker Abneigung führte.

"Haftbefehl" polarisiert bis heute

und begeistert mit seiner gelebten Authentizität

längst nicht mehr nur die Leute, die Ähnliches durchlebt haben wie er.

Feiert ihr "Haftbefehl"?

Celo & Abdi, zwei alte Weggefährten aus Frankfurt, tun das bestimmt.

Schaut euch also unbedingt den "Germania"-Beitrag

über die beiden Jungs an.

Und ein weiteres interessantes Video ist hier ebenfalls verlinkt.

Bis zur nächsten Inspiration. Der Biograph.