Der Stoffelefant und die biologische Uhr
Über Uns Kontakt DE FR IT EN Sprachen Sendungen Dienstleistungen Home Sendungen Zukker im Leben (D) Der Stoffelefant und die biologische Uhr Kommentare (0) Der Stoffelefant und die biologische Uhr 7. Juni 2019, Episode 43
Zukker im Leben (D)
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich Willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 7. Juni 2019. Ich habe einen Tag lang mit meiner Freundin ihren dreijährigen Sohn gehütet [1]. Das war sehr viel Action und am Abend war ich völlig erschöpft. Was wir gemacht haben, erzähle ich Ihnen heute natürlich gerne. Und wenn wir gerade beim Thema Kinder sind, möchte ich Ihnen gerne erzählen, warum es als Frau Anfang Dreissig manchmal sehr anstrengend ist, wenn man selber keine Kinder will und viele Frauen rund um einen schwanger sind. Wie ich darüber denke, erfahren Sie ebenfalls heute. Viel Vergnügen!
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Manuel ist der wichtigste Mann im Leben von Stefanie, meine allerbeste Freundin neben Anna. Manuel ist ihr Sohn und gerade drei Jahre alt geworden. Ich treffe Stefanie und Manuel einmal in der Woche und im Moment macht der kleine Junge grosse Sprünge in seiner Entwicklung und er redet sehr viel. Die Hälfte davon versteht man, die andere Hälfte ist eine Phantasiesprache. Stefanie sagt heute zu mir: „Nora, im Moment redet Manuel alles nach, was die Erwachsenen um ihn herum reden. Wir sollten also etwas aufpassen, dass wir nicht so viel „Scheisse“ oder „geil“ oder solche Worte verwenden.“ Ich lache und sage zu ihr: „Jetzt werden wir überwacht [2], Manuel entgeht [3] gar nichts.“ Dass es aber wirklich so ist, dass der Kleine willkürlich [4] Worte auffasst und in lustige neue Sätze verpackt, kann ich mir nicht vorstellen. Da habe ich den kleinen Manuel aber unterschätzt [5]. Er kommt aus seinem Kinderzimmer und hält in der Hand einen Elefant aus Stoff. Er schaut mich und Stefanie an und sagt dann zu seinem Stofftier: „Mama und Nora sind auch so alt wie du!“ Dann lacht er laut und läuft wieder weg. Stefanie und ich sehen uns an und sie sagt zu mir: „Ja, so ein kleines Kind verschont [6] dich vor gar nichts.“ Wir setzen uns auf den Balkon und trinken ein Bier in der Sonne. Stefanie erzählt, dass Manuel im Moment auch keinen Mittagsschlaf mehr macht und sie zu gar nichts mehr kommt, weil er überall hoch klettert und die ganze Zeit frage, warum ist der Baum so gross oder warum müssen Menschen überhaupt schlafen. Und wenn sie ihm sage, dass Menschen gross und stark werden, wenn sie viel schlafen, lache er und sage: „Manuel will nie schlafen, er ist schon gross!“ Ich bewundere Stefanie für ihre Geduld, weil das kleine Kind darüber entscheidet, wann sie überhaupt ein bisschen Zeit für sich alleine hat. Manuel kommt auf den Balkon und schaut auf unsere Bierflaschen, dann geht er wieder rein und kommt mit seinen Schuhen raus und sagt: „Ich will raus gehen.“ Stefanie fragt mich, ob es okay ist, wenn wir mit dem Tram an den See runter fahren, der Kleine sollte an die frische Luft. Wir setzen ihn in den Kinderwagen und laufen zur Tramstation. Im Tram sind viele Leute, es ist kurz vor 18 Uhr und viele sind auf dem Weg nach Hause. Manuel singt vor sich hin, bis er uns beide anschaut und dann sehr laut sagt: „Ich trinke viel Bier. Heute zwei Flaschen!“ Stefanie will sofort im Boden versinken [7], aber ich sage zu ihr: „Dein Kind ist sehr cool!“ Natürlich schauen uns die Menschen im Tram entsetzt [8] an und Stefanie sagt zu mir: „Wunderbar, jetzt bin ich die Alkoholiker-Mutter.“ Wir lachen und steigen aus.
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Ich bin 33 Jahre alt. Das ist eine Zahl, die mich in letzter Zeit mehr beschäftigt, als ich will. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich wohl vor allem darüber freuen, dass ich endlich nicht mehr in der Pubertät bin. Man muss nicht mehr besonders cool sein, freut sich, wenn man einen einen guten Job und liebe Freunde hat. Kein Teenager mehr zu sein, ist eigentlich eine grosse Entspannung, weil man weiss, was man im Leben will. Jetzt bin ich aber kein Mann und um mich herum sind viele Frauen schwanger. Nicht meine besten Freundinnen. Stefanie hat schon ein Kind und will auch kein zweites und Anna will vielleicht irgendwann eines, hat aber noch keinen passenden [9] Mann dafür kennengelernt, mit dem sie sich eine Familie vorstellen kann. Aber Frauen, die ich kenne von der Universität früher, von der Arbeit heute oder einfach über drei Ecken [10], die sind alle schwanger und jedes Mal, wenn ich eine von ihnen antreffe sagen sie mir Sätze wie: „Ich bin halt schon seit fünf Jahren mit Dominik zusammen, vor einem Jahr sind wir zusammen gezogen und jetzt sind wir schwanger.“ Wir sind schwanger? Das ist eine Formulierung, die ich auf den Tod hasse [11]. Bevor das Kind auf der Welt ist, kann ein Mann nicht wirklich viel helfen bei der Schwangerschaft. Und was mich noch viel mehr stört ist die Vorstellung, dass es die logische Konsequenz [12] sein soll, dass ein Paar zuerst zusammen zieht und dann eine Familie gründet [13]. Die Annahme von vielen Frauen, dass man früher oder später von der biologischen Uhr [14] das Zeichen bekommt, dass man sich fortpflanzen will, finde ich problematisch. Je näher ich Kinder aufwachsen sehe, umso mehr kann ich mir vorstellen, was das konkret bedeutet. Und ich will eigentlich im Moment gerne selber entscheiden, wann ich schlafe, arbeite, Freunde treffe. Da könnte man mir jetzt vorwerfen, dass ich egoistisch [15] bin und dass doch jede Frau einen Kinderwunsch in sich hat. Nein, mich interessiert es nicht, wie es sich anfühlt, wenn ein Mensch in meinem Körper wächst. Das finde ich eigentlich eher unheimlich, als aufregend. Vielleicht würde ich gerne irgendwann einmal ein Kind adoptieren [16]. Es gibt sehr viele Kinder auf der Welt, die alleine sind und die ein Zuhause brauchen. Als ich vor Kurzem in der Migros war und eine Bekannte angetroffen habe, hält sie mir ihr iPhone unter die Nase und sagt: „Schau! Ist das nicht herzig [17]? Jetzt sieht man schon die Füsse!“ Ich schaue extra dumm auf das Untraschallbild [18] und sage: „Um Himmels Willen! Das sind ja zehn Zehen! Ist das Kind wirklich gesund?“ Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das war vielleicht etwas unpassend [19], aber ich fand diese Aktion der Bekannten aus zwei Gründen nicht angebracht [20]: Erstens sind gesunde Füsse ein schwieriges Thema für mich nach meinem Unfall, seit dem ich nur noch neun Zehen habe und zweitens finde ich es heikel [21], wenn man sich als Frau einfach generell über ein Ultraschallbild freuen soll, ein Bild, das mehr nach einer Mondlandschaft, als nach einem Menschen aussieht.
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 21. Juni auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Dann werde ich Ihnen erzählen, wie ich eine ganz komische Ärztin im Krankenhaus angetroffen habe, als ich das letzte Mal bei einer Untersuchung war. Schauen Sie doch bei Instagram vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Auf Wiederhören! Glossar: Zukker im Leben (D) [1] jemanden hüten: auf ein Kind aufpassen
[2] überwachen: überprüfen, kontrollieren
[3] nicht entgehen: etwas nicht verpassen, alles mitbekommen
[4] willkürlich: zufällig, ohne genau zu wissen, warum
[5] jemanden unterschätzen: jemandem etwas nicht zutrauen, nicht glauben, dass jemand etwas gut kann
[6] verschonen: vor etwas schütze
[7] im Boden versinken: sich sehr schämen, weil einem etwas peinlich ist
[8] entsetzt sein: schockiert sein, etwas sehr schlimm finden
[9] passend: gut zusammen gehörend
[10] jemanden über drei Ecken kennen: entfernte Kollegen, keine richtigen Freunde
[11] etwas auf den Tod hassen: etwas nicht ausstehen können, etwas sehr blöd finden
[12] die Konsequenz: eine Handlung, die sich aus der vorherigen ergibt
[13] gründen: etablieren, neu schaffen
[14] die biologische Uhr: Symbol für die fruchtbare Zeit einer Frau
[15] egoistisch sein: nur an sich selber denken
[16] adoptieren: ein Kind zu sich nehmen, das nicht das eigene ist
[17] herzig: Mundartausdruck für süss, niedlich
[18] das Ultraschallbild: ein Foto des ungeboren Kindes, das man beim Frauenarzt macht, um zu sehen, wie das Kind im Bauch liegt
[19] unpassend: nicht angemessen, nicht okay in einem Moment
[20] angebracht: genau richtig in einer Situation
[21] heikel: sehr schwierig 0 Kommentare Kommentar schreiben Besuchen Sie uns auf Instagram Besuchen Sie die Klubschule auf PodClub App Mit Förderung des
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