Meine neue Wohnung und die Silvesternacht
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 18. Januar 2019. Ich bin kurz vor Weihnachten in meine neue Wohnung umgezogen. Dabei kam es zu einer Panne [1]. Was genau passiert ist, erzähle ich Ihnen heute. Wie haben Sie Silvester gefeiert? Es ist ja immer mit hohen Erwartungen an ein tolles Fest verbunden. Ich war eingeladenund das war ein sehr emotionaler Silvesterabend. Was genau los war, erfahren Sie ebenfalls heute. Viel Vergnügen!
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Ich bin kurz vor Weihnachten umgezogen. Einmal mehr musste ich also eine bezahlbare Wohnung in der Stadt Zürich finden. Das ist eigentlich schier [2] unmöglich. Und wegen meinen verletzten Beinen ist es wichtig, dass ich eine Wohnung mit Lift finde und mit einer Badewanne, weil ich zum Duschen sitzen muss. Ich habe auf Facebook ein Inserat [3] hochgeladen und sehr viele meiner Facebookfreunde haben den Post geteilt. Dafür sind die sozialen Medien wirklich praktisch, weil sich schnell verbreitete, dass ich auf Wohnungssuche bin. Es dauerte keine fünf Tage und ich habe meine neue Wohnung gefunden. 1. Stock mit Lift und Badewanne und ganz zentral [4] am Helvetiaplatz in Zürich. Ein Bekannter von mir hat mich angerufen, dass er ganz kurzfristig mit seiner Freundin zusammen ziehe, weil sie im Februar ein Kind bekommen. Damit die Verwaltung [5] nichts dagegen haben konnte, bin ich für das nächste Jahr seine Untermieterin [6] und konnte bereits am 21. Dezember einziehen. Das war mein ganz persönliches Weihnachtswunder! Ich habe Kisten gepackt und Freunde gefunden, die kurz vor Weihnachten Zeit hatten mir beim Umzug zu helfen. Wegen meiner Verletzung, brauchte ich dieses Jahr besonders viel Hilfe, weil ich nichts Schweres tragen darf. Als wir mit dem grossen Lieferwagen vor dem neuen Haus angekommen sind, haben meine Freunde bereits das Bett und meine Bücherregale ausgeladen und ich wollte die Haustüre aufschliessen. Der Schlüssel passte aber nicht ins Schloss. Ich war so aufgeregt auf die neue Wohnung, dass ich mir sicher war, das sei einfach noch der Wohnungsschlüssel meiner alten Wohnung. „Nora, es beginnt gleich zu regnen“, sagte ein Freund und zeigte ganz ungeduldig[7] an den dunklen Himmel. Ich steckte den Schlüssel wieder ins Schloss. Nichts funktionierte. Dannprobierte ich jeden einzelnen Schlüssel an meinem Schlüsselbund.Überhaupt nichts funktionierte. Ich setzte mich in den Hauseingang und weinte. Meine Freundin Anna setzte sich neben mich und sagte: „Wir müssen die Matratze irgendwo ins Trockene stellen, sonst geht sie im Regen kaputt.“ Ich weinte noch etwas weiter, was natürlich überhaupt nicht half. Dann klingelte mein Telefon. Es war Stefan, der Bekannte, von dem ich die Wohnung übernommen habe. „Nora, wo bist Du?“ Stefan klingt sehr angespannt [8]. Ich trockne meine Tränen und sage: „Ich sitze im Regen vor verschlossener Haustüre.“ Stefan lacht ganz laut, was ich etwas gemein [9] finde. Dann sagt er: „Ich auch!“ Ich verstehe gar nichts mehr, bis ich langsam begreife [10], was hier gerade passiert ist. „Nora, ich habe dir die Schlüssel für meine neue Wohnung gegeben und ich habe die Schlüssel für deine neue Wohnung!“ Dann geht alles ganz schnell. Anna fährt durch den strömenden [11] Regen und tauscht die Schlüssel mit Stefan. Als sie zurück ist, hilft sogar noch ein Nachbar mit, der auch im 1. Stock wohnt und in kürzester Zeit sind alle meine Möbel und Sachen in der neuen Wohnung. Nach so viel Action bestelle ich Pizza und wir sitzen auf dem Boden im Wohnzimmer zwischen Kisten und Kartons und lachen alle über diese Panne.
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Dieses Jahr wusste ich nicht genau, wie ich Silvester feiern will. Einige Freunde haben mich eingeladen,aber ich konnte mich nicht entscheiden. Kurz vor 17 Uhr ruft mich eine Freundin an, mit der ich neun Wochen in der Rehabilitationsklinik [12] war. Sie hatte einen schweren Autounfall und hat sich beide Schultern gebrochen. Ob ich ganz spontan [13] Lust hätte, zu ihr und ihrem Freund zum Essen zu kommen. Unkompliziert, entspannt und mit guter Aussicht von der Dachterrasse auf den See für das Feuerwerk um Mitternacht. Das war perfekt, weil ich wusste, wenn ich nicht die einzige Verletzte bin, dann muss man auch nicht lange erklären, warum man vielleicht einfach früher wieder nach Hause will, wenn die Beine wehtun. Laura war schon etwas angetrunken und sagte am Telefon: „Wie lustig, grade jetzt wo ich mit dir telefoniere, schreiben die zwei Jungs aus der Reha-Zeit, dass sie auch spontan vorbei kommen.“ Zwei Stunden später stehe ich mit einer Tischbombe und einer Flasche Champagner bei Laura in der Wohnung. „Ich habe endlich alle Medikamente abgesetzt und kann wieder Alkohol trinken“, lacht sie und hat offensichtlich vorab [14] schon viel Champagner getrunken. Ihr Freund ist etwas überfordert in der Küche, aber weil Laura zwei verletzte Schultern hat, muss er das Essen vorbereiten. Dann klingelt es und Marco und Fabian stehen vor der Tür. Wir sassen alle vor einigen Wochen noch im Rollstuhl und deshalb ist es immer ein lustiges Bild,wenn alle wieder aufrecht auf ihren Beinen stehen können. Während der ersten Flasche Champagner erzählen wir uns gegenseitig von unseren Fortschritten. Laura nimmt keine Medikamente mehr, Fabian darf endlich ohne Schiene [15] am Knie in der Nacht schlafen und Marco hat erfahren, dass seine verletzten Rückenwirbel nun doch nicht versteift[16] werden müssen. Der Freund von Laura kann natürlich nicht wirklich mitreden, aber dasscheint niemandem ausser mir wirklich aufzufallen [17]. Ich gehe zu ihm in die Küche und frage, ob ich etwas helfen kann. Nein, natürlich nicht, ich sei ja auch verletzt. Dann fragt er mich plötzlich: „Auf welchen von den zwei Typen steht [18] Laura?“ Ich lache und merke erst dann, dass er ernsthaft [19] verunsichert ist. Ich weiss von nichts. Wirklich nicht. Ich habe mich in der Klinik nie dafür interessiert, ob Laura jemand anderen als ihren Freund interessant findet, aber jetzt sehe ich die Blicke zwischen Laura und Marco auch, als ich zurück ins Wohnzimmer komme. Laura sitzt auf dem Schoss von Marco und er streichelt über ihren Oberschenkel. Ich stehe mit verschränkten Armen neben Fabianund frage ihn, was denn hier los ist. Laura sei sehr betrunken und hätte Marco am Hals geküsst. Um Himmels Willen, das ist alles gar nicht gut, denke ich. Fabian geht in die Küche und verwickelt [20] den Freund von Laura in ein Gespräch über verschiedene Anbaugebiete von Weisswein. Es hätte alles noch glimpflich [21] ausgehen können, wenn Laura nicht lautstark [22] durch die Wohnung gerufen hätte, dass kein Mann auf der Welt sie so verstehe, wie Marco. Sie torkelt [23] in die Küche und sagt zu ihren Freund: „Ich glaube, ich verlasse dich.“ Er lacht, Fabian lacht auchund ich bin mir nicht so sicher, was ich tun soll. Aber da ist Laura schon aus der Wohnung gegangen und ich ihr hinterher.
„Das ist so kindisch. Du darfst das Verständnis für deine Situation von anderen Verletzten nicht mit Liebe verwechseln. Ich glaube, du machst einen grossen Fehler.“ Ich verabschiede mich, rufe Anna an und schaffe es noch rechtzeitig auf ihren Balkon für das Feuerwerk. Was für ein Silvester!
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 1. Februar auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Dann werde ich Ihnen erzählen, wie ich mit Anna für ein Wochenende verreist bin. Und wissen Sie was? So ein Unfall hat auch zur Folge, dass man ganz viele Formulare von Versicherungen ausfüllen muss. Mit was ich mich alles auseinandersetzen muss, erfahren Sie ebenfalls beim nächsten Mal. Schauen Sie doch in der Zwischenzeit bei Instagram vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Auf Wiederhören! Glossaire: Zukker im Leben (D) [1] die Panne: das Missgeschick
[2] schier: fast, beinahe, um ein Haar
[3] das Inserat: Anzeige, Mitteilung
[4] zentral: gut erschlossen, nahe von vielem
[5] die Verwaltung: Büro, das das Zusammenleben im Haus organisiert
[6] die Untermieterin: jemand, der bei einem Mieter (Hauptmieter) wohn
[7] ungeduldig: gehetzt, unruhig
[8] angespannt: aufgeregt, nervös
[9] gemein: fies, ungerecht
[10] begreifen: verstehen
[11] strömend: sehr stark (nur für Regen)
[12] die Rehabilitationsklinik: Klinik in der man wieder gesund wird
[13] spontan: kurzfristig
[14] vorab: zuerst, vorher
[15] die Schiene: medizinisches Hilfsmittel, um den Körper zu stabilisieren
[16] versteifen: unbeweglich machen
[17] etwas fällt auf: etwas wird bemerkt
[18] auf jemanden stehen: in jemanden verknallt sein
[19] ernsthaft: wirklich
[20] jemanden in etwas verwickeln: ablenken, reinziehen
[21] glimpflich: ohne schlimme Folgen
[22] lautstark: sehr laut
[23] torkeln: schwanken, betrunken laufen