Angststörung: Warum mir Busfahren Panik macht 😨 I Auf Klo
Dann schaut dich 'ne Person an.
Du denkst dir: oh Gott, warum? Warum werde ich jetzt angeschaut?
Habe ich etwas im Gesicht?
Oh mein Gott, habe ich vielleicht etwas Falsches an?
Hallo Leute. Bevor es losgeht, kurz der Hinweis darauf,
dass es heute in der Folge
um Depressionen und um soziale Angststörung geht.
Wir sind keine ExpertInnen,
was die Themen angeht, aber wenn ihr dazu Hilfe benötigt,
schaut unten in der Infobox vorbei.
Leute, wir sind in der Situationen,
vor der ich vor ein paar Jahren richtig doll Angst gehabt hätte:
Hier drüben sitzt ein Team an Leuten, neben mir sitzt Kaya.
Wir sehen uns heute zum 1. Mal. Hier ist eine Kamera, hier, hier.
Wahrscheinlich wäre das ganz furchtbar gewesen.
Kaya, wie fühlst du dich gerade?
Mein Herz klopft sehr, sehr schnell. Ich habe schon ziemlich Angst.
Deswegen, aber...
Wie würdest du erklären, was das ist, soziale Angst?
Die soziale Angst ist eine ziemlich irrationale und unangemessene Angst,
eine Angststörung.
Die Betroffenen haben halt meistens Angst
vor sozialen Interaktionen, auch Menschenmassen.
Welche Auswirkung hat für dich die soziale Angststörung im Alltag?
Ich werde z.B. niemals verstehen, warum ich Angst in Bussen habe.
Weil ich halt irgendwann aussteigen muss
und ich diese Aufmerksamkeit nicht auf mich ziehen möchte.
Ich fahre weiter, weil es so auffällig wäre auszusteigen.
Und dann fahre ich halt mal 2 oder 3
oder vielleicht auch 10 Stationen einfach weiter.
Einfach nur, weil ich nicht aussteigen möchte.
Ich kann mich auch an eine Zeit erinnern,
wo ich ständig Menschen zugestimmt habe,
egal, ob ich deren Meinung geteilt habe oder nicht.
Einfach nur, weil ich Angst vor dieser Ablehnung hatte.
Ich wurde dann auch irgendwann gefragt,
nach 'ner Zeit, von einer Klassenkameradin:
"Warum stimmst du uns eigentlich immer zu?
Hast du keine eigene Meinung?" Und ich war immer nur so: Hilfe!
Ich konnte einfach nicht erzählen, dass ich eine Angststörung habe,
weil ich das noch niemandem erzählt hatte.
Ich habe immer ziemlich Angst, dass ich im Mittelpunkt stehe.
Wo ich auch hingehe, meistens denke ich immer: Ich stehe im Mittelpunkt.
Was natürlich nicht stimmt.
Den Alexanderplatz in Berlin überqueren täglich Tausende Menschen.
Bahnfahren, Umsteigen, fremde Leute treffen,
das alles gehört für sie zum Alltag.
"Für mich ist das gar nicht einfach."
Das ist Kaya, 19 Jahre alt und in Berlin aufgewachsen.
Er zeichnet schon seit er klein ist und schreibt seine eigenen Songs.
Seit Kaya 10 Jahre alt ist, leidet er unter sozialer Angst,
eine der häufigsten Angststörungen.
"Soziale Angst bedeutet nicht, dass ich Angst vor Menschen habe."
Es ist eher die unbegründete Angst, ungewollt im Mittelpunkt zu stehen,
die Kaya überfordert.
"Und mich manchmal in starke Panik versetzt."
Seine Songs auf der Bühne zu performen,
vor ein paar Jahren unvorstellbar.
"Stück für Stück
stelle ich mich den kleinen und großen Herausforderungen."
Wie war das, als du das 1.Mal gemerkt hast,
ich habe eine soziale Angststörung. Gab es da einen bestimmten Punkt?
Wirklich Angst hatte ich erstmals,
eine Panikattacke hatte ich erstmals mit 10 Jahren.
Ich war mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder einkaufen.
Es waren nicht sehr viele Menschen an der Kasse,
aber irgendwie kam es mir trotzdem ziemlich viel vor.
Es hat mich super eingeengt.
Da habe ich meine erste Panikattacke bekommen
und hatte natürlich auch ziemliche Angst,
weil ich nicht wusste, was das ist. Also ich hatte Angst vor der Angst.
Hattest du danach regelmäßig Panikattacken?
Nee, ich hab erst wieder mit 13 eine Panikattacke gehabt.
Ich kann mich noch gut erinnern,
wie ich mich damals angefangen hatte zu isolieren.
Ich wollte nicht mehr zur Schule,
wollte mich nicht mehr mit Menschen treffen.
Ich wollte es einfach alles nicht mehr.
Da habe ich gemerkt, irgendwas ist nicht richtig,
vielleicht sollte ich etwas dagegen tun.
Hat dir jemand geholfen, das Ganze einzuordnen?
Dir zu sagen, das ist eine Panikattacke?
Mein damaliger bester Freund hatte gesagt:
Ich weiß nicht, was das ist, aber vielleicht solltest du zum Arzt.
Da habe ich mich erst mal natürlich nicht getraut.
Aber ich hab es dann doch bei meiner Hausärztin angesprochen.
Sie hat mich dann zu einer Jugendpsychologin weitergeleitet.
War anstrengend, aber irgendwie hatte ich es dann trotzdem geschafft,
ein paar anzurufen und bei einem einen Termin zu vereinbaren.
Da wurde es nach ein paar Sitzungen diagnostiziert.
Aber seitdem bin ich dann nicht mehr zum Psychologen gegangen.
Ich glaube, es lag einfach an dem Typen.
Der hat mir einfach das Gefühl gegeben, dass ich falsch bin.
Wie war es bei dir?
Ich hatte auch anfangs ein bisschen Pech mit TherapeutInnen.
Ich hatte immer das Gefühl, sie nehmen das nicht richtig ernst.
Da wird gesagt: Das kleine blonde Mädchen, dir geht es doch gut,
was ist los? Was stellst du dich an?
Bei mir hat es beim 3.Versuch erst funktioniert,
dass ich eine Therapeutin hatte, wo das geklickt hat.
Wo ich gemerkt hab: Die nimmt das ernst.
Die gibt mir nicht das Gefühl:
Du bist kaputt und irgendwas stimmt nicht bei dir.
Aber es ist es schwierig für dich, da jemanden zu finden,
wo du das Gefühl hast, es passt?
Ich hab halt schon ziemlich viel angerufen.
Auch, wenn ich mich nicht nach Anrufen gefühlt hab,
eine E-Mail geschickt. Ja, das geht übrigens.
Einer meiner Favoriten-Sachen.
Erst mal gucken: Kann man Termine online ausmachen?
Aber die meisten haben halt einfach keine Zeit.
Ich wollte generell, auch speziell einen Therapeuten,
der sich im Thema Trans auskennt.
Deswegen ist es noch mal komplizierter.
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es sich rentiert, da dranzubleiben.
Ich hab richtig gemerkt, ich habe den Therapieplatz bekommen,
als es mir sehr, sehr schlecht ging.
Ich konnte damals das Haus nicht mehr verlassen,
nicht mehr richtig zur Schule gehen.
Es war sehr schwierig jeden Morgen, wenn ich zur Schule gefahren bin.
Da gab es den einen Punkt, das weiß ich noch genau,
wo die Straßenbahn vorbeigefahren ist, eine Kurve hoch,
ab dem Zeitpunkt ist mir sofort schlecht geworden.
Also mit Kloß im Hals.
Ich habe die Pausen immer auf dem Schulklo verbracht
und alles abgesagt, was da war an sozialen Interaktionen.
Die Therapie an sich war das, was mich da rausgerissen hat,
weil ich eine sehr gute Therapeutin hatte, die versucht hat,
mich Schritt für Schritt reinzubringen in soziale Situationen.
Die hat mich immer wieder ins kalte Wasser geschubst.
Bis ich dann am Ende nach 2 Jahren ungefähr mit meiner Klasse
zum Schüleraustausch nach Indien fliegen konnte.
Das war am Anfang völlig undenkbar.
Deswegen, wenn man die richtige Person gefunden hat,
kann ich das sehr empfehlen.
Aber ich weiß, dass es auch sehr schwierig sein kann.
Was ich in letzter Zeit vermehrt wahrnehme,
wenn ich Nachtrichten bekomme,
dass viele Leute schreiben, dass sie sich nicht vorstellen können,
dass ich eine soziale Angststörung hatte.
Sie sagen: "Du bist doch ständig vor Kameras,
unter fremden Leuten, stehst auf Bühnen usw.
Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das mal hattest."
Ist das was, was dir auch bekannt vorkommt? - Definitiv.
Ich stand auch auf Bühnen,
weil ich mich da angefangen habe, sozialer zu engagieren.
Ich war schon immer im Chor und eigentlich auch in der Schulband.
Aber ich habe mich nie wirklich getraut,
im Chor ein Solo oder so anzunehmen,
weil ich so große Angst hatte, dass ich da alleine singen werde.
Da habe ich mal auf Twitter gesagt:
"Oh mein Gott, ich habe zum 1.Mal ein Solo, das ist so krass,
oh mein Gott, es ist so cool." - Voll gut.
Da hat mir eine Person auf meinen Direkt-Nachrichten geschrieben:
"Du hast doch mal gesagt, dass du eine soziale Angst hast.
Wie soll das bitte gehen? Das ist doch Bullshit und so."
Ich war einfach nur so: Aha, also weißt du,
dass ich mich 3 Stunden vorher mental darauf vorbereitet habe,
auf einer Bühne zu stehen und zu singen?!
Okay, du weißt absolut, was in meinem Kopf vorgeht, alles klar!".
Hast du Tipps an Leute, die zuschauen,
die vielleicht auch eine soziale Angststörung haben,
die nicht so recht wissen, wie sie damit umgehen sollen?
Mein allererster Tipp ist:
feststellen, dass du nicht der Mittelpunkt des Universums bist.
Denn im Endeffekt ist es einfach nicht so schlimm wie du denkst.
Die Gedanken sind meist sehr viel schlimmer.
Du musst einfach immer feststellen:
Okay, was kann das Schlimmste sein, was dir passiert?
Meist ist es nicht so schlimm, wie eine Person das einfach denkt.
Der 2. Tipp ist: die Angst wahrnehmen und sie in etwas Positives umwandeln.
Du sitzt da vielleicht irgendwo in der Bahn oder im Bus.
Dann schaut dich 'ne Person an.
Du denkst dir: oh Gott, warum? Warum werde ich angeschaut?
Habe ich etwas im Gesicht?
Oh mein Gott, habe ich vielleicht etwas Falsches an?
Im Endeffekt: Vielleicht schaut dich die Person einfach nur an,
weil die Person dich attraktiv findet oder cool,
oder dein T-Shirt mag oder sowas.
Das ist das Wichtigste. Das mache ich ziemlich oft.
Nicht davon auszugehen, dass es immer gleich das Schlimmste sein muss.
Genau. Einfach zu wissen,
ich meine, im Endeffekt bin ich auch nur 'ne Schönheit.
Das sind wir alle. - Ja.
Ich hätte noch einen 3.Tipp,
den ich euch raten kann, aus meiner persönlichen Erfahrung raus:
sich damit Hilfe zu suchen, zu wissen, dass ihr nicht alleine seid.
Dass ihr auch nicht die einzigen Menschen auf der Welt seid,
die davon betroffen sind.
Ich weiß, man hat häufig den Eindruck,
gerade wenn man sich viel zurückzieht und isoliert.
Sprecht mit Leuten drüber, entweder im Freundes-, und Bekanntenkreis,
eurer Familie oder mit einer Psychologin oder einem Psychologen.
Die können euch auf jeden Fall helfen.
Ich habe positive Erfahrungen gemacht und kann das weiterempfehlen.
Kaya, vielen lieben Dank,
dass du dich heute der Herausforderung gestellt hast.
Gerne geschehen, es war nicht ganz leicht, aber geschafft.
Ich bin sehr stolz. - Danke.
Falls ihr noch mehr Videos sehen wollt zum Thema Mental Health,
klickt hier oben. Wir haben euch 'ne Playlist zusammengestellt.
Ansonsten sehen wir uns hoffentlich nächstes Mal wieder.
Bis dann. Tschüss.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2019)