×

We gebruiken cookies om LingQ beter te maken. Als u de website bezoekt, gaat u akkoord met onze cookiebeleid.


image

Nachrichten, Syrerin in Berlin "Ich warte auf niemanden mehr"

Syrerin in Berlin "Ich warte auf niemanden mehr"

Fatima Al-Mehio kam 2015 nach Deutschland - mit ihren vier Kindern. Mit der Hilfe anderer Frauen hat sie sich ein neues Leben in Berlin aufgebaut - aus dem Krieg in die Selbstbestimmung.

Transkript:

Fatimas neues Leben ist hier, in Berlin-Schöneweide. Seit knapp drei Jahren nennt die 34-jährige Syrerin den Kiez im Osten der Hauptstadt ihr Zuhause. In Deutschland genießt sie einen Schutzstatus, hier in Schöneweide bekam sie ihre eigene Wohnung.

Ihre Freundin Laiali steht ihr beim Neuanfang in der Fremde zur Seite.

OT Fatima Al-Mehio, aus Aleppo, Syrien „Ich bin natürlich anders geworden. Früher, da war ich war nur Hausfrau, also zuhause mit vier Kindern. Ich habe nie überlegt, dass ich arbeite oder ausgehe und so. Ich habe nur gewartet! Mehr nicht. Aber hier, nee, ich warte auf niemanden. Ich muss das selber machen.“

„Selber machen“ heißt auch, ein Netzwerk an Freundinnen aufzubauen, die zu einer Art Ersatzfamilie geworden sind. Neben der syrischen Freundin gehört seit vier Jahren auch eine Ur-Berlinerin dazu:

Jutta S., Freundin der Familie

„Da sagte meine Tochter: Ja komm doch mal, da ist ne Familie mit ihren Kindern, die findest du bestimmt süß. 2017 hab ich dann meiner Familie vorgeschlagen, ich lade euch ein, eine Reise zu machen. Da haben wir die Familie mitgenommen und haben zehn Tage in Dänemark verbracht, und da haben wir uns natürlich richtig kennengelernt. Und die Kinder haben immer gesagt: Ja, wie sollen wir denn zu ihr sagen…Und, dann habe ich gesagt: Na, könnt auch Oma zu mir sagen. Und dann meinte sie, na, wenn die Kinder "Oma" sagen, dann sag ich jetzt "Mutti". Ich sage: Top!“

Sima und Hala sind 8 und 13 Jahre alt, ihre beiden älteren Geschwister, Hasna und Bashir wollen nicht vor die Kamera, die 15 und 16-Jährigen sind mit Freunden unterwegs. Die Familie ist zwar eine von vielen, die 2015 die lange Flucht nach Europa wagten, doch sie ist auch speziell: Wenige Frauen machten sich damals allein mit ihren Kindern auf den Weg über die Mittelmeer-Route.

ot Fatima Al-Mehio „Natürlich war das auch gefährlich. Aber ich habe überlegt: Egal, für mich ist es egal. Entweder wir sterben alle, oder wir leben alle. So habe ich gesagt, das war meine Idee. Natürlich war das hart. Aber ich habe gesagt: egal. Ich komme sowieso aus dem Krieg. Egal was passiert, ich muss das akzeptieren. Was kommt, kommt.“

Rückblick: Eine Notunterkunft in Berlin-Treptow. Hier lernten wir Fatima im Januar 2016 kennen, da war sie als Asylsuchende gerade ein halbes Jahr im Land.

Mit ihren vier Kindern lebte sie auf 27 Quadratmetern – aber in Sicherheit. Die junge Mutter stand stundenlang vor dem damals zuständigen Amt Lageso in der Schlange – wie viele andere auch zu dieser Zeit. Doch sie wartete nicht nur auf ihre Dokumente – sondern auch auf ihren Mann, der in Aleppo geblieben war.

Fatima Al-Mehio „Natürlich war ich total traurig, ich war anderthalb Jahre im Heim, ich habe gewartet und gewartet, vielleicht kommt er. Aber er hat es nicht gemacht. Ich habe ihm jeden Tag gesagt: Und, kommst du oder nicht? Nein, später, später. Er lügt mich nur an. Und da habe ich gesagt: mir ist egal, es reicht. Ich muss wirklich stark sein, ich muss Vater und Mutter sein für meine Kinder.“

Mittlerweile ist sie von ihrem Mann offiziell geschieden. Einen weiteren großen Schritt wagte Fatima erst dann, als sie eine eigene Wohnung hatte: Sie hat das Kopftuch abgelegt.

Fatima Al-Mehio „Dann einmal habe ich gesagt: nee, es reicht. Ich muss das jetzt ablegen, reicht mir. Dann habe ich das gemacht. Ich habe es geschafft, kann man so sagen!“

Von ihren Kindern bekam Fatima die volle Rückendeckung. Schwieriger war es, die Entscheidung gegenüber dem Rest der Familie und anderen Landsleuten zu rechtfertigen.

Fatima Al-Mehio „Viele Leute haben über mich geredet, viele Leute. Sie haben gesagt: sie ist nicht gut, bei uns sagen sie, sie ist nicht sauber. Weil sie ihr Kopftuch abgelegt hat, das macht man nicht. Aber ich finde es Quatsch. Weil, ich bin halt Vater und Mutter für meine Kinder, ich mache das alles alleine, und ich bin hier auch in Europa. Ich mach was ich will, ich bin groß genug.“

Das Gerede stört Freundin Laiali nicht. Sie hält zu Fatima, auch wenn sie sich selbst für eine traditionellere Rolle entschieden hat.

Ersatzoma Jutta ist so etwas wie die selbsternannte Integrationsbeauftragte der Familie: sie und ihre Tochter helfen bei Ämtergängen, Schreiben, Fristen - mit deutscher Gründlichkeit.

Jutta S., Freundin der Familie „Meine Tochter und ich, wir kümmern uns schon. Meine Tochter ruft mich an: Da war jetzt das und das musst du nächstes Mal machen, das musst du nächstes Mal kontrollieren, das wir uns da abstimmen. Und sie findet das ja nicht schlimm, sie findet es ja gut, dass wir da kontrollieren, damit nichts durch die Lappen geht.“

Fatima „Natürlich, ich muss dankbar sein.“

Lesen, Schreiben, Bürokratendeutsch: Die Frauen packen die Herausforderungen des Alltags gemeinsam an – und Fatima hat Träume:

Fatima Al-Mehio „Ich habe ein Ziel: ich mache jetzt B2. Und danach, wenn ich das schaffe – ich hoffe – dann mache ich eine Ausbildung als Erzieherin.“

Erzieherinnen kann Berlin gut gebrauchen – und auch die beiden jüngsten Töchter zeigen ein Gespür für den Jobmarkt:

Hala, 13 Jahre alt „Kinderärztin.“ Sima, 8 Jahre alt „Direktorin.“ Fatima Al-Mehio „Ich hoffe!“

Ende Februar fängt Fatima mit ihrem B2-Deutschkurs an. Dann kann für sie und ihre Familie die nächste Etappe ihres neuen Lebens beginnen. Weit weg von Aleppo.


Syrerin in Berlin "Ich warte auf niemanden mehr" Syrian woman in Berlin "I'm not waiting for anyone anymore".

Fatima Al-Mehio kam 2015 nach Deutschland - mit ihren vier Kindern. Mit der Hilfe anderer Frauen hat sie sich ein neues Leben in Berlin aufgebaut - aus dem Krieg in die Selbstbestimmung. With the help of other women, she built a new life in Berlin - from the war to self-determination.

Transkript:

Fatimas neues Leben ist hier, in Berlin-Schöneweide. Seit knapp drei Jahren nennt die 34-jährige Syrerin den Kiez im Osten der Hauptstadt ihr Zuhause. The 34-year-old Syrian has been calling the neighborhood in the east of the capital her home for almost three years. In Deutschland genießt sie einen Schutzstatus, hier in Schöneweide bekam sie ihre eigene Wohnung. In Germany she enjoys a protection status, here in Schöneweide she got her own apartment.

Ihre Freundin Laiali steht ihr beim Neuanfang in der Fremde zur Seite. Her friend Laiali is at her side when starting a new life abroad.

OT Fatima Al-Mehio, aus Aleppo, Syrien „Ich bin natürlich anders geworden. OT Fatima Al-Mehio, from Aleppo, Syria “Of course I have become different. Früher, da war ich war nur Hausfrau, also zuhause mit vier Kindern. Before, when I was just a housewife, at home with four children. Ich habe nie überlegt, dass ich arbeite oder ausgehe und so. I never thought about going to work or going out and stuff. Ich habe nur gewartet! I was just waiting! Mehr nicht. Not more. Aber hier, nee, ich warte auf niemanden. But here, no, I'm not waiting for anyone. Ich muss das selber machen.“ I have to do it myself. "

„Selber machen“ heißt auch, ein Netzwerk an Freundinnen aufzubauen, die zu einer Art Ersatzfamilie geworden sind. “Do it yourself” also means building up a network of friends who have become a kind of surrogate family. Neben der syrischen Freundin gehört seit vier Jahren auch eine Ur-Berlinerin dazu: In addition to the Syrian friend, a native Berliner has also been part of it for four years:

Jutta S., Freundin der Familie Jutta S., family friend

„Da sagte meine Tochter: Ja komm doch mal, da ist ne Familie mit ihren Kindern, die findest du bestimmt süß. "Then my daughter said: Yes, come on, there is a family with their children, you will definitely find them cute. 2017 hab ich dann meiner Familie vorgeschlagen, ich lade euch ein, eine Reise zu machen. In 2017 I suggested to my family that I invite you to go on a trip. Da haben wir die Familie mitgenommen und haben zehn Tage in Dänemark verbracht, und da haben wir uns natürlich richtig kennengelernt. We took the family with us and spent ten days in Denmark, and of course we really got to know each other there. Und die Kinder haben immer gesagt: Ja, wie sollen wir denn zu ihr sagen…Und, dann habe ich gesagt: Na, könnt auch Oma zu mir sagen. And the children always said: Yes, how should we say to her ... And, then I said: Well, you can also say Grandma to me. Und dann meinte sie, na, wenn die Kinder "Oma" sagen, dann sag ich jetzt "Mutti". And then she said, well, when the children say "Grandma", I now say "Mum". Ich sage: Top!“ I say: Great! "

Sima und Hala sind 8 und 13 Jahre alt, ihre beiden älteren Geschwister, Hasna und Bashir wollen nicht vor die Kamera, die 15 und 16-Jährigen sind mit Freunden unterwegs. Sima and Hala are 8 and 13 years old, their two older siblings, Hasna and Bashir, don't want to be in front of the camera, the 15 and 16-year-olds are out with friends. Die Familie ist zwar eine von vielen, die 2015 die lange Flucht nach Europa wagten, doch sie ist auch speziell: Wenige Frauen machten sich damals allein mit ihren Kindern auf den Weg über die Mittelmeer-Route. The family is one of many who ventured the long flight to Europe in 2015, but it is also special: at that time, few women set out on the Mediterranean route alone with their children.

ot Fatima Al-Mehio „Natürlich war das auch gefährlich. ot Fatima Al-Mehio “Of course that was also dangerous. Aber ich habe überlegt: Egal, für mich ist es egal. But I thought: It doesn't matter, it doesn't matter to me. Entweder wir sterben alle, oder wir leben alle. Either we all die or we all live. So habe ich gesagt, das war meine Idee. So I said, that was my idea. Natürlich war das hart. Aber ich habe gesagt: egal. But I said: it doesn't matter. Ich komme sowieso aus dem Krieg. I'm from the war anyway. Egal was passiert, ich muss das akzeptieren. No matter what, I have to accept that. Was kommt, kommt.“

Rückblick: Eine Notunterkunft in Berlin-Treptow. Review: An emergency shelter in Berlin-Treptow. Hier lernten wir Fatima im Januar 2016 kennen, da war sie als Asylsuchende gerade ein halbes Jahr im Land. We got to know Fatima here in January 2016, when she had just been in the country as an asylum seeker for half a year.

Mit ihren vier Kindern lebte sie auf 27 Quadratmetern – aber in Sicherheit. She lived with her four children on 27 square meters - but in safety. Die junge Mutter stand stundenlang vor dem damals zuständigen Amt Lageso in der Schlange – wie viele andere auch zu dieser Zeit. The young mother stood in line for hours in front of the Lageso department responsible at the time - like many others at the time. Doch sie wartete nicht nur auf ihre Dokumente – sondern auch auf ihren Mann, der in Aleppo geblieben war. But she wasn't just waiting for her documents - she was also waiting for her husband, who had stayed in Aleppo.

Fatima Al-Mehio „Natürlich war ich total traurig, ich war anderthalb Jahre im Heim, ich habe gewartet und gewartet, vielleicht kommt er. Fatima Al-Mehio “Of course I was very sad, I was in the home for a year and a half, I waited and waited, maybe he will come. Aber er hat es nicht gemacht. But he didn't do it. Ich habe ihm jeden Tag gesagt: Und, kommst du oder nicht? I said to him every day: Well, are you coming or not? Nein, später, später. No, later, later. Er lügt mich nur an. He's just lying to me. Und da habe ich gesagt: mir ist egal, es reicht. And then I said: I don't care, it's enough. Ich muss wirklich stark sein, ich muss Vater und Mutter sein für meine Kinder.“ I have to be really strong, I have to be a father and mother to my children. "

Mittlerweile ist sie von ihrem Mann offiziell geschieden. She is now officially divorced from her husband. Einen weiteren großen Schritt wagte Fatima erst dann, als sie eine eigene Wohnung hatte: Sie hat das Kopftuch abgelegt. Fatima only dared to take another big step when she had her own apartment: she took off her headscarf.

Fatima Al-Mehio „Dann einmal habe ich gesagt: nee, es reicht. Fatima Al-Mehio “Then once I said: no, that's enough. Ich muss das jetzt ablegen, reicht mir. I have to take this off now, that's enough for me. Dann habe ich das gemacht. Ich habe es geschafft, kann man so sagen!“ I did it, you could say! "

Von ihren Kindern bekam Fatima die volle Rückendeckung. Fatima got full support from her children. Schwieriger war es, die Entscheidung gegenüber dem Rest der Familie und anderen Landsleuten zu rechtfertigen. It was more difficult to justify the decision to the rest of the family and other compatriots.

Fatima Al-Mehio „Viele Leute haben über mich geredet, viele Leute. Fatima Al-Mehio “A lot of people talked about me, a lot of people. Sie haben gesagt: sie ist nicht gut, bei uns sagen sie, sie ist nicht sauber. They said: it is not good, with us they say it is not clean. Weil sie ihr Kopftuch abgelegt hat, das macht man nicht. Because she took off her headscarf, you don't do that. Aber ich finde es Quatsch. But I think it's nonsense. Weil, ich bin halt Vater und Mutter für meine Kinder, ich mache das alles alleine, und ich bin hier auch in Europa. Because, after all, I'm the father and mother of my children, I do it all by myself, and I'm here in Europe too. Ich mach was ich will, ich bin groß genug.“ I do what I want, I'm big enough. "

Das Gerede stört Freundin Laiali nicht. The talk doesn't bother girlfriend Laiali. Sie hält zu Fatima, auch wenn sie sich selbst für eine traditionellere Rolle entschieden hat. She sticks to Fatima even if she has chosen a more traditional role herself.

Ersatzoma Jutta ist so etwas wie die selbsternannte Integrationsbeauftragte der Familie: sie und ihre Tochter helfen bei Ämtergängen, Schreiben, Fristen - mit deutscher Gründlichkeit. Substitute grandma Jutta is something like the family's self-proclaimed integration officer: she and her daughter help with official visits, letters, deadlines - with German thoroughness.

Jutta S., Freundin der Familie „Meine Tochter und ich, wir kümmern uns schon. Jutta S., family friend “My daughter and I, we'll take care of it. Meine Tochter ruft mich an: Da war jetzt das und das musst du nächstes Mal machen, das musst du nächstes Mal kontrollieren, das wir uns da abstimmen. My daughter calls me: There was now that and you have to do that next time, you have to control that next time, that we coordinate there. Und sie findet das ja nicht schlimm, sie findet es ja gut, dass wir da kontrollieren, damit nichts durch die Lappen geht.“ And she doesn't think that's bad, she thinks it's good that we check so that nothing goes wrong. "

Fatima „Natürlich, ich muss dankbar sein.“ Fatima "Of course, I have to be grateful."

Lesen, Schreiben, Bürokratendeutsch: Die Frauen packen die Herausforderungen des Alltags gemeinsam an – und Fatima hat Träume: Reading, writing, bureaucratic German: the women tackle the challenges of everyday life together - and Fatima has dreams:

Fatima Al-Mehio „Ich habe ein Ziel: ich mache jetzt B2. Und danach, wenn ich das schaffe – ich hoffe – dann mache ich eine Ausbildung als Erzieherin.“ And afterwards, if I can do that - I hope - then I'll train as a kindergarten teacher. "

Erzieherinnen kann Berlin gut gebrauchen – und auch die beiden jüngsten Töchter zeigen ein Gespür für den Jobmarkt: Berlin can really use kindergarten teachers - and the two youngest daughters also show a feeling for the job market:

Hala, 13 Jahre alt „Kinderärztin.“ Sima, 8 Jahre alt „Direktorin.“ Fatima Al-Mehio „Ich hoffe!“ Hala, 13 years old "Pediatrician." Sima, 8 years old "Director." Fatima Al-Mehio "I hope!"

Ende Februar fängt Fatima mit ihrem B2-Deutschkurs an. Fatima will start her B2 German course at the end of February. Dann kann für sie und ihre Familie die nächste Etappe ihres neuen Lebens beginnen. Then the next stage of their new life can begin for them and their families. Weit weg von Aleppo. Far from Aleppo.