Curse über Racial Profiling, Start im HipHop und Hassliebe zur Heimat
Wir haben uns nie hingesetzt und gesagt:
Lass uns jetzt mal über "Privilege" reden.
Sondern wir haben gesagt: Lass mal 'ne Bong rauchen.
Oder lass mal mit 'nem Wochenendticket auf 'ne Jam fahren
und Leute in Grund und Boden rappen oder lass mal Rap-Stars werden.
Das war so unser Ding.
* Titelmelodie *
Mein Name ist Michael Kurth, ich komme aus Minden
und wohne jetzt in Berlin.
Ich bin Rapper, Autor, Podcaster und systemischer Coach.
Ich hab 'ne gewisse Hassliebe mit Minden.
Ich fühl mich der Stadt natürlich verbunden, der Umgebung,
den Menschen hier auch.
Diesem ostwestfälischen, tendenziell schlecht gelaunten
kein-Bock-mit-irgendwem-irgendwas zu-besprechen-mäßigen Ding.
Ich fühl mich dem total verbunden.
Auf der gleichen Seite hat's mich als Jugendlicher auch wahnsinnig genervt.
Weil es einfach klein ist hier.
Und die Welt da draußen ist so riesengroß.
Unsere Welt hier in unserer Stadt ist so klein.
Das erste Mal mit Hip-Hop bewusst in Kontakt gekommen
bin ich im Kindergarten.
Wir hatten einen Zivildienst- leistenden im Kindergarten.
Ich erinnere mich noch so grob an den.
Ich glaube, der kam aus Berlin, und der war Breaker.
Und das war so wahrscheinlich 83.
So die Zeit, als Breakdance gerade in Deutschland ankam,
das gerade wirklich so hype war.
Und der war aber der Zivi der anderen Kindergartengruppe.
Und ich war als Kind so: Ich hab die Mucke gehört.
Und war so: Ich muss da hin! Und dann hab ich gefragt:
Darf ich da mitmachen, darf ich da auch breakdancen?
Nein, das geht nicht, das ist die andere Gruppe,
die haben andere Zeiten, blabla. Und ich so: Hm.
Und dann war es so: Okay, ich hör die Mucke.
Ja, ich muss mal aufs Klo. Ich raus, bin aufs Klo,
und als ich vom Klo zurückkomme,
hab ich mich einfach dazu gestellt und mit gebreakt.
Und bin dann irgendwann auch aufgeflogen.
Irgendwann durfte ich dann nicht mehr aufs Klo gehen,
wenn Musik lief oder so. Aber es hat mich total fasziniert.
Und ich glaube, es war mein 5. oder 6. Geburtstag.
Wir durften uns immer aussuchen,
was für ein Thema wir als Geburtstagsthema haben.
Und dann waren Leute mal Radfahrer oder Cowboy oder so.
Und ich wollte Breakdance.
Alle kamen im Trainingsanzug und mit so Stirn- und Armbändern.
Dann haben wir im Wohnzimmer gebreakt.
Wie gesagt, da war ich 5 oder 6.
Damals gab's noch kein Jugendzentrum, das sich damit beschäftigt hat,
das die Möglichkeit geboten hätte, Rap-Workshops zu machen
oder Breakdance-Workshops oder so.
Unsere Generation hat das dann irgendwann
in die Jugendhäuser gebracht.
Und wir waren die ersten, die auch angefangen haben,
zu rappen und Beats zu machen.
Wir mussten uns das alles wirklich selber auf die Beine stellen.
Von Graffiti bis Breakdance bis DJing bis Rappen
haben wir uns alles mehr oder weniger selber beigebracht.
Und uns dann gegenseitig beigebracht.
Weil man hat was, was die anderen nicht haben.
Eine Sache, die für mich immer unglaublich interessant war, ist:
Warum sind wir Menschen wie wir sind?
Warum bin ich wie ich bin? Warum bist du wie du bist?
Wie können wir miteinander leben?
Warum können wir manchmal nicht miteinander leben? Usw.
Rap-Musik und Hip-Hop-Kultur waren für mich, als ich 12, 13 war,
quasi mein Lebensretter, es war wie mein drittes Elternteil.
Rap-Musik und Hip-Hop-Kultur haben mir in einem Alter,
in dem ich es unbedingt gebraucht habe, eine Identität gegeben
und eine Richtung und irgendwie eine Struktur gegeben.
Eine Zugehörigkeit.
Der Moment, in dem ich erkannt habe, in dem mir bewusster wurde,
dass ich "privilegiert" bin, kam eigentlich eher erst später.
Der kam eigentlich eher durch solche Momente,
in denen z.B. wir mit meinen Jungs Scheiße gebaut haben,
und ich gesehen habe, wen die Polizei sich rauspickt.
Und ich gesehen habe, wer von den Jungs das CS-Gas abkriegt.
Manchmal war es der mit der größten Schnauze.
Aber oft waren es Jungs, die eher nicht Michael Kurth heißen.
Das war so der Moment, in dem mir das so ein bisschen bewusst geworden ist.
Als wir aufgewachsen sind, wir waren ja alle gleich.
Mein Kumpel, der Perser war, bei dem war ich nach der Schule.
Wir haben bei dem rumgesessen und "Karate Kid" geguckt.
Und ich fand sein Zuhause, obwohl der in so 'nem Block gewohnt hat,
viel geiler, weil der durfte "Karate Kid" gucken.
Und ich hatte in einem Haus gewohnt, aber ich durfte nichts,
musste in meinem Zimmer sitzen, deshalb war das für mich viel cooler.
Da war es für mich nicht so:
Der eine ist mehr oder weniger privilegiert oder so, als Kind.
Ich hab das erst gemerkt, als ich gemerkt habe,
wie die Außenwelt auf uns reagiert.
Unser Freundeskreis, das waren die Leute, die Rap-Musik gemacht haben.
Das waren Leute von überall.
Mit allen möglichen Hintergründen.
Die Art, wie wir miteinander waren, miteinander gesprochen haben,
war so ein kompletter Mischmasch aus verschiedenen Einflüssen.
Die wir jetzt aber nicht reflektiert haben.
Sondern es war einfach so, wir haben gesprochen, wie wir gesprochen haben.
Wir haben uns einander gegenüber verhalten,
wie wir uns verhalten haben.
Und wir waren zu den jamaikanischen Eltern genauso höflich
wie zu den kurdischen Eltern
und genauso höflich wie zu meinen deutschen Eltern.
Also das war einfach so.
Zuhause heißt vielleicht, was mich am meisten geprägt hat.
Und Prägungen können auch dadurch entstehen,
dass mir negative Dinge passieren und ich weiß, was ich nicht will.
Und ich weiß, was ich anders machen will.
Und ich weiß, was ich stattdessen machen will.
Und es kann trotzdem mein Zuhause sein.
Zuhause heißt aber nicht nur, dass es nur positive Erinnerungen sind.
Oder positive Assoziationen.
Zuhause muss ja nicht nur positiv sein.
Es muss vielleicht noch nicht mal größtenteils positiv sein.
Wenn ich hier durch die Straßen gehe, dann bin ich zu Hause.
Das ist ganz klar, aber es ist auch echt okay,
dass ich wieder wegfahren kann.
Dass meine Welt mittlerweile nicht nur hier ist,
sondern größer geworden ist.
* Titelmelodie *
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und eure Zeit
bei meiner Germania-Folge.
Ich würde gern noch eine Sache wissen von euch.
Und zwar: Was bedeutet für euch dazuzugehören?
Was heißt das? Ist es wichtig, zu irgendeiner Gruppe dazuzugehören?
Ist es wichtig, zur Gesellschaft dazuzugehören?
Ist es vielleicht sogar wichtig, manchmal auch nicht dazuzugehören?
Was bedeutet das für euch? Was für Erfahrungen habt ihr damit?
Wie hat sich das im Laufe eures Lebens verändert?
Wenn ihr möchtet, schreibt es in die Kommentare.
Und ich bin sehr gespannt.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von funk (2019)