Navalnys Vergiftung & demokratischer Aufbruch in Belarus: Putins Furcht
Bevor wir über Belarus reden, müssen wir kurz über Nawalny reden. Mich hat das
heute Morgen total schockiert, als ich die Nachricht gelesen habe, dass Nawalny
im Koma in einem Krankenhaus in Omsk liegt, weil er vermutlich vergiftet wurde.
Ich halte Nawalny nicht für einen lupenreinen Demokraten, aber er ist in vielerlei
Hinsicht eine Blackbox, aber ist vor allem eins: der Herausforderer von
Präsident Putin in Russland, der populärste Oppositionelle und auch der
kraftvollste Oppositionelle mit einem landesweiten Netzwerk von Anhängerinnen
und Anhängern und dass er jetzt voraussichtlich vergiftet wurde, ist ein
Schock für alle, die noch irgendwie an die Möglichkeit einer friedlichen
politischen Veränderung in Russland glauben. Das ist etwas, was der Westen
nicht einfach stillschweigend übergehen kann. Wir müssen auf Aufklärung drängen
und wenn es tatsächlich um einen Mordanschlag geht, müssen die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Es kann nicht sein, dass
Putin mit dieser Art von Anschlägen durchkommt ob das in London ist oder in
Berlin vor unserer Haustür im Tiergarten oder mit dem Abschuss des malaysischen
Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine. Ein massiver Gewaltakt
nach dem Nächsten und der Westen verzieht kaum die Miene - das ist
eine Ermutigung für ein autoritäres Regime in Moskau, das sich an keinerlei
Spielregeln des Völkerrechts mehr hält. Um diese Frage geht es im Grunde
auch in Belarus. Hat Weißrussland das Recht als eine souveräne Nation über
seine Zukunft zu entscheiden? Oder betrachten wir Belarus als eine Art
Vorhof Russlands? Der französische Binnenkommissar der Europäischen Union hat
sich ja dazu hinreißen lassen zu sagen, Belarus gehört nicht zu Europa. Das ist
nicht nur geografisch und historisch töricht. Das ist geradezu eine Einladung
an Putin, die Demokratiebewegung in Belarus abzuwürgen und es gibt
ernsthafte Indizien, dass das schon im Gang ist, das Russland nicht dulden wird
oder das der Kreml nicht dulden wird, eine friedliche demokratische Revolution
vor seiner Haustür, weil die Ansteckungsgefahr zu groß ist, dass
dieser Funke der Freiheit auch auf Russland überspringt. Man muss sich nur
an die Protestbewegungen in Chabarowsk erinnern, wo seit Wochen die
Menschen auf die Straße gehen gegen die Absetzung ihres gewählten Gouverneurs
durch den Kreml. In Belarus geht es um die europäischen Werte und Ideale der
Revolution von 1989/90 und ich war total
angefasst und froh darüber, dass zum ersten Mal seit langem wieder eine
Freiheitsbewegung sich zu Wort meldet nach Jahren von autoritären
Rückschritten auch in Europa, Orbán, die Entwicklung mit Polen, der
Rechtspopulismus, überall in Europa. Und jetzt fiel aus dem Nichts
eine breite Bewegung, die ihre demokratischen Rechte einfordert, das
Recht auf freie und faire Wahlen, das Recht auf ein Leben in Würde und auf ein
Leben in Freiheit. Darum geht es. Nicht um einen
geopolitischen Konflikt mit Russland. Niemand, weder in Belarus selbst noch in
Europa, stellt die Bündnisse in Frage, in den Belarus sich mit Russland befindet.
Es geht nicht darum, dass Belarus eine Wahl treffen soll zwischen Russland und
Europa. Sondern es geht darum, ob die grundlegenden demokratischen Werte dort
zum Durchbruch kommen oder ob ein autoritäres Regime den Protest mit
Gewalt zu ersticken kann mit aktiver Beihilfe des Kremels. Deshalb muss die
EU alles tun, um diese zivile Protestbewegung zu unterstützen.
Sie darf Lukaschenko nicht mehr als legitimen Präsidenten anerkennen.
Die Wahl war von A bis Z manipuliert. Lukaschenko hat keinerlei politische
Legitimation mehr und die politische Krise in Belarus kann nur durch
Neuwahlen gelöst werden. Durch eine Wiederholung der Präsidentschaftswahl
unter internationaler Aufsicht und anschließende Parlamentswahlen.
Und bis dahin müssen wir alles tun, auch die europäische Kommission, auch Berlin,
um die weißrussische Gesellschaft zu unterstützen.
Die Gefangenen brauchen Prozesshilfe. Die Familien finanzielle Unterstützung.
Unabhängiger Journalisten brauchen Geld und Arbeitsmöglichkeiten.
Stipendien, Kulturaustauschprogramme, alles was dazu beiträgt, dass dieser
Funke von demokratischem Selbstbewusstsein, der sich jetzt rasend
schnell in Belarus ausbreitet, nicht wieder erstickt werden kann.
Dabei geht es auch um die Zukunft Europas in dieser großen
Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und liberaler Demokratie
und das Zentrum dieser Auseinandersetzung ist heute in Belarus.