tagesthemen vom 05.05.2021, 22:15 Uhr - Warum sich Deutschland mit der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung
Guten Abend.
Lange benötigten in dieser Pandemie
vor allem die Älteren
den größten Schutz.
Jetzt richtet sich
immer mehr der Blick auf die Jungen.
Die, die zu lange zu wenig beachtet
wurden, obwohl sie von Anbeginn
so viel aushalten
und auf so viel verzichten mussten.
Der Schaden, der entsteht,
wenn Kinder
monatelang der Schule fernbleiben,
ist kaum zu ermessen.
Und wahrscheinlich
auch nicht mit Geld aufzuwiegen.
Und doch versucht die Regierung,
mit einem 2-Mrd.-Programm
den Schaden wenigstens zu begrenzen.
Jan Koch.
G mal h durch zwei.
Ja, genau,
aber was bedeuten die Buchstaben?
Mathe-Nachhilfe in Essen.
Grundfläche mal Höhe
geteilt durch zwei.
Genau,
und um die Grundfläche zu berechnen,
brauchen wir jetzt noch eine Formel.
Elif Tahtabas hilft
ihrer Schülerin Amal, wo sie kann.
Sie ist eine von
32 Nachhilfelehrer*innen hier
bei Zukunft Bildungswerk,
einer privaten Initiative.
Jeden Nachmittag
Mathe, Englisch, Deutsch
für alle, die Nachholbedarf haben.
Der wächst in Zeiten
von Wechsel- und Distanzunterricht.
Vor allem in der Grundschule
merke ich die Defizite,
dass sich die Lücken,
die schon da waren, verfestigen.
In der dritten Klasse etwa
haben wir Personenbeschreibung.
Da merkt man ganz stark,
dass die Schüler
sich das selber beibringen müssen.
Institute wie dieses
sollen vom 2-Mrd.-Paket
der Bundesregierung profitieren.
Eine Milliarde allein
für Nachhilfeunterricht
und weitere Angebote.
Das heute
auf den Weg gebrachte Programm
soll mit Beginn
des kommenden Schuljahres starten.
Wir wollen aber trotzdem
schon ermöglichen,
dass in den kommenden Sommerferien
etwas passieren kann.
Wir denken da an Sommercamps
und Lernwerkstätten.
Eine weitere Milliarde
soll es für Freizeit-
und nicht-schulische Programme
geben.
Mit dem Aufholpaket komme
hoffentlich etwas ins Rollen,
sagen Schülervertreter.
Der Frust sei groß,
die Probleme schon lange bekannt.
Wir haben noch nicht
das vernünftige Distanzlernen,
immer noch nicht die Hilfe
für die, die Hilfe brauchen.
Den jungen Menschen
wird seit einem Jahr gesagt:
Ihr seid das Wichtigste.
Am Ende kommt aber
nicht richtig was an.
Auch hoffen sie, dass die Gelder
unbürokratischer fließen.
Und nicht so, wie viele Schulen es
bei der Digitalisierung erlebt haben.
Bildungsexperten
halten das Paket für unterfinanziert
und warnen vor Langzeitfolgen.
V.a. für Grundschüler und
Kinder aus benachteiligten Milieus.
Wir haben Erst-,
Zweit-, Dritt-, Viertklässler:
Die die Grundtechniken
Lesen, Schreiben, Rechnen
nicht auf dem Niveau beherrschen,
wie wir das gewohnt sind.
Das wird uns
ein paar Jahre begleiten.
Wenn wir jetzt nicht voll reingehen,
auch konzeptionell,
kann es sein,
dass uns das zehn Jahre begleitet.
Nachhilfe sei nicht alles,
könne aber helfen.
Wie in Essen bei Schülerin Amal,
bei der der Zusatzunterricht
viel gebracht hat.
Voll gut, ich bin viel besser
in der Schule geworden
und ich habe viel bessere Noten.
Erste Schritte, auf die sie hofft,
aufbauen zu können.
Wie die Bundesregierung
den Familien jetzt helfen will,
dazu hat Kristina Böker
vom SWR diese Meinung:
Seit fünf Monaten sind meine Kinder
durchgehend im Homeschooling.
Das Halbjahr davor lief auch
schon im holprigen Digital-Modus.
Welche Wissenslücken
nach dieser Zeit zurückbleiben –
für mich ist das eine "black box",
besorgniserregend.
Ich sollte mich über ein 2 Mrd.
schweres Aufholprogramm freuen –
und bin dennoch skeptisch.
Ich bezweifele,
dass Kinder das Corona-Jahr
in zwei Ferienwochen aufholen können
wie zwei Tore Rückstand beim Fußball.
Leistungsdefizite,
psychische Probleme,
durch Corona verschärfte
Bildungsunterschiede:
Das ist komplexer
als ein Torrückstand.
Zudem gönne ich allen Kindern Ferien.
Denn sie hatten Schule
und nicht Freizeit.
Und mussten
mit mehr Eigenverantwortung
und weniger persönlicher Ansprache
ihr Pensum schaffen.
Vielleicht hätten sie mehr davon,
wenn ihre Lehrpläne nächstes Jahr
entrümpelt würden.
Zudem frage ich mich,
ob das Geld ankommt.
Beim Digitalpakt blieb der Großteil
der 6,5 Milliarden
in der Bürokratie hängen
und die Schulen analog.
Und jetzt?
Wünsche ich mir statt
kurzfristiger Finanzspritzen
eine Langfrist-Strategie
für unsere Kinder.
Der heute beschlossene Rechtsanspruch
auf Ganztagsbetreuung
in der Grundschule
ist ein Schritt dahin.
Wobei unfassbar ist, dass die
Regierung ihn 13 Jahre später umsetzt
als den Rechtsanspruch
auf Kleinkindbetreuung.
Es gibt einiges aufzuholen.
Aber bitte schnell, wenn die Schüler
von heute etwas davon haben sollen.
Dass eine Pandemie kommen muss,
um in einem vermeintlich
gut organisierten Land
die Mängel im Bildungssystem
so offenzulegen:
Das ist erschütternd.
Aber hoffentlich am Ende heilsam.
Die Meinung von Kristina Böker.
Seit einem Monat
impfen auch die Hausärzte,
und sie kommen kaum hinterher.
Weil viele Menschen wissen wollen,
wann sie an der Reihe sind,
haben die Praxen
alle Hände voll damit zu tun.
Und so ziehen
immer mehr Hausärzte die Lehre:
Lieber pragmatisch impfen,
statt auf die Reihenfolge zu achten.
Ganz im Sinne der Pforzheimer
Hausärztinnen,
die heute in einem Drive-in
auf einem Supermarkt-Parkplatz
die AstraZeneca-Dosen verimpften,
die in der Praxis keiner wollte.
Ohne Termin
und zur Freude der Geimpften,
von denen etliche
mit einem Hupkonzert dankten.
Über das große Impfen in den Praxen:
Andreas Hilmer
und Christian Stichler.
Ein guter Tag für Kirsten Menzel.
Die 59-Jährige bekam vergangene Woche
einen Brief von ihrer Praxis.
Darin die Einladung
zu einem Impftermin.
Huch, das ist ja gut.
Dann brauch ich nicht
ins Impfzentrum.
Ich hab mich gefreut.
Guten Tag.
Björn Parey teilt sich
eine Gemeinschaftspraxis
mit sechs Kolleginnen - das hilft.
Denn die Menge an Impfdosen wird pro
Arzt und nicht pro Praxis berechnet.
Allerdings: Wie alle Hausärzte
erfährt er nur kurzfristig,
wie viel Impfstoff ihm
in der Folgewoche zugestellt wird.
Diesmal waren es
200 Dosen BionTech/Pfizer.
AstraZeneca
verimpfen sie hier kaum noch.
Denn die Patient*innen über 60
haben sie weitgehend versorgt.
Wir impfen nur die Leute,
die vor dem Beginn der Impfkampagne
regelmäßige Patienten waren.
Die impfen wir primär durch.
Sonst hätten wir jeden Tag ein
exponentielles Wachstum an Anfragen.
Es ist ohnehin so, dass jeden Tag
30 Leute anrufen und fragen,
ob sie Patient werden können,
um geimpft zu werden.
Die vielen Anfragen kennen sie auch
in dieser Hausarztpraxis in Bremen.
Mittwochs impft Ulrich Weigeldt,
Bundesvorsitzender
des Hausärzteverbandes.
Er fordert mehr Impfstoff
und mehr Freiheiten für die Praxen,
selbst zu entscheiden.
Man muss diesen Verteilungskampf
nicht regeln, sondern laufen lassen.
Umso mehr Praxen impfen,
umso mehr Impfstoff können wir
gleichzeitig verabreichen.
Wenn ich Praxen ausschließe,
weil schon jüngere Gruppen
geimpft werden:
Dann können die anderen
das nicht auffangen.
Auch der Deutsche Ethikrat
spricht sich dafür aus,
dass man Hausärzte beim Impfen
nicht zu stark reglementiert.
Es ist wichtig,
dass wir jetzt Meter machen.
Wenn man die Priorisierungsgruppen
weggeimpft hat,
dann geht man zu den Nächsten.
Dann geht es darum, dass man
in die Breite geht und schaut,
dass man die Gruppen mit vielen
Kontakten schnell erreicht.
Also die junge Generation
oder eben Brennpunktviertel.
Aber solange die Priorisierungen
noch gelten,
können sie hier in Hamburg
nicht einfach Jüngere impfen.
Sie wollen stattdessen
erst mal andere unterstützen.
Eine Praxis wie unsere wird auch
den Nachbarpraxen helfen,
die die nicht so gerne
impfen wollen.
Es gibt auch Praxen,
die nicht so groß dabei sind,
die ganz dankbar sind.
Dass bald mehr Impfstoff kommt,
hofft auch Björn Parey.
Und darauf, dass die Priorisierungen
bald aufgehoben werden.
Gesundheitsminister Spahn
hat sich heute dafür ausgesprochen:
Für Corona-Impfungen
mit dem Wirkstoff von AstraZeneca
die Priorisierung sofort aufzuheben.
Darüber werde er morgen mit
seinen Amtskolleg*innen sprechen.
Unabhängig von Alter
und Vorerkrankungen
könne dann jeder, der dies wolle,
mit AstraZeneca geimpft werden.
Es ist eine Woche her,
dass die Richter in Karlsruhe
der Regierung das Klimaschutzgesetz
um die Ohren hauten.
Sie stellten klar,
dass es so nicht funktioniere.
Prompt erhöhte sich die Drehzahl
im Wahlkampf, heute bei der SPD:
Den Roten kann es
nicht schnell genug gehen zu zeigen,
wie grün sie sind.
Sie legten heute ein Konzept vor
für ein neues, schärferes Gesetz,
für das aber zunächst nur
ein paar Zahlen ausgetauscht wurden.
Markus Reher.
Verkehrte Welt in Berlin,
so scheint es.
Der Finanzminister
zieht die Umweltpolitik an sich.
Olaf Scholz
verkündet neue Klimaziele,
da blitzt der Kanzlerkandidat
in ihm auf.
Ziele haben ist schön, sagen,
wie es geht, ist noch besser.
Das ist das Thema
der nächsten Wochen und Monate.
Ich brauche niemanden mehr,
der auch dafür ist,
dass wir den Klimaschutz hinkriegen.
Ich brauche jemanden, der mitmacht,
das zu schaffen.
Es besteht Handlungsbedarf.
Das Bundesverfassungsgericht
hatte vergangene Woche entschieden:
Das Klimaschutzgesetz
muss nachgebessert werden,
Generationen-gerechter.
Bisher legt es fest, bis 2050
soll Deutschland klimaneutral sein.
Dafür soll bis 2030
der Ausstoß von Treibhausgasen
um 55 Prozent im Vergleich zu 1990
reduziert werden.
Für die Zeit danach
gibt es keine Regelung.
Die SPD will nun
Klimaneutralität bis 2045.
Dazu soll
die Treibhausgas-Emission bis 2030
um 65 Prozent reduziert werden,
bis 2040 um 88 Prozent.
Der Rest bis 2045.
Die Union signalisiert Zustimmung,
aber es gebe noch einiges zu regeln.
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet
muss als Ministerpräsident von NRW,
dem Stahl- und Kohleland im Westen,
auch auf die Arbeitsplätze schauen.
Verkehrte Welt auch hier,
so scheint es:
Jahrzehnte lang war das
klassische SPD-Politik.
Das ist eine riesige Umstellung
und wir wollen alles tun,
dass Arbeitsplätze erhalten werden.
Und dass wir trotzdem
Klimaneutralität erreichen.
Eine Riesen-Ambition
liegt jetzt vor uns.
Das ist die Modernisierung,
die wir in den 20er-Jahren brauchen.
Klimaschutz als Wahlkampfthema:
Union und SPD wollen es nicht mehr
allein den Grünen überlassen.
Deren Kanzlerkandidatin
Annalena Baerbock
hielt sich heute zurück.
Sie verwies
auf ihren vollen Terminkalender.
Die Umweltschutzbewegung
Fridays for Future aber
übte scharfe Kritik
am Vorstoß von Olaf Scholz.
Nach acht Jahren
in der Regierungsverantwortung
unzureichende Klimaziele
zu verkünden
und sich als Klimaschutz-Vorreiter
zu positionieren:
Gleichzeitig aber mit beschlossenen
Gesetzen wie dem Kohleausstieg 2038
oder dem Festhalten an Nord Stream 2
weiter die Klimakrise zu befeuern.
Das ist viel zu kurz gegriffen.
Union und SPD dürften
in den nächsten Tagen noch heftig
um die Details zum
neuen Klimaschutz-Gesetz ringen.
Mit dem nächsten Thema
wird kein Wahlkampf gemacht.
Obwohl es
so viele Menschen betrifft,
die sich ausgeschlossen
und benachteiligt fühlen.
Menschen mit Behinderungen
gehören mitten in die Gesellschaft.
Laut UN-Behindertenrechtskonvention
ein Menschenrecht.
Sie sollten auch
am Arbeitsleben teilhaben.
Doch zu oft ist dem nicht so.
7,9 Millionen schwerbehinderte
Menschen gibt es in Deutschland,
3,23 Millionen von ihnen
sind im erwerbsfähigen Alter.
Doch von diesen
ist nur rund jeder Dritte
im Ersten Arbeitsmarkt
beschäftigt.
Zum Protesttag zur Gleichstellung
der Menschen mit Behinderung
traf Tim Diekmann einen Mann,
der viel mehr könnte, als er darf.
Alexander Subat
ist es gewohnt zu kämpfen.
Schon sein ganzes Leben.
Der komplizierte Alltag
als Rollstuhlfahrer,
die Vorurteile in der Gesellschaft.
Auf seinem Handbike kann Subat
all das für einen Moment vergessen.
Das gibt die Freiheit,
wenn du das hast.
Das gibt dir Möglichkeiten,
die du sonst nicht hast.
Seit seinem ersten Lebensjahr
sitzt Alexander Subat im Rollstuhl.
Aufgehalten hat ihn das fast nie:
Als erster Rollstuhlfahrer absolviert
er eine Security-Ausbildung,
arbeitet als Türsteher
und Personenschützer.
Es folgen Jobs als Streetworker
und Medizinprodukte-Berater.
Immer in befristeten Verträgen.
Doch jetzt will den 49-Jährigen
keiner mehr beschäftigen.
Bewerbungen habe ich schon
100 Stück geschrieben.
Zurück kamen nur Absagen.
Das frustriert einen.
Die Leute hören: Behinderung?
"Oh, Gefahr!"
Oder: "Ich weiß nicht,
wie ich damit umzugehen hab."
Vorbehalte? Berührungsängste?
Gerecht, sagt er, werden
behinderte Menschen in Deutschland
noch immer nicht behandelt.
V.a. der Arbeitsmarkt diskriminiere
Menschen mit Behinderungen.
Von der oft geforderten
inklusiven Arbeitswelt
ist Deutschland noch weit entfernt.
Das zeigt das Beispiel
der "Beschäftigungspflicht":
Unternehmen
mit mehr als 20 Arbeitsplätzen
müssen eine Fünf-Prozent-Quote für
Menschen mit Behinderungen erfüllen.
In den meisten Fällen
wird die Quote nicht erreicht.
77 % aller Arbeitgeber
erfüllen die Quote nicht.
25 % aller Unternehmen
beschäftigen gar keine Menschen
mit Schwerbehinderung.
Stattdessen zahlen sie eine Abgabe
für die nicht besetzte Stelle.
Meist wenige Hundert Euro monatlich.
Eine geforderte Erhöhung der Abgabe
lehnen die Arbeitgeber ab.
Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf hat
selbst eine körperliche Einschränkung
und appelliert an die soziale
Verpflichtung seiner Kollegen.
Wir stellen
unter gleichen Bedingungen
Schwerbehinderte
und nicht Schwerbehinderte ein.
Da gibt es auch keinen Vorteil,
die Qualifikation muss stimmen,
und manchmal passt es nicht.
Deswegen werden manchmal
Schwerbehinderte nicht eingestellt.
Den Übergang
in den Ersten Arbeitsmarkt
sollen Werkstätten für Menschen
mit Behinderung fördern.
Hier arbeiten 320.000 Beschäftigte
für ein geringes Taschengeld.
Das System wird immer wieder
von Experten kritisiert.
Denn weniger als ein Prozent
schaffen den Übergang von Werkstatt
zum allgemeinen Arbeitsmarkt.
Das liege auch
am komplizierten Fördersystem.
Es wird schwierig,
wenn es an die Einstellung geht.
Da muss man die Leistung beantragen,
was ein hoher
bürokratischer Aufwand ist.
Der leidenschaftliche Tennisspieler
Alexander Subat
wünscht sich vor allem eins:
echte Gleichstellung.
Der Kampf fängt an,
wenn du angenommen wirst.
Dann musst du immer zeigen,
dass du mindestens genauso gut bist,
wie die, die laufen können -
eigentlich besser.
Alexander Subat will weiterkämpfen -
nicht nur für sich selbst.
Katrin Langensiepen
ist Grünen-Abgeordnete
im Europaparlament.
Wie sie selbst sagt,
die einzige weibliche Abgeordnete
mit sichtbarer Behinderung.
Guten Abend, Frau Langensiepen.
Guten Abend, Frau Miosga.
"Behinderung? Oh, Gefahr!"
Von derlei Reaktionen
hat uns Alexander Subat erzählt.
Kennen Sie das auch?
Es wurde mir so direkt nicht gesagt,
aber hintergründig
wird das schon gespiegelt.
Menschen mit Behinderung:
Das verbindet man mit Problemen,
mit Krankheit, auch mit Leid,
mit etwas Negativem.
Das ist mir nicht unbekannt.
Wir haben Sie es persönlich erlebt?
Sie haben Fremdsprachen-
Korrespondentin gelernt,
bevor Sie die politische Karriere
gestartet haben.
Als Teenager wollte ich immer
etwas mit Medien machen.
Man sagte mir:
Jemand mit sichtbarer Behinderung.
Dann wird man das öffentlich sehen.
Man zeigt seine Behinderung nicht
in der Öffentlichkeit.
Wenn man sich immer bewirbt
und nie eine Anstellung bekommt,
obwohl man gut qualifiziert ist,
dann gibt einem das zu denken.
Es heißt: "Sie sind gut ausgebildet,
aber ... "
Es kommt einem komisch vor.
Freundliche Menschen
sagen es einem direkt.
Aber das ist
diese subtile Diskriminierung,
von der viele Menschen sprechen.
Wieso kommen so wenig Menschen
mit Behinderung in den Arbeitsmarkt?
Wo sind die größten Hürden?
Die Hürden sind vielfältig.
Wenn junge Menschen in den
Förderschulen beschult werden
und dann direkt
in Werkstätten gehen:
Oft ohne eine adäquate
Weiterbildungsmöglichkeit.
Es gibt Abschlüsse und Ausbildungen,
auf dem Ersten Arbeitsmarkt
nicht anerkannt sind.
Oder nicht gerne gesehen werden.
Es ist schwierig, da rauszukommen.
Häufig haben Arbeitgeber*innen
Barrieren im Kopf:
"Wenn ich jemanden
mit Behinderung einstelle,
dann ist er immer krank."
Man geht automatisch davon aus,
als würden sich Menschen mit
Behinderung auf Stellen bewerben:
Die sie nicht erfüllen können.
Ein Rollstuhlfahrer würde sich nie
als Dachdecker bewerben.
Das ist Blödsinn.
Diese Ängste sind oft unbegründet.
Die Arbeitgeber sagen, sie wollen.
Aber sie werden nicht genug
unterstützt bei dem Aufwand,
den sie betreiben müssen:
Wenn sie Menschen mit Behinderungen
beschäftigen wollen.
Und sie steigen nicht durch
durch den Antragsdschungel
bei der Förderung von Inklusion.
Das steht auch in meinem Bericht
für das Europäische Parlament.
Das habe ich auch selbst erlebt.
Das ist aber nur
ein Teil der Wahrheit.
Die Hürden sind hoch,
die Bearbeitung der Anträge
dauert lange.
Das Budget für Arbeit
wird kaum angenommen.
Es gibt aber auch Hürden im Kopf.
Das Bild von Menschen mit
Behinderung in der Gesellschaft
als eine Begegnung
mit der dritten Art:
Weil wir keine Begegnungen haben.
Die müssen wir schaffen,
um Vorurteile abzubauen.
Sie fordern einen radikalen Schnitt
und wollen die
Behindertenwerkstätten abschaffen.
Nehmen Sie diesen Menschen
nicht damit auch einen Arbeitsmarkt?
Im Europäischen Parlament
habe ich einen Bericht verfasst
zur Lage von Menschen mit
Behinderung auf dem Arbeitsmarkt.
Die Zahlen waren katastrophal.
Menschen mit Behinderung
waren arbeitslos
oder sind in Einrichtungen.
Das widerspricht den
UN-Behindertenrechtskonventionen
und dem Artikel 27, die klar sagen:
Diese Menschen
sollen frei wählen können.
Sie sollen einen Lohn bekommen,
von dem sie leben können.
Das können sie
in den Werkstätten nicht.
Sie sind keine Arbeitnehmer.
Es gibt keinen Mindestlohn,
sie haben kein Streikrecht.
Sie sind Rehabilitant*innen.
Deutschland und die EU haben
die UN-Behindertenrechtskonvention
vor über zehn Jahren ratifiziert.
Es ist Gesetz.
Deutschland wurde von der UNO
dafür abgewatscht,
dass im Bereich inklusiver
Arbeitsmarkt nichts passiert.
Ich fordere, die Werkstätten
auslaufen zu lassen
und eine Veränderung.
Sagt die Grünen-Abgeordnete
im Europaparlament,
Katrin Langensiepen.
Danke für Ihre Zeit.
Gerne.
Das Gespräch
haben wir aufgezeichnet.
Wir müssen noch
nach Schottland schauen,
wo morgen erneut abgestimmt wird.
Es geht vordergründig um die Wahl
des neuen Regionalparlaments,
doch eigentlich geht es, wieder
einmal, um die Frage: Yes oder No?
Sollen die Schotten raus aus dem
Königreich oder sollen sie bleiben?
Schottland ist
in dieser Frage gespalten.
Sollte die Schottische
Nationalpartei SNP
die absolute Mehrheit erreichen,
könnte der Druck so groß werden:
Dass Premier Johnson in London
gar nicht anders kann,
als ein Unabhängigkeitsreferendum
in Schottland zuzulassen.
Annette Dittert.
Wenn es nach ihnen ginge, wäre
Schottland schon lange unabhängig.
Seit Jahren kurven die Yes-Biker
unermüdlich durchs Land,
um für
die Unabhängigkeit zu werben.
Diese Wahl wird den Durchbruch
bringen, glauben sie.
Als wir's beim letzten Mal
nicht geschafft, habe ich geweint.
Diesmal werde ich wieder weinen,
aber vor Glück.
Die Unterstützung ist da.
Und wenn die SNP
jetzt eine Mehrheit bekommt,
dann wird es ein neues Referendum
zur Unabhängigkeit geben.
Vielleicht sogar dieses Jahr.
Ganz so schnell
dürfte es nicht gehen,
das sagt selbst die SNP- und
Regierungschefin Nicola Sturgeon.
Die die Unabhängigkeit auch will,
aber dafür erst
die Wahl gewinnen muss.
Und dann noch die Zustimmung
Boris Johnsons dafür braucht.
Die der aber nicht geben will.
Wenn die Menschen hier mehrheitlich
für die Unabhängigkeit stimmen,
dann kann kein Politiker uns
ein zweites Referendum verwehren.
Das wäre gegen
jedes demokratische Prinzip.
Eine direkte Kampfansage an Johnson,
der in Schottland so unpopulär ist
wie kaum ein Tory zuvor.
Und deshalb während des Wahlkampfs
nicht dort erschienen ist.
Das ist jetzt nicht die Zeit ...
Wir kommen gerade
aus einer Pandemie.
... für ein unverantwortliches
zweites Referendum.
Außerdem hatten wir gerade eins.
Seitdem aber gab es den Brexit,
und die SNP ist der Meinung,
dass der alles geändert hat.
Angus Robertson
ist der SNP-Kandidat in Edinburgh.
Er ist zuversichtlich,
dass die SNP mit ihrer Botschaft
morgen klar gewinnen wird.
Schließlich war die Mehrheit
der Schotten gegen den Brexit.
Und die Unabhängigkeit
ist jetzt der einzige Weg,
um zurück in die EU zu kehren.
Die Menschen in Schottland haben
ein anderes Wertesystem als das,
wofür Boris Johnson steht.
Außerdem sind wir Europäer
und er sieht das für England nicht.
Das ist ein massiver Unterschied.
Deshalb driften wir
immer weiter auseinander.
Ihr Nationalismus
sei das genaue Gegenteil
des englischen Nationalismus,
sagen uns auch die Yes-Biker.
Schottischer Nationalismus
ist offen für alle.
Ich nenne die Menschen hier
gar nicht mehr Schotten.
Ich sage: Schottlands Menschen.
Wir haben hier so viele Europäer
und sie sind ein Teil von uns.
Sie haben auch nichts gegen
die Engländer, sagen sie uns,
sie wollen nur nicht mehr
von ihnen regiert werden.
Egal, wie lange der Weg
bis dahin noch sein mag.
Für den Nachrichtenüberblick
kehren wir zurück nach Deutschland
und zu den Ausgangsbeschränkungen,
die einige gerne gekippt sähen.
Das Bundesverfassungsgericht
hat eine
vorläufige Entscheidung getroffen.
Die Richter haben entschieden,
dass die bundesweiten Regeln
für nächtliche Ausgangsbeschränkungen
vorerst in Kraft bleiben dürfen.
Entsprechende Eilanträge
gegen die Maßnahme wiesen sie ab.
Damit ist noch nicht entschieden,
ob die Ausgangsbeschränkungen
mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Diese Frage wird erst
im Hauptsacheverfahren geklärt.
Die US-Regierung hat sich für
eine vorübergehende Aussetzung
des Patentschutzes für
Corona-Impfstoffe ausgesprochen.
Die Handelsbeauftragte, Tai, sagte,
die USA stünden hinter dem Schutz
geistigen Eigentums.
Das weltweite Ausmaß
der Corona-Pandemie
erfordere aber
außergewöhnliche Maßnahmen.
Bislang hatten die USA,
ebenso wie andere Industrienationen,
das Vorhaben blockiert.
Die WTO sprach am Abend
von einem wegweisenden Vorschlag,
damit in mehr Ländern Impfstoffe
hergestellt werden könnten.
In den Koalitionsstreit über eine
bessere Bezahlung von Pflegekräften
kommt offenbar Bewegung.
Gesundheitsminister Spahn hat einen
Gesetzesvorschlag unterbreitet,
um Tariflöhne in der Branche
durchzusetzen:
Versorgungsverträge
sollen ab Juli 2022 nur noch
mit solchen Pflegeeinrichtungen
geschlossen werden:
Die nach Tarif
oder tarifähnlich zahlen.
Finanziert werden soll das
aus dem Bundeshaushalt
und durch eine Erhöhung
des Pflegebeitrags für Kinderlosen.
In der AfD konkurrieren zwei
Zweierteams um die Spitzenkandidatur
für die Bundestagswahl.
Fraktionschefin Weidel kündigte an,
mit dem Bundesvorsitzenden Chrupalla
die Partei in den Wahlkampf
führen zu wollen.
Bereits zuvor hatten die
Bundestagsabgeordnete Cotar
und der pensionierte Generalleutnant
Wundrak ihre Bewerbung angemeldet.
Entscheiden müssen vom 17. Mai an
die Mitglieder.
Das Ergebnis soll
eine Woche später feststehen.
Innenminister Seehofer
hat das islamistische Netzwerk
um den Verein Ansaar International
verboten.
In mehreren Bundesländern wurden
Räume der Organisation durchsucht.
Dem Verein wird vorgeworfen,
ein salafistisches Weltbild zu
verbreiten und Terror zu finanzieren.
Unter dem Deckmantel
der Arbeit für humanitäre Zwecke.
Die Deutsche Post
verzeichnet das beste erste Quartal
ihrer Unternehmensgeschichte.
In den ersten drei Monaten steigerte
sie den Gewinn auf 1,2 Mrd. Euro.
Mehr dazu von Stefan Wolff.
Die Post profitierte dabei
von einem Paketboom.
Weil im Lockdown
Geschäfte geschlossen blieben,
florierte das Online-Shopping.
Die Zahl der verschickten Pakete
stieg um 41 Prozent.
Der für die Post
immer noch lukrative Brief
befindet sich dagegen
auf dem absteigenden Ast.
In den ersten drei Monaten des Jahres
wurden zehn Prozent weniger Briefe
versandt als vor Jahresfrist.
Auf der einen Seite profitiert
die Post beim Online-Shopping
von der Digitalisierung.
Auf der anderen Seite
leidet sie darunter,
weil immer mehr Briefe
elektronisch versandt werden.
Zudem gab es weniger Werbepost.
Wegen der Corona-Pandemie hielten
sich Unternehmen bei Werbung zurück
und sparten sich diese Ausgaben.
Keiner weiß genau,
wie viele es sind,
die durch deutsche Felder
und Wälder streifen.
Der Wolf ist scheu
und lässt sich nur ungern zählen.
Ein paar Hundert sind es bestimmt,
und es werden immer mehr.
Und so kommt der Wolf dem Menschen
mitsamt dessen Nutztieren so nahe,
dass auch dieser
ihm die Zähne zeigt.
Und vermehrt
darüber diskutiert wird,
dass er abgeschossen werden kann.
Obwohl der Wolf zu den besonders
streng geschützten Arten zählt.
Vor 20 Jahren kamen aus dem Osten
die ersten Wolfsrudel nach Sachsen,
auch nach Spreetal.
Mittendrin im Naturschutzgebiet
ging Sven Knobloch
mit Naturschützern auf Wolfspirsch.
Es ist kurz nach 5 Uhr morgens.
Ich treffe mich
mit Naturführer Stefan Kaasche.
Er kennt das Gebiet
um den ehemaligen Tagebau Spreetal
und die Wolfsrudel,
die hier leben, genau.
Mit etwas Glück bekommen wir
einen Wolf zu sehen, sagt er.
Nachdem die Wölfe nachts hier
Beute gesucht haben,
kommen sie morgens meistens
in so einen Bereich zurück.
Der ehemalige Tagebau ist
seit 20 Jahren ein Naturschutzgebiet.
Jetzt heißt es für uns warten
und die anderen Tiere beobachten.
Der Wolf ist auch ein Türöffner.
Mir sagten Leute:
So eine Naturführung
hätte ich nie gemacht,
wenn es nicht
das Thema Wolf gegeben hätte.
Der lässt sich auch
nach drei Stunden nicht blicken.
Deshalb gehen wir
mit Hündin Anima auf Spurensuche.
Wölfe bewegen sich hier nachts
oft auf Wegen.
Deshalb kann man die Anwesenheit
von Wölfen gut auf Wegen sehen.
Anima ist auch schon am Schnüffeln.
Wir können ja mal gucken.
Hier!
So muss das aussehen.
Eine Wegkreuzung, am Wegrand.
Das ist als Reviermarkierung.
Ein Wolf hat gesagt:
Hier ist mein Gebiet.
Ein Beweis, dass die Wölfe hier sind.
Stephan Kaasche wundert es nicht,
dass zuletzt häufiger Videos
von Begegnungen zwischen Menschen
und Wölfen auftauchten.
Diese Beobachtungen
aus den letzten Wochen:
Das waren alles neugierige Wölfe.
Es ging den Wölfen nicht darum,
Menschen zu jagen
oder nachzustellen.
Die haben oft Interesse an dem Hund.
Ein Problem sind Begegnungen mit
Wölfen dagegen für die Tierhalter.
Schäfer Felix Wagner kümmert sich
um mehr als 400 Schafe und Ziegen.
Vor zwei Jahren
verlor er fast 80 Tiere
bei einem einzigen Wolfsangriff.
Das Schlimmste waren
die angerissenen Schafe.
Wo du schon wusstest,
es ist deren Tod.
Die mussten wir erlösen,
meistens gleich.
Es tat einem in der Seele leid,
wie die aussahen.
Seitdem braucht er
für Sicherungsmaßnahmen
täglich doppelt so viel Zeit
wie früher, sagt er.
Seine Schafe
dienen im Naturschutzgebiet
auch der Landschaftspflege.
Der Verein,
der die Schäferei betreibt,
baut gerade einen neuen,
wolfssicheren Nachtpferch.
Die Zäune: tief,
damit sich der Wolf nicht durchgräbt.
Hoch, damit er nicht drüberspringt,
dazu kommt Strom.
Der Bau kostet mehrere Tausend Euro,
sagt Vereinschefin Annett Hertweck.
Dass er nötig ist,
merken die Arbeiter immer wieder.
Da kam einer übers Feld,
aber was für ein Klopper.
Wenn der Wolf gewünscht ist,
dann wäre es auch schön,
dass die, die Schafe halten,
auch Unterstützung bekommen würden.
Finanziell oder mit Materialien.
Sonst gehen
immer mehr Schäfereien kaputt.
Die Hilfen vom Staat
reichten nicht aus, sagt sie.
Trotzdem lehnt sie es ab,
Wölfe zu jagen.
--------------
Das war's von uns.