Vanlife: ein Leben auf vier Rädern
Wer hat noch nie davon geträumt: die Wohnung zu kündigen, sich vom gewohnten Leben zu verabschieden und die Welt auf vier Rädern zu erkunden. Es gibt viele Menschen, die sich diesen Traum erfüllen. Vermutlich hatte jede und jeder schon einmal so einen Gedanken: alles hinter sich zu lassen, völlige Freiheit, zu bleiben wo es einem gefällt. Und wie eine Schnecke, das eigene Haus in Form eines geräumigen fahrbaren Untersatzes immer bei sich zu haben. Nicht wenige Menschen haben sich diesen Traum erfüllt. Waren es anfangs Aussteigerinnen und Aussteiger, die in den ziemlich spartanischen Bullis durch die Welt zogen, hat sich mittlerweile eine richtige Szene entwickelt: die Vanlife-Community. Unter dem Hashtag #vanlife berichten die ‚Vanlifer‘ – so werden die Bus-Nomaden heutzutage genannt – über ihr Leben. So gesehen ist es eine moderne Art des Campings, ohne dessen Spießigkeit. Vor allem die sogenannte Generation Y – man nennt sie auch Millennials – hat Vanlife für sich entdeckt. Dabei werden die Fahrzeuge stetig optimiert – von der Küche bis zum Sternenhimmel wird alles verbaut, auf wenigen Quadratmetern Platz, gleich hinter dem Lenkrad. Ab ein paar Tausend Euro kann die Reise beginnen, ganz abhängig vom eigenen Komfortfaktor und Budget. Doch für einige ist der Van mehr als ein praktisches Gefährt für den nächsten Urlaub, es ist mehr als reines Camping auf eine etwas andere Art. Für einige – wie beispielsweise für den Musiker Josué – bedeutet Vanlife vor allem eins: ein Lebensgefühl, unabhängig zu sein. Denn, so meint er:
„Für mich ist das Schönste an diesem Lebensstil, dass man ständig in einer neuen Umgebung ist, dass man auch oft – ich würde sagen – spontaner entscheiden kann, wo man bleibt, wie lange man bleibt und wie die Reise weitergeht.“
Ungeplant handeln, einfach spontan sein. Das passt zu ihm und zu seiner Familie – seiner Frau und seinem Sohn. Die drei leben auch in Deutschland ‚alternativ‘ – in mehreren Bauwagen, die sie als Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Tonstudio nutzen. Als Musikgruppe „Riosentí“ gehen sie mit ihrem Van regelmäßig auf Tour und haben immer alles dabei. Das hat nicht nur praktische Gründe, sondern auch einen emotionalen Wert, sagt Josué:
„Wir haben ein Kind, und für uns war irgendwann total wichtig, dass, wenn wir unterwegs sind, wir so oft wie möglich dieses Gefühl haben können, zu Hause zu sein. Selbst wenn wir nicht da sind, wo wir unsere Wohnung haben, sondern egal, wo wir sind, dass wir ein Stück Heimat mit uns immer tragen.“
Gleichzeitig, so betont er, ist ihm und seiner Frau ein weiterer Aspekt wichtig:
„Dass wir aus den Reisen eine Schule machen für unser Kind. Das heißt, wenn wir fahren, lassen wir uns immer genug Zeit, um irgendwelche Museen oder Sehenswürdigkeiten oder Naturparks uns anzugucken. Und das lässt uns auf jeden Fall immer das Gefühl haben, dass wir nicht die ganze Zeit nur am Arbeiten, Fahren, Arbeiten, Fahren sind.“
Doch nicht immer geht es den „Vanlifern“ allein um das mobile Zuhause, die Freiheit zu entscheiden, wann und wohin man fährt. Manch einer oder eine will der Großstadt mit all ihren negativen Aspekten entfliehen. So wie auch Juli, die seit einigen Jahren gern mit ihrem Bus durch Europa fährt und von unterwegs als Journalistin arbeitet:
„Das Schönste für mich an dem Lebensstil ist, dass ich so nah in der Natur leben kann und an Orten aufwache, wo man gar keine Häuser bauen dürfte. Also wirklich direkt am Meer, [wo ich] den Sonnenaufgang von meinem Bett aus beobachten kann, den Sternenhimmel, weil ich an Orten bin, wo keine Lichtverschmutzung ist, also wo wirklich noch die Sterne ganz klar zu sehen sind.“
Romantiker und Romantikerinnen haben es schwer in deutschen Großstädten. Während sie in der freien Natur bei gutem Wetter auch einen Sternenhimmel sehen, ist das in großen Städten meist unmöglich. Der Grund: die sogenannte Lichtverschmutzung, also die Tatsache, dass das künstliche Licht die Sterne schlichtweg überstrahlt. Die absolute Freiheit, dem eigenen Bauchgefühl zu folgen sowie ihre Naturverbundenheit, haben Juli dazu gebracht, aus ihrer Berliner Wohnung auszuziehen und mit einem umgebauten Transporter mehr als zehn Länder zu durchqueren. Dabei erlebte sie viel Schönes, hatte aber auch den einen oder anderen bedrückenden Tag, erzählt sie:
„Ich hab selten in meinem Leben Heimweh gehabt. Aber ich hab tatsächlich, seit ich im Van wohne, richtig krass meine Freunde vermisst, war richtig traurig vor Heimweh. Weil dadurch, dass ich sämtliche Freiheiten hab, immer überall stehen kann und heute hier, morgen dort [bin], vermisse ich Wurzeln und so 'ne Stetigkeit von Menschen und Orten um mich rum. Und das muss ich dann abwägen mit dieser Freiheit und der Schönheit der Natur.“
So kann die neugewonnene Freiheit auch bedeuten, dass man sich manchmal wirklich extrem und stark, krass, allein fühlt, wenn die Freunde, die sonst nebenan wohnen, nun weit entfernt sind und höchstens über die Webcam zugeschaltet werden können, denn der Van verfügt unter anderem über eine Solaranlage, die für Strom und somit Internet sorgt. Doch Juli weiß um die Vorzüge des Reisens: Sie sammelt jede Menge Erfahrungen, lernt neue Menschen und Orte kennen und kann anderen davon berichten. So wie es Matthias Claudius mal formulierte: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“. Daher würde Juli all denjenigen, die sich mit dem Gedanken tragen, auch mal ihren Traum von Freiheit zu realisieren, definitiv raten:
„Macht es einfach! Traut euch! Die ganze Welt wartet auf euch! Habt keine Angst!“
Denn schließlich muss so eine Reise auch nicht für ewig sein. Yeshua, ein Sound-Designer, der mit seinem Bus auf Mallorca in Spanien gelebt hat, kehrte irgendwann dann mit seinem Van wieder nach Köln zurück. Trotz fast ganzjährig gutem Wetter auf der spanischen Insel, Baden im Meer und leckeren mediterranen Essens, sehnte er sich dann doch irgendwann wieder nach Räumlichkeiten, die sich wie eine richtige Wohnung anfühlen:
„Ich würde sagen, dass ein schönes, gemütliches Badezimmer auf jeden Fall seine Vorzüge hat. Eine Dusche und eine gut ausgestattete Küche ist auf jeden Fall auch was sehr Schönes. Wenn man denn mal kocht und die Möglichkeit hat, auf viele Arbeitsmittel zurückzugreifen, etwas, was man jetzt im Zweifel in einem Bus nicht so zur Verfügung stehen hat, dann macht das Kochen schon mehr Spaß.“
Selbst wenn man als Vanlifer gelernt hat, minimalistisch zu sein, so vermissen die Busnomadinnen und -nomaden mit der Zeit jedoch das Gewohnte. Doch für essentielle Dinge wird natürlich gesorgt, berichten Yeshua und Juli:
„Ich würde sagen, dass es wichtig ist für mich, immer Gas dabei zu haben, um mir einen Kaffee machen zu können. / Ich hab natürlich immer dabei: Wasser, Strom – also meine Solarzelle. Das darf nicht fehlen: Wasser und Strom!“
Deutlich wird, dass ein Leben im Van, so schön es auch in der Vorstellung sein mag, immer mit Kompromissen und Alternativlösungen verbunden ist. Doch was alle, die sich dafür entscheiden – selbst wenn es für eine begrenzte Zeit ist – miteinander verbindet, ist das Gefühl von Freiheit und Abenteuer, von Entschleunigung und Minimalismus und von der Suche nach dem Schönen und der Natur.