Eine Woche nach der Flutkatastrophe: Wer hilft und wer nutzt die Not aus? | Y-Kollektiv (1)
Hier sind Menschen gestorben, hier sterben immer noch Menschen. Hier ist alles zerstört.
Ich hab natürlich im echten Leben noch nie ein Kriegsgebiet gesehen, aber so stell ich mir eins vor.
Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz. Eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe bin ich unterwegs in den mit am
schwersten betroffenen Regionen. Freiwillige aus ganz Deutschland kommen, um zu helfen. Die Lage ist chaotisch.
Wir brauchen nach der aktuellen Kalkulation weitere 30 Busse.
Aber welche Hilfe kommt bei den Betroffenen wirklich an? Die Meinungen gehen auseinander. Und die Stimmung ist aufgeheizt.
Es wird im Internet gesagt: Bleibt fern, ihr behindert hier die Profis. Ich sehe wenig Profis.
So viele Helfer und so viel Hilfe, wie wir erfahren haben, unbeschreibbar.
Neben THW, Feuerwehr, Bundeswehr und Freiwilligen kommen auch Helfer mit fragwürdigen Ideologien.
Nutzen Sie die Situation für Ihre Zwecke?
Das ist das letzte was wir brauchen. Solche Spacken. Die Not der Menschen dann auch noch ausnutzen.
Ich packe selbst mit an und will herausfinden, wie helfen richtig geht?
9 Uhr morgens, ein Treffpunkt im Rheinland, genau eine Woche nach dem Hochwasser.
Von hier fahren Busse freiwillige Helfer in die betroffene Regionen, damit die Straßen nicht von Privatautos verstopft werden.
Ich war vor 5 Tagen schon mal zur Berichterstattung hier, seitdem wird in sozialen Medien der Vorwurf laut,
dass die Hilfe in den betroffenen Regionen nicht ankäme, ich will mir selbst ein Bild machen.
Boah, das letzte mal habe ich so ne lange Schlange auf der Fusion gesehen.
Und auch die Organisatoren der Busse hatten mit so viel Andrang nicht gerechnet, es fehlen Busse. Kein Wunder,
professionell organisiert, ist der Service nicht. Ich habe den Shuttle auf Facebook gefunden. Privatleute aus der Gegend haben ihn
auf die Beine gestellt. Manche von Ihnen sind selbst vom Hochwasser betroffen.
Wir brauchen mindestens, mindestens 10 weitere Fahrer inklusive Neunsitzerbusse. Wir müssen alles gerade umstellen.
Habt ihr einen Bus mit neun Sitzplätzen, seid ihr sofort eingestellt.
Die Polizei hilft beim Eskortieren.
Wir brauchen für die Polizei Applaus!
Während wir warten, treffe ich Lina, Dennis und Thorsten, die schon mehrmals in der Region waren.
Als Thorsten von der Katastrophe hörte, war sofort klar, er packt an.
Zwei Leute sind losgefahren. Ich kam gerade aus dem Urlaub und hab Zeit gehabt, dann ging es los.
Am ersten Tag habe ich ihn kennengelernt. Ich bin alleine hier her gefahren. Ich komme aus Hunsrück, habe die Woche Urlaub.
Und ja, hab sie kennengelernt und seitdem fahren wir jeden Tag zusammen.
Im Urlaub zum Helfen ins Krisengebiet. Für Dennis klingt das beinahe selbstverständlich.
Die Prioritäten sind klar: Möglichst viele Helfer möglichst schnell vor Ort bekommen. Einer passt noch hinten rein.
Wann sonst kann man aus so noblen Gründen auf die Straßenverkehrsordnung scheißen?
20 Minuten fahren wir nach Altenburg. Eine Stadt direkt an der Ahr.
Vor einer Woche fielen in der Region innerhalb von 72 Stunden 133 Liter Regen pro Quadratmeter. Die Ortschaften auf flacher Ebene
wurden besonders hart getroffen, weil der Regen aus den Bergen die Ahr zusätzlich flutete. Teils stand das Wasser hier 7 Meter
hoch. 179 Tote forderte die Katastrophe offiziell bisher - es gibt immer noch Vermisste.
Und all das wird mir plötzlich klar, als ich da bin.
Das ist so Wahnsinn. Ich mein, ich habe natürlich im echten Leben noch nie ein Kriegsgebiet gesehen, aber so stelle ich mir eins vor.
Hier steht ja nichts mehr. Und dann auch diese ganzen Akteure hier sind Hubschrauber, Polizei, Bundeswehr. Es ist..
Hier ist auch echt so eine Stimmung in der Luft. Es ist erdrückend.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würd ich denken: Gleich ruft ein Regisseur laut “CUT”. Inmitten dieser surrealen Kulisse
habe ich meine komplette Gruppe verloren. Also erstmal allein los und orientieren.
Ich erfahre, dass es einen Sammelpunkt gibt, an dem die Bundeswehr Hilfsaufträge an private Helfende vermittelt
und Gebietskarten verteilt. Dort treffe ich Andre, 23. Er gehört einer evangelischen Kirchengemeinde an, die mit 120 Leuten
aus ganz Deutschland angerückt sind. Gerade trommelt er eine Gruppe für das Leerschippen eines Kellers zusammen.
Hey Jungs, habt ihr hier noch was zu tun?
Ja, weil wir haben hier eine Kreuzstraße 17, da bräuchte man einige Leute, um was frei zu räumen. Wie viele Leute seid ihr?
Zu dritt.
Und ihr seid?
Genau, wir brauchen 20 Leute.
Genau, 20 Leute brauchen wir. Ihr seid 10, 3. Hilfsmittel von 10 Leuten. Ja perfekt, dann seid ihr 3. Wir sind noch 3,
dann sind wir schon fast.. Die anderen kriegen wir auch noch zusammen.
Unbürokratisch verabreden sich die Helfenden am Einsatzort.
Der Auftrag: Ein Kellerloch von Schlamm und Wasser befreien. Wer hier wohnt, wissen wir nicht. Vor einer Woche noch wäre es
undenkbar hier einfach in fremde Keller zu gehen. Aber private Räume scheint es jetzt nicht mehr richtig zu geben.
Zuerst saugt eine Pumpe das Wasser aus dem Keller.. Das große Problem ist aber der Schlamm darunter, der muss mit Eimern
abgetragen werden. Im ersten Moment wirkt der Matsch harmlos, aber dann wird mir klar: Der Schlamm der hier rumliegt ist
gefährlich. Da ist alles drin: Öl, Fäkalien, verwesende Stoffe.
Hier vor Ort ranken sich viele Horrorgeschichten um den Matsch. Und tatsächlich kann man sich davon von Magen-Darm bis hin zur
zur krassen Blutvergiftungen alles einfangen. Eigentlich müsste man die Straße mit Frischwasser vom Schlamm befreien:
Wasser und Strom aus Leitung wird es hier aber erst in Wochen wieder geben.
Dreckig werden wir garantiert.
Beim Eimer schleppen kommt die Sonne raus, 28 Grad, fremde junge Leute kommen miteinander ins Gespräch. Wär in den Eimern
Sangria und kein Schlamm, klingt die Beschreibung fast nach Urlaub.
Es ist krass, wenn man ausblendet, was man hier eigentlich macht, es ist ja fast ganz nett. Also, also wenn man es so..
Man kann solche Sachen auch nur mit Humor ertragen. Was willst du den tun? Wenn jetzt alle heulen, kommen wir nicht voran.
Anpacken heute, ne?
Ausblenden und arbeiten. Heute Abend ein Bierchen trinken. Bis Sonntag durchhalten.
Alles gut.
Manuel ist Hufschmied und erstmal 4 Tage zum Helfen da. Er ist bei einem Kumpel untergekommen, sonst kennt er hier keinen.
Das wird hier auch ewig und drei Tage dauern, bis das alles wieder aufgebaut ist. Dann sind so Baumaterialien gerade unfassbar teuer.
Das wird richtig spannend, wie gut das funktioniert. Aber es ist ja beeindruckend, wie viel Hilfe hier ja auch landet und wie viele
Leute spenden, Firmen spenden, was alles zur Verfügung steht. Selbst bei uns, anderthalb Stunden von hier,
waren Gummistiefel ausverkauft. Es war krass.
Krass!
Ich hab zum Glück Größe 47, da waren noch welche da.
Während wir hier arbeiten, denke ich an die Vorwürfe aus dem Netz, dass von offizieller Stelle zu wenig Hilfe käme und hier ohne die
Freiwilligen nix gehen würde. Manuel stimmt da nicht zu, die Profis sind einfach noch mit anderen Arbeiten beschäftigt, sagt er.
Die Jungs mit den großen Sachen, die haben jetzt keine Zeit, hier hinterm Haus die Sachen so groß rauszuschmeißen.
Dafür sind die Freiwilligen super.
Also für solche - oder hier für den Keller wegschleppen. Da müssen wir jetzt nicht die Bundeswehr ran ziehen oder was.
Die können erstmal die großen Sachen alle mit ihrem Gerät da wegschaffen. Und sich um die beschissenen Aufgaben kümmern,
weil hier sind immer noch Leute irgendwo verschüttet. Die müssen auch geborgen werden. Es muss ja nicht jeder hier den
Lebensretter mimen, sondern es geht ja um solche Arbeiten hier. Den Rest sollen die Profis machen, alles gut, wir machen das hier.
Über 3 Stunden vergehen, während wir den Keller leer schippen. Das muss man sich mal reinziehen: Hier helfen 20 Leute für
ein 10 Quadratmeter-Loch. Sowohl ermutigend, wie toll alle zusammenarbeiten als auch ernüchternd,
wie wenig menschliche Arbeitskraft gegen die Zerstörungswut der Natur ankommt.
Plötzlich kehrt die Besitzerin des Hauses zurück.
Also ich habe keine Worte mehr. So viele Helfer und so viele Hilfe, die wir erfahren haben. Es könne.. Also das ist unbeschreibbar.
Es ist Wahnsinn! Und alles so viele junge.
Waren sie auch hier, als es passiert ist?
Ja, mein Mann und ich, wir haben oben am Dach gesessen. Ja, also wenn es noch eine Viertelstunde geregnet hätte ich glaube,
dann wären wir nicht nach unten gekommen. Hatten wir so ein rotes Tuch. Dann haben wir immer durch die Luke gewunken.
Und dann kam morgens, nachts kann ja kein Hubschrauber fliegen und dann kam morgens, kam dann der Hubschrauber
und hat uns rausgehoben.
Auch mein Eindruck ist: Fast alle Menschen, die ich treffe sind zwischen 20 und 35. Das ist aber auch kein Wunder: Denn die
Arbeit ist wirklich anstrengend.
Nach der Arbeit gehen Andre und ich zum Versorgungszelt. Mir fällt auf: Bei der Essensversorgung arbeiten zumeist die etwas
älteren Helfenden. Es ist beeindruckend wie gut alles funktioniert: Innerhalb von kürzester Zeit wurde hier
eine funktionierende Versorgungsstruktur aufgebaut.
Du hast gerade eben gesagt, und das ist witzig, weil ich hatte den Gedanken auch schon mal,
dass es einen so bisschen an Festival erinnert.
Ja, auf jeden Fall. Der ganze Dreck, überall Leute die rumlaufen, Gemeinschaftsduschen die aufgebaut sind oder sowas,
das ist schon krass.
Ja, schon krass. Na eben auch diese, als die Leute sich so mit Sonnenmilch eingecremt haben, dachte ich so:
Dieser Duft passt nicht zu der Kulisse hier irgendwie.
Heute morgen als ich kam, ich hatte so richtig Gänsehaut, als ich das hier gesehen habe und ich hatte echt so ein Schockmoment.
Und jetzt ist man schon wieder ein paar Stunden hier und man akklimatisiert sich auf so eine komische Art und Weise.
Man fühlt es. Es fühlt sich so ein bisschen normal an.
Man gewöhnt sich voll daran.
Voll.
Ich bin irgendwie erleichtert, dass es nicht nur mir so geht und auch Andre sagt, dass man das Leid ein Stück weit ausblendet.
Wer weiß, ist vielleicht auch besser so.
Kurze Zeit später werde ich aber wieder erinnert: Wir sind immer noch im Krisengebiet.
Wir wollten eigentlich grad zurück zu unserem Shuttle laufen, aber da sind defekte Gasflaschen und deshalb werden jetzt alle
zurückgeschickt. Auch die großen Autos und so, weil das natürlich gefährlich ist. Jetzt müssen wir mal gucken,
wie wir hier überhaupt rauskommen.
Weil wir nicht weiterkommen, gehen wir zurück zum Helferpunkt. Eigentlich wollen wir von der Bundeswehr einen alternativen Weg
aus dem Krisengebiet erfahren, als wir dort Mario treffen. Vor einem halben Jahr hat er sich mit seiner Freundin ein Haus an der
Ahr gekauft. In der Katastrophennacht hat Mario dann all sein Hab und Gut verloren.
Du hast hier gewohnt?
Ja, genau. Ja, also das ist direkt hier Richtung Ahr.
Fast alle Häuser hier in der Gegend gelten nach der Katastrophe als einsturzgefährdet und müssen abgerissen werden.
Marios Haus ist eines von 6, das stehen bleiben kann.
Hallo. Wir sind vom Y-Kollektiv. Wir machen eine Reportage, haben gerade deinen Freund geschnappt,
der hat uns ein bisschen was erzählt.
Bin so nett und komme gerade noch mit. Damit die sich das auch mal ansehen. Ja, alles klar. Bis gleich.
Das hier ist euer Haus? Ja.
Und hier sind auch die freiwilligen Helfer, die gerade unser Dach abdichten.
Wir dürfen hoch ja, passiert nichts glaube ich.
Das Haus ist vom Wasser noch schwer gezeichnet. Es ist kaum zu fassen was hier passiert ist: 6 Meter hoch stand das Wasser.
In letzter Sekunde schwimmen Mario und seine Freundin aus dem Fenster im Obergeschoss.
Die Strömung unten drunter hat uns die Beine weggerissen. Aber dann hochgeklettert. Meine Freundin konnte ich auch
noch hochziehen. Ich habe sie dann mit hochgezogen. Die Katzen haben wir hochbekommen und dann waren wir erleichtert,
als wir gesehen hatten, das Wasser steigt nicht mehr nach Stunden. Das Wasser stand ungefähr ja also bis hier oben unter
das Dach.
Was denkt man dann, wenn man da sitzt und alles.. Wie habt ihr diese 14 Stunden überstanden?
Am Anfang war sehr viel schwarzer Humor dabei. Ja, tatsächlich, wir konnten ja nicht, also irgendwie muss man sich ja wach und
sich bei Laune halten. Todesangst kurz vorher gehabt.
14 Stunden warten die beiden auf dem Dach auf Rettung. Seitdem sind sie dauerhaft unter Strom.
Die Frau gegenüber von uns ist leider ertrunken. Da hinten. Aber das ist was anderes.
Eine nette Frau.
Jetzt denkt man eigentlich nur noch dran: Hauptsache, man kann noch ein paar Sachen retten oder das so Leute sind, wie hier jetzt.