Lebt die Milchstraße? | Harald Lesch (1)
[Harald Lesch][Musik] In der Astronomie wird ja schon seit Ewigkeiten Inventur gemacht
was es alles gibt. Aber jetzt fangen wir allmählich auch an zu verstehen wie das
funktioniert, was es da alles gibt. Und sogar bei den Galaxien kann man
Begriffe verwenden, die sich sonst nur in der Biologie wiederfinden.
Da ist von lebendig die Rede, von selbstregulierend, von Organismus.
Lebt die Milchstraße? Ist die Galaxis ein Organismus? Kann man sowas machen?
Kann man sich vorstellen, dass Galaxien Organismen sind,
in denen irgendwas umgebaut, abgebaut und eingebaut wird?
Und dabei trotzdem das Ganze sich als Struktur erhält.
Kann man sowas machen? Das ist ja interessant bei der Erde kann man das nämlich.
[Intro]
[HL] Es geht nicht darum, ob es Leben in der Michstraße gibt.
Darüber will ich gar nicht sprechen. Es gibt uns. Also mindestens wir
sind ein Teil des Lebens in der Milchstraße.
Brauchen wir also gar nicht drüber zu reden.
Es geht um eine systemische Betrachtung. Es geht um eine... Wie soll ich sagen?
Um eine sich zurücklehnende Betrachtung um sich mal zu fragen: Was ist denn das
eigentlich, so eine Milchstraße? Also dieser systemische Gedanke, dass ein großes,
sehr sehr großes Objekt eben nicht nur ein Objekt ist, so wie eine Tasse.
Die ist ja tod. Ich meine, die ist jetzt einfach nur Material. Klar. Sondern,
dass es sich um ein Objekt handelt, das eine innere Dynamik besitzt. Und aus dieser
inneren Dynamik heraus sich andere Abläufe, andere Kreisläufe sich immer wieder
auf's Neue ergeben und damit Eigenschaften, z.B. auf der Erde entstanden sind, [Musik]
die es möglich gemacht haben, dass auf der Erde Leben für lange Zeit existiert.
Was gibt es denn für Hinweise für so ein Lebendig-Sein eines ganzen Planeten?
Naja, es sind die Kreislaufprozesse, die einen v.a. relativ schnell darauf bringen,
dass da offenbar sozusagen ein Zahnrad, ein Rad, ins andere greift.
Was wir ja schon in der Schule lernen, ist die Sache mit dem Wasserkreislauf.
Also es fängt an zu regnen, [Regen] das Wasser fällt in den Boden, wird zu
Grundwasser usw. Oder auch nicht. Verdunstet gleich wieder. Aber Wasser kommt auf jeden
Fall in den Boden, wird vom Boden aufgenommen, [Plätschern] kommt dann über die Quelle
wieder raus, kommt bald in kleine Bächlein. Die Bächlein, die tun sich zusammen zu
Flüssen. Die Flüsse vielleicht zu Strömen und die Ströme, die landen dann im Meer.
Und dann verdunstet das Wasser auch immer wieder. Dann kommt es immer wieder so zurück.
Das kennen wir alle. Dann gibt es die Kreisläufe der Gesteine ganz unterschiedlicher Natur,
weil nämlich die Erosion an der Oberfläche z.B. Gebirge komplett abbaut
und dann versinken die Gesteine im Erdinneren wieder, weil es solche großen
Bewegungen von Platten gibt usw. Aber hier auch der Treibhauseffekt.
Unsere Atmosphäre ist ja auch so ein Kreislaufphänomen. Es wird also
immer wärmer und wärmer, wenn immer mehr Treibhausgase in der Atmosphäre sind.
Was sind überhaupt Treibhausgase? Wasserdampf ist ein wichtiges Treibhausgas,
aber auch CO2, Methan. Und dieser Treibhauseffekt auf der Erde
reguliert seine Oberflächentemperatur. Ohne die Atmosphäre
hätte die Erde eine Temperatur von -18 Grad Celsius.
D.h. sie wäre komplett vergletschert und Oberflächen die weiß sind,
und Eis ist ja weiß, die reflektieren das ganze Licht zurück. Fast alles.
D.h. die Erde wäre für immer eine Eiskugel geblieben, wenn sie keine Atmosphäre hätte.
Und diese Atmosphäre hat dazu geführt, dass die Erde heute eine angenehme Kugel ist
und eine angenehme Temperatur von +15°C hat.
In der Erdentwicklung das Auftreten von Einzellern, die auf einmal das Sonnenlicht
verwendet haben zur Photosynthese und dabei Sauerstoff freigesetzt haben
und damit einen Stoff zunächst in die Weltmeere später dann in die Atmosphäre
gebracht haben, die in der Atmosphäre in der Höhe,bei 15 km ungefähr,die Ozonsicht erzeugt hat.
Die Ozonschicht wiederum, die das Leben auf der Erde vor der Ultraviolettstrahlung
der Sonne schützt. Das ist z.B. so ein Regulationsmechanismus.
[Musik] Zumindestens könnte man ihn so interpretieren, dass das Leben sich hier
vor einer tödlichen Gefahr selbst geschützt hat.
Und das nennt man in der Wissenschaftsgeschichte das sog. Gaia-Prinzip.
Das ist übrigens eine Überlegung, die in den 60er und 70er Jahren sehr stark
in die Wissenschaft gedrungen ist und hat was mit dem Begriff der Ökologie zu tun.
Dass man sich also ein Gesamtsystem anschaut. Woher kommt die Energie,
die in dem System auf ganz verschiedene Art und Weise
abgebaut, umgebaut und verarbeitet wird? D.h. Selbstorganisation
spielt eine ganz wichtige Rolle darin, wie sich Strukturen erhalten können
oder, wie man so schön sagt, wie Ordnung aus Ordnung entsteht.
Wie Ordnung erhalten werden kann. Und das kann man in der Tat fragen. Für die Erde,
Gaia-Prinzip wird heute auch gerne wieder benutzt. Bei ökologischen Fragestellungen
ist das ganz wichtig systemisch das Ganze zu betrachten.
Heute gibt es Begriffe wie Planetary Health z.B., die Gesundheit des Planeten und
die Gesundheit seiner Bewohner, insbesondere unserer eigenen Gesundheit.
Und wenn das so griffig ist und auch so viel Verständnis erzeugt,
könnte man sich ja fragen: Können wir nicht ein besseres Verständnis für eine Galaxie
dadurch bekommen, dass wir sie wie ein Organismus auffassen?
Das soll gar nicht esoterisch klingen.
Was ich meine ist, wir benutzen eine Sprache,
die an unserer direkten Umwelt geschult ist, also Begriffe,die an unserer direkten
Umwelt geschult sind. Und wir müssen aber, wenn wir solche Dinge machen wie
Astronomie mit unserer Sprache dann eben die anwenden auf solche ganz anderen Objekte.
Und da gibt es natürlich Probleme. Deswegen ist der Organismus hier ein Ausdruck dafür,
dass Dinge sich selbst regulieren können. Dass es also Regulationsmechanismen gibt,
die das Ganze nicht explodieren lassen, nicht implodieren lassen. Es bricht
also nicht auseinander, fällt nicht in sich zusammen,
sondern es bleibt formerhaltend so da. Nicht immer das Selbe, aber das Gleiche.
Und das könnte man bei der Galaxie tatsächlich so sagen. Tatsächlich. Wirklich.
Und das will ich euch mal zeigen.
[Musik] Wir haben es bei der Milchstraße mit einer Scheibengalaxie zu tun.
Warum ist es eine Scheibe? Weil sie sich dreht. Sie dreht sich um was?
Um das Zentrum. D.h. also wir haben auf der einen Seite die Schwerkraft,
die die Galaxie zusammenhält. Tatsächlich. Und auf der anderen Seite aber die Rotation.
D.h. also wir haben die Trägheitskräfte, die mit der Rotation zusammenhängen und wir
haben die Schwerkraft. Da kann man sich fragen: Wie entsteht so ein Gebilde eigentlich?
Nach allem, was wir wissen, und heute in der modernen Astronomie können wir
den Galaxien beim Werden zuschauen, wir können tief ins Universum blicken und können
uns anschauen, wie entstehen eigentlich solche Scheibengalaxien wie unsere Milchstraße.
Die entstehen durch die Verschmelzung von kleinen Galaxien.
Tatsächlich, das ist wie beim Flugzeugträger kann man praktisch sagen.
D.h. die kommen darein, die kleinen Galaxien, und landen in dieser werdenden
großen Galaxie wie auf einem Flugzeugträger und werden dann in der Scheibe
mit Gas und Sternen tatsächlich zu einer großen Galaxie aufgebaut.
Und was dann passiert, das erinnert eben wirklich ganz fatal an einen Organismus.
Also Galaxien werden. Sie werden dadurch, dass kleine Galaxien miteinander verschmelzen
und wenn das Potenzial, das Gravitationsfeld, in dem das Ganze passiert
eine bestimmte Form hat, dann ist auch immer Rotation [Musik] dabei und damit
haben wir schonmal im Prinzip vorgegeben, dass Ganze ist eine Scheibe.
Aber in dieser Scheibe passieren Dinge.
[Musik] Die Scheibe ist nämlich nicht stabil.
Sie ist so ein ganz bisschen instabil. Und zwar gerade so, dass immer was passiert.
Was passiert denn da? Naja, es passiert das, was im Universum passieren muss.
Wenn die Dichte ein bisschen höher geworden ist an einer Stelle als in der Umgebung.
Das Material verdichtet sich.
Die Gravitation, die Schwerkraft nämlich, als die einzige nicht abschirmbare Kraft im Universum,
die führt dazu, dass diese Verdichtungen immer größer werden und dabei bilden sich
Gaswolken und in den Gaswolken führen die Verdichtungen wiederum dazu,
dass sich in den Gaswolken Sterne bilden.
Und das ist interessant, nämlich in dieser rotierenden Scheibe entstehen auf einmal
Bereiche, die sind ein bisschen dichter. Und da diese Scheibe nicht rotiert wie ein
starrer Körper; beim starren Körper würde die Geschwindigkeit, mit der etwas rotiert,
nach außen hin systematisch zunehmen; sondern, weil diese Scheibe differentiell
mit einer konstanten Rotationsgeschwindigkeit rotiert, entstehen Spiralarme.
Für alle diejenigen, die Milch in ihrem Kaffee trinken, die wissen, wovon die Rede ist.
[Platsch] Ein Tropfen Milch in den Kaffee, ein bisschen umrühren und
schon entstehen Spiralarme. Aber dann sieht man auch gleich, die Spiralarme
unserer Milchstraße, die sind nicht nur ein Mal entstanden.
Also durch einen Tropfen Milch entstehen Spiralarme, die sich sofort aufwickeln.
[Drehgeräusch] Und da die Milchstraße schon 50-60 Mal um die eigene Achse gedreht hat,
würde man Spiralarme dann heute gar nicht mehr sehen.
Die wären so eng aufgewickelt, die würden praktisch aussehen wie Kreise.
Nein, das, was man sehen kann ist, die Spiralarme sind sehr offen.
D.h. in der Milchstraße entstehen ständig neue Störungen, ständig neue Verdichtungen,
die immer wieder auf's Neue zu Spiralarmen verzehrt werden.
Und das Tolle an den Spiralarmen ist nun, dort ist die Dichte ein bisschen höher
als in der Umgebung. Und da, wo die Dichte ein bisschen höher ist,
da kommt es zu Verdichtungen von Wolken. In den Wolken kommt es zur
Sternentstehung und so kann man tatsächlich heute sehen, in allen Galaxien,
dass die jungen Sterne; denn auch Sterne werden ja geboren in Gaswolken;
dass die jungen Sterne fast ausschließlich, bis auf ganz winzigkleine Ausnahmen,
in den Scheibengalaxien sich auf die Spiralarme konzentrieren.
Also die Spiralarme sind die Gebilde, in denen Sterne entstehen
und Sterne entstehen in Gaswolken. Und sie entstehen in den Gaswolken, wenn?
Genau, wenn die Dichte hoch genug ist. Es ist also ein kritischer Prozess.
Das muss man überhaupt sagen: All diese Prozesse, von denen hier die Rede ist in einem
Organismus, sind immer Prozesse, die müssen bestimmte kritische Schwellen überschreiten
Wir brauchen eine bestimmte Temperatur um am Leben zu bleiben. Es darf nicht zu heiß
sein, dann sind wir tod. Aber es darf auch nicht zu kalt sein, dann sind wir auch tod.
Und in der Tat, Sterne entstehen nur dann, wenn die Dichte einen
bestimmten kritischen Wert überschreitet, weil dann die Schwerkraft
auf einmal stärker wird als alle anderen als alle anderen Kräfte.
Und dann entsteht nicht nur ein Stern, sondern es entstehen Sterne und Sterne
haben ganz unterschiedliche Massen. Deswegen haben sie auch unterschiedliche Leben.
Kleine Sterne leben sehr lange, sehr sehr lange. Die haben schon längst vergessen,
wo sie geboren wurden. Deswegen findet man die kleinen,
die roten Sterne, überall in der Milchstraße. Überall.
Aber dann gibt es eben die großen Sterne, die blauen, die schweren Sterne.
Manche von denen leben nur ein paar Mio. Jahre und
und explodieren am Ende ihres Lebens als Supernova.
Und nur die Sterne, die explodieren [Explosion] oder zumindest starke Winde treiben,
geben das, was in ihnen entstanden ist, an das interstellare Medium zurück.
Und in diesem interstellaren Medium bilden sich durch die Spiralarme praktisch große
Fronten an Sternenentstehungen, die sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegen,
z.B. bei uns auf der Entfernung der Sonne vom Zentrum der Milchstraße ca. 220 km/s.
Also diese Spiralarme bewegen sich durch die Scheibe der Milchstraße
zusammen mit den Sternen. Und manche dieser Sterne sind sogar schneller als
die Spiralarme, manche sind langsamer, d.h. die Spiralarme werden entweder
überholt von den Sternen oder sie überholen die Sterne.
Und dann gibt es diejenigen, die eben so kurz leben, dass sie gar nicht großartig
aus den Spiralarmen rauskommen, also von dem Ort der Entstehung
gar nicht großartig rauskommen. [Musik] Aber da, weil sie so kurz nur leben
und ihre ganze Fracht ins Universum wieder zurückgeben, sind sie
dafür zuständig, dass sich das interstallare Medium der Milchstraße
mit neuen, mit schweren Elementen anreichert und dabei immer mehr und mehr die
Wahrscheinlichkeit vergrößert, dass es zu Planeten kommt. Nämlich zu Felsenplaneten.
Wenn nämlich zu wenig da ist, dann würde es gar nicht zu Felsenplaneten kommen.
So können wir schonmal im Prinzip durch diese ständige Selbstorganisation
der Milchstraße sowas definieren wie eine habitable Zone in der Milchstraße.