In der Dunkelheit von Edith Nesbit - 04
Kapitel III
So kam es also, dass wir gemeinsam im Ausland umherzogen. Ich war voller Hoffnung für ihn. Er war schon immer so ein herrlicher Kerl – so gesund und stark. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er verrückt geworden sei, fort für immer, ich meine, dass er nie wieder richtig würde. Vielleicht verhinderten meine eigenen Sorgen, dass ich die Dinge klarer sah. Wie auch immer, ich nahm ihn mit mir, um die Gesundheit seines Verstandes wiederherstellen, genau so, wie ich ihn mitgenommen hätte, um ihn nach einem starken Fieber wieder aufzubauen. Und der Wahnsinn schien wirklich zu vergehen.
Nach einem oder zwei Monaten waren wir geradezu lustig, und ich dachte, dass ich ihn geheilt hätte. Das freute mich, unserer alten Freundschaft wegen, und weil sie ihn geliebt und mich gemocht hat.
Wir sprachen nie über Visger. Ich dachte, er hätte ihn vollständig vergessen. Ich dachte, ich verstünde, wie sein Geist, von Trauer und Wut überstrapaziert, sich auf den Mann, den er hasste, fixiert hatte, und daraus einen Alptraum des Grauens um diese verabscheuungswürdige Persönlichkeit gewebt hatte. Außerdem wischte ich mit einer Hand auch meine eigenen Schwierigkeiten vom Tisch. Und so waren wir all die Monate so lustig wie kleine Sandkasten-Freunde.
Schließlich erreichten wir auf unseren Reisen Brügge und Brügge war zu jener Zeit gerade wegen der Ausstellung sehr belegt. Wir konnten nur noch ein Zimmer und ein Einzelbett ergattern. So warfen wir eine Münze, und der Verlierer sollte den guten Teil der Nacht im Armsessel verbringen. Das Bettzeug teilten wir gerecht unter uns auf.
Den Abend verbrachten wir zunächst in einem Café plaudernd und beendeten ihn in einer Bierhalle. Es war schon spät und wir sehr müde, als wir zum Grande Vigne zurückkehrten. Ich nahm unseren Schlüssel vom Nagel der Rezeption und wir gingen hinauf. Ich erinnere mich, dass wir eine Weile über die Stadt und den Glockenturm sprachen und über die venezianische Aspekte der Kanäle beim Mondschein, und dann ging Haldane zu Bett. Ich selbst fertigte mir einen Kokon aus meinem Anteil an Decken und stopfte diese feste Rolle in den Sessel. Es war nicht bequem, aber ich dafür um so müder, was dies kompensierte. Beinahe war ich schon eingeschlafen, als Haldane mich weckte, um über seinen letzten Willen mit mir zu reden.
»Ich habe alles dir hinterlassen, alter Mann«, sagte er. »Ich weiß, ich kann dir vertrauen, dass du bei allem nach dem rechten siehst.«
»Ganz recht«, murmelte ich, »aber wenn du nichts dagegen hast, werden wir morgen früh darüber reden.«
Er versuchte, fortzufahren, und sprach darüber, was für ein guter Freund ich doch wäre und all das, aber ich verbat ihm den Mund und forderte ihn auf, schlafen zu gehen. Aber nein. Er habe es nicht bequem, erwiderte er. Und er sei durstig wie ein Kalkofen. Außerdem habe er bemerkt, dass es keine Wasserflasche auf dem Zimmer gebe. »Und das Wasser im Waschkrug ist eine fade Brühe«, sagte er.
»Oh, gut«, erwiderte ich »Zünde eine Kerze an und gehen dann runter, Wasser holen, und danach, in Gottes Namen, lass mich endlich schlafen.«
Aber er sagte: »Nein, du sollst es anzünden. Ich will in der Dunkelheit das Bett nicht verlassen. Ich könnte, könnte vielleicht … auf etwas treten … oder in etwas hineinlaufen, das vorher nicht dagewesen ist, wenn ich ins Bett zurückkehre.«
»Oh verdammt,« murmelte ich, »dann lauf doch in deine Großmutter hinein!« Aber dann zündete ich doch alle Kerzen an. Er setzte sich im Bett auf und musterte mich, er schien sehr bleich, wobei seine Haare wirr über das Kissen fielen, und seine Augen blinzelten und glänzten. »Das ist besser«, meinte er. Und dann: »Sag ich doch – hier. Oh ja, ich sehe es. Jetzt ist alles in Ordnung. Schon seltsam, dass sie die Laken auf dieser Weise besticken. Verdammt soll ich sein, wenn ich nicht vor einer Minute noch gemeint hätte, es wäre Blut.«
Das Laken war tatsächlich bestickt, aber nicht an den Ecken wie zuhause, sondern genau in der Mitte, wo es gefaltet wird und zwar mit großen, roten Kreuzstichen.
»Ja, ich sehe was du meinst«, sagte ich, »das ist eine seltsame Stelle, sie zu kennzeichnen.«
»Und welche sonderbaren Initialen sie angebracht haben«, bemerkte er. »GV«.
»Grande Vigne«, meinte ich. »Was für Buchstaben hast du denn sonst erwartet, welche sie einsticken sollten? Und jetzt beeile dich.«
»Du kommst auch mit«, forderte er. »Ja, das steht für Grande Vigne, natürlich. Ich wünschte, du würdest mich nach unten begleiten, Winston.«
»Ich geh alleine nach unten«, antwortete ich und wandte mich mit der Kerze in der Hand um.
Er sprang aus dem Bett und war blitzschnell an meiner Seite.
»Nein«, erwiderte er, »ich will nicht allein in der Dunkelheit zurückbleiben.«
Er sagte es so, wie es auch ein verängstigtes Kind getan haben würde.
»Also gut, dann komm mit«, gab ich nach. Und wir gingen. Ich versuchte, glaube ich, einen Witz über die Länge seiner Haare und den Schnitt seines Pyjamas zu machen, aber dadurch zu vertuschen, dass ich nur krank vor Enttäuschung war. Denn nun war es eindeutig klar, dass all meine Zeit und Mühe vergeblich gewesen, dass er keineswegs geheilt war. Wir schlichen so leise wie wir konnten, und nahmen uns eine Karaffe mit Wasser von dem langen nackten Esstisch im Foyer-Verkauf. Er hielt sich zunächst an meinen Arm fest, und dann nahm er mir die Kerze fort, und ging sehr langsam, mit der Hand das Licht beschattend voraus, suchte dabei sehr sorgfältig alles ab, als ob er erwartete, etwas zu sehen, das er verzweifelt nicht sehen wollte. Und natürlich wusste ich genau, was das sei. Die Art wie er vorausging, mochte ich nicht. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich es nicht mochte. Ab und an blickte er über seine Schulter, genau so wie er es an jenem ersten Abend nach meiner Indienrückkehr getan hatte.
Die Sache ging mir auf die Nerven, so dass ich kaum den Weg zurück zu unserem Zimmer fand. Als wir endlich dort ankamen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, war ich zur Hälfte überzeugt, dasselbe dort vorzufinden, was er zu sehen erwartet hatte – das, oder etwas ähnliches, auf dem Kaminläufer. Aber natürlich gab es dort nichts.
Ich blies das Licht aus und zog meine Decken enger um mich – während unseres Ausflugs hatte ich sie hinter mir her geschleift. Als ich mich so im Sessel niedergelassen hatte, sprach Haldane:.
»Du hast alle Decken«, sagte er.
»Nein, habe ich nicht«, sagte ich, »nur die, welche ich eben schon hatte.«
»Ich kann meine aber nicht finden«, murmelte er daraufhin, und ich konnte hören, wie seine Zähne klapperten. »Mir ist kalt. Mir ist … um Gottes Willen, zünde die Kerze an. Zünde sie an, mach Licht! Irgendetwas Schreckliches …«
Aber ich konnte die Streichhölzer nicht finden.
»Zünd die Kerze an, die Kerze«, sagte er, und seine Stimme brach, wie sie es manchmal bei einem Chorknaben tut. »Wenn du es nicht tust, wird er zu mir kommen. Es ist so einfach, sich im Dunkeln heranzuschleichen. Oh Winston, zünde die Kerze an, bei der Liebe Gottes! Ich kann doch nicht in der Dunkelheit sterben.«
»Ich zünde sie an«, sagte ich wütend, und tastete nach den Streichhölzern auf der Marmorplatte der Kommode, auf dem Kaminsims – überall, auch in der Mitte des runden Tisch, wo ich sie hingelegt hatte. »Du wirst nicht sterben. Sei kein Narr«, sagte ich. »Es ist alles in Ordnung. Ich werde in einer Sekunde Licht machen.«
Er rief: »Es ist kalt. Es ist kalt. Es ist kalt«, genau so, dreimal. Und dann schrie er laut auf, wie eine Frau – wie ein Kind, wie ein Hase wenn die Hunde ihn schnappen. Ich hatte ihn nur einmal vorher so schreien gehört.
»Was ist?« Rief ich, kaum weniger laut. »Um Gottes willen, nicht so laut. Was ist denn?« Es folgte eine leere Stille. Dann, ganz langsam: »Es ist Visger«, sagte er. Und er sprach gepresst, wie durch einen erdrückenden dichten Schleier.
»Unsinn. Wo?«, Fragte ich, und meine Hand schloss sich um die Streichhölzer, als er dies sagte.
»Hier«, schrie er schrill auf, als ob er den Schleier weggerissen hätte, »hier, neben mir. Im Bett.« Ich hatte die Kerze angezündet, und ich kam zu ihm hinüber.
Er war zu einem elenden Haufen an der Bettkante niedergesunken. Auf dem Bett hinter ihm ausgestreckt lag ein toter Mann, bleich und sehr kalt.
Haldane war in der Dunkelheit gestorben.
Und dabei war alles so simpel.
Wir hatten das falsche Zimmer erwischt. Der Mann, dem das Zimmer gehörte, war auch dort, auf dem Bett welches er reserviert und bezahlt hatte, bevor er früher an diesem Tag an einer Herzkrankheit verstarb. Ein Französischer Handelsreisender für Seifen und Parfüms; seinen Name war Felix Leblanc.
Später, in England stellte ich vorsichtige Nachforschungen an. Der Körper eines Mann wurde im Red Hill-Tunnel gefunden – ein Aktienhändler namens Simmons, der Salzlauge getrunken hat, wegen der großen Depression. Die Flasche hielt er noch in seiner toten Hand.
Aus gutem Grund sorgte ich dafür, einen Polizeiinspektor bei mir zu haben, als ich die Kisten, die mir von Haldanes Letztem Willen übertragen worden waren, öffnete. Eine von ihnen war die große, mit Metall ausgekleidet Kiste, in der ich ihm die Felle aus Indien geschickt hatte – als eine Hochzeitsgeschenk. Gott helfe uns allen!
Sie war stark verplompt.
Im Inneren waren die Pelze von Tieren? Nein, die Leichen von zwei Männern. Einer, so fand man nach einiger Mühe heraus, war ein Hausierer von Kugelschreibern in Stadtbüros … irgend wie passend. Er war in einem solchen gestorben, so schien es. Der andere Körper war Visgers, das war klar genug.
Erklären Sie sich das, wie Sie möchten. Ich bot Ihnen, wenn Sie daran erinnern, eine Auswahl von Erklärungen, bevor ich die Geschichte begann. Ich habe aber noch nicht diejenige gefunden, die mich selbst zufriedenstellen konnte.