XXVII. Kapitel: Ein urweltliches Reittier
Die lange Winternacht war natürlich äußerst langweilig und die beiden Freunde mußten sich die Zeit so gut als möglich vertreiben. Ihre gesammelten Naturalien ordneten sie so schön und sorgfältig, daß jedes Museum stolz auf diese Bereicherung hätte sein können.
Der 'Naturschatz', Eduard's angelegtes, wissenschaftliches Tagebuch, wurde mit der größten Gewissenhaftigkeit geführt, denn Eduard sagte sich sehr richtig, diese Reise hat nur den einen allgemeinen Wert, wenn etwas nützliches dabei herausspringt, und der Nutzen konnte hier nur in der Bereicherung der Wissenschaft bestehen.
Zu schönen, hellen Zeiten, wenn der Vollmond die Schneeflächen beleuchtete, gingen sie auch öfter auf die Jagd, und es gelang ihnen, manchen frischen Braten zu erlegen. Der Bach lieferte ihnen Fische, die sich in den weiteren und tieferen Stellen massenhaft aufhielten.
Der Gesundheitszustand war ein ausgezeichneter, und ihr Ziegelsteinhaus bewährte sich vollständig nach Wunsch.
Die Kälte war im allgemeinen nicht bedeutend und das Klima auch im Winter mit dem Deutschlands zu vergleichen.
Ihr Hans war ganz zahm geworden, er schien vergessen zu haben, daß er ein Gefangener sei. Besonders gegen Eduard war er sehr zutraulich. Wenn dieser in seinen Wohnraum kam, so kroch er rasch aus seinem Heulager heraus und fraß ihm etwaiges Mitgebrachtes aus der Hand und rieb seinen Kopf an ihm.
Eduard hatte schon oft daran gedacht, ihn als Reittier zu benützen und entschloß sich, es zu versuchen. Zuerst fertigte er einen Zaum, den er ihm nach einigem Sträuben anlegte.
Als Hans sich etwas daran gewöhnt hatte, schwang er sich mit Wonströms Hilfe auf seinen Rücken.
Der starke Vogel war merkwürdigerweise gar nicht so aufgebracht darüber, wohl hüpfte er etwas rechts und links und schlug mit seinen kurzen Flügeln, aber durch Zureden und Schmeicheln wurde er ruhig und Wonström führte ihn mit seinem Reiter langsam im Kreise herum. Dies wiederholten sie sehr oft und nach und nach gewöhnte sich Hans an diese Art Arbeitsleistung.
Jetzt wurde in der Dressur etwas weiter gegangen, Wonström führte den Vogel nicht mehr, sondern Eduard führte allein den Zügel. Nach einigen Übungen ließ sich Hans so leicht lenken, wie ein gutes Reitpferd.
Was fehlte jetzt noch, um ihn als Reittier für die Dauer zu benutzen?
Mit diesen Beschäftigungen verging die finstere Zeit und mitte Februar kündigte ein heller Schein zu mittag im Osten die bevorstehende Ankunft der Sonne an.
Die beiden Freunde hatten schon öfters über ihre Heimreise gesprochen, wie diese wohl am besten auszuführen sei.
Durch den Austria-Sund zurückkehren war nicht gut möglich, weil darin die Strömung nach Norden ging. Sie mußten einen Weg wählen, der eine Möglichkeit zuließ, und das konnte nur bei einer südlichen Strömung der Fall sein.
Der Rückweg, den Wonström vorschlug, ging durch die Lincoln-See, den Robeson- und Kennedy-Kanal, den Smiths-Sund, dann durch den Smiths-Kanal in die Bassins-Bai, wo sie sicher darauf rechnen konnten, Walfischfahrer zu treffen, um von diesen aufgenommen zu werden.
»Das wird eine schlimme Reise werden,« meinte Wonström. »Wer weiß ob wir nicht bei dem Versuch, in das von Menschen bewohnte Land zurückzureisen, zugrunde gehen.«
»Nur nicht verzagen,« entgegnete Eduard, »der liebe Gott hat uns so Außerordentliches leisten lassen, daß wie unrecht thun, wenn wir eine glückliche Rückreise in Frage stellen. Ich bin fest überzeugt, daß wir wieder heimkommen werden.«
»Nun, ich bin der letzte, der verzagt,« sprach Wonström, »wenn ich so recht darüber nachdenke, so kommt mir die Rückreise nicht gar so schwierig vor. Wenn wir die Küste von Grönland oder Grant Land erreicht haben, dann ist gewonnen; durch den Smiths Sund werden wir schon kommen.
Unter dem 79. Grad nördlicher Breite haben die Nordpolfahrer, zuerst der Amerikaner Kane, das Land bewohnt gefunden.
Zwischen dem 78. und 79. Grad nördlicher Breite lag das Eskimodorf Eta, mit dessen Bewohnern Kane und seine Begleiter im lebhaftesten Verkehr standen.
Bis dahin ist die Entfernung nicht besonders groß, wenn nur nicht die großartigen Hindernisse wären.
Eigentlich ist es eigentümlich, daß in diesen unwirtlichen, kaum bewohnten Gegenden noch Menschen ihr kümmerliches Dasein fristen, während hier in dem fruchtbaren, wildreichen Lande keine Spur eines menschlichen Wesens sich vorfindet.«
»Lieber Freund, du bedenkst nicht, daß hier die Tertiärzeit noch herrscht. Da haben noch keine Menschen gelebt und wir sind sicher die ersten, welche dieses Urland betreten haben.«
»Jawohl, die ersten,« nickte Wonström, »und die ersten sind gleich mit guten Hinterladern, Fernrohren und Taschenuhren gekommen. Wann hat man denn die ältesten Überbleibsel von Menschen gefunden?«
»Die ältesten Spuren von Menschen, 'homo sapiens' reichen nicht weit.
Das erste Auftreten des Menschen fällt aller Wahrscheinlichkeit nach in die Schlußzeit der Eisepoche oder auch in die schon angeführte Zwischenzeit derselben.
Überreste hat man in Höhlen gefunden, denn wie die alten Schriftsteller ausdrücklich berichten, lebten die ersten Menschen in Höhlen. Es waren Höhlenbewohner oder Troglodyten.
Woher weiß man dies? Aus den gefundenen Überresten natürlich. Sehr wohl lassen sich nämlich die Spuren der auf irgend eine Weise später hineingekommenen Menschen von den Urmenschen unterscheiden. Ihre Knochen befinden sich ganz in demselben Zustande und unter denselben Verhältnissen, wie die Knochen von den Tieren der Diluvialzeit; sie sind in denselben Lehmboden der Höhlen eingehüllt, der durchaus kein Zeichen der Veränderung oder Umwühlung trägt; sie liegen unter der wohlerhaltenen Tropfsteindecke, die nirgends eine Spur von Beschädigung zeigt, und sind mit ihnen zu einer Gesteinsmasse verkittet.
Eocän-, Miocän- und Pliocänperiode bilden die Tertiärzeit und in diesen Schichten hat man noch keine Überreste von Menschen gefunden; nur im den Schichten der Quartärformation, also im Diluvium und Alluvium findet man versteinerte Knochen meist vermengt mit denen von Mammut, dem Höhlenlöwen, Höhlenbären, der Höhlenhyäne, von Nashorn, Pferd etc., aber nur in beschränkter Anzahl.
Schon vor vielen Jahren sind an verschiedenen Orten versteinerte Menschenknochen gefunden worden, unter Verhältnissen, die darauf hindeuten, daß diese Knochen aus der Diluvialzeit stammen. So zu Köstriz bei Gera, wo man zehn Meter unter der Erdoberfläche in Spalten des Zechsteingipses Menschenknochen zusammen mit solchen von Mammut und Hyäne fand. Allein, in diesen wie in ähnlichen Fällen war die Deutung des Alters ungemein schwierig und der große Cuvier konnte deshalb den Ausspruch thun: 'Es gibt keine fossilen Menschenknochen!'
Das Verdienst des ersten Auffindens von Menschenknochen aus der Diluvialzeit gebührt dem Dr. Schmerling in Lüttich. Anfangs der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts fand er in der Höhle von Engis in einer Tiefe von eineinhalb Meter den ersten Menschenschädel in Gesellschaft der Überreste von Nashorn, Pferd, Hyäne, Bär und Wiederkäuern.
Aus den übrigen Knochen: Schlüsselbein, Vorderarm, Rückenwirbel, Finger, Handwurzel, Fuß ergab sich, daß er die Reste dreier verschiedener Individuen vor sich hatte. Mehrere Steinäxte fehlten auch nicht.
Die Menschenknochen charakerisierten sich durch denselben Grad der Zersetzung, ganz wie die ausgestorbener Tierreste; die Farbe wechselte von dem gelblichweißen bis zum schwarzen, ihre Höhlungen waren mit Kalk ausgefüllt.
In der Tertiärformation sind aber noch nie Überreste von Menschen gefunden worden. Im Jahre 1726 wurde in den Steinbrüchen von Önigen die versteinerten Überreste eines vorweltlichen Geschöpfes gefunden. Der Naturforscher Schneuzer, welcher sie beschrieb, kam zu dem Resultat, daß dies Teile eines menschlichen Skeletts seien. Aber Schneuzer hatte sich geirrt. Später, als die Wissenschaft der Urweltkunde sich mehr vervollkommnet hatte, wurde durch Cuvier festgestellt, daß das aufgefundene Skelett einem urweltlichen Riesensalamander aus der Miocänzeit angehöre.«