Computertechnik – nicht nur Männersache
In Deutschland sind Frauen in der IT-Branche selten. Ein kleiner Computer, der selbst programmiert werden kann, soll bereits in der Grundschule auch Mädchen die Angst vor Computertechnologie nehmen.
Ein Hilfenotruf für Schlaganfall-Patienten, versteckt in einer Strickjacke, ein Mobiltelefonprogramm für Schwangere in Indien, die auf dem Land keinen Zugang zu Ärzten haben: Diese IT-Lösungen hat das Team um Gesche Joost entwickelt, die das „Design Research Lab“ an der Universität der Künste in Berlin leitet. 70 Prozent ihres Teams sind Frauen – eine Seltenheit in der IT-Branche. Denn Frauen gibt es in dieser Branche nur wenige. Insbesondere Deutschland hinkt hier weit hinterher. Ein Grund ist der geringe Frauenanteil in den MINT-Studiengängen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. In anderen Ländern sieht das besser aus. Denn dort stehen die Frauen diesen Fächern nach Erfahrungen von Gesche Joost aufgeschlossener gegenüber. Daher kommen aus osteuropäischen Staaten, aber auch aus Indien und China die Fachleute, die hier notwendig sind, meint sie:
„Da bekommen wir auch viele neue Kolleginnen und Kollegen, die wirklich toll ausgebildet sind und die eben positive Rollenbilder auch im Kopf haben und sagen: ‚Natürlich, als Ingenieurin mache ich Karriere!‘ Und das ist auch genau richtig so, denn es ist wirklich der Fall, dass Frauen auch mit 'nem technologischen Hintergrund ganz großartige Chancen haben. Gerade aus Indien bekommen wir viele Ingenieurinnen, die auch wirklich hervorragend ausgebildet sind, die ganz andere Karrierevorstellungen auch haben und die wirklich was bewegen wollen.“
Gerade weibliche Ingenieure aus anderen Staaten kommen mit positiven Rollenbildern im Kopf, sie haben kein Problem damit, genauso wie ein Mann in der IT-Branche Karriere zu machen. Dass Frauen überhaupt als Ingenieurinnen arbeiten, war noch Mitte des 20. Jahrhunderts undenkbar. Entsprechende Erfahrungen hat auch die Britin Stephanie Shirley gemacht. Während des Nationalsozialismus schickten die Eltern Stephanie mit einem jüdischen Kindertransport nach England. Im Alter von 18 Jahren nahm sie die britische Staatsbürgerschaft an. Als einziges Mädchen wurde sie in ihrer Schule zum Mathematikunterricht zugelassen, bildete sich danach an einer Abendschule fort. Als sie 1962 ihre eigene Softwarefirma gründete, wurde sie ausgelacht. Denn eine Frau zu sein und Software zu verkaufen, passten irgendwie nicht zusammen. Stattdessen, erzählt sie, lief es so:
„Damals durften Frauen nicht an der Börse arbeiten oder einen Bus fahren. Ich konnte ohne die Erlaubnis meines Mannes nicht einmal ein Bankkonto für die Firma eröffnen.“
Noch in den 1960er Jahren war es so, dass Männer und Frauen nicht gleichberechtigt waren. Der Mann hatte das Sagen, verheiratete Frauen durften nur dann arbeiten gehen, wenn es der Mann erlaubte. Auch bestimmte Tätigkeiten, wie beispielsweise am Aktienmarkt, der Börse, mit Aktien zu handeln, waren untersagt. Stephanie Shirley hatte Probleme, Arbeit zu finden. Unternehmen ignorierten anfangs ihre Angebote. Bis ihr Mann Derek vorschlug, dass sie ihre Geschäftsbriefe mit ihrem Kosenamen „Steve“ statt mit „Stephanie“ unterschreiben sollte – was zum Erfolg führte:
„Dann war ich durch die Tür und habe Hände geschüttelt, bevor jemand begriffen hatte, dass Steve eine Frau war.“
Über die Jahre wurde Stephanie Shirleys Software-Firma „Freelancer Programmers“ ein erfolgreiches britisches Unternehmen. Die Unternehmerin baute auf eine ungewöhnliche Firmenpolitik: Die Beschäftigten arbeiteten alle in Heimarbeit auf Honorarbasis. Sie standen also in keinem klassischen Arbeitsverhältnis, sondern waren selbstständig und wurden für ihre Arbeit entlohnt, erhielten ein Honorar. Bis 1976, als das Gleichstellungsgesetz in Großbritannien in Kraft trat, waren so gut wie alle Beschäftigten in Stephanie Shirleys Firma Frauen. Viele von ihnen waren hochqualifiziert, doch ohne Chancen auf dem traditionellen Arbeitsmarkt, weil sie spätestens mit dem ersten Kind zu Hause bleiben mussten. Mit einem eigens für ihr Unternehmen entwickelten Arbeitsmodell in der neu entstehenden IT-Branche war Stephanie Shirley eine Vorreiterin, sie bereitete den Weg für andere:
„Wir entwickelten viele neue Arbeitsmodelle – flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten, Gewinnbeteiligung, Jobsharing; und später dann schaffte ich es, für die Mitarbeiter eine Beteiligung von einem Viertel der Unternehmensanteile zu bekommen, ohne dass es einen von ihnen etwas kostete – außer mich selbst.“
Stephanie Shirleys Beispiel ist eine Ausnahme. Damit auch in Deutschland mehr Frauen ihre Hemmschwellegegenüber der IT-Technologie überwinden, ist nach Ansicht von Gesche Joost vom „Design Research Lab“ an der Universität der Künste Berlin eins notwendig:
„Dass wir so früh, wie es nur geht, anfangen, mit der digitalen Welt umzugehen und sie zu entdecken und auch 'n bisschen zu entschlüsseln. Wir sehen's ja heute, dass Kinder und Jugendliche sowieso mit digitalen Technologien umgehen, aber bisher eigentlich unbegleitet. Wenn wir früher anfangen, ab der dritten Klasse, haben die 'n ganz spielerischen und kreativen Umgang, genau wie die Jungs.“
Gesche Joost findet, dass Kinder heutzutage schon früh mit digitalen Technologien aufwachsen. Wichtig ist ihrer Ansicht nach aber, dass Erwachsene ihnen diese Technologien erklären, sie entschlüsseln. Gesche Joost hat dazu „Calliope mini“ für Grundschulkinder in der dritten Klasse mitentwickelt, um diese spielerisch mit Technologien vertraut zu machen. Der „Calliope mini“ ist eine kleine sternförmige Platine, ein Träger für elektronische Bauteile. Der Mikrocomputer kann programmiert werden. Die Kinder lernen so die Grundlagen des Programmierens und verstehen, wie ein Computer funktioniert. Denn in dem Alter gehen Mädchen und Jungen nach Ansicht von Gesche Joost noch unbefangen, spielerisch, mit Computertechnologie um. Erst ab einem Alter von elf bis zwölf Jahren sind Mädchen nach Erfahrungen von Gesche Joost befangen. Sie haben bereits die Ansicht „Technik ist nichts für Mädchen“ verinnerlicht. Für die Zukunft ist Gesche Joost ganz wichtig:
„Dass wir auch Kindern und Jugendlichen schon zeigen, dass sie das Internet und die digitale Welt selbst gestalten können und selbst programmieren können und nicht nur konsumieren, was eben auf YouTube und anderen Kanälen so herumfliegt.“