Der neue Dorfladen
Der neue Dorfladen In deutschen Dörfern finden sich kaum noch kleine Läden wie Bäcker, Post oder „Tante-Emma-Läden“. Supermärkte sind attraktiver. Ein Modell in Nordrhein-Westfalen soll Schule machen: die DORV, ein großer Dorfladen.
Idyllisch ist es hier auf dem Land, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen und nur ab und zu mal ein Auto durch das Dorf fährt. Wir sind in Barmen, einem Stadtteil von Jülich. Es liegt in Nordrhein-Westfalen zwischen Köln und Aachen. Hier befindet sich das Modellprojekt, das in Dörfern und Gemeinden zu einer Wiederbelebung der früheren „Tante-Emma-Läden“ führen soll. Das Projekt nennt sich „Dienstleistung und Ortsnahe Rundum Versorgung“, abgekürzt DORV. Das Modell bietet einer kleinen Ortschaft eine Alternative, wenn es keine Bank und Post, keinen Bäcker und Metzger oder andere Läden vor Ort mehr gibt: den Dorfladen. Die Bürger Barmens haben die Initiative ergriffen und ein leer stehendes Bankgebäude umgebaut. Heinz Frey hat den Dorfladen mit auf die Beine gestellt. Sein Bart und seine Haare sind grau meliert, aber er ist voller Tatendrang. Denn das Modell stößt auf immer mehr Resonanz und Interesse anderer Dörfer und Gemeinden:
„Es läuft sehr gut, die Resonanz ist sehr hoch und daran sieht man, dass das Problem überall in unserem Lande und drüber hinaus ein akutes ist, was mittlerweile auch in der Politik ankommt, bei den Bürgern schon lange ist, aber der Weg von den Bürgern zur Politik ist ja manchmal etwas länger.“
Auch Politiker in anderen Gemeinden und in der Bundesregierung haben inzwischen laut Frey erkannt, dass das Aussterben der sogenannten Tante-Emma-Läden ein akutes Problem darstellt, das dringend gelöst werden muss. Ganz wichtig ist abzuklären, inwieweit sich die Bürger vor Ort selbst einbringen, engagieren wollen, sagt Jürgen Spelthann, von Beruf Stadtplaner. Denn nur so könne das Projekt gelingen:
„Ganz wichtig ist, dass man die Leute von Anfang an ins Boot holt, weil die es sind, die den Prozess tragen und die darüber entscheiden, ob so etwas funktioniert oder nicht, weil sie ja einkaufen sollen oder nicht. Es gibt verschiedene Arten von Engagement in so ‘nem Prozess: Einmal gibt es diejenigen, die so einen Prozess finanziell unterstützen, in der Beratungsphase zum Beispiel.“
Jürgen Spelthann erklärt, wie wichtig es ist, die Bewohner von Anfang an bei der Planung zu beteiligen, sie mit ins Boot zu holen. Denn sie sind die Kunden, die von einem solchen Laden später profitieren, sie sind diejenigen, die den Prozess tragen, die beurteilen können, ob etwas erfolgreich sein kann oder nicht. Nach der Beratungsphase findet in den Gemeinden die sogenannte Bedarfsanalyse statt. Hierbei gehen die Initiatoren des Projekts mit einem Fragebogen von Tür zu Tür und klären, was sich die Dorfbewohner von ihrem DORV-Zentrum wünschen und erwarten. Ob sie etwa in ihrem geplanten Kaufmannsladen ihre Autos an- und ummelden können, Pakete verschicken oder Medikamente bestellen wollen. Oder ob der örtliche Bäcker seinen Kundenkreis erweitern möchte, indem er den Dorfladen beliefert. Individuelle Lösungen sind dabei nötig, denn jeder Ort hat andere Bedürfnisse und Gegebenheiten. Deshalb wäre es der falsche Weg, das Barmener Modell genau so eins zu eins zu übertragen, sagt Heinz Frey:
„Also es geht überhaupt nicht so, dass man sagt: ‚Wir kommen und jetzt habt ihr hier fünf Segmente, und die machen wir jetzt hier, bauen ‘n neues Zuhause und dann schließen wir jetzt auf und ihr kauft ein.‘ Das machen andere so, aber wir nicht. Hier geht es darum, durch die genannten Analysen wirklich ganz individuell hinzuschauen, welche vorhandenen Einrichtungen sind da. Und die zu stärken, mit einzubinden, ist ganz wichtig.“
Heinz Frey macht deutlich, dass zum Beispiel nicht fünf Bereiche festgelegt werden – er verwendet den Begriff Segment, was eigentlich Teil eines Ganzen bedeutet –, dann ein Laden gebaut und aufgeschlossen wird wie ein neues Haus, für das die Eigentümer die Schlüssel bekommen. Wichtig ist, so Frey, individuell zu schauen, welche Geschäfte und Dienstleistungen schon vor Ort sind und ergänzt werden können. Das DORV-Zentrum punktet mit täglich frischen Waren und einem Geldautomaten. Zum Geld holen kommen nämlich die meisten Kunden in den Laden – und wenn sie schon einmal da sind, nehmen sie vielleicht auch noch eine Zeitung oder ein frisches Brot mit. Den Discountern und großen Supermärkten will man aber keine Konkurrenz machen. Ihnen will man nicht das Einkaufsvolumen abschöpfen wie das Fett, das auf der Suppe oben schwimmt:
„Wir wissen ja auch, dass wir nicht das gesamte Einkaufsvolumen hier abschöpfen, sondern das ist zwischen 10 und 25 Prozent nur möglich. Also, die Vorratseinkäufe, die Erlebniseinkäufe, die werden bleiben. Oder Tiefkühlkost wird von Bofrost oder Eismann bis vor die Haustür gebracht. Nein, hier geht's wirklich mehr um diese tägliche Frische.“
Heinz Frey ist klar, dass die Bewohner, die noch mobil sind, immer noch in die belebte Stadt fahren zum Shoppen, zu Erlebniseinkäufen, oder um Dinge auf Vorrat einzukaufen, die der Dorfladen nicht bietet. Auch mit Unternehmen wie Bofrost oder Eismann, die ihre Kunden mit Tiefkühlkost beliefern, will man nicht konkurrieren. Erzielte Gewinne investieren die „DORVler“ sofort wieder. Einen Profit wollen sie nicht aus dem Laden ziehen. Dieser dient nicht nur zur Versorgung mit Lebensmitteln, sondern bietet den Bewohnern des Stadtteils auch einen Treffpunkt zu Gesprächen im Café oder bei kulturellen Veranstaltungen, die ebenfalls dort stattfinden. Der Laden ist aber nur Teil des Modells. Wichtig ist noch das Angebot von Dienstleistungen. Damit ist nicht nur die Annahme von Paketen gemeint, sondern auch die medizinische Versorgung. In Jülich-Barmen investierten die Bürger in Räume für eine Arztpraxis. Der Stadtteil belebt sich wieder.