Volksdroge Alkohol – warum dürfen wir uns zu Tode trinken? | DokThema ... (1)
. Untertitelung: BR 2019 Herbst 2018: der Startschuss durch Landrat Johann Kalb
zu einem nicht alltäglichen Wettbewerb im Landkreis Bamberg.
Ein Marathon, ein Biermarathon.
Zur Stärkung gibt es an 13 Brauereien Bier für die Läufer.
Alkoholhaltiges Bier.
Alkohol ist eine Droge,
die massenweise Menschen in diesem Land tötet, krank macht.
Da müsste die Politik ran.
Auch der Bürgermeister von Strullendorf läuft mit.
Strecke und Bier laufen. - Wir brauchen Energie.
Training für das Oktoberfest.
74.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr
aufgrund von Alkoholkonsum sind gut belegt.
74.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland.
Doch Alkohol hat einen festen Platz in der Gesellschaft.
Sind wir uns der Gefahr durch Alkohol nicht bewusst?
Der Alkohol hat 23 Jahre meines Lebens geklaut.
Warum schreitet die Politik nicht ein?
Welchen Einfluss hat die Alkoholindustrie?
Einfahrt des Regionalzugs von Altötting nach München.
Mit ihm reiste früher Sigi Schöberl mehrmals die Woche
zu seinem Arbeitsplatz an.
Früher habe ich nicht Zug fahren können,
ohne dass ich vorher Alkohol getrunken habe zur Beruhigung.
Drei, vier Bier, dann später Schnaps und so.
Dann habe ich Zug fahren können.
Acht Jahre lang hat er als Kellner im Münchner Hofbräuhaus gearbeitet.
Dass er trank, wusste damals niemand. Heute ist er trocken.
Jetzt kommen wir auf das Rondell zu.
Da werden wieder Erinnerungen wach.
Da bin ich oft gesessen und hab ein Bier getrunken oder einen Wein,
und das waren die seltenen Momente,
wo ich mal aus meiner Wohnung rausgegangen bin,
weil meistens hab ich in den vier Wänden getrunken,
also heimlich getrunken. Und dann hab ich Leute beobachtet.
Da waren viele andere, die auch Bier getrunken haben.
Da bin ich nicht aufgefallen und hab mich sicher gefühlt.
Da bin ich sehr oft gesessen und hab auch nachgedacht.
Wie weit ist es schon mit mir? Bin ich süchtig oder nicht?
Für Sigi Schöberl drehte sich die Welt 23 Jahre lang nur um Alkohol.
Hier am Hauptbahnhof trank er in den Arbeitspausen,
um wieder auf seinen Pegel zu kommen.
Weil es am Bahnhof immer öfter zu Zwischenfällen kommt mit Betrunkenen,
haben mittlerweile einige Kommunen reagiert.
In München ist Alkoholkonsum am Hauptbahnhof
derzeit von 6 bis 22 Uhr erlaubt.
Ab 1. August 2019 soll das Verbot dann rund um die Uhr gelten.
Die schlechten Erinnerungen, wo man morgens über der Kloschüssel hängt
und würgt und würgt und Schnaps trinkt
und hofft, dass er endlich drinnen bleibt,
weil man sonst das Gefühl hat, man stirbt,
an die erinnert man sich nicht mehr.
Hier hat sich Sigi Schöberl regelmäßig sein Bier gekauft.
Heute ist es eine Limo.
Man sieht an der Auswahl schon:
Das Bierregal ist bestimmt dreimal so groß wie das Limoregal,
also das Angebot.
Alkohol leisten konnte er sich immer.
Es könnte viel anders laufen, z.B. diese Preise.
Auch wenn man nicht viel Geld hat: Für den Alkohol reicht es immer.
Und so habe ich für fünf Euro eine Flasche Whisky
oder eine Flasche Schnaps kaufen können in so Discounter-Märkten.
Hätten höhere Preise
Schöberls Alkoholsucht möglicherweise verhindert?
Im Schnitt 135 Liter alkoholische Getränke jährlich
konsumiert jeder Bundesbürger ab 15 Jahren.
Das entspricht etwa einer Badewanne.
Mehr als die Hälfte davon in Form von Bier.
Alkohol und Genuss, das gehört nicht nur in Bayern zusammen.
Aber übertreiben wir es nicht? Wo ist die Grenze?
Rolf Hüllinghorst gehört zu denen,
die gegen den Alkohol vehement zu Felde ziehen.
Er war Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen.
Heute engagiert er sich bei den Guttemplern.
Das ist eine internationale Organisation,
die aufklären möchte über die Gefahren von Alkohol
und anderen Suchtmitteln und sich für Frieden und Solidarität einsetzt
als Teil einer internationalen Abstinenzbewegung.
In Deutschland sind ungefähr 10% der Konsumenten die,
die riskant trinken, die abhängig trinken.
Diese Menschen, diese 10%, trinken 50% der Menge.
Die Industrie sagt immer:
"Wir wollen ja unsere Getränke nur an die verkaufen,
die vernünftig damit umgehen können."
Wenn sie das tun würden, wäre das eine Umsatzeinbuße von 50%.
10% der Menschen trinken 50% des Alkohols.
Die Alkoholindustrie macht die Hälfte ihres Umsatzes mit Menschen,
die viel zu viel trinken.
Bedeutet das aber nicht, dass sich 90% der Konsumenten
überhaupt keine Sorgen machen müssten?
Für sie ist das Thema damit eigentlich gar nicht relevant?
74.000 Tote, vorzeitige Todesfälle, pro Jahr aufgrund von Alkoholkonsum
sind gut belegt.
Man muss sich das noch mal vorstellen:
Das ist einmal eine Kleinstadt
oder aber, als ob jede Woche vier Jumbo-Jets abstürzen.
Beim Brauereienlauf im Landkreis Bamberg
macht man sich über solche Zahlen weniger Gedanken.
Nach 10 km, nach 21,1 km oder nach der vollen Marathonstrecke
erreichen die Läufer das Ziel. Dort erwartet sie die Belohnung.
Auch Bürgermeister Wolfgang Desel aus Strullendorf
hat den Marathon geschafft, in unter vier Stunden.
War das ein gutes Laufbier? - Ja.
Ich habe es beim Laufen nicht bemerkt,
es ist nix aufgestoßen durch Kohlensäure.
Es ist durchgelaufen und hat uns geholfen.
So einen halben Liter habe ich getrunken bei drei Brauereien.
Das hat alles gepasst.
Der sportliche Ehrgeiz ist nicht bei jedem das Wichtigste bei diesem Lauf.
Für den Landrat Johann Kalb hat er seinen Zweck erfüllt.
Bier und Marathon, ist das nicht ein Widerspruch?
Ich glaube nicht.
Das hat beides was mit Gesundheit zu tun.
Das Bier ist ein Lebensmittel für uns Bayern.
Bewegung ist auch gesund. Das passt schon zusammen.
Über 700 Läufer haben sich für den Brauereienlauf angemeldet.
Viele kommen von weit her und übernachten in der Region.
Da gibt es immer mehr Aktivitäten:
Den 13. Brauereienlauf. Dann gibt es Bierfeste in Unmengen.
Bier und Gastronomie schaffen Unmengen Arbeitsplätze.
Das ist die Grundlage unserer gesamten Kultur hier.
Ca. ein Drittel aller Touristen, die nach Bamberg kommen,
nennen die Bierkultur als Grund für ihren Besuch.
Etwa 1000 Arbeitsplätze allein in den Brauereien sichert Bier.
Die Gastronomie ist noch nicht miteingerechnet.
Anlässe zum Biertrinken gibt es das gesamte Jahr über.
Im Winter produzieren die Braumeister Bockbier.
Fässla ist eine von 11 Brauereien.
Dazu kommen über 60 Betriebe im Bamberger Land
mit über 400 verschiedenen Biersorten.
Das ist der Bambergator,
das stärkste Bier Bambergs mit 8,5% Alkohol.
Ein guter Bamberger schafft schon vier oder fünf.
Gut für den Wirt Roland Kalb.
Bier ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region
und ein Touristenmagnet.
Heute musste der Parkplatz der Brauerei geräumt werden,
um den Ansturm zu bewältigen.
Fässla finanziert wie viele andere Brauereien in Bayern auch
einen Fußballverein mit Trikots und Sportausrüstung.
Wir sind momentan Siebter oder Achter.
Aber am Tresen sind wir Erster.
Nicht nur die Brauereien verdienen am Bier.
Zwei Beispiele aus Bamberg:
Kaspar Schulz ist der älteste Bamberger Industriebetrieb.
Gegründet im Jahr 1677, entwickelte sich die Firma
zur weltweit führenden Adresse für Brauereimaschinen.
Jede einzelne Anlage ist handgefertigt.
Die Firma Weyermann ist auch Weltmarktführer
und produziert in einem Industriedenkmal.
In 50.000 Bieren weltweit
wird Malz von dieser Bamberger Mälzerei verwendet.
In Deutschland hängen 50.000 Arbeitsplätze
direkt von der Alkoholindustrie ab.
Die Gastronomie nicht mit eingerechnet.
Ich darf ich Sie begrüßen zu unserem Bierseminar,
wie immer an einem historischen Ort.
Wir sind im Schlenkerla, Bambergs ältester Brauerei.
Früher war Bamberg das kleine Dorf am Rande der Welt.
In Sachen Bier sind wir das Zentrum.
Viele kommen bewusst in die Stadt, um die Bierkultur zu genießen.
Bei den meisten geht es nicht darum, viel zu trinken,
sondern einfach zu erleben.
Es gibt verschiedene Brauereien, die Wirtshauskultur,
Bierkulinarium, Seminare, Braukurse, Besichtigungen in Brauereien.
Das kann ich konzentriert nur in Bamberg erleben,
noch dazu mit der über 500 Jahre alten Geschichte.
Markus Raupach ist einer der wenigen Biersommeliers in Deutschland,
die von ihrem Beruf leben können.
Sobald ich laufen konnte,
durfte ich für meinen Vater das Bier holen im Biergarten.
Wenn man mit dem Bier läuft,
dann nippt man auch mal und probiert.
Als Kind schmeckt das eher schlimm. Aber man ist stolz.
So wächst man in diese Biergartenkultur hinein.
Im Sommer ist man jeden zweiten Tag im Biergarten:
Man bringt Brotzeit mit, mit Tischdecke und Essenssachen.
Das Bier gehört einfach zur Kultur dazu.
So ist es nichts Außergewöhnliches, sondern eher das Normale.
Trotz aller Liebe zum Traditionsgetränk,
auch der Sommelier kennt die Gefahren und sieht sich in der Verantwortung.
Es ist schwierig, eine genaue Grenze zu ziehen,
weil jeder seine eigenen Grenzen hat.
Im Idealfall kennt er sie.
Bewusst die Schwelle zu überschreiten,
das muss man dann halt wollen. Das ist auch immer ein Thema.
Natürlich ist Bier ein Genuss- und ein Rauschgetränk.
Der Rausch gehört zum Alkohol dazu, aber für uns nicht zum Genuss.
So versuche ich, den Leuten das zu erklären,
dass man die Grenzen kennen muss, man sich dessen bewusst sein muss.
Man kann auch bei seinem Trink- und Essverhalten
die Grenzen nicht überschreiten.
Wo aber liegt nun genau die Grenze?
Im Krankenhaus Salem in Heidelberg
arbeitet einer der weltweit bekanntesten Ärzte und Forscher
für Alkoholkrankheiten.
Als Chefarzt und ärztlicher Direktor hat Professor Helmut Seitz
naturgemäß einen etwas anderen Blick auf Alkohol als ein Sommelier.
Die Diagnose von alkoholbedingten Krankheiten
gehört zu seiner täglichen Arbeit.
Dieses ist die Leber hier:
Die Leber ist klein, etwas verdichtet.
Hier oben ist Flüssigkeit um die Leber herum.
Das nennen wir "Aszites" oder Bauchwasser.
Als Direktor des Alkoholforschungszentrums Heidelberg
tourt Helmut Seitz mit seinen Vorträgen durch die ganze Welt.
Er war es, der vor 40 Jahren als Erster
den Zusammenhang von Alkohol und Krebserkrankungen erkannte.
Die Abhängigen in Deutschland,
da muss man eine Standardabweichung haben.
Wir rechnen mit zwischen 1,6 und 2 Mio. Menschen,
die Alkoholsucht haben.
Eine schwere Krankheit, die nicht heilbar, aber behandelbar ist,
sodass die Rückfälle kleiner werden und die Schwere geringer wird.
Wir haben ungefähr 3 Mio. Menschen,
die eine alkoholassoziierte Krankheit haben.
Von der Magenschleimhautentzündung bis zur Leberzirrhose.
Wir haben ca. 5 Mio. Menschen, die einen riskanten Umsatz haben.
Einen riskanten Umgang mit Alkohol. Weil wenn sie so weitermachen,
ein Teil von ihnen in eine Gruppe hineinkommen,
die abhängig sind oder ihre Organe schädigen.
Wenn sie nämlich jeden Tag Alkohol zu sich nehmen, in höheren Dosen.
Was ist nun aber unbedenklich? Und was nicht?
Etwa 0,5 l Bier pro Tag für Männer und die Hälfte für Frauen
gilt als unbedenklich.
Wenn an zwei Tagen pro Woche gar kein Alkohol getrunken wird.
Wer mehr als diese Menge trinkt, der begibt sich in die Gefahr,
durch Alkohol zu erkranken.
Nach den neuesten Untersuchungen der WHO sind es 200 Erkrankungen,
die durch Alkohol verursacht werden.
Natürlich ist es der Gastro- Intestinaltrakt, also die Leber,
die Bauchspeicheldrüse, die unter Alkohol massiv leiden.
Vor allem auch Krebse.
Alkohol führt zu Krebs in der Mundhöhle,
im Kehlkopf, in der Speiseröhre, im Dickdarm.
Wir haben Stoffwechselerkrankungen, auch Herz-Kreislauferkrankungen.
Alle Welt sagt: Alkohol ist gesund für das Herz.
Alkohol schädigt die Herzmuskulatur.
Alkohol führt zu Herzrhythmus- Störungen, Vorhofflimmern.
Alkohol führt zu Bluthochdruck.
Alkohol ist ein ganz kleines Molekülchen.
Das Faszinierende daran ist,
dass dieses kleine Molekül, wenn Sie es aufnehmen,
in den Stoffwechsel überall eingreift.
Zum Schluss haben wir einen auf den Kopf gestellten Stoffwechsel.
Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist,
dass Alkohol im Körper gegiftet wird zu einem schweren Gift:
Alkohol geht über in Acetaldehyd.
Acetaldehyd bindet dann Eiweiße und Erbsubstanz.
Das ist ein schweres Gift, ist krebserregend
und macht zusätzlich diese ganzen Störungen.
Natürlich wirkt sich der Alkoholkonsum
nicht auf alle Menschen gleich aus.
Wenn Sie z.B. mehr als einen Viertelliter Wein am Tag trinken,
dann können Sie durchaus, wenn Sie empfindlich sind,
die genetischen Voraussetzungen gegeben sind,
durchaus bei einer dieser Krankheiten landen.
Das ist schwer vorhersehbar.
Viele tun das nicht, Einzelne können das.
Zurück zu Sigi Schöberl, der unterwegs ist zum Hofbräuhaus.
Auch seine Lebensgefährtin Traudl ist eine trockene Alkoholikerin.
Der Alkohol hat im Leben beider viel zerstört.
Mir hat keiner mehr was geglaubt, wenn ich was gesagt habe.
Ich habe mich in einem solchen Lügensumpf verstrickt:
Heimlich trinken, weil man sich schämt.
Das war ziemlich schlimm.
Ich habe mich kaum mehr blicken lassen
auf Familienfeiern oder kleinen Zusammenkünften.
Weihnachten und so.
Da bin ich nirgendwo mehr hingegangen und habe gesagt:
"Mir geht es nicht so gut." Ich hätte Bauchgrippe oder so.
Bei mir war es so,
dass ich alleinerziehend war und abends getrunken habe.
Jetzt ist mein Sohn bei seinem Vater.
Den Verlust meines Sohnes habe ich in Kauf nehmen müssen.
Sigi Schöberl hat eine Autobiographie verfasst
über sein Leben als Trinker und wird heute im Hofbräuhaus daraus vorlesen.
Vorher zeigt er Traudl noch seinen ehemaligen Arbeitsplatz.