Die europäische Idee | Geschichte
das ist für uns was ganz Selbstverständliches,
wir kennen es gar nicht mehr anders.
Aber das war nicht immer so. Die EU gibt es natürlich noch nicht immer.
Es gab mal eine Zeit,
in der die Länder Europas nicht zusammengearbeitet haben,
sondern in der sie sich bekämpft haben.
Erst nach und nach ist die Idee eines geeinten Europas gewachsen.
Und wie genau es zu dieser Idee kam, darum geht's jetzt.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk (2019)
Die Idee von Europa ist viel älter
als die konkreten politischen Pläne und praktischen Versuche,
ein einiges Europa zu schaffen.
Es geht aber immer um den Frieden, denn Europa ist ein Kontinent,
in dem jahrhundertelang ununterbrochenen Krieg geführt wird.
Für die Menschen, in deren Heimat der Krieg stattfindet,
ist es immer besonders schlimm, klar. Da gibt es direkte Kriegsschäden.
Da werden Frauen und Männer misshandelt,
vergewaltigt und getötet, Felder zerstört, Hab und Gut geraubt,
Seuchen und Krankheiten brechen aus usw.
Ich zähle das nur auf, damit uns klar wird, was Krieg bedeutet.
Schlimm wirken sich die Massenheere, die Volksheere der Moderne aus.
Plötzlich ziehen hunderttausende Soldaten in die Schlacht.
Plötzlich sind alle Familien eines Landes von einem Krieg betroffen.
Niemand wird verschont.
Dann führen die Staaten industrielle Kriege gegeneinander.
Sie setzen bisher unvorstellbare Waffen ein.
Der vorläufige Höhepunkt ist der 1. Weltkrieg.
Ein Video dazu gibt es, wenn ihr oben auf das "i" klickt.
Nach diesem Krieg sagen Menschen in ganz Europa: nie wieder.
Dieser Krieg, der Europa so tiefe Wunden zugefügt hat,
ist ein wichtiger Anstoß, die Gegensätze zu überwinden.
Künstler, Wissenschaftler und Politiker
schreiben und reden über das geeinte Europa,
über die Vereinigten Staaten von Europa.
Das Vorbild sind also die Vereinigten Staaten von Amerika,
eine Demokratie, die einen ganzen Kontinent umspannt,
mit starken Teilstaaten und dem Bewusstsein, dass man zusammengehört,
dass man die gleichen Werte teilt.
Es gibt aber wenig konkrete politische Ansätze.
Einer geht noch über Europa hinaus.
Der US-Präsident Woodrow Wilson formuliert 1918 14 Punkte.
Aus seinem Plan heraus entwickelt sich dann der "Völkerbund",
ein weltweites System, um Kriege zu verhindern.
Wie ihr wisst, das wird das nicht so klappen wie erhofft.
Deshalb schreibt Anfang 1923
der 28-jährige Schriftsteller Richard Graf Coudenhove-Kalergi
ein Buch mit dem programmatischen Titel "Paneuropa".
Pan ist altgriechisch und bedeutet ganz, gesamt, einheitlich.
Es geht also um Gesamteuropa.
Er stellt eine europäische Frage zur Diskussion:
Es ist ein bisschen altbacken und umständlich. Ich will das übertragen:
Er fordert die Selbsthilfe Europas, den Zusammenschluss
zu einem politisch- wirtschaftlichen Zweckverband.
Ansonsten, so fürchtet er,
wird der Kontinent entweder wirtschaftlich von den USA
oder militärisch von der Sowjetunion unterdrückt.
Er fordert die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa.
Das ist eine ganz rationale Begründung.
Das Ziel ist Frieden und Wohlstand.
Hört sich toll an, wenn man es so dahinsagt.
Wir müssen daran denken, dass nach dem 1. Weltkrieg
weite Teile von Mitteleuropa total zerstört sind, Mio. Menschen hungern.
Überhaupt sind die Länder Europas
damals nicht so entwickelt wie wir heute:
Es gibt keine Zentralheizungen, keine Waschmaschinen, keine Kühlschränke,
keine selbstfahrenden Rasenmäher, keine Fernseher.
Die Menschen in Europa leben damals einfacher und sind vielfach ärmer
als wir heute.
Politiker, die für ein geeintes Europa eintreten wollen,
wollen Frieden schaffen, klar, aber sie denken auch an die Wirtschaft.
Schon die Idee von Paneuropa verbindet beides.
Mehr noch, in den 1920ern diskutiert man in Leitartikeln
über eine gemeinsame europäische Währung.
Viele der Leute, die damals darüber diskutierten, meinten,
dass ein einiges Europa eigentlich von selbst kommen muss.
Dass die Notwendigkeit der Moderne,
dass die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft und des Fortschritts
automatisch dazu führen wird, dass sich die Länder Europas zusammentun.
Sind das Hirngespinste, Visionen?
Richard Coudenhove beschreibt die Lage der europäischen Staaten
nach dem 1. Weltkrieg so:
26 Menschen leben in einem engen Raum zusammen.
Sie sind alle geistig nicht ganz gesund,
sondern ein bisschen seltsam drauf.
Alle sind bis an die Zähne bewaffnet.
Alle sind arm und wollen ihre Nachbarn bestehlen.
Sie beleidigen sich ununterbrochen gegenseitig.
Klar, man muss kein Hellseher sein, das endet in der Katastrophe.
Die Lösung ist, dass die Leute begreifen müssen,
dass sie Kooperation statt Konkurrenz brauchen,
Abrüstung statt Wettrüsten, Schiedsgerichte statt Krieg.
Damit räumt man so nebenbei übrigens auch mit einer Ideologie auf,
die noch Schreckliches anrichten wird.
Er schreibt Anfang 1923:
Im selben Jahr, Ende 1923,
versucht sich Adolf Hitler an die Macht zu putschen.
Er vertritt die Idee der reinen Rasse.
Coudenhove hat zwar viele Politiker aus allen Ländern hinter sich,
aber Hitler schafft es, seine Diktatur aufzurichten.
Und so gibt es einen 2. Weltkrieg,
der noch viel schlimmer verläuft als der 1.
Die Idee von einem geeinten Europa ist zwischen diesen Kriegen
noch nicht dieselbe wie wir sie heute kennen.
Coudenhove-Kalergi geht ganz selbstständig davon aus,
dass England bzw. Großbritannien nicht zu Europa gehören soll.
Wenn ihr euch die Weltkarte anschaut, wird das deutlich:
England ist damals eine Weltmacht, das Empire eben.
Zwar gibt es in den einzelnen Teilen Probleme, z.B. in Indien,
das seine Unabhängigkeit wollte,
aber insgesamt kommt es für das Riesenreich nicht infrage,
sich mit den europäischen Staaten zu vereinen.
Kommt uns aus heutiger Sicht bekannt vor.
Andere Staaten haben ebenfalls Kolonien.
Die Vereinigten Staaten von Europa haben in der Vorstellung
der damaligen Politiker einen großen Hinterhof,
wenn man das so sagen kann,
also ein Kolonialgebiet, das nicht abgeschafft werden soll.
Noch was: Nicht alle Politiker denken an ein demokratisches Europa,
was ein gemeinsames Parlament hat, das bestimmt,
und eine gemeinsame Regierung,
die nur an die Rechte der BürgerInnen denkt.
Dass Europa der Ort der Freiheit, der Demokratie, des Wohlstandes
und der Rechtsstaatlichkeit wird, hat was mit der Geschichte zu tun.
Die Idee von Europa
wird zu einem Gegenentwurf gegen die Diktaturen des Faschismus,
des Nationalsozialismus und des Kommunismus.
Deswegen spielte Demokratie
für das geeinte Europa eine entscheidende Rolle.
1945, nach dem 2. Weltkrieg, nach Adolf Hitler geht's los.
Nach 2 Weltkriegen merken die Menschen,
dass sie etwas wagen müssen, was nie da gewesen ist,
wenn sie Frieden wollen.
So kommt Coudenhoves Idee dann doch noch zu Ehren.
Viele Politiker knüpfen daran an und fordern ein einiges Europa.
Winston Churchill sagt das 1946 so:
"Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten.
Nur auf diese Weise
werden hunderte von Millionen sich abmühender Menschen
in die Lage versetzt,
jene einfachen Freuden und Hoffnungen wieder zu erhalten,
die das Leben lebenswert zu machen."
Das Vorgehen ist einfach.
Das Einzige, was nötig ist, ist der Entschluss,
hunderter von Mio. Frauen und Männern Recht statt Unrecht zu tun
und dafür Segen statt Fluch als Belohnung zu ernten.
Die politischen Vorschläge werden dann immer konkreter,
bis die europäische Einigung handfeste Politik wird.
Dazu habe ich auch ein Video gemacht.
Das seht ihr, wenn ihr auf das "i" klickt.
Coudenhove-Kalergi wird übrigens 1950 als 1. Preisträger
mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet.
Er schlägt vor, dass Beethovens "Ode an die Freude"
zur Hymne Europas werden soll, was sie heute ja tatsächlich ist.
Bis heute wird über die Europa-Idee diskutiert.
Klar, bei aller Kritik im Einzelnen, bei allen berechtigten Sorgen,
wenn es die europäische Einigung nicht gäbe,
müsste man sie vermutlich erfinden.
Denn die Einigung Europas
ist wirklich eines der größten Friedenswerke der Geschichte.
Es ist aber auch wahr, dass im alltäglichen politischen Geschehen
vieles nicht ideal läuft.
Ich sage nur, wenn sich die EU darum kümmert, was für Ölkännchen
in einem Restaurant stehen dürfen,
da haben die Menschen den Eindruck, dass Europa zu viel regelt,
dass es undemokratisch abgeht, dass alles zu kompliziert ist.
Wenn dann jemand von Frieden redet, winken sie ab.
Denn sie kennen ja nichts anderes.
Leider neigen die Menschen dazu,
so tolle Errungenschaften ganz schnell zu vergessen.
Deshalb ist die Idee vom einigen Europa heute noch konkreter.
Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat 1995 begründet,
warum die Einigung Europas nötig ist.
Er erinnerte daran, dass viele Risiken transnational wirken.
Damit wollte er sagen:
Ein vergifteter Fluss hört nicht an der Grenze auf zu fließen.
Ein explodierendes Atomkraftwerk
betrifft nicht nur die Bürger eines Landes.
Wenn wegen Kriegen, Hunger und Umweltzerstörung
Menschen zu uns fliehen, kann das ein Land alleine nicht lösen.
Dazu braucht es Europa, europäische Lösungen.
Im Kern ist die europäische Idee immer noch die Idee von Frieden.
Ehemalige Feinde haben sich versöhnt und arbeiten zusammen.
Roman Herzog sagte das so:
"Die Botschaft der Versöhnung ist die beste Botschaft,
die Europa auch heute der Welt bieten kann."
Was meint ihr: Hat sich die Idee vom geeinten Europa überlebt?
Oder ist die heute noch so wichtig wie vor 70 Jahren?
Vielleicht noch wichtiger?
Brauchen wir die Vereinigten Staaten von Europa
oder brauchen wir ein Europa der Vaterländer,
wie es Charles de Gaulle gesagt hat, ehem.französischer Präsident?
Schreibt es gerne in die Kommentare. Ich bin gespannt, was ihr denkt.
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Danke dafür und danke fürs Zuschauen. Bis zum nächsten Mal.