Mein Leben mit chronischem Erschöpfungssyndrom | Wie lebe ich mit einer schweren
Ich treffe heute Manuel, er hat mir geschrieben und ein Video geschickt.
Meine Erkrankung bedeutet für mich:
Gefängnis. Ich bin gefangen in einem Körper,
der nicht macht, was ich will.
Manuel leidet unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom.
Wie genau diese Krankheit aussieht, das weiß ich gar nicht.
Ich weiß nur, alles, was ich normalerweise im Alltag tue,
ist für ihn super anstrengend.
Deswegen muss ich heute erst mal schauen, wie viel Kraft er heute hat,
um überhaupt mit mir zu sprechen.
* Titelmelodie *
Hallo. - Hallo, Frank.
Auf was muss ich jetzt eigentlich achten, wenn ich zu Manuel reingehe?
Ja, mit ihm kann man sich ganz normal unterhalten.
Nur halt nicht so lange.
Seine Konzentrationmöglichkeiten ist immer so 10 Minuten, Viertelstunde.
So.
So, der Frank ist da. Bitteschön. - Hallo.
Ich bin gerade noch am Hände desinfizieren.
Kann ich dir die Hand geben, alles cool? - Ja, passt.
Du hast mir ja geschrieben,
und ich weiß noch nicht so richtig viel über deine Krankheit.
Erzähl mal, wie ist denn das eigentlich irgendwie so gekommen?
Das ist ziemlich schleichend gekommen bei mir.
2015, da war ich... 23.
Da hat es angefangen, dass ich immer öfter, also, krank war.
Nur so kleine Infekte.
Dann bin ich immer wieder so komplett zwei Wochen flach gelegen.
2016, da war es im Mai, da hatte ich wieder so einen Infekt.
Und von dem habe ich mich halt nie erholt.
Und irgendwann war dann der Punkt, ja, jetzt gehe ich heim.
Ein Semester. Lasse mich von meinen Eltern aufpäppeln.
Und dann gehe ich zurück.
Aber der Punkt, wo ich zurückgehen konnte, der kam halt nicht.
Wie genau fühlt sich denn deine Krankheit an?
Man kann es schwer beschreiben.
Also, ich mag...
Chronisches Erschöpfungssyndrom ist, ähm...
... schon mal voll bagatellisierend, irgendwie.
Mit der Zeit werde ich, also, Herzrasen bekommen.
Das wird schneller Pumpen.
Dann ein bisschen schwindlig werden.
Mich schwach fühlen,
so, als ob ich seit Stunden oder Tagen nichts gegessen habe.
Und Reize sind alles zu viel, Licht, Geräusche, Gerüche.
Aber das Schlimmste ist danach.
Ich bin gerade schon ein bisschen angestrengt
und so ein bisschen zittrig.
Aber es geht gerade voll, mit dir zu reden.
Ja.
Aber die Stunden danach, und die Tage danach,
da werde ich voll im Eimer sein.
Dann kriege ich Halsweh,
die Lymphknoten tun dann weh.
So eine, ja, so eine Grippesymptomatik, halt.
Hm.
Muskelschmerzen und Zuckungen auch,
mein ganzer Körper zuckt dann manchmal.
Und, also, das Nervensystem und das Immunsystem eben, das ist halt so...
... was dann nicht mehr funktioniert.
Ja.
Was macht die Krankheit mit dir?
Ja, so rausgehen tue ich, ähm, jetzt im Winter
war ich monatelang gar nicht draußen,
außer, für einen Arzttermin mal.
Im Sommer höchstens Terrasse.
Und da ist dann so die Grenze, mehr sehe ich nicht.
Von der Welt. Und alles, was das Leben eigentlich ausmacht,
Menschen treffen, mit Leuten was zusammen machen,
irgendwie was erleben,
hab ich nicht so wirklich.
Gehts noch, oder sollen wir mal eine Pause machen?
Oder? - Warte.
Ich atme mal kurz durch.
(Leise) Dann noch kurz und dann wieder Pause.
Wieso hast du mir denn überhaupt geschrieben?
Wieso hast du dich bei mir gemeldet?
Weil...
... die Krankheit, die ich habe,
myalgische Enzephalomyelitis,
die kennt niemand.
Dass halt mehr daran geforscht wird.
Es gibt keine Klinik, wo ich mich wenden kann.
Es gibt eine Handvoll Ärzte in Deutschland,
an die man sich wenden kann.
Wenn man Glück hat, kommt man drauf, was man hat.
Und wenn nicht, dann...
... rennt man von Arzt zu Arzt.
Und kriegt dann irgendwann Psychodiagnosen,
die einen nicht weiterhelfen.
Prognose ist, dass ich
mein Leben lang halt im Bett liege.
Bis ich dann halt irgendwann mit Mitte 50 oder Mitte 60, ähm,
viel früher, als fitte Leute, halt dann doch irgendwann sterbe,
weil irgendwelche Co-Erkrankungen kommen.
Ja.
Also wenn du sagst, es ist jetzt erst mal genug,
dann gehe ich einfach runter.
Ich merke dann, jetzt wäre gut, wenn ich es sein lasse.
Aber es ist dann so cool, mit jemandem zu reden.
Weil man dann wie so ein, ja, so ein bisschen Blut leckt,
wie das Leben sein könnte.
* Musik *
Okay, du bist schon, du bist schon ganz, ähm... - Ja.
... Erschöpft, ne? - Ja.
(Flüstert) Okay, dann lassen wir ihn mal kurz alleine.
* Musik *
Ist krass. Ich kann es nicht anders sagen.
Es ist für mich jetzt auch super schwierig,
einzuschätzen, so, habe ich ihm jetzt zu viel Kraft gekostet?
Und, ähm...
reicht die Energie eigentlich noch für weitere Fragen,
oder sollte ich es lieber bleiben lassen?
Ich will ja nicht, dass er sich jetzt wegen mir irgendwie schlecht fühlt.
Auch nicht morgen oder übermorgen.
Gleichzeitig war es halt irgendwie sein Wunsch,
dass wir in treffen,
und dass wir seine Krankheit einfach auch so zeigen, wie sie ist.
So, jetzt hat Manuel ein bisschen Pause gebraucht. - Ja.
Jetzt hat Manuel kurz erzählt,
wie der Krankheitsverlauf so aus seiner Sicht war.
Hattet ihr irgendwann mal zu einem Zeitpunkt das Gefühl,
okay, wir sind uns jetzt auch nicht sicher,
ob da überhaupt was ist, oder?
Ja, klar, und das ist ein ganzer Prozess gewesen.
Auch im Bekanntenkreis und so, eher,
was hat er denn wirklich, ist es doch jetzt vielleicht psychisch.
Durch das, dass er Vegetarier ist, kamen auch so aussagen, wie, ja,
iss einmal ein Schnitzel, dann wirst du wieder gesund.
So Sachen sind auch gekommen.
Das hat das ganze natürlich für ihn auch nicht ganz erleichtert.
Wie war der Manuel vorher?
Wie würdest du Manuel beschreiben? - Vorher?
Der war eigentlich...
... unheimlich sportlich, wir sind gerne in die Berge gegangen.
Da ist der Manuel.
Ich biete ihm auch immer wieder an, dass er mal mit dem Rollstuhl,
dass wir hier ein bisschen zum Kanal fahren, oder so.
Aber das ist auch ihm wieder zu anstrengend, weil im Rollstuhl
ist der Oberkörper aufrecht.
Und das ist sein Problem. Er muss liegen.
Sobald der Oberkörper aufgerichtet ist,
bekommt er Kreislaufprobleme. - Verstehe. Ja.
Der Manuel, ganz normal, wie junge Leute, dass man Party macht,
er hat ja eine nette Clique hier, gell.
Und das ist natürlich, ja.
Das Bild. - Wow.
Wo er mir das Bild noch mal gezeigt hat, wie er beinander war,
jetzt noch 54 Kilo.
Hm. - Und wenn man so seine Haut sieht, alles ganz weiß,
und er hat ja kaum noch Muskeln.
Und wenn man so sieht, wie ein junger Mensch so...
ich möchte mal sagen, wir haben draußen Frühling,
wie ein junger Mensch verblüht, verwelkt,
ja, man ist schon sehr traurig.
Und hast du manchmal einen Respekt davor, wie Manuel das macht?
Also, ich bewundere ihn wirklich.
Wie er das so meistert? - Wie er das so meistert?
Ja, auch, wenn es so blöd klingt, so krank, wie er ist, und doch, ähm...
Ja, also es gibt Momente, wo ich ein bisschen fertig bin,
es nimmt mich natürlich auch mit, das ist klar.
Und dann gehe ich zu ihm und rede mit ihm.
Und dann geht es mir hinterher auch ein bisschen besser.
So eine Art Therapie, ja, auch.
Manuel hat jetzt ungefähr anderthalb Stunden Pause gemacht,
und jetzt hat er Bescheid gegeben,
dass er wieder Kraft hat, mit mir zu reden.
Hi.
Hi. - So.
Ich bin zurück.
Gut. - Hi.
Hi.
Na, Manu, wie geht es dir?
Ja, etwas Kacke.
Er ist schon ganz schön angestrengt, glaube ich.
Ja.
Ja, ich habe es etwas übertrieben
mit zu viel reden, aber das war klar, dass das...
... passiert.
Wie hat denn sich euer Verhältnis dadurch geändert?
Hat es sich geändert?
Wenn ich dann halt nach Hause komme, dann ist halt schon schwierig.
So manchmal für mich jetzt zu wissen, kann ich das jetzt alles erzählen?
Weil das sind ja oft auch positive Dinge,
und...
Also, so ein bisschen, muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben,
dass es mir so gut geht, oder? - Ja, genau.
Ja, das war am Anfang v.a. schwierig.
Aber mittlerweile, er hat es mir auch gesagt,
dass er es gern wissen möchte.
Was ich so erlebe.
Z.B., ich war jetzt halt vier Monaten weg,
und ich hab wirklich, eine Zeit lang habe ich jede Woche von ihm geträumt.
Dass er rumläuft, dass er gesund ist, und ich hab mich im Traum gefreut.
Und dann bin ich aufgewacht und gedacht, ja, Moment mal.
Das war jetzt leider nur ein Traum.
Klingt irgendwie...
Schon krass, wenn man das hört, oder?
Hm.
Und...
Ja, also, man hat halt immer das Gefühl, dass...
Also, alle machen halt was für einen.
Und tun so viel für mich.
Und ich kann halt...
... irgendwie kaum was da dann zurückgeben.
Ja, halt immer nur am nehmen, nehmen.
Aber für mich ist halt, also,
als großer Bruder halt auch irgendwas machen, und...
Machst du ja mit deinen tollen Tipps und irgendwelche Ratschläge.
Und das ist ja nach wie vor so.
Erkenne mal ganz kurz, kommen überhaupt Freunde noch vorbei?
Also das ist eigentlich so das Schlimmste für mich an der Krankheit.
Zu Symptome, wenn der Körper abkackt, steht man irgendwie durch.
Aber ich sehe halt nicht mehr viel Leute.
Und diese Einsamkeit, das ist schon das Shrecklichste.
Und da gewöhnt man sich nicht dran.
Meine Freundin, das ist halt die, eine der wichtigsten für mich.
Die kommt, ähm, regelmäßig.
Kanntet ihr euch vorher schon, oder wie habt ihr euch kennengelernt?
Nee, erst Ende letzten Jahres.
Und, ähm...
Ja, deswegen kann ich es auch noch gar nicht so richtig glauben.
Dass...
... ich in meiner Situation...
... jemand kennenlernen konnte, wo so cool ist.
Wo es so gut passt.
Aber es ist halt mega schwierig, so eine Beziehung zu führen.
Weil...
Die kann halt nichts wirklich mit mir unternehmen.
Das Schlimmste ist eigentlich...
... das klingt jetzt ein bisschen kitschig, aber:
also, seit ich so stark eingeschränkt bin und dadurch so einsam bin,
habe ich das Gefühl,
dass sich so viel Liebe in mir angestaut hat,
die ich gern irgendwie rausgeben will.
Aber ich kann es nicht.
Und nicht mal der Fr... die... die...
diese Frau, die ich liebe,
nicht mal der kann ich halt meine Liebe geben.
Weil ich... körperlich die Energie und Kraft fehlt.
Das klingt irgendwie ganz schön traurig.
Und... wie geht man damit um?
Ach, ich weiß nicht, also am Anfang...
also da war ich wirk... voll... depressiv oft.
Und traurig und...
... hab viel geheult und...
... nicht gewusst, wie es weitergeht. Und man fragt sich dann schon, ähm:
Wie lange mache ich den Scheiß mit?
Beende ich das nicht irgendwann selber?
Aber gerade das hat mir gezeigt,
ähm, nein, Mann.
Also, auch, wenn es Scheiße ist, ich gebe nicht auf.
Ähm...
Und ich mach weiter, und...
... irgendwann...
Also es ist so ein Kompromiss aus:
Man muss schon weitermachen, aber irgendwann nicht mehr kämpfen,
sondern es annehmen.
Und halt das Leben leben, das ich so hab.
Die Krankheit, hat die auch irgendwie, irgendwas positives?
Hast du dadurch irgendeine Erkenntnis, oder so?
Also, wenn ich halt immer Leute höre, worüber die sich aufregen,
und so, dann denke ich einfach nur:
was habt ihr denn eigentlich für ein geiles Leben.
Also, was ich halt gelernt habe, ist:
Ich kann mich über den kleinsten Schrott so freuen,
und ich kann mich so an dem Glück anderer freuen.
Also ich liebe es, wenn man mir erzählt,
was andere erleben.
Ja, einfach so Kleinigkeiten.
Mehr wertschätzen.
Gibt es etwas, das ihr Manuel gerne sagen würdet?
Dann schreibt mir das mal in die Kommentare.
Wenn ihr kein Video mehr aus dieser Reihe verpassen wollt,
dann lasst mir ein Abo da.
Und hier oben habe ich euch ein Video von Reporter verlinkt,
da hat mein Kollege Ben Nina getroffen.
Das ist auch eine Geschichte, die mich total berührt hat.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk, 2019