Einsamkeit - die neue Volkskrankheit? (S04/E04) (1)
* Musik * Ja, herzlich willkommen zu "Bauerfeind - Die Show zur Frau". Heute mit einem Thema, das viele von uns in Zukunft betreffen wird, zumindest wenn die Engländer recht haben. Die haben ein Ministerium für Einsamkeit eingerichtet bzw. eben eins gegen Einsamkeit. Die Engländer sagen, Einsamkeit hat für Körper und Seele dieselben Folgen wie falsche Ernährung, Rauchen oder Bluthochdruck. Gut, die Engländer halten auch Bohnen mit Wurst für 'n Frühstück. Aber womöglich haben sie hier recht. Weltweit klagen immer mehr Menschen darüber, dass sie einsam sind. Und diese Menschen sind oft überraschend jung. Ist Einsamkeit womöglich auch bei uns bald die neue Volkskrankheit? Das kläre ich heute nicht einsam und alleine, sondern mit meinen Gästen. Dem Neurowissenschaftler und Bestsellerautor Manfred Spitzer und einer der bekanntesten Schauspielerinnen und Sprecherinnen. Anna Thalbach ist heute hier. * Applaus und Jubel * (lacht) Ja, dieser Applaus kam vom Band. In Wirklichkeit fühle ich mich hier so wie Eva im Paradies, als Adam auf Geschäftsreise war: Ganz alleine. Und damit bin ich mal wieder ein Symbol der Moderne. Denn gefühlt sind viele ganz allein, obwohl's immer mehr Menschen gibt. Verrückt, mittlerweile leben auf der Erde fast 8 Mrd. Menschen. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen einsam. Nicht einsam in dem Sinne wie er, wenn wir nächstes Jahr bei der EM in der Vorrunde rausfliegen. Auch nicht einsam wie all die, die 'n Vermögen hinlegen, um endlich wegzukommen von anderen Leuten. Also, das verstehe ich. Leute sind die Hölle, das wissen wir alle. Geh mir weg mit Leuten. Leute braucht kein Mensch, aber Menschen braucht der Mensch. Das sagt auch sie hier. Tracey Crouch, die erste Einsamkeitsministerin der Welt. Sie sagt, Einsamkeit senkt die Lebenserwartung genauso wie mittelstarkes Zigarettenrauchen. Die Japaner haben für das Sterben einsamer alter Menschen sogar einen eigenen Begriff: Kodokushi. Das klingt erst mal wie 'n neues Modell von Toyota, zeigt aber, dass Einsamkeit ein weltweites Phänomen ist. Und eins, das eben nicht nur Senioren betrifft, im Gegenteil. Am akutesten ist das Problem laut Umfragen bei 18- bis 22-Jährigen. Klar, man denkt, der Alltag von jungen Leuten sieht so aus: Aber das stimmt offenbar nur für die Junge Union oder Jugendliche in ARD-Vorabendserien. Wir Älteren wissen, die 200 Freunde in den sozialen Netzwerken lassen einen sofort hängen, sobald es schwierig wird. Für junge Leute ist das eine schmerzhafte Erkenntnis. Und jetzt auch noch Corona. Dieses Virus lässt uns alle monatelang zu Hause bleiben und trägt damit dazu bei, dass wir alle weiter vereinsamen. So, damit ich hier nicht allein abhängen muss, was ja unpassend wäre bei dem Thema, kommt ein Experte auf dem Gebiet der Einsamkeit dazu. Er ist Neurowissenschaftler und Professor für Psychiatrie. Passenderweise hat er extra ein Buch für diese Sendung geschrieben, "Einsamkeit - Die unerkannte Krankheit". Er geht einen Schritt weiter und sagt: "Die Wissenschaft ist sich relativ sicher, Todesursache Nr. 1 ist die Einsamkeit." Wenn's da mal nicht Zeit wird, darüber zu sprechen. Herzlich willkommen, Manfred Spitzer. * Musik: Pharrell Williams "Happy" * (Katrin klatscht) Ich mach den Applaus. (beide lachen) Hallo, Herr Spitzer, willkommen. Hallo. Sie haben sich ein schönes Lied gesucht. Happiness als Kontrastprogramm zu unserem Thema. Ja klar. Ich freu mich, dass Sie vorbeigekommen sind, weil wir kennen das alle, jeder hat sich sicherlich schon einsam gefühlt. Wobei den meisten sicherlich nicht klar ist, dass wir da über ein wirkliches Problem und vielleicht die neue Volkskrankheit sprechen. Was ist denn Einsamkeit? Ja, also, zunächst mal weiß es jeder, weil jeder schon mal verlassen wurde. Jeder hat's schon mal erlebt: "Schade, dass da einer geht." Einsamkeit ist nicht Alleinsein. Genau. Und schon gar nicht, das muss man im Anblick von Corona sagen, das Gleiche wie körperliche Distanz. Und dann kommt noch dazu, auch wenn ich mal alleine bin, oder sozial isoliert, das ist der Fachterminus für das Alleinsein, dann heißt das nicht, dass ich einsam bin. Einsam, das ist wichtig zu unterscheiden, ist das subjektive Erleben, das wirklich schmerzhaft ist und das einem wehtut, weil man will das nicht sein. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir wollen Gemeinschaft. Und wenn's klemmt, dann fühlen wir wirklich Schmerzen und machen sofort was, nämlich wir gehen auf Leute zu, wir wollen wieder Kontakte. Das ist normal und das ist auch gut so. Schlecht ist, wenn das Gefühl der Einsamkeit chronisch wird. Dann wird das selber zum Problem. Dann kommen so Gedanken dazu: "Oh, ich geh den anderen eh nur auf den Keks." Und wenn die dabei sind, macht man eben nicht mehr das Vernünftige, sondern zieht sich noch weiter zurück. Und das geht teufelskreismäßig abwärts. Es gibt gar nicht so 'ne konkrete Definition. Das ist ein individuelles Empfinden darüber, wann ich einsam bin. Es kann Leute geben, die sagen: "Ich hab zwei tolle Freunde, ich fühl mich nie einsam." Es gibt Leute, die vielleicht 25 tolle Freunde haben und... Oder wie die in der Menge, die Sie gezeigt haben. Diese Menge von Leuten aufeinander. Genau. Als Psychiater erzählen mir das viele Leute: "Ich bin da in der Menge und fühl mich total einsam." Das gibt's eben auch. Ja, okay. Sie haben gesagt, es gibt so 'nen Test, den man machen kann, wo gefragt wird, wie oft man Kontakte hatte, die man auch anrufen könnte, wenn's richtig eng wird. Das wird man so 20-, 25-mal gefragt: Die letzte Person, wenn's schwierig wird, kannst du die anrufen? Wenn du, ich weiß nicht, wie oft, gesagt hast: "Nee, kann ich nicht", dann ist das 'n Indiz dafür, dass man einsam ist, ja? Ja, man muss sich mal vorstellen, die Frage ist: Der Letzte, den Sie getroffen haben, könnten Sie bei dem nachts um drei klingeln? Und das werden nicht so viele sein. Wir wissen aus der Wissenschaft, es sind drei bis fünf, die jemand hat, der so eng ist. Dann hat man viele, die würden mal helfen, unterstützen. Aber wenn man konkret fragt und nicht: "Fühlen Sie sich gelegentlich einsam?" Da sagt jeder irgendwas, die meisten sagen Nee, weil sozial erwünscht ist ja, dass man 'n Gruppenwesen ist. Total. Es ist stigmatisiert, deswegen erst recht 'n Problem. Man will's nicht sein, auch wenn man's ist. Dann ist es wichtig, dass man, wenn man Wissenschaft dazu macht, z.B. Einsamkeit oder soziale Distanz so erfasst, um dann rauszukriegen, wenn jemand wirklich wenig Leute hat, die ihm helfen würden in seiner eigenen Wahrnehmung, hat er mehr Stress. Und wenn er mehr Stress hat, hat er jeden Grund, früher zu versterben. Das ist ein Problem. Ja, kommen wir gleich drauf. Warum ist es ausgerechnet jetzt so, dass wir ein Problem mit der Einsamkeit bekommen? Was hat sich in den letzten 30 Jahren verändert? In den letzten 30 Jahren hatten wir drei große Trends. Der erste ist ganz klar, der Trend zur Singularisierung. Wir hatten in den letzten 10 Jahren 3,5 Mio. mehr Singlehaushalte. Die Familienhaushalte haben abgenommen. Die Familienhaushalte gehen so runter und die Singlehaushalte so rauf. Für jeden Familienhaushalt gibt's drei Singlehaushalte mindestens. Und wenn man alleine wohnt, ist man auch öfters einsam. Das eine bringt das andere leicht mit sich. Zweitens, viel mehr Menschen wohnen in Städten. Da sind viele Leute. Aber wenn Sie durchs Dorf laufen und sagen Guten Morgen, dann sagt der andere auch Guten Morgen. Denn Sie kennen sich. Ja. D.h., Ihre sozialen Kontakte sind mit bekannten Leuten. In der Stadt laufen Sie rum, viele Leute, aber Sie kennen keinen. D.h., Sie haben eher das Erleben des Alleinseins und des Gefühls, da ist niemand für mich, also der Einsamkeit. Und drittens, wir verbringen Stunden täglich vor einem Medium. Und Medium heißt wörtlich das Vermittelnde. Wir sind nicht mehr unmittelbar. Wie wir jetzt, wir reden unmittelbar miteinander. Ohne Glasplatte, ohne Mikro, Lautsprecher. Das ist schon was ganz anders, was wir grade in Corona-Zeiten merken. Wir machen Meetings digitalisiert und merken, das macht nicht so viel Spaß. Es bleibt so 'ne Distanz. Ja. Es ist nicht das Gleiche. Ja. Und genau diese drei Trends werden uns begleiten. Die werden ja auch noch mehr. Sie haben schon sehr viele Punkte angesprochen, die wir vertiefen wollen, und zwar mit meinem nächsten Gast. Sie ist, seit sie 6 Jahre alt ist, wirklich auf Bühnen. Sie steht vor Kameras. Sie hat sehr viele Menschen erfreut mit dem, was sie da macht. Sie hat schon sehr viel gelesen in ihrem Leben, vorgelesen. Sie hat dafür zu Recht den Deutschen Fernsehpreis bekommen, auch den Deutschen Hörspielpreis. Sie selbst hat über ihr Schaffen mal gesagt, es ist quasi Theater, Filmkunst, Schrott und Hollywood. Und heute Abend kommt noch diese Show dazu. Ich freu mich, dass sie hier ist. Herzlich willkommen, Anna Thalbach! * Musik: Reinhard Lakomy "Heute bin ich allein" * # Heute bin ich allein Ja, auch das Muss ab und zu mal sein. # Hallo. Wir machen den hier. (lachen) Für jeden 'nen eigenen Move. Variation. Herzlich willkommen. Ja. Schön, dass du da bist. In unserer kleinen einsamen Runde. Ja. Hast du dir das Lied ausgesucht? Ja. Warum dieses Lied? Es ist ja ein passendes. Ich fand's fröhlich. Ich wollte die Einsamkeit aus der negativen Ecke holen. Absolut. Ich bin ja auch einsam geboren, ich bin "einsam". So kommen wir auf die Welt eigentlich. Wenn wir nicht zufällig das Glück haben, Zwillinge zu sein, ist das ja erst mal der Grundzustand, in dem wir erst mal entstehen, in einer einzelnen Blase, in einem Wasser. Also, ich glaube, da kommen wir her. Wenn man... Also, man kann es vielleicht auch umdrehen mal. Also, das nicht als so negativ... Also, auch die Qualität, mit sich zu sein, das als Qualität zu empfinden. Aber natürlich brauchen wir immer ein Gegenüber, um zu wissen, ob wir richtig sind oder falsch, um uns zu reflektieren. Dafür brauchen wir ein Gegenüber. Wenn man viel alleine ist, wird man kauzig, weil man diese Reflexion nicht hat. So... Das stimmt tatsächlich. Und die Auseinandersetzung halt. Man muss sich ja orientieren, deswegen gehen Menschen in Gruppen. Da ziehen sie sich gleich an, weil sie sagen: "Ah, der zieht sich auch so an, dann ist das richtig." Also, dadurch braucht man den Kontakt. Einfach als Reglementierung für die Dinge. Ja, total. Und so, ne? Für Wahrheitsfindung. Fragst du den, ist es so, fragst du den, ist nicht so. Dafür ist es natürlich wichtig. Aber trotzdem, das Alleinsein als was Schönes empfinden zu können, das halt ich für klug. Ja, total. Glaubst du, es würde helfen, wenn man das als Normalzustand annimmt? Viele würden unterschreiben, du hast es bei der Geburt gesagt, dass in den entscheidenden Momenten im Leben, wenn's um alles geht, die harten Momente, ist man eigentlich immer einsam, oder? Ja, es wäre schön, wenn man lernt, das als 'ne Qualität zu empfinden, als natürlich, als kosmisches Gesetz. Und nicht, sich dagegen zu wehren. Ja. Dann ist das schon mal ein Schritt, dass man nicht denkt, das ist was Schlechtes, wenn ich alleine bin. Das kann auch was Schönes sein. Absolut. Ich hab 'n Zitat von deiner Mama rausgesucht, Katharina Thalbach, die sich eher als Einzelgängerin sieht, die aber sagt, du bist als Kind wahnsinnig gerne unter Leuten gewesen. Glaubst du, es gibt 'ne Veranlagung, ob man eher einsam oder eher der Gruppentyp ist? Ja, das ist bestimmt 'ne Charakterfrage auch, definitiv. Aber ich bin beides. Also, ich bin wahnsinnig gerne einsam und alleine und auch wahnsinnig gerne gesellig. Fühlst du dich einsam, wenn du alleine bist? Oder ist das für dich ein guter Zustand? Das scheint es ja zu unterscheiden. Einsam fühl ich mich, wenn ich ... denke, da ist niemand, der mich versteht. Ja. Dann fühl ich mich einsam. Absolut. Du hast das auch gesagt, weil du hast sehr früh mit Schauspiel angefangen. Hast kein Abitur gemacht, bist sehr früh in diesem Bereich gewesen, hast gesagt, korrigier mich, wenn ich das nicht richtig wiedergebe, dass du dich manchmal einsam gefühlt hast, weil man sich mit dem, was das eigene Leben ist, nicht mit Gleichgesinnten austauscht. Das war in der Kindheit auf jeden Fall 'n Problem. Aber sowieso, weil ich kam aus 'nem sehr speziellen Haushalt. Tatsächlich hatte ich ein Alleinstellungsmerkmal. Dann konnte ich in der ersten Klasse lesen. Da hatte ich Tom Sawyer gelesen und da fingen die an mit "Uta malt ein Auto".