Kulturpresseschau 02. Juli 2023, 23:50 Uhr
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Es wurde kein Siegesmarsch, steht in der Süddeutschen Zeitung.
Natürlich ist das Vorrücken von Prigoschins Armee auf der Straße nach Moskau ein historisches
Ereignis und er selbst ist dank dieser Meuterei in die Geschichte Russlands eingegangen,
meint Viktor Jerofjejev zu dem, was in Russland vor einer Woche geschah und die Welt in Atem hielt,
der Aufstand des Söldnerhändlers Yevgeny Prigoschin. Doch kurz vor Moskau erwarteten
ihn militärischer Widerstand, ein Strafrechtsverfahren und letztlich Verdammung durch Putin. Hätte er
näher Unterstützung vom Volk gehabt, würde er es wohl riskiert haben. Der Schriftsteller Viktor
Jerofjev flog kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit seiner
Familie aus Moskau nach Deutschland. Die Aktion von Prigoschin hat für ihn durchaus eine gewisse
Logik. Die militärische Meuterei, die sich in Russland gerade abgespielt hat, reifte schon
mehrere Jahre lang und gründet den politischen Ansatz des putinschen Systems selbst. Mit Beginn
von Putins Regierungszeit wandte sich Russland zunächst langsam, dann immer schneller von
Europa ab und einem eigenen Weg der Entwicklung zu, auf der Suche nach einer Zukunft in der
imperialen Vergangenheit. Und in zaren Zeiten zogen sich Militärputsche durch die Jahrhunderte. Eine
gesetzestreue Verwaltung und gesetzestreue Gerichte müssen neue Bestimmungen verstehen
und anwenden können. Das lesen wir in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über das
geplante Heizungsgesetz der Ampelkoalition, das nun im Bundestag und Bundesrat verhandelt
werden soll und das der Münsteraner Rechtsprofessor Hinnerk Wismann in Grund und Boden rammt. Das
Gesetz, um das es hier geht, ist noch nicht geschrieben, sein Inhalt weder fachlich,
finanziell noch anwendungssystematisch bis zum Ende durchdacht. Wie sollte das auch gehen,
wenn man sich auf den letzten Metern überhaupt erst einmal auf Dutzende Sachkompromisse einigt?
Die 168 Seiten Gesetzesvorlage verdammt auch der Journalist und Fernsehproduzent Friedrich
Küppersbusch, der jeden Montag in einem Interview der Tageszeitung Taz möglichst
launig die Woche einzuleiten versucht. Das Ding ist unfassbar kompliziert,
fachchinesisch, mit Querbezügen durchschrotet. Ich wäre stolz gewesen, die Hälfte als Masterarbeit
abzugeben. Den Inhalt versteht kein Mensch. Und das ist ja nichts Ungewöhnliches für unsere
politische Klasse, die ja gerne so fachexpertisenhaft redet, dass das wählende Bürgertum kaum ein Wort
verstehen kann. So macht man Populisten stark. Ein Gesetz von 2017 erlaubt es der Polizei,
bei Befehlsverweigerung zu schießen. Das führte zu 13 Toten bei Verkehrskontrollen 2022,
sagt Friedrich Küppersbusch auch noch in seinem montäglichen Taz-Interview zu den Unruhen bei
unserem demokratischen Nachbarn Frankreich. Den Rassisten in der französischen Politik
Publizistik und Polizei ist es völlig egal, welche Schulnoten jemand hat, wo er arbeitet,
dass er mit seinen Steuern zum Allgemeinwohl beiträgt. Entscheidend sind die Hautfarbe,
die Religion, schreibt Nils Minkmeyer in der Süddeutschen. Ein Kulturjournalist mit einer
französischen Mutter, der außer der Deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt.
Frankreich ist immer noch ein Land, das die Welt vor allem durch intellektuelle Arbeit
deutet und begreift. Daher kann die gegenwärtige, hochexplosive Situation nicht durch noch mehr
Polizei, sondern einzig und allein durch schärferes Nachdenken und deutlicheres
antirassistisches Engagement überwunden werden.