Landtag debattiert über ethische Fragen zur Impfstrategie
Normalerweise könnte Christiane Gerhardt
im "Treffpunkt Marienborn"
donnerstags zehn bis 15 vergnügte Senioren
zum Spielenachmittag begrüßen,
aber wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen
ist die Vereinsvorsitzende heute alleine.
Nach wochenlangem Teillockdown sehnt sie sich nach Normalität.
Deshalb richtet sich all ihr Hoffen auf den Impfstoff.
Ich lege die Hoffnung auf den Impfstoff,
dass ich ihn auch bekomme,
dass wenn ich Corona bekommen sollte,
nicht zu den Schwerstkranken gehöre.
Vielleicht habe ich Glück,
dass ich durch den Impfstoff gar nichts bekomme.
Mit Spannung verfolgt sie mit uns die Debatte aus dem Mainzer Landtag.
Wer soll zuerst geimpft werden?,
Diese Frage beschäftigt auch die 73-Jährige.
Ich finde ganz wichtig, dass das Krankenhauspersonal,
die Ärzte, Pflegerinnen in den Altenheimen,
all die Menschen, die als Erstes mit Betroffenen zu tun haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Man sieht es uns nicht an, ob wir's haben,
dass die geschützt sind.
Noch ist für Deutschland kein Impfstoff zugelassen,
doch bis Jahresende soll es soweit sein.
Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet damit,
dass im Januar bis zu fünf Millionen Impfdosen
zur Verfügung stehen.
Da pro Person aber zweimal geimpft werden muss,
würde das nur
für etwa zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland reichen.
Zweieinhalb von gut 80 Millionen.
Die Politik muss jetzt entscheiden, wer zuerst geimpft werden darf.
Sie muss das gut begründen,
damit der soziale Frieden im Land gewahrt bleibt.
Eine knifflige Aufgabe ...
Im Mainzer Landtag versuchen sich am Nachmittag
ausgewählte Abgeordneten daran, diese Aufgabe zu lösen,
in einer digital übertragenen Debatte,
auch das eine Normalität in diesen Zeiten.
Die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission
finden breite Zustimmung.
Die Verteilung darf nicht dem Zufall überlassen werden.
Erst recht darf es keinen Unterschied ausmachen,
ob jemand privat oder gesetzliche versichert ist.
Es gilt weder das Windhundprinzip, noch das Ellenbogenprinzip.
Das müssen die gemeinsamen Kriterien deutlich machen.
Der Schutz der Schwächsten hat oberste Priorität, es gilt,
schwere Verläufe und so viele Todesfälle wie möglich
zu verhindern.
Dazu muss unser Gesundheitssystem funktionsfähig bleiben.
Manche BürgerInnen mögen sich in diesem Vorschlag
individuell benachteiligt sehen,
jedoch ist das Vorgehen notwendig,
um unsere Gesellschaft bestmöglich zu schützen.
Wir und ich stehen
hinter diesem wissenschaftlich fundierten Vorgehen.
Etwa 40 bis 50 Millionen Menschen müssen in Deutschland geimpft werden,
bis eine Herdenimmunität erreicht ist
und die Verbreitung des Virus gestoppt werden kann.
Skeptisch gegenüber dem Corona-Impfstoff
zeigte sich im Landtag allein die AfD-Fraktion,
zu wenig erforscht
seien bisher mögliche Langzeitnebenwirkungen.
Letztlich werden sich mögliche Nebenwirkungen
erst durch die umfangreiche und flächendeckende Anwendung
am Menschen im laufenden Prozess zeigen.
Das klingt nach dem unguten Prinzip Versuch und Irrtum.
Genau das, meine Damen und Herren,
stellt uns vor ein ethisches Dilemma.
Für Christiane Gerhardt gibt es einen Punkt,
der ihr in der Debatte bisher zu kurz kommt.
Immer wieder hört man nur, die über 80-Jährigen,
nur die Gefährdeten.
Sie sollen auch mal sagen, wer gefährdet ist:
Junge Leute, wir haben viele Kinder, die schwersterkrankt sind,
die einen Schutz brauchen.
Die können nicht warten, bis alle Welt rum ist,
bis Mitte, Ende nächsten Jahres, bis sie geimpft werden.
Trotz des Teillockdowns versucht Christiane Gerhardt
mit allem, was sie kann,
den Verein "Seniorentreff" am Laufen zu halten.
Sie lässt den Kopf nicht hängen, auch wenn sie nicht weiß,
wann sie beim Impfen an die Reihe kommen wird.