Max Herre über Fridays for Future, Athen als Sehnsuchtsort und weiße Privilegien
Wir müssen anfangen, nicht nur über die zu reden, die ausgegrenzt sind,
sondern auch über das Selbstverständnis,
mit dem wir als weiße deutsche Männer vorne auf der Bühne standen,
das Mikrofon in der Hand halten, das Gespräch an uns gerissen haben.
(Intro)
Mein Name ist Max Herre.
Ich bin in Stuttgart geboren, lebe in Berlin seit 17 Jahren
und bin Musiker.
Ich habe Wurzeln v.a. aus Stuttgart.
Meine Mutter ist aus einer Berliner Familie,
ihre Mutter ist aus einer deutsch-jüdischen Familie.
Ursprünglich aus Breslau, aber es ist schon sehr Schwäbisch.
Ich komme schon aus dem politischen Kontext, familiär.
Meine Mutter ist bis heute sehr engagiert.
Mein Vater war es auch lange.
Ich kann mich an viele Demos in den 70ern und 80ern erinnern,
auf denen wir mitgelaufen sind.
Ich erinner mich,
dass es zum 1.Golfkrieg eine große Mobilisierung gab.
Ähnlich, wie Fridays for Future,
wo wir die Klassenzimmer verlassen haben.
Und dann losgelaufen sind zu anderen Schulen, um andere Schüler abzuholen,
um Demonstrationen zu veranstalten.
Ich fühle mich sehr erinnert bei Fridays for Future an meine Jugend
und diesen Geist, das Entstehen eines Bewusstseins für Zusammenhänge,
politische, wie gesellschaftliche.
Auch diese Dringlichkeit kann ich sehr nachempfinden,
mit der man diese politischen Diskussionen führt.
Mich befriedigt, zu sehen, dass - anders als oft behauptet wird -
Jugendliche sehr wohl politisch sind und interessiert sind.
Gleichzeitig finde ich es traurig,
dass unsere Kinder in einer Zeit aufwachsen,
in der es noch wichtiger ist, sich bewusst zu sein der Dinge,
die um einen herum passieren.
Das Bewusstsein darüber ist eine tolle Sache.
Dass dieses Bewusstsein nötig ist, ist eine furchtbare Sache.
Es ist immer ambivalent.
Ich betrachte mich nicht als politischen Künstler.
Ich glaube, ich bin ein politischer Mensch.
Und ich mache Kunst.
Damit sind auch Teile meiner Kunst politisch.
Ich glaube, es ist noch wichtiger und wird noch dringlicher,
Haltung zu zeigen.
Ich glaube, dass wir v.a.eine neue Situation haben,
was die Orientierung vieler junger Leute angeht.
Es gibt so was wie Hip-Hop mit rechten Inhalten.
Das war undenkbar vor...
Es gab jede Menge furchtbare Inhalte im Hip-Hop immer,
davor sind wir nicht gefeit.
Was ich sagen will, ist, dass es wichtig ist, dass es ganz klar ist,
aus welcher Position heraus man spricht.
Mit welcher Haltung, mit welchem Blick auf die Welt.
Und, dass man sich auch abgrenzt.
Ich glaube, das ist wichtiger.
Weil es für viele Leute schwieriger ist, sich zu orientieren.
Und zu erkennen auch:
Was steckt hinter einer bestimmten Musik, einer bestimmten Kunstform?
Ich glaube, dass wir im Hip-Hop
eine Art von Selbstverständnis lange gedacht haben zu leben.
Wir als weiße Rapper, das kein Selbstverständnis war
für die Nicht-Weißen in unserer Community.
Natürlich, je mehr man mit Menschen zu tun hat,
die nicht weiß und männlich sind, je näher man dran ist,
desto öfter ist man auch berührt mit der Art von Ausgrenzung,
Zurückweisung, die die Menschen erleben.
Je bewusster wird man sich auch,
dass das nicht alles nur ein toller Raum ist,
der sich Hip-Hop nennt, in dem alle gleich sind.
Die Frage z.B.danach in einer Mehrheitsgesellschaft:
wer macht Karriere oder wer macht keine Karriere?
Wer spricht vorne, wer spricht nicht vorne?
Ich glaube,
das sind durchaus Themen über die wir uns auseinandersetzen müssen.
100% gibt es ganz viele Momente in meinem Leben,
in denen ich mein Privileg als gegeben sehe, immer noch.
Und gesehen habe - und nicht hinterfrage.
Athen ist auch ein Ort, an den ich ganz viele Erinnerungen habe.
Mein Vater ist da '88 hingezogen, weil er dort arbeitete.
Er war da ein paar Jahre.
Es ist einfach ein Ort, an dem wir ganz viel waren,
wo wir ganz viele Freunde haben, Familienfreunde.
Und der so für mich - bestimmt nicht Heimat -,
aber auch so ein Ort, wo ich genau weiß, wie es riecht,
wo ich hinkomm, mich wie ein Fisch im Wasser bewege und mich wohlfühle.
Das ist für mich ein bisschen auch interessant,
weil wir eine Diskussion darüber führen, was ist Heimat.
Dürfen Leute woanders sein
oder dürfen sie etwas anderes für sich finden
und sich da einrichten und wohlfühlen
und Familien gründen und ein Zuhause gründen.
Ich finde diese Diskussion aus meiner Perspektive aberwitzig,
weil ich denke:
mit so einem Selbstverständnis haben es Menschen aus Deutschland heraus
immer schon gemacht.
Ich glaube, dass der Heimatsbegriff schwer ist
und immer schwieriger wird. Weil er eben so besetzt ist.
Ich glaube, den so komplett herzugeben ist ein großer Fehler.
Wenn man diese Begriffe immer nur,
weil sie irgendwann ein Rechter in den Mund genommen hat,
sozusagen herschenkt und sagt, das dürfen wir nicht mehr.
Damit gibt man auch ganz viel preis.
Mutiger und interessanter finde ich, zu sagen:
wir setzen noch den Rahmen alle dafür, was Deutsch ist.
Das ist nichts, was vor 100 Jahren mal ausgemacht wurde.
Es ist immer etwas bewegliches.
Es wird immer definiert durch die, die das Land, die Kultur
und den Ort definieren zum jeweiligen Zeitpunkt.
Mit seiner Geschichte und seiner Zukunft.
(Outro)
Meine Frage wäre, ob ihr einen Sehnsuchtsort habt,
wie ich Athen habe,
der nicht euer Heimatort ist, aber an dem ihr euch seht,
mit dem ihr etwas verbindet, an dem ihr vielleicht schon wart,
wo ihr gern leben würdet.
Teilt uns doch mit, was das ist.
Untertitel: ARD Text im Auftrag von Funk