Lockdown: Warum entscheidet Merkel nicht? Das Bund-Länder-Treffen im Kampf gegen Covid-19
Diese Deutschlandkarte zeigt,
wie streng die Bundesländer 2020 Corona-Maßnahmen eingesetzt haben.
Da ist es ganz einfach nicht möglich, dass ich da als Bundeskanzlerin
mich so durchsetzen kann, als hätte ich da ein Vetorecht.
Mehr als 50 Prozent der Deutschen glauben,
dass der Föderalismus Deutschland in der Pandemie geschadet habe.
Was sich natürlich findet, sind Wahlkampf-Effekte.
Doch, wie hat die Machtverteilung in der Pandemie funktioniert? Welche Kritik gibt es?
Und warum haben wir dieses System überhaupt?
1871 eint Otto von Bismarck die deutschen Einzelstaaten zum Deutschen Kaiserreich.
Bismarck regiert zwar als Reichskanzler,
doch die früheren Königreiche entscheiden mit und behalten teilweise ihre Autonomie.
1933 bildet Adolf Hitler das politische System zu einem zentralistischen Führerstaat um.
Nach Kriegsende wird auch auf Druck der Siegermächte
die föderale Machtverteilung wieder eingeführt und ausgeweitet.
Man hat mit dem Grundgesetz versucht, die Demokratie wehrhafter zu machen und
hat im Artikel 79 einige Grundprinzipien des deutschen Staates geschützt,
die auch durch eine Zweidrittelmehrheit nicht geändert werden können.
Dazu gehört, dass Deutschland als Bundesstaat
in Bund und Länder gegliedert ist,
die zusammen Gesetze gestalten.
Die meisten Gesetze werden auf Bundesebene verabschiedet.
Die Länderregierungen setzen sie in Rechtsverordnungen um,
haben dabei aber meist Gestaltungsspielraum.
Nathalie Behnke erforscht seit 15 Jahren, wie der Föderalismus arbeitet.
Als dann im März eben die Pandemie losging und
überall in Deutschland die Landesregierungen
ihre Infektionsschutz-Verordnungen erlassen haben,
habe ich angefangen, Daten zu sammeln.
Es war ja wirklich der Elefant im Raum, die Frage:
Wie machen die das?
Was sind die Unterschiede zwischen den Ländern?
Ich habe ein Archiv angelegt von Rechtsverordnungen der Bundesländer und
diese Texte wurden qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.
Und es lässt sich bestätigen,
dass das Ausmaß der Restriktivität zwischen den Ländern unterschiedlich ist.
Doch wie genau kommen diese Unterschiede zustande?
Im Fall des Infektionsschutzgesetzes beauftragt die Bundesregierung
das Bundesministerium für Gesundheit mit dem Gesetzesentwurf.
Dafür holt sich das Ministerium auch das Feedback der Bundesländer –
hier aus der Gesundheitsministerkonferenz.
Der fertige Entwurf wird dann für eine Stellungnahme
im Bundesrat erneut den Bundesländern vorgelegt.
Der Bundestag debattiert und verändert den Entwurf und stimmt über ihn ab.
Anschließend stimmen auch die Ländervertreter im Bundesrat ab.
Nach der Unterschrift von Bundesregierung und Bundespräsident
setzen die Landesregierungen das Gesetz
in eigenen Rechtsverordnungen um.
Hinzu kommt in der Pandemie: Alle paar Wochen streiten die Regierenden der Länder
mit der Bundesregierung über Änderungen an den Verordnungen.
Diese ganz enge Verflechtung, die dadurch entsteht,
die ist wirklich charakteristisch für Deutschland.
Und welche Ergebnisse zeigen die Daten?
Wir haben eine große Linie, der alle folgen,
zum Beispiel in der Gastronomie und im Einzelhandel.
Und man am Anfang sehr vorsichtig war und gesagt hat, wir machen alles zu bis zum Spielplatz runter
Und im zweiten Lockdown im Dezember hat man Profisport-Anlagen offen gelassen.
Prüfungen zum Teil in Schulen noch weiterlaufen lassen, eine erweiterte Notbetreuung angeboten
Die erste Vermutung wäre,
dass es mit den Infektionszahlen korreliert.
Wenn ich aber die Indizes der verschiedenen Länder vergleiche und dagegen stelle,
wie hoch jetzt die Infektionszahlen zu dem Zeitpunkt in den Ländern sind,
dann ist es nicht mehr eindeutig Muster zu erkennen.
Baden-Württemberg hat Mitte Dezember die strengsten Maßnahmen aller Länder,
ist bei den Infektionen aber im Mittelfeld.
Und Sachsen hat die bei Weitem höchste Infektionsrate,
aber weniger Maßnahmen als in der ersten Welle ergriffen.
Diesen Trend zeigt auch der Querschnitt der Länder:
Bei bereits viermal höheren Fallzahlen Anfang November
bleiben die Maßnahme in der Summe hinter dem Frühjahr.
Auch Mitte Dezember noch.
Die zweite Vermutung ist,
dass es etwas mit der parteipolitischen Zusammensetzung
der Länderregierungen zu tun hat, und das Bild zeichnet sich auch nicht ab.
Gerade im Herbst ist sehr deutlich geworden,
dass die Kanzlerin eine andere Sicht auf die Pandemie hat
als die Regierungschefinnen und -chefs.
Und wenn die Wissenschaft uns geradezu anfleht,
vor Weihnachten, bevor man Oma und Opa und ältere Menschen sieht,
eine Woche der Kontaktreduzierung zu ermöglichen,
… was wird man denn im Rückblick auf so ein Jahrhundertereignis sagen,
wenn wir nicht für diese drei Tage in der Lage waren, irgendeine Lösung zu finden?
Ihre primäre Handlungsprämisse war:
Wir müssen die Zahlen drücken, um jeden Preis.
Und die Regierungschefinnen und -chefs haben zugleich
eine Verantwortung gegenüber ihren Wählern,
gegenüber Eltern, Kulturschaffenden und Gewerbetreibenden
und haben dann diese Perspektiven ein Stück weit stärker in die Debatte mit eingebracht.
Was sich natürlich findet, sind Wahlkampf-Effekte.
In Ländern, in denen Wahlen bevorstehen,
da ist einfach eine höhere Nervosität zu beobachten,
da ist eine höhere Aggressivität zu beobachten,
zum Beispiel in den Ministerpräsidentenkonferenzen.
Und das ist einer der wesentlichen Kritikpunkte:
Alle reden ständig mit.
Und natürlich sind alle Entscheidungen Kompromiss-Entscheidungen.
Es ist auf der anderen Seite aber auch so eine Art Rückversicherung gegen ganz große Fehler.
Donald Trump wollte keine Infektionsschutzmaßnahmen.
Er hat dann aber versucht,
die demokratisch regierten Staaten dazu zu zwingen,
dass sie von ihrem Kurs abweichen,
und hat damit ganz klar eine Verletzung der Kompetenzverteilung
im Föderalstaat in den USA begangen.
Was könnte man am föderalen Pandemie-Management in Deutschland ändern?
Eine Möglichkeit ist, dass Bundesländer im Ausnahmefall
mehr Macht an den Bund abgeben.
Wie die Schweiz zu Beginn der Pandemie:
Im Zuge der Pandemiebekämpfung hat sich die Schweiz
für einen sehr ungewöhnlichen Schritt entschieden
und durch die Ausrufung des Katastrophenfalls,
den wir in Deutschland so nicht haben,
sehr viel Kompetenz auf die Bundesebene gezogen.
Die Kantone wurden wirklich stark entmachtet
und mussten dann die Dinge umsetzen,
die von der Bundesregierung in Bern beschlossen wurden.
Eine andere Möglichkeit wäre es, die Rolle der Landesparlamente zu stärken:
Einer der Hauptkritikpunkte der Corona-Schutzverordnungen war ja
die mangelnde demokratische Legitimation.
Landesparlamente sind schon immer relativ schwach gewesen.
Aber ich halte es durchaus für denkbar, dass die Landtage
sich einfordern,
dass eine Rechtsverordnung in dem Moment,
wo sie Grundrechte beschränkt,
dann noch einmal vom Landtag zugestimmt werden muss.
Und auf die Weise könnte man
erstens die Bedeutung der Landtage stärken
und zweitens die demokratische Legitimation.
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