Folge 144: Der Blazhko-Effekt
Folge 144: Der Blazhko-Effekt.
Sterne leuchten. Aber sie leuchten nicht immer gleich hell. Viele von ihnen verändern ihre Helligkeit im Laufe der Zeit und es gibt viele Gründe, warum sie das tun. Über diese “Veränderlichen Sterne” habe ich schon in den Folgen 64 und 65 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen. Heute möchte ich aber ein ganz besonderes Phänomen ein wenig genauer betrachten: Den Blazhko-Effekt.
Dessen Beschreibung klingt ein wenig verwirrend. Es geht dabei um Sterne, die nicht nur ihre Helligkeit verändern, sondern auch die Art und Weise verändern, wie sie sich verändern. Und damit das alles ein wenig klarer wird, fange ich am besten am Anfang an. Und zwar im Jahr 1895 mit dem amerikanischen Astronom Solon Irving Bailey. Er arbeitet für die Sternwarte des Harvard College und hatte den Auftrag, in Peru nach einem geeigneten Ort für eine Beobachtungsstation auf der südlichen Halbkugel der Erde zu suchen. Dafür musste er natürlich jede Menge Stern beobachten und entdeckte dabei auch einen, der seine Helligkeit periodisch veränderte.
Das war an sich noch keine große Sensation; solche Sterne kannte man schon lange. Zum Beispiel die berühmten Cepheiden, die schon im 18. Jahrhundert und dank derer später der große Edwin Hubble die Entfernung zur Andromeda-Galaxie bestimmen konnte, wie ich in Folge 20 der Sternengeschichten erzählt habe. Die Helligkeit der Cepheiden ändert sich aber im Verlauf von mehreren Tagen; bei den Sternen die Bailey fand ging es viel schneller. Seine Sterne blinkten regelrecht und wurden in nur wenigen Stunden heller und dunkler.
Der erste Stern mit diesen Eigenschaften hatte den Namen RR Lyrae und deswegen sind heute auch alle Sterne dieser Gruppe als RR-Lyrae-Sterne bekannt. Diese Sterne sind sich rein physikalisch alle recht ähnlich. Sie sind ungefähr halb so schwer wie die Sonne, aber Riesensterne und circa fünfmal so groß wie unser Stern. Es sind alte Sterne, die zur sogenannten Population II gehören. Also nicht die allerersten Sterne im Universum, aber auch nicht die Sterne der dritten Generation, zu denen unsere vergleichsweise junge Sonne gehört. RR Lyrae Sterne findet man vor allem in den äußeren Bereichen von Galaxien und wie alle veränderlichen Sterne sind sie für die Astronomie ziemlich wichtig.
Denn die Art und Weise wie diese Sterne ihre Helligkeit verändern hängt mit dem zusammen, was in ihrem Inneren vor sich geht. Und da wir normalerweise nicht in das Innere eines Sterns hinein schauen können, bieten die Veränderlichen eine einzigartige Möglichkeit, doch ein wenig über das zu erfahren, was unter der Oberfläche passiert. Man könnte ja vielleicht denken, so ein Stern wird deswegen heller oder dunkler, weil er eben mal mehr und mal weniger Strahlung produziert. Aber die Realität ist ein klein wenig komplizierter. Die RR-Lyrae-Sterne gehören zu der Gruppe, deren Helligkeitsänderung auf den sogenannten Kappa-Mechanismus zurück zu führen ist.
Den habe ich zwar auch schon in Folge 64 der Sternengeschichten erklärt, aber ich möchte es vielleicht doch noch einmal wiederholen: Wie so oft bei Sternen dreht sich alles um das Wechselspiel zwischen der Kraft der Gravitation die den Stern unter seinem eigenen Gewicht zusammenfallen lassen möchte und der Kraft der Strahlung, die von innen nach außen drückt und der Gravitation entgegen wirkt.
Und um das zu verstehen, muss man sich über die Opazität des Sterns Gedanken machen. Die “Opazität” ist ein Maß für die Lichtundurchlässigkeit eines Materials. Die Strahlung eines Sterns wird ja in seinem Zentrum erzeugt und von dort dringt sie nach draußen. Das kann sie aber nur unter Schwierigkeiten, denn das Innere eines Sterns ist sehr dicht und die Strahlung wird an den ganzen Atomen und Elektronen aufgehalten und kommt nicht vorwärts. Diese teilweise Undurchlässigkeit der Sternatmosphäre wird Opazität genannt und oft mit dem griechischen Buchstaben kappa bezeichnet. Im Inneren eines Sterns ist die Opazität aber nicht konstant. Sie hängt vom Druck und der Temperatur ab. Wenn jetzt die Opazität mit zunehmender Temperatur des Sternmaterials zunimmt, dann können daraus Pulsationen entstehen. Und zwar so:
*) Für den ersten Schritt des Zyklus braucht man eine Region im Inneren des Sterns in der die Opazität mit steigender Temperatur zunimmt. Jetzt kann es vorkommen, dass diese Region durch irgendwelche äußere Störungen komprimiert wird. Diese Region rückt also näher an das Zentrum des Sterns.
*) Durch die Kompression steigt auch der Druck und die Temperatur dieses Materials.
*) Durch die Erhöhung von Druck und Temperatur steigt die Opazität.
*) Durch die erhöhte Opazität dieser Schicht dringt nun weniger Strahlung aus dem Sterninneren nach außen und “staut” sich auf
*) Dadurch entsteht unterhalb der Schicht ein größerer Strahlungsdruck, der dazu führt, dass die Schicht sich nun ausdehnt.
*) Die sich ausdehnende Schicht wird nun kühler, der Druck sinkt und jetzt wird auch die Opazität wieder geringer.
*) Die angestaute Strahlung kann schnell entweichen.
*) Durch das Entweichen der Strahlung nimmt der Druck unterhalb der Schicht ab, wodurch diese wieder in Richtung des Sterninneren komprimiert wird und der Zyklus von neuem beginnt.
Das ist der Kappamechanismus und im wesentlichen funktioniert das genau so wie bei einer Dampfmaschine, nur das hier kein Ventil den Zyklus regelt, sondern die Opazität. Damit der Kappamechanismus aber überhaupt auftreten kann, braucht es eben diese spezielle Region im Inneren eines Sterns, in der die Opazität mit steigender Temperatur zunimmt. Diese Schicht liegt bei den veränderlichen Sternen unterhalb der Sternoberfläche und die dort erzeugten Pulsationen umfassen dann auch die außerhalb gelegenen Teile des Sterns.
So weit, so normal. Viele Sterne haben die richtigen Bedingungen, damit sich so eine Schicht ausbilden kann und pulsieren dank des Kappamechanismus. Wir können sie benutzen, um mehr über das Innere von Sternen herauszufinden, über ihre Entwicklung und auch – was besonders wichtig ist – ihre Entfernung zu bestimmen, da sich aus dem Kappamechanismus Rückschlüsse auf die Temperatur und die absolute Helligkeit des Sterns ziehen lassen, die man dann mit der scheinbaren Helligkeit vergleichen und so bestimmen kann, wie weit er weg ist.
Aber das alles klappt natürlich nur, wenn wir auch wirklich sicher können, dass wir verstanden haben, was da vor sich geht. Und damit sind wir jetzt bei Sergey Nikolaevich Blazhko angelangt. Dieser russische Wissenschaftler hat 1907 RR-Lyrae-Sterne beobachtet und dabei etwas interessantes festgestellt. Dass sie ihre Helligkeit verändern und mal stärker und mal schwächer leuchten, war ja schon bekannt. Aber Blazhko bemerkte, dass die während der Änderung erreichte Maximalhelligkeit selbst veränderlich war. Vergleicht man den Unterschied zwischen der Maximal- und der Minimalhelligkeit eines RR-Lyrae-Sterns, dann bleibt der nicht konstant sondern ändert sich im Verlauf mehrere Monate ebenfalls periodisch!
Mittlerweile hat man diesen “Blazhko-Effekt” bei vielen anderen RR-Lyrae-Sternen entdeckt. Das Problem an der Sache: Bis heute weiß man nicht wirklich, wodurch er verursacht wird. Dafür, dass man darüber schon seit über 100 Jahren Bescheid weiß, ist das ein klein wenig irritierend – aber der Blazhko-Effekt hat sich als erstaunlich knifflig herausgestellt.
Immerhin hat man zumindest ein paar Ideen, woran es liegen könnte. Es könnte sein, dass neben den primären Schwingungen durch den Kappa-Mechanismus auch noch andere Schwingungen vorhanden sind, die sich gegenseitig verstärken oder abschwächen und so die Modulation des Blazhko-Effekts verursachen. Es könnte aber auch am Magnetfeld des Sterns liegen. Wenn das nicht in der gleichen Richtung ausgerichtet ist wie die Rotationsachse des Sterns, könnte es zu Störungen bei der Bewegung des Plasmas im Inneren des Sterns kommen, was wiederum Auswirkungen auf den Kappa-Mechanismus hat. Oder aber die Art und Weise wie das Plasma aufgrund der Temperaturunterschiede herumströmt, also die Konvektion, beeinflusst das Ganze auf eine noch unverstandene Weise.
Ein paar neue Erkenntnisse gab es in den letzten Jahren durch die Beobachtungen des Kepler-Weltraumteleskops. Das kennt man ja meistens nur als Entdecker von extrasolaren Planeten und das ist auch tatsächlich das Haupteinsatzgebiet dieses Teleskops. Damit es aber Planeten entdecken kann, beobachtet es das Licht der Sterne so genau wie nur möglich. Wenn ein Planet von uns aus gesehen vor dem Stern vorüber zieht, verdeckt er ein wenig von dessem Licht und der Stern wird kurzfristig dunkler. Kepler sucht also nach Sternen, die ihre Helligkeit periodisch verändern – und entdeckt dabei natürlich nicht nur Planeten sondern auch viele veränderliche Sterne, die von selbst und ganz ohne Planeten heller und dunkler werden. Auch aus diesem Grund ist es übrigens wichtig zu verstehen, wie die Veränderlichen Sterne funktionieren – man möchte sie nicht mit Planeten verwechseln…
Es sind also nicht nur die Planetenjäger, die mit den Daten von Kepler arbeiten, sondern auch die Astronomen die sich mit veränderlichen Sternen beschäftigen und sie haben auf diese Weise entdeckt, das viele RR-Lyrae-Sterne ein Phänomen zeigen, dass sie “Periodenverdoppelung” genannt haben. Neben der hauptsächlichen Periode der Helligkeitsänderung zeigen sie eine weitere Veränderung die mit genau der doppelten Länge stattfindet. Die typische Periode eines RR-Lyrae-Sterns liegt meistens bei ungefähr 12 Stunden. Wenn Astronomen nun von der Erde aus Nacht für Nacht Helligkeiten messen, dann kriegen sie aber nur alle 24 Stunden Daten. Je nachdem, wie Beobachtungsrhythmen der Astronomen und die der Sterne gerade zusammenpassen, könnte so eine scheinbare Überlagerung entstehen, die zumindest einen Teil des Blazhko-Effekts erklärt.
Aber komplett verstanden ist die Sache immer noch nicht. Was im Inneren der Sterne vor sich geht, ist eben verdammt schwer herauszufinden…