Folge 150: Barnards Pfeilstern
Folge 150: Barnards Pfeilstern.
Die meisten Sterne haben keinen Namen. Es gibt einfach zu viele von ihnen! Von den circa 200 Milliarden Sternen die sich alleine in unserer Milchstraße befinden, haben wir ja gerade mal ein paar Millionen katalogisiert und ihnen zumindest eine entsprechende Katalognummer gegeben. Sie alle mit Eigennamen zu bezeichnen wäre zu viel Aufwand und würde auch nicht viel bringen, wie ich ja auch schon in Folge 2 der Sternengeschichten erzählt habe. Nur die ganz hellen Sterne die sich in unserer Nachbarschaft befinden und die schon seit Jahrtausenden von den Menschen beobachtet worden sind, haben einen echten Namen bekommen.
Ab und zu ist ein Stern aber so bemerkenswert, dass er quasi ein Upgrade bekommt und anstatt einer Katalogbezeichnung beginnt einen Eigennamen zu führen. Einer davon ist Barnards Stern beziehungsweise auch Barnards Pfeilstern, wie er oft genannt wird.
Der Name könnte einen glauben lassen, dass dieser Stern von einer Person namens “Barnard” entdeckt worden ist. Das aber war nicht der Fall. Einen Barnard gibt es tatsächlich: Er heißt Edward Emerson Barnard und wenn er den Stern der seinen Namen trägt auch nicht entdeckt hat, hat er ihn zumindest enorm berühmt gemacht! Denn Barnard fand heraus, wie schnell sich der Stern bewegt: Sehr schnell!
Wir nennen die Sterne am Himmel ja auch oft “Fixsterne”. Aber eigentlich ist diese Bezeichnung veraltet und auf jeden Fall ist sie nicht korrekt. Nichts steht still im Universum und das gilt natürlich auch für die Sterne. Sie bewegen sich durch die Milchstraße aber weil sie so enorm weit entfernt sind, fällt uns diese Bewegung nicht auf. Will man mit freiem Auge eine Positionsveränderung sehen, muss man schon ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinsehen. Oder eben mit sehr präzisen Instrumenten sehr genaue Messungen anstellen. Das ist aber erst in der jüngeren Vergangenheit möglich geworden. Früher, als es keine optischen Instrumente in der Astronomie gab, fiel die Bewegung der Sterne nicht auf. Sie erschienen immer am gleichen Ort des Himmels und wurden darum eben “Fixsterne” genannt um sie von den “Wandelsternen”, also den Planeten zu unterscheiden, die sich tatsächlich leicht und gut beobachtbar am Himmel bewegen.
Wie gut wir die Bewegung eines Sterns erkennen können, hängt natürlich erst einmal davon ab, wie schnell er sich tatsächlich bewegt. Es kommt aber auch darauf an, wie weit er entfernt ist. Je weiter weg, desto geringer ist der Effekt. Und je näher er ist, desto größer. Und als Edward Emerson Barnard im Jahr 1916 einen kleinen roten Stern im Sternbild des Schlangenträgers untersuchte, stellte er fest, dass der sich so schnell über den Himmel bewegte wie kein anderer bekannter Stern. Und zwar unter anderem deswegen, weil er zu den nächsten Nachbarn unseres Sonnensystems gehört. In Folge 114 der Sternengeschichten habe ich von Proxima Centauri erzählt, dem Stern der unserer Sonne am nächsten ist. Gleich danach auf den Plätzen 2 und 3 des Abstandsrankings folgen die beiden Sterne des Alpha-Centauri-Systems. Aber schon der viertnächste Stern ist Barnards Stern!
Er ist knapp 6 Lichtjahre von uns entfernt und trotz dieser Nähe ist er mit freiem Auge nicht zu sehen. Barnards Stern hat nur ein Fünftel der Größe der Sonne; es handelt sich bei ihm um einen sogenannten Roten Zwerg der entsprechend schwach leuchtet. Man braucht schon ein Teleskop oder ein starkes Fernglas, um ihn sehen zu können. Rote Zwerge gehören zu den häufigsten Sterntypen im Universum; in der Hinsicht ist Barnards Stern also nicht außergewöhnlich. In so gut wie allen anderen Punkten aber schon!
Vor allem was seine Bewegung angeht: In Bezug auf das Sonnensystem bewegt er sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 140 Kilometern pro Sekunde. Projiziert auf den Himmel entspricht das einer Eigenbewegung von 10,3 Bogensekunden pro Jahr. Oder anders gesagt: Um seine Position um eine Distanz zu verändern, die dem Durchmesser des Vollmonds entspricht, braucht Barnards Stern nur knapp 175 Jahre. Ok, das ist immer noch eine lange Zeit. Aber verglichen mit dem, was man bei anderen Sternen beobachten kann, ist das enorm schnell! Und definitiv schnell genug, als das man diese Bewegung auch bei der Beobachtung mit freiem Auge und ohne Teleskop bemerken kann, wenn man ein paar Jahre lang immer wieder Messungen anstellt. Nur kann man Barnards Stern eben nicht ohne Teleskop beobachten und darum dauerte es bis zum Jahr 1916 und Barnards Beobachtungen, bevor man den kleinen, schnellen Himmelskörper in unserer Nachbarschaft bemerkte.
Seit dem hat er sich aber als hervorragendes Forschungsobjekt erwiesen! Barnards Stern ist vergleichsweise alt; er existiert schon seit etwa 10 Milliarden Jahren und ist damit fast doppelt so alt wie unsere Sonne. Auch seine chemische Zusammensetzung ist anders; er enthält deutlich weniger schwere Elemente als unser Stern. Er gehört zur sogenannten “Population II”, also der zweiten Generation der Sterne im Universum. Die erste Generation enthielt noch gar keine schweren Elemente sondern bestand nur aus Wasserstoff und Helium. Erst in ihrem Inneren entstanden durch die Kernfusion neue chemische Elemente die dann zur Verfügung standen, als die zweite Generation der Sterne entstand. Die dritte Generation, zu der auch unsere Sonne gehört, enthält dann schon deutlich mehr schwere Elemente, da bei ihrer Entstehung auch schon die Elemente vorhanden waren, die von der zweiten Generation produziert worden sind.
Barnards Stern ist also alt und er bewegt sich schnell. Er hatte also genug Zeit, um durch die Milchstraße zu reisen und man geht heute davon aus, dass er dabei tatsächlich ein ordentliches Stück herum gekommen ist. Vermutlich stammt er aus dem Bulge, also der zentralen Region unserer Galaxie. Und zumindest für die nächsten paar 10.000 Jahre können wir auch vorhersagen, wohin seine Reise in Zukunft gehen wird. Er wird der Sonne immer näher bekommen und im Jahr 11800 mit 3,75 Lichtjahren seinen sonnennächsten Punkt erreichen. Der sonnennächste Stern wird er dann aber immer noch nicht sein, weil auch Proxima Centauri in der Zwischenzeit näher an uns heran gerückt ist. Und auch die Menschen der fernen Zukunft werden Barnards Stern nicht mit freiem Auge sehen können, denn selbst dann leuchtet der kleine rote Zwerg zu schwach dafür.
Aber vielleicht kriegen wir trotzdem irgendwann höchst beeindruckende Bilder von Barnards Stern zu sehen. Zum Beispiel dann, wenn wir eine Raumsonde direkt zu ihm schicken! Die Idee dazu entstand in den 1970er Jahren und hat den schönen Namen “Projekt Daedalus” bekommen. Damals versuchte man, zumindest theoretisch eine Mission zu konzipieren in deren Rahmen eine umbemannte Sonde zu einem anderen Stern geschickt werden kann und das innerhalb der typischen Lebensdauer eines Menschen und mit einer Technologie, die nicht völlig abwegig sondern in naher Zukunft tatsächlich umsetzbar sein sollte. Das Resultat war eine zweistufige Rakete mit einer Masse von 50.000 Tonnen. Die erste Stufe wäre 2 Jahre lang in Betrieb gewesen und hätte Daedalus auf 7 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Danach hätte die zweite Stufe übernommen und weitere knapp zwei Jahre lang Antrieb geliefert um die Geschwindigkeit auf 12 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu erhöhen. Dann hätte es weitere 46 Jahre gedauert, bevor die Sonde bei Barnards Stern angekommen wäre. Beziehungsweise vorbeigeflogen, denn zum Bremsen wäre kein Treibstoff mehr übrig gewesen. Und natürlich wäre es auch kein normaler Treibstoff gewesen. Chemische Antriebe wären nicht dazu in der Lage gewesen, solche Geschwindigkeiten zu erzeugen. Deswegen wäre Daedalus mit einem Nuklearantrieb ausgestattet worden. Vereinfacht gesagt hätte man jede Menge winzige Fusionsbomben an Bord gehabt, die eine nach der anderen ausgestoßen und gezündet worden wären. Der Rückstoß wäre über eine Aufprallplatte abgefangen und in Vortrieb umgewandelt worden.
Umgesetzt wurde die Mission leider nie. Hauptsächlich, weil die ganze Mission enorm teuer und kompliziert gewesen wäre. Und sowieso nur als theoretische Studie gedacht. Aber vielleicht auch ein bisschen, weil irgendwann einer der Gründe abhanden gekommen war, der Barnards Stern zu einem so interessanten Ziel gemacht hatte. In den 1960er Jahren behauptete der Astronom Peter van de Kamp, dass er Planeten entdeckt hatte, die Barnards Stern umkreisen. Er hatte sie natürlich nicht direkt beobachtet. Aber seine Analyse der Bewegung des Sterns zeigte, dass er sich nicht in gerader Linie durch die Galaxie bewegte, sondern in Schlangenlinien. Er wackelte hin und her, ganz so als würde er durch die Gravitationskraft einiger Planeten beeinflusst werden. Zwei Planeten, beide ungefähr so groß wie Jupiter sollten dort sein und anfangs waren viele seiner Kollegen überzeugt, dass die Beobachtungen korrekt waren. Als die Astronomen George Gatewood und Heinrich Eichhorn die Angelegenheit dann in den 1970er Jahren mit besseren Instrumenten unabhängig prüften, fanden sie aber nichts. Es zeigte sich dann schnell, dass nicht der Stern wackelte, sondern van de Kamps Teleskop nicht korrekt arbeitete, denn es war das einzige Instrument, dass den angeblichen Effekt sehen konnte. Und auch immer nur dann, nachdem van de Kamp dort Wartungsarbeiten durchgeführt hatte…
Van de Kamp hatte nie akzeptiert, dass er sich geirrt hatte; der Rest der Astronomen schrieb die Planeten von Barnards Stern allerdings ziemlich schnell ab. Bis heute. Mittlerweile haben wir ja schon jede Menge Planeten bei anderen Sternen entdeckt und selbstverständlich auch Barnards Stern genauer untersucht. Allerdings ohne Erfolg: Dort sind keine Planeten zu finden. Es ist zwar prinzipiell möglich, dass dort noch ein paar sehr kleine Himmelskörper ihre Runden ziehen die mit der derzeitigen Genauigkeit der Instrumente noch nicht nachweisbar sind.
Wir werden Barnards Stern aber sicherlich weiter untersuchen. Ein so vielversprechendes Forschungsobjekt findet man so schnell kein zweites Mal. Und wer weiß, ob dort nicht irgendwann vielleicht doch noch mal ein kleiner Planet entdeckt wird. Denn wir dann mit einem neuen Projekt Daedalus einen Besuch abstatten können…