Zielscheibe GPS – Angriffe auf die Satellitennavigation
MANUSKRIPT
Atmo:
Brücke, Schiff unterwegs, Stimmen
Sprecherin: Der Tanker ATRIA unterwegs im Schwarzen Meer, kurz vor seinem Zielhafen, dem russischen Noworossijsk. Alarm auf der Brücke. Es ist der 22. Juni 2017. Früh morgens. Alarm auf der Brücke. Der französische Kapitän Gurvan Le Meur traut seinen Augen nicht. Seine Satellitennavigation zeigt die Position an: 44.35 Nord und 38.00 Ost. Das kann nicht sein. Das wäre 30 Kilometer entfernt – an Land. Das GPS- Signal ist also an diesem Morgen gefälscht.
Ansage: Zielscheibe GPS – Angriffe auf Satellitenkommunikation. Von Michael Hänel.
Sprecherin: Der Kapitän der ATRIA fragt per Funk andere Schiffe in der Umgebung an. Darüber berichtet er später im Sender CNN:
O-Ton Kapitän Atria auf CNN, darüber Übersetzer: Alle umgebenden Schiffe, das waren etwa 20, hatten die gleiche falsche Positionsangabe.
Sprecherin: Was tun? Alle Schiffe werden gestoppt, um Kollisionen zu vermeiden. Der Kapitän meldet seine Beobachtung den US-Sicherheitsbehörden. Denn das Satellitennavigationssystem GPS wird vom US-Militär betrieben. Die US- Küstenwache dient als weitweiter Kontakt für Handelsschiffe, wenn diese Probleme mit GPS haben. Sie antwortet Kapitän Le Meu:
Zitat: Es gibt kein technisches Problem. GPS sendet über dem Schwarzen Meer wie gewohnt.
Sprecherin: In den USA wird der Fall an Professor Todd Humphreys gemeldet. Der Raumfahrtingenieur ist arbeitet an der Universität Texas und ist einer der führenden Experten, wenn es um mögliche Angriffe auf GPS geht.
Atmo: Anhörung US Congress 2012
Sprecherin: Der Fall im Schwarzen Meer überraschte ihn nicht. Bereits 2012 hatte Humphreys in einer Anhörung des US-Kongresses auf seine Experimente hingewiesen. Mit seinen Studenten hatte er das GPS-Signal einer Drohne gefälscht und diese so zur Landung gezwungen.
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung: Es gab sogar im US-Militär Leute, aber auch Abgeordnete, die sich der Gefahr nicht bewusst waren. Manche waren ziemlich überrascht, dass wir in der Lage waren, so etwas mit handelsüblicher Ausrüstung und geringen Kosten zu machen. Tatsächlich war ich einer derjenigen, die sagten, dass das möglich ist und dass das immer mehr zum wird. Was mich aber überraschte, dass ein solcher Angriff von einem Staat durchgeführt wird.
Atmo: Wladimir Putin auf Rohrverlegerschiff Juni 2017
Sprecherin: In dem Fall: Russland. Wenn das Satellitensignal bewusst gefälscht wird, sprechen Fachleute von GPS-Spoofing. Was am Schwarzen Meer geschehen ist, war offenbar keine versehentliche Panne. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in diesem Juni-Tagen 2017 offizielle Termine in der Gegend um Noworossijsk. Das russische Fernsehen berichtet, wie er auf einem Rohrverlegungsschiff feierlich den Startschuss zum Bau einer neuen Gasleitung durchs Schwarze Meer gibt. Offenbar sollte Putin vor Drohnenangriffen geschützt werden. Das vermutet Todd Humphreys. Russland selbst hat sich dazu nie geäußert.
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung: Wie wir herausgefunden haben, passiert das immer wieder in den russischen Küstengewässern. Ausgeführt vom Inlandsgeheimdienst FSB und dem russischen Sicherheitsapparat, um Präsident Putin zu schützen. Überall wo er herumreist, wird er von einer Blase aus GPS-Spoofing geschützt.
Musikakzent
Sprecherin: Auch für Deutschland ist eine sichere Hochseeschifffahrt von großer Bedeutung. 90% der Exporte werden über See abgewickelt. Deutsche Firmen sind auf der Rangliste der Schiffseigner weit oben. Nur Griechen, Japaner und Chinesen besitzen mehr Schiffe. Und auch zahlreiche Deutsche stehen als Kapitänin oder Schiffsoffizier auf den Brücken moderner Handelsschiffe. Seit Jahren machen ihnen Cyberangriffe auf die Kommunikation und Navigation zu schaffen. Die Verantwortlichen für deren Aus- und Weiterbildung sind gewarnt.
Professor Pawel Ziegler leitet das Maritime Zentrum an der Hochschule Flensburg. In seinem hochmodernen Schiffsführungssimulator werden angehende Nautiker und Schiffsführerinnen und Schiffsführer wie in einem Flugsimulator für alle möglichen Notfallsituationen ausgebildet.
O-Ton Pawel Ziegler: Wir sind uns der Gefahr bewusst und wir begegnen dieser Problematik in unserer Ausbildung, indem wir das Thema theoretisch aufarbeiten, aber auch in praktischen Trainings, in Schiffsführungssimulatoren tatsächlich nachstellen. Wir manipulieren die Signale genauso wie es tatsächlich auch in der Realität geschieht und trainieren unsere Seeleute dahingehend, dass sie entsprechend reagieren und Gegenmaßnahmen ergreifen.
Sprecherin: Auch der Ausfall der GPS-Navigation wird geübt. Zwar stehen modernen Schiffen vielfältige Arten von Navigationsmitteln zu Verfügung: Radar, Karten, optische Signale. Doch die Satellitenverbindungen werden immer wichtiger. Nicht nur für die Navigation. Auch das Flottenmanagement der einzelnen Schiffe einer Reederei wird per Satellit abgewickelt.
O-Ton Pawel Ziegler: Diese Identifikation ist relativ einfach, und unsere Seeleute und die Schiffsführer wissen dann in dem Moment auch, was sie zu tun haben und welche Verfahren dann zum Vorschein kommen, wenn das Signal manipuliert ist. Das ist sehr schwierig, das zu identifizieren, das zu bemerken während der Fahrt. Insbesondere wenn ich keine anderen terrestrischen Objekte zur Verfügung habe, die um mich herum direkt, die ich direkt vor Augen habe, die mir sagen Du bist nicht mehr an der richtigen Stelle, nicht mehr auf dem richtigen Weg, was im Küstenbereich durchaus der Fall sein kann.
Sprecherin: Der Fall im Schwarzen Meer ist also kein Einzelfall. Fast 10.000 nachgewiesene GPS-Spoofing-Angriffe zählen amerikanische Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisation allein für die Jahre 2017 bis 2019. Falsche Positionsdaten bekommen Schiffe aber nicht nur in der Umgebung von Russland: Messfahrten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt auf einem Containerschiff von Europa nach Korea und China bestätigen: Auch die Küsten Chinas, die Ostküsten des Mittelmeers und größeren Häfen in Asien sind betroffen. Das lässt sich sogar von der ISS aus nachweisen, sagt Todd Humphreys von der Universität Texas.
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung: Wir haben seit 2017 ein Messgerät auf der Internationalen Raumstation platziert. Und dieser Sensor ist in der Lage, Störungen in den GPS-Funkfrequenzen rund um den Globus zu erkennen.
Musikakzent
Sprecherin: Dieser sogenannte FOTON Sensor wurde im Februar 2017 an der Internationalen Raumstation angebracht, um Störungen der Satellitennavigation durch Einflüsse der oberen Erdatmosphäre zu erforschen. Dafür scannt das Messgerät die betreffenden Regionen. Doch wie werden die GPS-Signale manipuliert? Dazu bedienen sich die Angreifer starker Funksender am Boden, die dem originalen GPS-Signal täuschend ähnliche Signale senden. Viele Empfänger, auch die auf Handelsschiffen, sind derzeit nicht in der Lage, ein gefälschtes von einem echtem Signal zu unterscheiden. Todd Humphreys Messgerät auf der Internationalen Raumstation ist in der Lage, die Funkquellen der GPS-Fälscher bis auf 10 km genau zu lokalisieren. Und so auch herausfinden, wo auf der Welt die meisten Störungen auftreten.
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung: Und was interessant ist: Der heißeste Hotspot auf der ganzen Welt ist derzeit in Syrien. Und so ist es nicht überraschend, dass der Staat Israel südlich von Syrien die Auswirkungen zu spüren bekommt.
Atmo: Ben Gurion Flughafen Tel Aviv
Sprecherin: So geschehen im Sommer 2019 um den Ben Gurion Flughafen von Teil Aviv. Anfliegende Maschinen konnten das gestörte GPS nicht nutzen. Die Ursachen für die anhaltenden Störungen blieben lange ungeklärt. Roi Mit, Forschungsdirektor der Cyberabwehrfirma Regulus in Haifa, nördlich von Tel Aviv.
O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzung: Es gab keine offizielle Erklärung der israelischen Regierung, was da passiert war. Es ging zwei Monate lang, und dann plötzlich war die Störung weg. Israel hat auch die Russen gefragt, ob das etwas mit deren militärischen Einsätzen in Syrien zu tun hat. Das haben die bestritten. Ich denke persönlich, dass das ein Kollateralschaden des Syrienkrieges war, weil die Russen eigentlich kein Interesse haben, Störungen in Israel zu verursachen.
Sprecherin: Die russischen Truppen in Syrien sind als Ursache für die Störungen der Satellitennavigation in der Region ausgemacht worden. Die elektronische Kriegführung der russischen Truppen in Syrien ist für alle Einsätze in der Region eine gewaltige Herausforderung. Denn moderne westliche Kampfflugzeuge und Schiffe funktionieren nur als Teil vernetzter Kriegführung. Und die hängt wesentlich von Satellitennavigation, bildgebender Aufklärung und Kommunikation ab.
Atmo: Putin landet auf Syrien Air Base Dezember 2017, Gespräch mit Assad
Sprecherin: Dezember 2017. Der russische Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Syrien. Präsident Putin besucht die russischen Truppen mit ihren zahlreichen Kampfflugzeugen, Raketenabwehreinheiten und Bodeneinheiten. Putin wird an diesem Tag vom syrischen Machthaber Assad begrüßt. Seit 2015 sichert Russland dessen Macht gegen Aufständische, anfangs auch gegen den Islamischen Staat. Doch vor allem soll der Einfluss der USA in der Region zurückgedrängt werden. Ab 2017 stehen dafür neuartige Systeme der elektronischen Kriegführung zur Verfügung. Die russische Militärpresse macht daraus kein Geheimnis. In Syrien werden insgesamt 200 neue Waffensysteme getestet.
Atmo: US Cruise Missile Start
Sprecherin: Deren Einsatz wurde 2018 bekannt, als US-Verantwortliche vermerken, dass das russische Militär offenbar die Satellitennavigation und Kommunikation bei Einsätzen von Cruise Missiles gestört hatten. Ob dabei tatsächlich eingesetzte Cruise Missiles vom Weg abgebracht wurden, ist bis heute nicht bestätigt. General Raymond Thomas ist 2018 verantwortlich für die Einsätze der US-Spezialeinheiten in der Region: In einem Vortrag erklärt er 2018: Syrien wäre das Testfeld Nummer Eins für die russische elektronische Kriegsführung.
O-Ton Raymond Thomas, darüber Übersetzer: Das wirkt sich aus auf unsere eigene vernetzte Kriegsführung. Auch künftig. Nehmen Sie Syrien. Das ist derzeit die Umgebung, wo unsere Gegner auf uns am aggressivsten einwirken. Sie fordern uns jeden Tag heraus, legen unsere Kommunikation lahm, schalten unsere AC 130 Präzisionsbomber aus und so weiter. Aber wir haben in kürzester Zeit geschafft, trotzdem unsere Einsatzfähigkeit zu sichern. All das zeigt, es ist die Spitze eines Eisbergs bzw. dessen, was uns noch bevorstehen wird.
Atmo: Krasucha im Einsatz (Zwezda TV)
Sprecherin: Die eingesetzte Technik zur elektronischen Kriegführung zeigt die russische Seite gern. So in einem Film des Senders der russischen Streitkräfte Zwezda. Eine Kolonne schwere LKWs, tarnfarbenbemalt. Nach Kommandofahrzeugen ein Sattelschlepper mit einer drehbaren Hinterachse. Darauf mehrere runde Antennen, beweglich in alle Richtungen. Grün lackiert, blitzblank. Das Krasucha-4-System der Streitkräfte zur elektronischen Kriegsführung. Reichweite angeblich 150 bis 300 Kilometer. Details sind geheim. Aufgaben sind, neben der Täuschung der Satellitennavigation, das Abschalten von Orientierung und Kommunikation bei gegnerischen Flugzeugen. Über die eigenen Truppen soll dabei ein elektronischer Nebel gelegt werden, der selbst von amerikanischen Allwetter-Radarsatelliten nicht durchdrungen werden kann. Die russischen Krasucha-Einheiten sind in Syrien erfolgreich im Einsatz. Das bestätigt im Februar 2021 der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Moskau.
O-Ton Sergej Schoigu 260221 (Zvezda TV), darüber Übersetzung: Die massive Umrüstung der Truppe mit neuer Technik für die elektronische Kampfführung erforderte, die Ausbildung zu intensivieren. Dabei wurde die gemeinsame Nutzung von Einheiten der elektronischen Kriegsführung mit Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystemen geübt. Die Systeme für die elektronische Kriegsführung haben ihre hohe Effektivität bereits unter Kampfbedingungen bewiesen, auch in der Arabischen Republik Syrien.
Sprecherin: Was der russische Verteidigungsminister nicht sagt: Die Angriffe auf die US- amerikanische Satellitennavigation sind nur ein Teil des Programms der russischen Weltraumtruppen, einer Teilstreitkraft des russischen Militärs mit geschätzt 150.000 Soldaten. Diese verfügen auch über militärische Satelliten und über modernste
Raketen, um gegnerische Satelliten schon direkt in der Umlaufbahn anzugreifen und auszuschalten zu können. Russland hat aus der Sowjetunion das Know-how der Weltraumtruppen übernommen und ab 2015 massiv ausgebaut.
Atmo: Vorbereitung und Start, PL 19 Nudol, Dezember 2020
Sprecherin: 15. Dezember 2020. Die Militärbasis Plezetsk im Nordwesten Russlands. Die russische Anti-Satelliten-Rakete PL-19 Nudol wird zum Start gerollt. Nudol ist 10 Tonnen schwer und eine sehr schnelle Rakete. Die genauen technischen Daten sind geheim. Ebenso die Mission der Rakete an diesem Tag. Vermutet wird: Sie soll einen Testsatelliten in einer niedrigen Umlaufbahn treffen.
Musikakzent
Sprecherin: Die Übungen der russischen Weltraumtruppen sind auf US--Satelliten ausgerichtet. Bereits im Sommer 2020 hatten zwei russische Militärsatelliten Flugmanöver durchgeführt mit dem Ziel, in die Nähe amerikanischer Spionagesatelliten zu gelangen. Offenbar ein Test, wie in einer Umlaufbahn gegnerische Objekte ausgespäht, gerammt oder mit Laserwaffen bekämpft werden könnten. Die Amerikaner schätzen diese russischen Weltraummissionen als „kritische Bedrohung“ ein.
Atmo: Werbemusik US Space Command
Sprecherin: General James Dickinson ist der Kommandeur des US Space Command – also des Weltraumkommandos. Nach Angaben der US-Streitkräfte soll mit dieser Einheit „koordiniert bei Aggressionen reagiert und Operationen in und aus erdnahen Umlaufbahnen durchgeführt werden“. Zum Beispiel, um das GPS-Navigationssystem zu sichern. Zehn Milliarden Dollar wird das Pentagon ausgeben, allein um bei der elektronischen Kriegsführung bis 2024 aufzuholen.
Auf einer Tagung spricht Dickinson im April 2021 über die militärischen Fähigkeiten von Russland und China. Auch China investiert massiv in die weltraumgestützte Rüstung.
O-Ton James Dickinson, darüber Übersetzung: Ich gehe davon aus, dass bei uns bis zu 80% der Kommunikation im militärischen Einsatz weltraumgestützt ist. Das heißt, man kann sagen, wir sind bei weltweiten Operationen davon abhängig. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Russland und China Systeme entwickeln, die unsere Weltraum-Fähigkeiten gefährden. Und ich werde immer wieder gefragt, warum wir den Weltraum militarisieren. Und die Antwort – wir tun es nicht, unsere Gegner tun es./ Wir haben allein im letzten Jahr gesehen, dass die Russen mindestens drei Anti-Satellitentests durchgeführt haben. Wir müssen mehr tun, um unsere Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen zu schützen.
Musikakzent
Sprecherin: Frage an Todd Humphreys. Wäre es dann für die Amerikaner nicht einfacher und zielgerichteter, gegnerische, aggressive Satelliten oder Weltraumwaffenstationen in der Umlaufbahn auszuschalten, also selbst Anti-Satelliten Angriffe zu fliegen?
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung: Ich bezweifle, dass die USA an einem solchen Angriff auf die Weltraumressourcen beteiligt sein wollen. Denn die Vereinigten Staaten haben mehr Weltraumressourcen als China, mehr Weltraumressourcen als Russland. Und wir sind diejenigen, die in einem heißen Krieg im Weltraum am verwundbarsten sind. Ich denke also, wir werden wahrscheinlich davon absehen, die Satelliten anderer anzugreifen oder ihre Signale abzuschalten.
Sprecherin: Muss der Westen dann also hinnehmen, dass die russischen und wahrscheinlich chinesischen Einheiten den westlichen überlegen sind? In der russischen Militärpresse wird davon berichtet, man könne die vernetzte Kriegführung der USA, selbst deren hochmoderne F-35 Tarnkappen-Kampfflugzeuge empfindlich stören. Sowohl die US-Streitkräfte als auch Israel fliegen Angriffe mit diesem Flugzeugtyp im Nahen Osten. Deren Überlegenheit fußt gerade auf ihrer elektronischen Ausstattung. Was würde passieren, wenn deren Kommunikation gestört würde? Roi Mit von der israelischen Cyberabwehrfirma Regulus nimmt die Situation ernst, hält aber das Risiko für überschaubar.
O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzer: Auch wenn GPS abgeschaltet oder gestört wird, hat das keine Auswirkung auf die Fähigkeit Israels, die Luftwaffe oder andere Waffensysteme einzusetzen. Also gibt es keine wirkliche Bedrohung für unsere nationale Sicherheit. Ich denke, die russischen Streitkräfte haben viel Zeit und Ressourcen in diese Aufgabe investiert, weil es ihnen einen Vorteil in der Kriegsführung gegenüber der gesamten NATO-Allianz verschaffte, die GPS vielfach für verschiedene militärische Zwecke nutzt. Ich denke also, dass der technologische Vorsprung, den die Russen in ihrer Anti-GPS- Kriegsführung haben, nun allgemein zugänglich für alle wird. Und wir sehen auch die schnelle Ausbreitung ähnlicher Störtechnologien in Ländern außerhalb Russlands.
Musikakzent
Sprecherin: Die große Unbekannte ist dabei China. Amerikanische Umwelt- und Bürgerrechtsorganisationen berichten von GPS-Spoofing Aktionen in chinesischen Häfen im Jahr 2019. Die Folge: die Häfen waren zeitwillig „unsichtbar“ für Kontrolle von außen. Nicht nur für die direkte Satellitennavigation. AIS heißt ein weltweit verwendetes automatisches Identifikationssystem zur Verfolgung der Schifffahrt.
Schiffe senden im Sekundentakt über AIS-Daten u.a. über ihre Position und Geschwindigkeit. Damit können die Reedereien ihr Flottenmanagement organisieren. Es dient auch der automatischen Warnung vor Kollisionen und kann über das Internet durch internationale Umweltinitiativen genutzt werden, um den Schiffsverkehr zu beobachten. Auch dieses System war 2019 immer wieder gestört. Doch welches Interesse sollte China daran haben? Bürgerrechtler vermuten illegale iranische Öltransporte nach China. China und Iran haben eine langfristige Wirtschaftspartnerschaft. Eventuell auch eine geheime Sicherheitspartnerschaft. Und Iran ist wohl selbst in der Lage, Satellitennavigation und AIS zu fälschen. Das zeigt Iran der Welt eindrücklich im Sommer 2019.
Atmo: Funksprüche Stena Impero, Revolutionsgarden 2019
Übersetz Wenn Sie folgen, passiert Ihnen nichts. Ich wiederhole, wenn Sie unseren Anweisungen folgen, passiert nichts. Ändern Sie sofort Ihren Kurs.
Sprecherin: Es ist der 20. Juli 2019, 15:00 Uhr nachmittags, klare Sicht. Und ein ganz klarer Befehl über Funk an den Kapitän der Stena Impero, einem britischen Tanker. Der ist unterwegs in der Straße von Hormus, der Einfahrt zum persischen Golf. Der Befehl zur Kursänderung kommt von der Küstenwache der iranischen Revolutionsgarden. Offenbar verletzt das 180 Meter lange Schiff gerade iranische Hoheitsgewässer.
Ohne es zu wissen. Das bedeutet höchste Gefahr. Ein britisches Kriegsschiff auf Patrouille ist zu weit entfernt, um einzugreifen. Über Funk appellieren die Briten an die Iraner. Ohne Erfolg.
Atmo: Funksprüche Stena Impero, Revolutionsgarden 2019
Übersetzung: Hier ist das britische Kriegsschiff Foxtrott 236. Sir, die Anfragen, die Sie an die Stena Impero übermitteln, behindern und beeinträchtigen deren Durchfahrt. Sie dürfen die Durchfahrt der Stena Impero nicht beeinträchtigen, erschweren oder behindern.
Sprecherin: Nur Minuten später wird ein Hubschrauber eine iranische Kommandoeinheit an Bord der Stena Impero abseilen. Das Schiff ist gekapert. Seine Besatzung wird die nächsten Wochen als Geiseln in einem iranischen Hafen verbringen. Was war geschehen?
Atmo: Geräusche Brücke
Sprecherin: Die Straße von Hormus zwischen Oman und Iran ist eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Jede Stunde passiert ein Supertanker. Zahlreiche weitere Schiffe sind unterwegs von oder zu den Häfen der Golfstaaten, Saudi- Arabien, des Irak oder Kuwait. In der Straße von Hormus herrschen strenge Regeln. Enge Einbahn-Fahrrinnen helfen den Schiffen, nicht unbeabsichtigt auf iranisches Hoheitsgebiet zu gelangen.
Musikakzent
Sprecherin: Nicht so an diesem Tag. Der britische Geheimdienst MI6 und die Sicherheitsfirma Lloyd's List Intelligence fanden später die Ursache heraus. Die Berichte sind geheim.
Gary Kessler ist Cybersicherheitsexperte in Florida und Autor der 2020 erschienenen Lehrbuches über maritime Cybersicherheit. Auch für ihn ist die Irrfahrt der Stena Impero die Folge eines GPS und AIS Spoofing-Angriffs der Iraner.
O-Ton Gary Kessler, darüber Übersetzung: Man hat sich später die Daten angeschaut und gesehen, dass der Kurs sie in höchste Gefahr gebracht hatte. Zuerst ging es ganz normal durch die Straße von Hormus, genau in der Mitte, wo Schiffe bleiben sollen, und dann ganz plötzlich dreht es nach Norden ab und beginnt, in iranische Gewässer zu fahren. Das ist dann vielfältig diskutiert worden, und heute glaubt man, dass es eine Spoofing-Attacke war, die das Schiff vom Kurs abgebracht hat.
Sprecherin: Das ist die Krux. Die zivile Nutzung der Satellitennavigation benötigt ein offenes System. Das ist angreifbar. Denn GPS ist eine Einbahnstraße, die Navigationssatelliten senden Signale, empfangen aber keine. Damit gibt es keinen Rückkanal, der sicherstellt, dass beim Empfänger auch wirklich das r i c h t i g e Signal von den Satelliten ankommt. Künftig werden Anwendungen wie das Internet der Dinge und autonomes Fahren davon abhängen. Die Firma Regulus von Roi Mit aus Israel tüftelt genau an Satellitennavigationsgeräten, die das können, nur das richtige Signal zu nutzen.
O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzung: Was wir gefunden haben, und das ist in etwa das Geheimnis unserer Technologie, dass innerhalb des Signals mehrere Merkmale versteckt sind, die nur existieren können, wenn das Signal aus der Umlaufbahn kommt. Sie kann von keinem künstlichen Spoofer repliziert werden. Unsere Software scannt also all diese ankommenden Signale nach diesen Eigenschaften und wenn sie nicht vorhanden sind, disqualifiziert sie das falsche Signal und blockiert den Zugang. So machen wir die GPS-Empfänger smarter, bringen sie in die Lage, zwischen echten und gefälschten Signalen zu unterscheiden.
Sprecherin: Noch sind das nur Ideen und Pläne. Bis solche Geräte auf allen Schiffen eingesetzt werden, dürfte es noch Jahre dauern. Denn das Problem wurde auch verschlafen. Dass die Satellitennavigation angegriffen werden kann, ist seit 20 Jahren bekannt. Das sagt Professor Pawel Ziegler, Ausbilder für Seeoffiziere am Maritimen Zentrum der Hochschule Flensburg.
O-Ton Pawel Ziegler: Man hat sich so seit 2000, 2001 das erste Mal mit dieser Anfälligkeit richtig beschäftigt. Im zivilen Bereich, und dazu gehört die Schifffahrt ja auch, und auch die Luftfahrt und alle GPS-Empfänger, die wir so kennen. Dort sind die Einfallstore relativ groß. Das ist unverschlüsselt. Das Signal. Das bereitet uns natürlich auch in der Schifffahrt große Sorge.
Sprecherin: Mehr als 50.000 Handelsschiffe gibt es weltweit. Davon 5.000 Containerschiffe und
7.000 Rohöltanker. Die mit einer neuen Technik auszustatten, die Cyberangriffe verhindern könnte, wäre die Aufgabe der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO mit Sitz in London. Sie wurde geschaffen, um Sicherheit der Seefahrt sicherzustellen. Im Grunde müsste sie eine Resolution zum Verbot von GPS- Spoofing erlassen.
O-Ton Pawel Ziegler: Die IMO malt sehr, sehr langsam. 2019 gab es eine Petition, einen Brandbrief von 14 einflussreichen maritimen Organisationen und Verbänden.
Sprecherin: Der Brief war 2019 an den Chef der US-Küstenwache General Karl Schultz gesandt worden, um bei der IMO vorstellig zu werden. Absender waren zivile Entscheider und US-Seefahrtexperten mit klaren Forderungen, der Fälschung und Verwirrung von Satellitennavigationssystemen ein Ende zu bereiten. Zitat:
Zitat: Die Mitgliedsstaaten sollten Maßnahmen ergreifen, um unautorisierte Übertragungen auf Satellitennavigations-Frequenzen zu unterbinden
Sprecherin: Tatsächlich wurden diese Forderungen in den IMO Gremien besprochen. Sie sollen Eingang in die aktuellen Richtlinien der Internationalen Seefahrer Organisation finden. Irgendwann. Immerhin: Am 1. Januar 2021 trat eine Resolution gegen Cyber- Bedrohungen in Kraft. Darin werden Reedereien gebeten, Zitat:
Zitat: Die Cyber-Risiken hinsichtlich ihrer Betriebsabläufe an Land und an Bord zu identifizieren und zu bewerten. Basierend auf der Risikobewertung sind geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.
Musikakzent
Sprecherin: Dies dürfte kaum reichen, um tatsächlich aggressive GPS-Fälschungen von China, Russland und Iran und damit die andauernden Gefahren für die Sicherheit der Schifffahrt zu beenden. Ob die USA irgendwann in gleicher Weise aktiv werden und ihrerseits die russischen und chinesischen Satellitennavigationssysteme Glonass und Baidu angreifen werden, bleibt offen. Der bereits heute andauernde elektronische Krieg zwischen Russland, China und den USA könnte dann in einen unberechenbaren globalen Konflikt münden.
Musikakzent
*