Ex-Neonazi: Wie wir Deutschland stürzen wollten | STRG_F
Er wollte den Umsturz, ein neues Nazideutschland.
(alle:) Sieg heil! Sieg heil!
(Unruhige Musik)
Wenn ich mit richtiger Munition auf jemanden schieße oder ziele,
dann wird das einen Grund haben.
In den Wendejahren nannten man ihn den Führer von Berlin.
Ich war geistiger Brandstifter - nicht folgenlos.
Wie kam es zu dieser massiven Gewalt und was hat das mit heute zu tun?
Wir haben ein paar Mal hin- und hergeschrieben, telefoniert.
bevor ich ihn in Berlin treffen kann,
den ehemals bekanntesten Neonazi Ostdeutschlands.
Falls ihr euch wundert, wir haben den Film im letzten Sommer gedreht.
Da waren die Coronazahlen noch ganz unten.
Ich mach mal ein bisschen leiser.
(off:) Ich hab im Archiv einen alten Film gefunden von Anfang der 90er.
Es gibt ja hier in dem Film so Passagen von militanten Neonazis.
(Unverständlicher Ruf)
(Schüsse)
Es ist ein Film über Ingo Hasselbach und seine damaligen Mitstreiter.
Hasselbach läuft vorne weg.
(Video:) "Manöver gehören längst zum Alltag
neonazistischer Organisationen."
"In fast allen größeren deutschen Städten gibt es Wehrsportgruppen."
"Sie werden meistens von Rekruten der Bundeswehr ausgebildet.
(Knall)
(Laufschritte)
(Schuss)
(Schuss)
"Wenn ich mit richtiger Munition auf jemanden schieße oder ziele,
dann wird das einen Grund haben."
"Kannst du dir das vorstellen?" - "Sicher."
"In welcher Situation?"
"Zum Beispiel ... erst mal von Haus aus Notwehr."
"Politisch gesehen?"
Vielleicht auch irgendwann mal zur Durchsetzung politischer Ziele.
Wie ist denn das für Sie, wenn Sie das wieder mal so gucken?
Es ist schwer, mich zusammenzubringen mit der Person, es ist so lange her.
Ich weiß natürlich, dass ich das bin,
aber es ist schon wahnsinnig absurd zu sehen.
Dass ich das mal gesagt habe, also ...
Den ganzen Zusammenhang sehe, für was das alles steht
und wo das herkommt.
Aber letztlich ist es ein Teil meiner Geschichte, den ich akzeptieren muss,
den ich auch akzeptiere natürlich.
Wann haben Sie das zum letzten Mal geguckt?
Ich hab's noch nie geguckt.
Sie haben es noch nie geguckt? - Nee.
Das ist für mich auch mit so wahnsinnig viel Scham belastet,
ich denke, das ist eigentlich unglaublich, dass ich das bin.
(Er räuspert sich.)
Aber er ist es.
Ingo Hasselbach war vor 30 Jahren
eine zentrale Führungsfigur der Neonazis,
zuständig für den Osten Deutschlands, da ist er großgeworden.
(Treibende Musik)
In der Weitlingstraße in Ostberlin
errichtete die neue Rechte Bewegung ihr Hauptquartier.
Das war 1990.
Der junge Ingo Hasselbach wurde Anführer
und Parteivorsitzender der nationalen Alternative.
Er sagt, dass er in der Zeit oft Waffen mit sich trug,
das sei besser gewesen.
(Treibende Musik)
Von den Medien wurde Hasselbach "der Führer von Berlin" genannt.
Die Neonazis besetzten Häuser,
das hatten sie sich von den Linken abgeschaut.
Schnell wurde die Weitlingstraße zum Treffpunkt von bis zu 400 Neonazis
aus Ost und West.
So sieht es heute hier aus.
(Treibende Musik)
Ingo Hasselbach ist das erste Mal seit 1990 wieder hier.
So richtig wohl fühle er sich nicht, sagt er.
(Treibende Musik)
Aber er will mir zeigen,
wo er und andere Neonazis damals in diesem Haus gewohnt haben.
Es ist seine Vergangenheit.
Hier konnte man sich nicht mehr bewegen in dieser Straße,
ohne Stress zu kriegen.
Die Linken haben draußen patrouilliert,
die Polizei hat patrouilliert,
der Verfassungsschutz hat patrouilliert.
alle waren draußen auf den Straßen unterwegs.
Es gab eine totale Überwachung, nachdem die geschnallt haben,
wer eingezogen ist in das Haus.
In der Weitlingstraße
versammelten sich viele junge Männer wegen Hasselbach.
Die Rechten ließen oft Medien rein,
doch manche Fragen wurden nicht beantwortet.
Es wird davon gesprochen,
dass es größere Waffenlager im rechten Lager gibt?
Kein Kommentar.
Warum?
Kein Kommentar.
Jahre später wird Hasselbach die Waffenlager preisgeben.
Das war meine Wohnung. - Das war Ihre Wohnung?
Vor 30 Jahren. - Vor 30 Jahren, genau.
War schon so eine Art rechtsfreier Raum?
Das war ein komplett rechtsfreier Raum.
Es galt nur das, was wir als Gesetz erklärt haben.
Hier gab's im Prinzip direkten Zugang auf den Dachboden.
Hatten Sie Waffen im Haus?
Wir hatten immer Waffen im Haus, ja.
Das war auch unausgesprochen klar, dass jeder hier eine Waffe hat.
Für den Fall, dass man überfallen wird, dass es eine Stürmung gibt,
was auch immer.
Die heftigste Auseinandersetzung um die Weitlingstraße
gab es am 23. Juni 1990.
(Sirene)
Ein linkes Bündnis
hatte zur Demonstration gegen das rechte Zentrum aufgerufen.
Die Weitlingstraße stand im Prinzip
als Symbol für die Wiedervereinigung der Rechten,
also der Vereinigung der Rechten Ost-West.
Wir hatten das Gefühl, wir können Geschichte machen,
das haben wir versucht.
Hasselbach sagt, er und seine Kameraden
hätten an dem Tag im Sommer 1990
die Weitlingstraße bis zum Allerletzten verteidigt.
Dass es keine Toten gab, ist ein kleines Wunder.
Der Angriff der Linken war eine Reaktion
auf etliche Gewalttaten der Neonazis.
(Sirene)
(Ernste Musik)
Die Gewalt, die die Skins, die hier gelebt haben,
gegen Ausländer ausgeübt haben, das wurde auch hochgradig kriminell.
Es gab Raubüberfälle, es war nicht mehr zu kontrollieren.
Natürlich waren wir verantwortlich.
Wir haben die hier hergeholt, denen ein Zuhause gegeben.
Wir haben zwar nicht gesagt: "Geht raus und schlagt Ausländer tot",
aber sie haben es trotzdem gemacht.
Ausländer verprügelt, überfallen, Brandstiftung
und weiß der Teufel, was die gemacht haben.
Aber wir waren verantwortlich.
Auch Westneonazi Christian Worch rechts neben Hasselbach.
Die beiden lernen sich kurz nach Mauerfall kennen.
Worch wurde "Führer von Hamburg" genannt.
Die Kader aus dem Westen wie Worch
sahen auf dem Gebiet der Ex-DDR einen fruchtbaren Boden
für ihre radikalen Ideen.
Sie witterten ihre Chance.
Dass wir gemeinsam vereint sind
in einem heiligen Großdeutschen Reich.
(mehrere:) Sieg heil! Sieg heil! Sieg heil!
Wir haben hier ein großes Potential von vorwiegend jungen Menschen,
die politisch unverbraucht sind.
Diese Naivität, ich möchte es schöne Naivität nennen,
die wird sehr befruchtend, die wird sehr beflügelnd auf das rechte Lager
Gesamtdeutschlands, also auch der alten Bundesländer wirken.
Wie wichtig war der Osten wirklich für die Westnazis?
Ich fahre zum ehemaligen Führer von Hamburg.
Heute wohnt er in Parchim.
In den letzten Jahren fuhr er noch Taxi.
Jetzt lebt er von Hartz IV erzählt er.
Seit 40 Jahren ist Christian Worch strammer Rechtsextremist.
Ein Ordner mit "NS-heute" fällt mir auf.
Ansonsten lässt hier wenig auf seine politische Gesinnung schließen.
(Elektronische Musik)
Auf Smalltalk vor dem Interview haben weder er noch ich Lust.
(Ernste Musik)
Wo stand denn die Rechte vor Mauerfall in der Bundesrepublik?
Als radikale Rechte waren wir vor dem Mauerfall in der BRD
nicht einmal im Stande 1.000 Mann auf die Straße zu bringen.
War denn der Mauerfall für Sie ein Glücksfall?
Das war er eindeutig, ja.
Wir hatten die Hoffnung,
dass nach dem Sturz des einen deutschen Systems
möglicherweise nahezu direkt anschließend
der Sturz des zweiten deutschen Systems stattfinden könnte.
Wir hatten plötzlich Zugriff auf personelle Ressourcen von Menschen,
die mit dem kommunistischen System überhaupt nichts mehr am Hut hatten.
Mit anderen Worten Leute, die bereits etwas geändert hatten
und die im Prinzip zu weiteren Veränderungen bereit waren.
(Ernste Musik)
So wie Ingo Hasselbach und seine Kameraden.
Der Fall der Mauer, der Zusammenbruch der DDR,
also eines ganzen Staates,
brachte nach der ersten Euphorie viel Unsicherheit.
Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit -
eine gefährliche Mischung.
(Treibende Musik)
Ich treffe einen Mann,
der gegen Ingo Hasselbach in den 90ern ermittelt hat.
Jahre später werden sie gemeinsam
die Aussteigerorganisation "Exit" gründen.
Bernd Wagner war schon Kriminalpolizist in der DDR.
Auf den Zusammenbruch der DDR
haben die Neonazis in Ost und West lange gewartet,
erzählt er mir.
Kaum war die Mauer auf, gab es einen Aufbauplan Ost.
Führende Kader aus dem Westen kamen in den Osten,
die haben gedacht, sie trauen ihren Augen nicht,
wie viele Kameraden da rumlaufen, optisch sichtbar, völlig unbefangen,
keine Angst vor dem Verfassungsschutz, Stasi war tot,
die waren also hochbegeistert.
Die haben sogar geträumt in der Zeit von der nationalen Revolution.
Schon zu DDR-Zeiten hat Kriminalpolizist Wagner gemerkt,
dass sein Staat ein massives Problem mit Neonazis hat.
Wagner entdeckte etliche rechte Gruppierungen.
"SS-Division Walter Krüger Wolgast." - Ja.
"SS-Kampfstaffel Nord."
"Wotansbrüder."
"Wilhelmsruher Türkenklatscher."
"Lichtenberger Front", die "Vandalen", die "Ostkreuzler".
"Deutschland stirbt nicht", "SS-Teutonenkampfstaffel".
Die waren alle aktiv und viele mehr.
Das ist ja nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit.
Alle waren nationalsozialistisch,
alle haben sich am Dritten Reich orientiert.
Man kann davon ausgehen, dass in allen Städten der DDR
mindestens eine Gruppierung existierte,
also kommen Sie auf eine Zahl, die weit über 200 liegt
nur an Gruppierungen.
Vor Mauerfall durfte Wagner seine Erkenntnisse nicht veröffentlichen.
Denn ins Selbstbild der DDR passten keine Neonazis.
Die durfte es offiziell nicht geben.
(Fröhliche Marschmusik)
Heute wie damals lautet der Schwur:
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Die deutsche demokratische Republik,
sie verkörpert die Ideale des antifaschistischen Kampfes.
(off:) Aber nicht alle folgten dieses Idealen.
Kurz vor Mauerfall 1988, das Politmagazin "Kontraste"
drehte heimlich in der DDR diese Aufnahmen von Neonazis.
Wir sind sehr auf Gewalt aus.
Wir wollen was gegen die ganzen Linken tun und
uns kotzt es ja an in dem Scheißstaat.
Ich meine, viel können wir ja nicht machen.
Wir treten ein für ein vereinigtes Deutschland
und dass die Scheißkanaken raus sind.
(Langsame Musik)
Erst kurz nach Mauerfall konnte Wagner seine Ermittlungsergebnisse
auf einer Pressekonferenz vorstellen.
Bis September diesen Jahres wurden bevorzugt angegriffen
Anhänger der Punkbewegung wegen ihrer undeutschen Lebensweise,
Gruftis, homosexuelle Bürger,
Ausländer mit dunkler Hautfarbe und auch Vietnamesen.
Das Ergebnis war, dass wir es schon mit einem ziemlich rüden System
von rechtsradikalen zu tun haben in der DDR.
Wagner zählt in der DDR schon 15.000 Rechtsradikale,
das war in den 80ern.
Zu der Zeit wuchs Ingo Hasselbach
in der Plattenbausiedlung Berlin-Lichtenberg auf.
Ich war weder links noch recht, sagen wir so,
so ein Mittelding
und war im Protest gegen den Staat als Punk oder so.
(Schnelle Musik)
Am Anfang war das nicht politisch, überhaupt nicht.
Das war wirklich ein reines Anderssein.
Wir wollten uns nicht einordnen lassen in dieses System.
Wir sind ja nicht als Punks losge- gangen und haben alles kaputtgehauen.
Wir haben in den Kaufhallen geklaut, das haben wir gemacht,
aber wir haben nicht wirklich kriminelle Taten begangen,
wo man sagen muss, die gehörten verfolgt.
Wir wurden verfolgt, weil das politische System
diese westliche Jugendkultur, die wir in die DDR geschleppt haben,
zum Staatsfeind erklärt haben, wir wurden politisiert.
Wir fingen an nachzudenken, was es bedeutet,
wenn man unter so einen Druck gerät, dass man das aufgreift.
Dann wird man politisch, fängt an zu denken,
wo leben wir hier, wir leben in einem Land,
das eingesperrt ist.
(Langsame Musik)
Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen.
(Langsame Musik)
Als 19-jähriger Punk kommt Ingo Hasselbach in Haft.
Er wird als Neonazi den Knast wieder verlassen.
Seine Erinnerungen an diesen Ort liegen lange zurück.
Doch die Bilder sind sofort wieder da.
Das wurde von den Gefangenen Tigerkäfig genannt.
Da oben lief halt so ein Posten rum,
der konnte von da in jede Freigangszelle gucken.
Also, so weit, wie wir jetzt hier stehen, war nicht erlaubt.
Und man musste laufen.
(Dynamische Musik)
Seine Geschichte begann so:
Er wurde 1986 von der Staatssicherheit,
der Geheimpolizei der DDR, festgenommen.
Weil ick auf 'nem Druschba-Fest,
das ist so 'n Freund der ... so 'n Fest der ...
russischen Streitkräfte, der Alliierten sozusagen,
gerufen hab: "Die Mauer muss weg."
Weißt du? So, dat war dann ...
da hab ick gemerkt, dass es mit der Meinungsfreiheit hapert.
Die Vernehmungen waren halt sehr intensiv hier.
Wo man halt ...
auf Herz und Niere geprüft wurd sozusagen,
ob man 'n Staatsfeind ist.
Darum geht's letztlich.
Zu welchem Ergebnis sind die gekommen?
Na, offensichtlich waren wir Staatsfeinde.
Staatsfeind mit 19. (Beklemmende Musik)
Weil er den Satz "Die Mauer muss weg." gerufen hatte.
Dafür bekam Ingo Hasselbach sieben Monate Haft.
Nach seiner Strafe wollte er nur noch weg aus dieser DDR.
Aber sein Fluchtversuch scheiterte.
Er kam wieder in Haft, diesmal zweieinhalb Jahre.
Eine Odyssee durch ein Dutzend DDR-Gefängnisse begann.
Oft wurde er transportiert
in solchen Bahnwagons.
(Traurige Musik)
Hier waren jetzt vier Gefangene?
Wir waren zu viert drinnen, ja.
War immer voll besetzt, dat war nie leer.
Die sind nie halbbesetzt gefahren, immer voll.
Und man war immer gefesselt an den Nachbarn.
Wo waren Sie überall?
Ähm ...
Also, in Berlin war ich in der Keibelstraße, Rummelsburg,