Polizeigewalt und Rassismus - Wer kontrolliert die Polizei? | WDR Doku (2)
der rund 54.000 Polizeibeschäftigten in NRW zuständig.
Eine spezielle Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger
fehlt außer in NRW auch in 9 weiteren Bundesländern.
Wer sich hier über Polizeigewalt oder Polizeirassismus
beschweren will, muss sich an die Polizei selbst wenden
oder an andere allgemeine Beschwerdestellen,
z.B. den Petitionsausschuss des Landtags.
Nur in 6 Bundesländern
können sich Bürger bei speziellen Anlaufstellen beschweren.
In Sachsen, Thüringen und Niedersachen
sind diese Beschwerdestellen nicht wirklich unabhängig,
da sie in die jeweilige Landesregierung eingegliedert sind.
Nur in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz
und Baden-Württemberg gibt es Beschwerdestellen für Bürger,
die wirklich unabhängig sind.
Sie können allerdings lediglich Akten einsehen
und Stellungnahmen einfordern.
Strafrechtlich ermitteln können sie nicht.
Eric Töpfer vom Institut für Menschenrechte findet,
dass die 3 unabhängigen Stellen immerhin schon ein Fortschritt sind.
Es fehlt ihnen allerdings an angemessenem Personal
und Sachmittelausstattung, um vernünftig arbeiten zu können.
Sie können eben nicht strafrechtlich ermitteln,
sodass die strafrechtlichen Ermittlungen
nach wie vor in der Hand der Staatsanwaltschaft liegen.
Die eben weiterhin abhängig ist von der Unterstützung durch die Polizei.
Wo ist das Problem, wenn Polizei gegen Polizei ermittelt?
Für die Betroffenen ist es häufig ein großes Problem,
wenn sie Anzeige bei der Polizei erstatten müssen.
Und wenn sie dann im Zuge der Ermittlungen
von Polizei befragt werden und dann den Eindruck haben,
dass da Kollegen gegen Kollegen ermitteln.
Das ist für Betroffene oft eine Situation,
in der sie sich zum einen...
Es gibt Berichte von Leuten, die da retraumatisiert werden.
Der 2. Punkt ist der, dass letztlich
der Glaube in die Unabhängigkeit der Ermittlungen erschüttert ist.
Doch die Polizeigewerkschaft ist der Meinung,
dass es ausreichend Kontrolle gibt.
Wir haben interne Möglichkeiten, das aufzuarbeiten.
Wir sehen nicht die Notwendigkeit,
dass wir eine Instanz schaffen neben einer justiziellen Instanz.
Wir brauchen keine Schattengerichtsbarkeit.
Sie sind also der Meinung,
wenn die Polizei eine Beschwerde gegen die Polizei untersucht,
ist sie unabhängig?
Wir haben interne Kontrollen im Bereich.
Es gibt interne Institutionen innerhalb der Polizei,
die das aufarbeiten.
Wenn eine Beschwerde ans Innenministerium
innerhalb der Polizei ankommt,
dann wird der Sache nachgegangen in einem rechtsstaatlichen Verfahren.
Gerade diese Verfahren scheinen nicht immer zu funktionieren.
Wir hören von einem Fall in Kassel und treffen dort Miriam und Lukas.
Auch sie haben Polizeigewalt erlebt.
Am 02.06.2019 wird in Kassel der Regierungspräsident Walter Lübcke
von einem Rechtsextremen erschossen.
Kurz darauf kommt es zu einem Aufmarsch von Neonazis in der Stadt.
Walter Lübcke ist genau wegen dem Gedankengut,
das diese Menschen auf die Straße tragen,
umgekommen und umgebracht worden.
Man muss sich das vorstellen.
Ein paar Wochen zuvor wird Walter Lübcke, unser Regierungspräsident,
umgebracht von einem Nazi,
und ein paar Wochen später gehen Nazis auf die Straße.
Und denen wird der Weg freigemacht,
damit sie ihr Gedankengut hier kundtun können.
Tausende Menschen in Kassel starten eine Gegendemonstration.
Die Stimmung in der Stadt ist emotional.
Zur Polizeiarbeit
gehört in solchen Situationen normalerweise v.a. Deeskalation.
Alerta! Alerta! Antifascista!
Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest!
Ob Ost, ob West...
Auch Miriam und Lukas wollen gegen die Rechten protestieren
und beteiligen sich an einer Sitzblockade.
(Miriam) Auf dem Video sieht man, wie wir auf die Straße laufen,
uns hinsetzen und dann relativ schnell die Polizistinnen,
die drum herum stehen,
mit Pfefferspray uns ins Gesicht sprühen.
Und dann die Sitzblockade auflösen,
indem sie uns von der Straße zerren oder eben wegtragen.
Dann wurden wir hier um die Ecke festgehalten,
bis unsere Personalien festgestellt wurden.
War euch klar, dass so was passieren könnte?
Es war klar, dass wir nicht lange auf der Straße sitzen werden.
Aber uns war nicht bewusst,
dass mit so einer ungerechtfertigten Gewalt gegen uns vorgegangen wird.
Weil die Polizei mit mehr als genug Kräften vor Ort war.
Der ganze Stadtteil war abgeriegelt.
Die hätten das locker anders regeln können.
Das Video landet im Internet.
Besondere Empörung ruft hervor, dass einer der Polizisten
so schnell Pfefferspray gegen die Sitzenden einsetzt.
Ich hatte komplett ein rotes Gesicht.
Es hat alles gejuckt, es hat gebrannt ohne Ende.
Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen,
weil das so schlimm war.
Da hilft auch nichts gegen.
Ich wurde an den Händen gefesselt und an eine Wand gelegt,
wo ich danach auch von Demonstrationsteilnehmern
der rechtsextremen Demonstration fotografiert wurde.
Wo die Beamten nicht eingeschritten sind,
obwohl ich sie darauf hingewiesen habe,
dass ich nicht möchte, dass die mein Gesicht abfotografieren.
Ich finde schon, dass solche Situationen
das Vertrauen in die Polizei mindern.
Oder man zumindest eher kritisch dem Ganzen gegenübersteht,
weshalb ich wirklich prüfen würde:
Ist es notwendig, die Polizei anzurufen,
weil das Vertrauen ein Stück weit in die Brüche geht.
Das Video sieht auch ein Politiker im hessischen Landtag.
Er ist es, der nun die Staatsanwaltschaft dazu bringt,
sich den Fall anzusehen.
Torsten Felstehausen erstattet Anzeige gegen die Polizisten
und will damit ein Zeichen setzen.
Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt noch immer,
seit fast einem Jahr.
Wir können feststellen,
dass bei vielen Polizeiübergriffen auf Demonstrationen,
die festgestellt und angezeigt werden,
kaum eine juristische Reaktion erfolgt.
Die Frage, werden die Polizisten,
die sich nicht richtig verhalten haben, zur Verantwortung gezogen,
müssen wir feststellen, das ist überwiegend nicht der Fall.
Wir wünschen uns als Linke eine Ombudsstelle,
die in der Lage ist, tatsächlich solchen Vorwürfen,
die es gibt, ob die berechtigt oder unberechtigt sind, nachzugehen.
Also eine unabhängige Ermittlung.
Bisher ist es so: Polizei ermittelt gegen Polizei.
Auch hier die Forderung nach einer unabhängigen Beschwerdestelle.
Nicht nur bei Polizeigewalt, auch bei möglichem Rassismus.
Wie im Fall von Valiente.
Das letzte Mal fuhr der Venezolaner, der eigentlich anders heißt,
hier im September 2019 entlang.
Damals ist der Pflegehelfer
in der Dämmerung auf dem Weg zu einer Patientin.
Kurz habe er mit seiner Frau telefoniert,
auf Spanisch, Bescheid gesagt, dass er bald zu Hause sei.
Er habe gemerkt, dass die Polizei ihm folge.
Dann fangen sie ihn ab.
3 Polizeibeamte sind zu mir angekommen.
Und sofort geschlagen und attackiert, brutal attackiert.
Er hat mich auf meine Hals sofort festgenommen.
Ich konnte nicht richtig atmen.
Ein Video zeigt ihn auf dem Boden liegend,
umgeben von zahlreichen Polizisten.
Sie hätten ihn beschuldigt.
Jemand von dieser Gruppe hat gefragt: Wo ist die Droge?
Du hast Drogen? Messer? Waffe?
Sie haben mich über alles untersuchen.
Er ruft, dass er ambulanter Pflegehelfer sei.
Sie hätten ihm nicht geglaubt,
bis sie seinen Dienstausweis gefunden hätten.
Ich habe gehört: Oh, Scheiße.
Er ist wirklich eine Pflegehilfe.
Und alle Polizisten verschwinden.
Er bleibt zurück mit Prellungen an Kopf, Hals, Oberschenkel,
vom Arzt dokumentiert.
Er kommt ins Krankenhaus, später in die Reha.
V.a. die psychischen Folgen sind geblieben.
Für ihn ist klar, was der Auslöser für die Gewalt war.
Ich fühle, das war eine Rassismusattacke von Polizei.
Valiente, der in seiner Heimat 10 Jahre als Polizist arbeitete,
hat Anzeige erstattet.
Die Polizisten wiederum haben ihn angezeigt.
Wegen Widerstands, Beleidigung und tätlichen Angriffs.
Er bestreitet die Vorwürfe.
Ich habe gegen Polizei gar nichts gemacht.
War es eine rassistische Tat?
Das zu belegen ist schwer. Wie so oft.
Wir wollen bei der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft
Details erfahren.
Dort heißt es aber, die Ermittlungen würden andauern.
Simon Neumeyer wollte selbst mal Polizist werden.
Er begann 2016 seine Ausbildung in Sachsen.
Da sind dann Sätze gefallen wie: Ich wähl lieber braun als grün.
Wo mir die Kinnlade auf den Tisch gefallen ist, wo ich dachte:
Wie kannst du so was sagen?
Ich habe mich meistens offen gegen
rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen gestellt.
Wurde deswegen natürlich aus der Gruppe ausgegrenzt.
Hatte z.B. beim Sport keinen Partner mehr.
Simon Neumeyer verließ die Polizei und begann ein Studium.
Erst dann hatte er den Mut, einen Chatverlauf zu veröffentlichen,
der rassistische Kommentare seiner Kollegen zeigt.
Dort heißt es z.B.:
Selbst von Ausbildern kamen fremdenfeindliche Kommentare,
erzählt er, z.B. im Schießunterricht.
Da fiel ein Satz: Passt bitte auf, Leute.
Ihr müsst wieder gut schießen lernen,
weil wir so viele Gäste in Deutschland haben.
Und das ist schon: Wow.
Damit sind Flüchtlinge gemeint.
Damit ist gemeint, wir müssen gut schießen lernen,
weil tendenziell Flüchtlinge kriminell sind.
Das ist einfach nur rechtsradikal, und das von einem Ausbilder.
Das ist äußerst kritisch.
Auf unsere Nachfrage erklärt das Landespolizeipräsidium Sachsen,
bei den Ausbildern hätten sie:
Einzige Konsequenz:
Einer der Polizeischüler durfte seine Ausbildung nicht fortsetzen.
Immer wieder gibt es Polizisten, die wegen rechter Gesinnung auffallen.
In München fliegt z.B. 2018
ein antisemitischer Chat von 47 Beamten auf.
Nur einer von ihnen wird bestraft.
In Mecklenburg-Vorpommern wird 2019
ein SEK-Beamter wegen einer illegalen Waffensammlung verurteilt.
Er gehörte zur rechtsextremen Nordkreuz-Gruppe.
Im Dezember 2019 posieren in Brandenburg
9 Beamte vor einem rechtsextremen Symbol.
7 werden zwangsversetzt, gegen alle 9 laufen Disziplinarverfahren.
Und ganz aktuell Hessen,
wo von Polizeicomputern persönliche Daten abgerufen wurden
und Prominente rechtsextreme Drohbriefe bekamen.
Wie verbreitet ist rechte Gesinnung bei der Polizei?
Offizielle Zahlen gibt es nicht.
In Dortmund betreut Anwältin Lisa Grüter mehrere Fälle
mit aus ihrer Sicht rassistischem Hintergrund.
Ein Fall ärgert sie besonders.
Dass insbesondere der Teil mit den drastischen Äußerungen
des Polizeibeamten oder den Drohungen,
mit denen er meine Mandantin angeschrien hat,
dass das eingestellt worden ist, kann ich nicht nachvollziehen.
Es geht um die Geschichte von Frau Aouatef Mimouni.
Sie und ihr Mann besaßen eine Shishabar in Dortmund.
Die Polizei begleitet die Gewerbeaufsicht im März 2019
bei einer Routinedurchsuchung wegen unerlaubten Tabakverkaufs.
Nur eine kleine Menge Tabak wird gefunden.
Ein Polizist öffnet die Kasse, allein.
Aouatef Mimouni kommt das komisch vor.
Sie geht dazwischen, es kommt zur Rangelei.
Der hat so gemacht, natürlich habe ich meine Brust.
Das richtig tut weh, ich bin schwanger. Im 4. Monat.
Habe ich gesagt: Arschloch.
Ich habe gesagt: Ich bin schwanger, fass mich nicht an.
Der Streit geht im Innenhof weiter.
Dort filmt ein Nachbar,
wie der Polizist die Frau auf den Boden drückt.
Da es dunkel ist, ist nichts zu erkennen.
Aber man hört die Drohungen des Polizisten.
Die Aufnahme landet in den Medien.
Erst dann ermittelt die Staats- anwaltschaft gegen den Polizisten.
Aouatef Mimouni wurde noch in der Nacht von der Polizei angezeigt,
weil sie einen Polizisten angegriffen haben soll.
Bei ihr stellen die Ärzte eine Prellung des Jochbeins
und des Kiefergelenks fest.
Die Polizei bestreitet die Gewalt nicht.
Das Verfahren gegen den Polizisten wurde eingestellt.
Aouatef Mimouni ist weiter angeklagt.
Sie erzählt von einem Wortwechsel mit dem Polizisten.
Ich habe gesagt:
Eine deutsche Frau behandeln Sie so genau wie ich?
Hat er gesagt: Natürlich nicht.
D.h. ich bin hier in Deutschland.
Ich hab 4 Kinder, alle Deutsche.
Dann bin ich hier kein Mensch.
Lisa Grüter wirft der Politik vor, dass sie durch Shishabarkontrollen
Rassismus schüre mithilfe der Polizei.
Shishabars sind Orte, an die Menschen gehen können,
die an anderen Orten von Vorurteilen betroffen sind.
Die nicht in Discos reinkommen,
weil sie aussehen, als wären sie nicht deutsch.
Die eine schwarze Hautfarbe haben
oder in irgendeiner Form als nicht deutsch abgestempelt werden.
Jetzt geht die Polizei, und die Stadt geht los und kontrolliert
diese Shishabars und nennt es "Bekämpfung der Clankriminalität".
Damit werden alle Gäste, alle Betreiber von solchen Shishabars,
unter den Generalverdacht gestellt,
irgendetwas mit kriminellen Familienclans
und organisierter Kriminalität zu tun zu haben.
Und das bestätigt sich in den meisten Fällen nicht.
Aber am Ende ist das Vorurteil da, die Bevölkerung sieht,
die werden kontrolliert mit riesengroßem Aufwand.
Da wird schon was dran sein, dass in diesen Shishabars irgendeine Form
der Kriminalität betrieben wird.
Ist denn die Familie Mimouni Teil eines Familienclans? - Nein.
Die Familie Mimouni ist eine Familie,
die eine Shishabar betrieben hat.
Ein Interview will uns die Polizei Dortmund nicht geben.
Schriftlich heißt es, der Fall sei intern nachbesprochen worden.
Können durch die Arbeit bei der Polizei Vorurteile entstehen?
Ja sagt der Polizist und Polizeiforscher Kai Seidensticker.
Die Polizeiarbeit findet in der Regel
in sozial schwächeren Milieus statt.
Und ist auch immer mit einer womöglich lauernden Gefahr
im Alltag verbunden, dass Polizeibeamte, die dort eingesetzt
sind und häufig und lange in diesen Bereichen arbeiten,
sehr stark in ein Schwarz-Weiß-Denken übergehen.
D.h. ich habe nur das Schlechte, was ich sehe, und reflektiere dann,
was ich für mich in meiner Gruppe annehme als gutes Gegenstück.
Es fehlt die Anerkennung dafür, dass es nicht nur Einzelfälle sind,