Ausbeutung auf Baustellen – So prekär leben Wanderarbeiter in Deutschland
Sie bauen unsere Unis, unsere Straßen und verlegen schnelles Internet.
Und das für 2,88 pro Stunde.
2,88 Euro.
Wanderarbeiter kommen aus Rumänien, Polen, Bulgarien oder von noch weiter.
Sie sind systemrelevant, aber keiner klatscht für sie.
Was da passiert, in so einem Gebäude, das kriegt keiner mit.
Und deswegen ist der Aufschrei auch nicht da.
Die Baubranche boomt.
Nur: Kommt das Geld auch ganz unten an?
So ca. 5000, 6000 Euro muss ich noch kriegen.
Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Arbeitsschutz.
Wie krass ist Ausbeutung auf unseren Baustellen?
Die Recherche für diesen Beitrag läuft schon seit ein paar Monaten.
Angefangen hat alles mit einer Lokalnachricht, über die ich gestolpert bin,
die mich ziemlich geschockt hat: In Friedrichshafen haben Ende Januar Bauarbeiter gestreikt,
und zwei von ihnen sind auf einen Kran geklettert – so wie diese hier hinter mir – und haben
damit gedroht, runterzuspringen.
Sie hatten mehrere Wochen ihr Gehalt nicht ausgezahlt bekommen.
Ich habe mich gefragt, wie kann man eigentlich in so eine verzweifelte Situation geraten
und wie muss sich das auch anfühlen für die Leute.
Und: Kommt so etwas womöglich öfter vor?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, spreche ich mit Beratungsstellen für ausländische Bauarbeiter,
mit dem Zoll, mit Gewerkschaften.
Alle berichten von Ausbeutungs-Fällen.
Aber betroffene Bauarbeiter zu finden, die mir ihre eigene Geschichte erzählen wollen,
ist ziemlich schwierig.
Die Baustellen kann ich nicht einfach betreten, Freizeit haben die Arbeiter kaum und dann
gibts auch noch Sprachbarrieren.
Umso mehr freue ich mich, als eine Mail aus Hannover kommt.
Dort gibt es einen Fall für mich.
Also ich geh jetzt zur Beratungsstelle für mobile Beschäftigte in Hannover.
Hier arbeitet Paul Idu, mit dem hab ich in den letzten Tagen ein paar mal telefoniert,
weil er gerade eine Gruppe Rumänen betreut, die hier auf ner Baustelle gearbeitet haben
und wo einiges schief gegangen ist.
Und er wird uns heute alles erzählen und erklären.
Anlaufstellen für Ausbeutung und Zwangsarbeit gibt es in allen Bundesländern.
Die Beratungsstelle in Hannover gehört zu der Fachorganisation „Arbeit und Leben“.
Hier steht das auch schon drauf: Arbeit und Leben
Da ist er!
Sehr schön.
Hallo.
Ich setz mal meine Maske auf als aller erstes.
Wir haben das hier Mitte Mai gedreht und Sicherheit geht vor.
Also Maske und Abstand.
Bevor wir gemeinsam zu den Bauarbeitern fahren, muss Paul Idu noch was vorbereiten.
Er verschafft sich momentan auch erst noch einen Überblick über den aktuellen Fall.
Am 29.04. hat er von 7:30 Uhr morgens bis 22:00 Uhr gearbeitet.
Puh
Wenn die Überstunden bezahlt werden, okay.
Wurden sie aber nicht.
Wir schützen die mobilen Beschäftigten vor Ausbeutung.
Mobile Beschäftigte, entsandte Beschäftigte oder auch Wanderarbeiter – gemeint sind
Menschen aus anderen Ländern, die vorübergehend nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten.
Meistens unter ziemlich prekären Bedingungen.
Es gibt fünf Branchen, die stark davon betroffen sind.
Bau, Hotelreinigung, die Pflegebranche, natürlich die Fleischbranche und die Landwirtschaft.
Hier sagt Idu den Rumänen Bescheid, dass wir gleich kommen.
Ich frage mich, wie er den aktuellen Fall einordnet.
Das ist so einer der krasseren Art und das nimmt sehr viel Arbeit ein.
Und oft auch nicht erfolgreich, ne, aufgrund der Umstände.
Wie es so schön heißt: die Ärmsten haben es am schwersten.
Die Rumänen, die Idu betreut, wurden vor drei Tagen gefeuert.
Sie sind aber noch hier, weil sie auf Geld warten, das ihnen eigentlich zusteht.
Wir fahren zu ihrer Unterkunft im Norden von Hannover.
Als erstes geben uns die Jungs eine kleine Tour.
Sie wohnen in so einem Zimmer, zwei Personen
Das ist das Zimmer von Gabriel, hier rechts, und Florentin, links.
Bisschen eng, aber aus meiner Recherche weiß ich, dass es da manchmal ganz andere Zustände gibt.
Der dahinter heißt Mihai und der in der roten Jacke Valentin.
Sie sind zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, und ungefähr seit drei Wochen hier.
Teilen sich ein Bad, eine Waschmaschine und diese Küche.
For how many people is, are you sharing?
I think now is 30 people.
30?
Yes. That's a small kitchen for 30 people.
Yes, I know.
Auf dem Balkon erzählen sie mir, was sie vorher gemacht haben.
So gut es geht verständigen wir uns auf deutsch, rumänisch, englisch und spanisch.
Er hat in der Fleischbranche gearbeitet.
In Deutschland?
Ja, bei Müller.
Und im Stall, im Bereich Landwirtschaft.
Und die haben dann in der Kurierfahrerbranche auch das Geld nicht gänzlich bekommen.
Also das ist seine Erfahrung, im Auftrag von GLS.
Ich möchte wissen, worin ihre Arbeit auf der Baustelle bestand:
Die verlegen Kabel.
Glasfaser?
Glasfaser, genau.
Für Internet?
Ja.
Ausgemacht war, dass sie hierher kommen und acht Stunden am Tag arbeiten,
aber die Situation sah hier vor Ort ganz anders aus.
Sie mussten zehn Stunden, dreizehn Stunden arbeiten.
Als Beleg dafür zeigen sie mir später ihre Stundenzettel.
Was gab es für Dokumente, oder welche Absprachen gab es?
Alle Verträge sind falsch.
Sie erzählen, dass unter ihren Namen schon eine fremde Unterschrift war,
als sie die Verträge geschickt bekommen haben.
Es ist zwar zulässig, einen Arbeitsvertrag mündlich zu schließen.
Unterschriften zu fälschen aber nicht.
Sie fühlen sich beschissen, betrogen.
Weil sie auch nicht mal die Verträge selber unterschrieben haben.
Und nicht nur das.
Ich habe mir zwei der Verträge näher angeschaut und einen Stundenlohn von 2,88 Euro errechnet.
Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland liegt bei 9,35 Euro.
Und wer in Deutschland arbeitet, muss diesen Mindestlohn bekommen.
Egal, wo die Vertragspartner gemeldet sind.
Arbeitgebern, die weniger zahlen, drohen Geldbußen von bis zu einer halben Million Euro.
Die Jungs sind überhaupt erst nach Deutschland gekommen,
weil sie dachten, dass sie hier mehr Geld kriegen.
Und oben drauf kam noch ein Arbeitsunfall.
Florentin hat sich auf den Finger geschlagen.
Also Klartext, sie sagen, sie wurden gefeuert, weil sie mit Florentin ins Krankenhaus gefahren sind.
Jetzt hängen sie hier fest.
Ohne Geld, und ohne Plan, wo es als nächstes hingeht.
Ganz schön scheiße.
Was heißt scheiße, scheiße auf rumänisch?
Na draku.
Wenn ich mir das alles so anhöre, dann ist mein Eindruck,
dass da nicht nur etwas schief gelaufen ist.
Was hier geschieht, ist Ausbeutung.
Diese Jungs werden ausgebeutet.
Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss.
Also wir sind jetzt gerade von der Unterkunft hier ein bisschen raus aus Hannover gefahren,
paar Kilometer auf der Autobahn, zu der Baustelle, wo die die letzten Tage gearbeitet haben
und Glasfaserkabel verlegt haben.
Das Dorf heißt Fuhrberg und gehört zur Gemeinde Burgwedel in Niedersachsen.
Den Auftrag, die Gemeinde mit Glasfaser zu versorgen, hat das Unternehmen Deutsche Glasfaser.
Das baut aber nicht selbst, sondern hat einen Generalunternehmer eingesetzt,
die spanische Firma „Verne“.
Die Verträge mit den Rumänen schließt wiederum ein Subunternehmen
mit dem Namen "Another Great Energy".
Klingt alles kompliziert, ist es auch.
Und typisch für diese Branche.
Ein Mitarbeiter des Subunternehmens ist gerade vor Ort.
Paul Idu konfrontiert ihn mit den Aussagen der Bauarbeiter.
Was genau seine Position in der Firma ist, sagt er uns nicht.
Stattdessen ruft er seinen Chef an.
Dass wir mit der Kamera hier sind, baut offensichtlich Druck auf.
Die Jungs wollen mir zeigen, was sie genau gemacht haben.
Etwa 120 Meter Glasfaserkabel hätten sie pro Tag geschafft.
Sie sagen, man brauche dafür keine besonderen Qualifikationen.
Aber man sollte wissen, wo und wie die Stromkabel verlaufen.
Also sie sagen, da sind halt Stromkabel unter der Erde und wenn sie hier buddeln mit den Schaufeln,
wissen sie vorher nicht, dass das Stromkabel sind.
Es sagt ihnen keiner.
Ich habe versucht, herauszufinden, ob das wirklich ein Stromkabel war
und ob das Subunternehmen ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat.
Leider konnte ich das nicht endgültig klären.
Also dieser Hammer, der da liegt,
das war der Hammer, mit dem sich der eine den Finger verletzt verletzt hat.
Letztendlich, sagen sie, sind sie froh, nicht mehr hier arbeiten zu müssen.
Die ganzen Punkte vom Baustellenbesuch habe ich in einer Liste zusammengefasst.
Für einige habe ich Belege, für andere nicht.
Ich habe die beteiligten Firmen um Stellungnahme gebeten.
Nach Ablaufen der Frist bespreche ich mich mit meiner Kollegin Lea.
Ich habe von Another Great Energy noch keine Antwort, von Verne auch keine Antwort.
Deutsche Glasfaser hat mir aber geschrieben.
Und sie schreiben:
„Wie in unserem Vertrag geschuldet, hat uns das Unternehmen Verne in diesem konrekten Fall versichert,
alle arbeitsrechtlichen und sicherheitstechnischen Vorgaben einzuhalten.
Was das Kabel in der Erde betrifft, schreiben sie: Verne habe bestätigt, dass alle Bauarbeiter
zu Beginn der Baumaßnahmen Sicherheitsschulungen erhalten hätten.
Zu den Verträgen der Rumänen und der Einhaltung des Mindestlohns äußert sich Deutsche Glasfaser nicht.
Verne und Another Great Energy, die vor Ort verantwortlich sind,
beantworten keine meiner Fragen.
Mich frustriert das.
Falls ihr es euch fragt: Die Gemeinde selbst ist weder Bauherr noch Auftraggeber dieser Baustelle.
Der Zoll geht der Sache inzwischen nach, kann mir aber keine weiteren Auskünfte geben,
solange das Verfahren läuft.
Paul Idu hat sich angewöhnt, immer alle Firmen in der Auftragskette zu kontaktieren.
Es sei schon öfter vorgekommen, dass das Subunternehmen plötzlich nicht mehr existiert.
Er konzentriert sich auf den Generalunternehmer aus Spanien.
Es sieht so aus, dass die gemeinsam alle im gleichen Boot stecken.
Ich nehme stark an, dass die auch wissen, was unten läuft, bei dem Auftragnehmer.
Kurz nachdem wir auf der Baustelle waren, wurden die Jungs vom Subunternehmen angerufen.
Sie sollen nochmal durchrechnen, wie viel Geld ihnen jeweils fehlt – ca. 500 Euro pro Person.
Es käme dann jemand vorbei, um Ihnen die Summe in cash zu geben.
Die Frage ist: Wohin dann?
Direkt nach Spanien.
Wir machen hier zwar Witze, aber für die vier ist die Situation alles andere als lustig.
Sie kommen nicht zur Ruhe, haben den ganzen Tag nichts gegessen.
Eigentlich wollen sie nicht mehr hier sein.
Woanders hin können sie aber auch nicht, bevor ihnen jemand ihr Geld bringt.
Sie waren sich nicht so sicher.
Also einige haben jetzt auch gesagt, dass sie nicht glauben, dass das heute passiert.
Dann habe ich gefragt, wie lange sie denn warten würden.
Dann meinten sie, ja, eigentlich, bis das Geld da ist.
Die Sache ist auch, dass die jetzt gar nicht wissen, wo sie hinsollen.
Also wenn sie das Geld heute kriegen würden, dann würden sie sich ein Hotel suchen,
um mal zwei Tage zu schauen, was jetzt eigentlich weiter passieren soll.
Joa. Ich hab jetzt Kontakt ausgetauscht mit zweien von ihnen,
und werd das ein bisschen weiter verfolgen in den nächsten Tagen, was mit denen passiert.
Der Vorfall in Friedrichshafen und der in Hannover sind keine Einzelfälle.
Soviel habe ich schon gelernt.
Ich bin noch mit einem weiteren Bauarbeiter zum Skypen verabredet.
Hallo, hi Bogdan.
Den Kontakt hat mir das Projekt „Arbeitnehmer-freizügigkeit fair gestalten“ vermittelt,
das gehört auch zu Arbeit und Leben.
Auch Bogdan kommt aus Rumänien, als wir sprechen, sitzt er dort in Quarantäne in einem Hotel.
Er erzählt, ihm sei etwas ähnliches passiert, wie den Jungs in Hannover.
Ich hab gearbeitet seit Januar, bis Ende März.
Und die Chef hat mich nicht bezahlt.
Er hat immer jeden Monat gesagt, vielleicht nächste Woche krieg ich die Geld von Baustelle,
dann zahl ich dir Lohn und so und so.
Und wie viel Geld müsstest du noch bekommen?
So circa fünf, sechstausend muss ich noch kriegen.
Er erzählt mir, dass er zwar einen Vertrag hatte,
aber im Gegensatz zu den Jungs in Hannover nicht angemeldet war.
Ihm seien 12 Euro pro Stunde versprochen worden.
Mit dem Geld, das er bislang nach eigener Aussage bekommen hat,
würde er bei einem Stundenlohn von 2,16 Euro landen.
Ich frag mich, ob er nicht in Rumänien mehr verdient hätte.
In Rumänien ein guter Lohn ist fünf bis siebenhundert maximal.
Und in Deutschland, wie viel kann man da machen?
Wenn Profi bist und arbeitest gut, kannst du bis 3000 verdienen.
Ja.
Er habe ein Diplom in Metallverarbeitung, sagt er.
In Deutschland habe er Wohnungen ausgebaut.
In Dortmund, Köln, Stuttgart, Erfurt.
Auch samstags.
Zeit zum Erholen? Fehlanzeige.
Um sechs Uhr gehst du zum Arbeit, zur Baustelle.
Und kommst du zurück 20, 21, oder 22 Uhr.
Dann musst du deine Klamotten waschen, musst du kochen zum essen,
musst du mit Familie sprechen, mit Freunden sprechen.
Und musst du auch schlafen.
Trotzdem will Bogdan wiederkommen.
Ich hoffe für ihn, dass sein nächster Job entspannter wird.