Ich treffen ihn, um die Gewalt
gegenüber der AFD einzuordnen. 2019 ist die Gewalt laut Verfassungsschutzbericht um 40%
gestiegen. Hört sich krass an. Die häufigste Tatwaffe war aber 2019 der Edding.
Kannst du mir das mal erklären? Das muss man differenziert betrachten, weil
diese 40% sich ja wirklich krass anhören, auch wenn du ein Verhältnis zu rechtsextremen
Straftaten die linksextremen noch relativ unterbewertet sind. Das hat damit zu tun:
Der Verfassungsschutz holt sich die Zahlen vom BKA, der sammelt die nicht selber. Das
BKA ermittelt mit einem Anfangsverdacht. Wenn etwas nach linkextremer Straftat aussieht, dann
ist es in der Statistik eine. Der Knackpunkt ist, dass Wahlplakate mittlerweile erfasst werden.
Seit dem 01.01.2019 werden Wahlplakate, das Angriffsziel Wahlplakate separat in der
Statistik erfasst, vom Verfassungsschutz. Und wenn man schaut, 2019 waren vier große Wahlen:
eine bundesweite, die Europawahl und drei extrem spannungsgeladene Wahlen im Osten.
Es hingen also im ganzen Bundesgebiet Wahlplakate und dann noch mal dreimal in Bundesländern,
die eine extreme AfD-Präsenz haben.
Das heißt, lass mich das verstehen: Jedes Mal wenn jemand hingeht und einen Pimmel oder
was weiß ich nicht was, oder einen Schnurrbart auf ein AfD, hat man ja schon mal gesehen,
auf so ein AfD-Plakat macht, dann gilt das als Straftat. Oder als Anfangsverdacht.
Es ist eine Straftat und eine Sachbeschädigung. Okay, das heißt, das geht dann… so kommen
diese 40% zustande. Der Anfangsverdacht ist quasi, okay wenn es
ein Plakat von einer rechten Partei ist, der AfD in diesem Fall, dann wird es als linksextremistische
Straftat gewertet. Wenn das auf einem Plakat von der Linken wäre, oder es wird geklaut
oder so, dann wird es als rechtsextremistische Straftat gewertet. Da muss man übrigens auch mit dem Gerücht
aufräumen, dass Linke gerne Hakenkreuze schmieren würden um da auf rechtsextremer
Seite die Straftaten hochzuballern in der Statistik. Wenn es auf einem AfD Plakat ein
Hakenkreuz ist, dann wird es als linksextremistische Straftat gewertet.
Die AfD stellt sich ja auch immer als Opfer dar. Ein ganz typisches Narrativ von denen.
Ja, man muss aber auch sagen, es gibt diese Fälle. Das Büro ist attackiert werden, dass
Autos oder Besitztümer generell angegriffen werden, das passiert. Das Personen selber
zu Schaden kommen, wie bei Frank Magnitz, der niedergeschlagen wurde, wo man bis heute
nicht weiß wer es war, oder ob es überhaupt einen linksextremen Hintergrund hat, das passiert
im Vergleich doch relativ selten. Es sollte gar nicht passieren, aber dass es einen kalkulierten
Mord gab, so wie der an Walter Lübcke, der über Jahre präzise geplant wurde, das hast
du zum Glück gegen die AfD noch nicht gehabt. Das sollte in einer Demokratie auch nicht
vorkommen, logischerweise, das muss man nicht sagen.
Walter Lübcke war ein hessicher Politiker.
Der Rechtsextremist Stephan E. hat den Mord an ihm gestanden.
Er war Wahlkampfhelfer bei der AfD.
Warum findest du es so wichtig, dass man die Gewalttaten nach ihrer Qualität einordnet?
Ja, weil ein kalkulierter Mord, der wirklich minutiös geplant wurde gegen jemanden, der
sich für eine humane Behandlung von Geflüchteten einsetzt, dass der um Welten höher
einzuordnen ist als wenn jemandem das Auto demoliert wird. Das ist, glaube ich, selbstverständlich.
Und auch wenn es gegen Kleinigkeiten geht, wie Wahlstände oder Wahlplakate. Ich glaube,
dass muss man keinem erklären, warum da ein Menschenleben wertvoller ist.
Oder halt auch die Gesundheit eines Menschens.
Jetzt will ich mit einem AfDler sprechen, der selbst schon Erfahrungen mit Gewalt gemacht hat.
Vadim Derksen hat mich eingeladen. Derksen ist Lan-deschef der Berliner JA, der Jugendorganisation der AfD
Er wurde im Februar 2019 von einer Gruppe Vermummter angegriffen. Im Büro der Berliner
AfD will er mit Kollegen heute ein Video für ihren YouTube Kanal drehen.
Wie lange wollen wir uns unterhalten? Eine Stunde, zwei?
20 Minuten ungefähr. 20 Minuten und die Hälfte schneiden wir raus.
Jedes Mal wenn du dich verplappert oder den Sturm auf den Reichtstag befiehlst, oder irgendwie
sowas, das geht dann halt nicht. Ich habe auf Twitter zu einer Spendenaktion
aufgerufen. Der Reichtstag wurde gestürmt, das heißt also das Gebäude muss ja komplett
kaputt und zerschossen sein. Ja, genau.
Wir sollten Spenden sammeln. Wir brauchen einen neuen Marshall-Plan, im Grunde.
Das hast du jetzt gesagt.
Das geht ja gut los. Das Prinzip der AfD: Provoziere, wo es nur geht. Das mit dem Marshall-Plan
war übrigens Derksens JA-Kollege Ferdinand Vogel. Daneben: ein AFD-Politiker aus Leipzig,
der für das Youtube-Video interviewt wird. Sag mal, meine Plauze, die hängt raus, oder?
Es geht? Poah. Kann ja nicht mehr atmen. Hat jemand Spanngurte?
Schwerlasttransport? So, jetzt aber Ruhe. So, liebe Freunde, und willkommen zu (…) Endlich mal wieder
Es folgt: 15 Minuten typisches Stammtisch-Gespräch.
Und dann wurde ich mal tatsächlich zu einer Hausparty eingeladen. Mir wurde gesagt, 19
Uhr. Ich habe es nicht geschafft, Arbeitstag, blabla. Es ist 20 Uhr, ich kriege Panik, rufe
da an: Tut mir leid, ich komme zu spät, ich komme um 20 Uhr. Komme an, war der Erste.
Die Hälfte des Bildes wurde von deinem Bauch eingenommen. Guck dir das mal an.
Guck dir diese Männertitten an.
Derksen ist Anfang 30, Russlanddeutscher und Landesvorsitzender der JA Berlin.
Der Verfassungsschutz prüft gerade, ob die JA überwacht werden muss.
Erkennen Sie Muster in der Gewalt gegen Rechts? Ja … Also man geht auf jeden Fall, also…
Es ist immer diese feige, vermummte, verdeckte Art. Man geht nicht offen gegen uns vor, sondern
es sind immer mehrere gegen Einzelpersonen. Man will noch nicht töten, aber definitiv einem so viel
Angst und Schrecken einjagen, dass er eigentlich keinen Bock mehr hat, etwas zu machen für die AfD.
Wie kommen Sie zu so einer Aussage, dass sie sagen: „Man will noch nicht töten“?
Ja gut, bei Magnitz war das ja schon knapp dran. Das hätte auch nach hinten losgehen können.
Aber das ist ein Einzelfall. Naja, aber zumindest zeigt das Potenzial ist da,
gewisse Angriffe zu fahren und einen ins Koma zu schlagen. Also das ist möglich.
Frank Magnitz ist ein Bremer Politiker, der 2019 von Vermummten angegriffen wurde.
Fest steht, er wurde schwer verletzt. Er lag aber weder im Koma, noch gibt es Ermittlungen wegen Mordes.
Hier, in der Nähe vom Alexanderplatz, wurde Derksen überfallen.
Der Berlinale Chef hatte AfD-Mitglieder aufgefordert, sich einen Dokumentarfilm
über das Warschauer Ghetto anzusehen. Man muss sich vorstellen, das war um 10 Uhr abends. 22 Uhr
Dunkel, es waren keine Autos da, oder kaum. Kaum Leute unterwegs. Die einzigen Leute,
die wir gesehen haben, waren ganz weit vorne, da bei der U-Bahn-Station am Eingang,
sind dann welche rausgekommen. Ab dem Zeitpunkt, wo ich hier bin, höre ich auf einmal, da
kommt was angerannt von dort. Also ich habe es schon nicht mehr gesehen. Ich habe nur
noch so ein Schubser oder einen Schlag gekriegt, die anderen auch. Ich habe mich hier weggedreht,
ich habe gesehen wie der dann – genau, dieses Glas, dieses Gerüst stand hier – der hat
dann das Glas zerstört. Und dann haben sie gleich eingedrescht und dann bin ich zurück,
zurückgelaufen bis auf die Straße, bin laut geworden: „Ey Leute, passt auf, wir werden hier angegriffen",
und hab mich auch versucht dann schon zu wehren. Dann haben sie gemerkt,
dass wir uns jetzt schon wehren und gleich umgedreht und sind einfach da abgehauen und
haben sich schon gleich getrennt.
Das Glas von dem er spricht war ein abgebrochenes Weinglas. Die Polizei nimmt am Abend die Anzeige auf.
Zeugen werden befragt. Derksen und sein Team, die machen gleich mehrere Videos.
Wir sind gerade vor zwei Minuten von der Antifa angefallen oder überfallen worden. Das waren,
ich glaube, fünf oder sechs Leute – mindestens, ja – vermummt, mit Batterien in den Händen,
mit Glasflaschen. Dahinten ist das Kino, wo wir jetzt hingehen wollen. Wir sehen hier einen Blutenden.
Unser Fabian, der hat es richtig abgekriegt mit der Flasche.
Wir sind da vorne die Straße runtergelaufen und dann kam da von der Seite so eine Gruppe von maskierten
Leuten (…)
Wir schauen uns die zwei Videos des Abends im Bundestag an. Hier arbeitet Derksen als Mitarbeiter
im Büro eines AFD-Abgeordneten. Erster Eindruck: Sie kriegen da einen auf die Mappe -
das erste was sie machen ist, sie nutzen das für politische Statements.
Hätte ich da einen auf die Mappe bekommen, ich glaube das wäre ein anderes Video geworden.
Nee, das ist zwei Stunden danach, ca. Das hat lange gedauert. Also ich habe sofort das
Handy gezückt, in der Hoffnung, dass ich die noch filme, und die waren aber schon weg.
Und dann habe ich kurz draufgesprochen. Das war ganz am Anfang, diese Sequenz.
Man kriegt ja nicht grundlos einen auf die Mappe. Können Sie sich vorstellen, was der
Auslöser war für einen solchen Angriff? Also bei uns ist es tatsächlich grundlos,
zumindest haben wir persönlich dazu keinen Anlass gegeben. Es ist hier nur deswegen,
weil wir JA- beziehungsweise AfD-Anhänger sind, passiert. Nur deswegen. Das ist der Anlass.
Die Gewalt gegen ihn, ich will die auf gar keinen Fall legitimieren.
Doch von ihm gibt es dieses Foto: Derksen auf einer Demo in 2016, Seite an Seite
mit der Identitären Bewegung, die schon damals vom Verfassungsschutz beobachtet.
Heute ist die IB als gesichert rechtsextrem eingestuft. Kontakt habe er heute nicht mehr.
Nützt Ihnen ein solcher Angriff mehr, als dass er Ihnen schadet?
Das weiß ich nicht. Es gab, sage ich mal, Publicity. Es wurde darüber berichtet.
Zwei Probleme, die ich dabei sehe: Wenn darüber berichtet wird, wird zum einen nicht über
unsere Inhalte berichtet, sondern über einen gewissen Vorfall. Das heißt, die Leute setzen
sich nicht primär mit unseren Inhalten auseinander, sondern haben nur gelesen, die AfD wird da angegriffen.
Können sich vielleicht über das fehlende Demokratieverständnis aufregen,aber das wars.
Und zweitens, das hat tatsächlich eine potenziell abschreckende Wirkung auf Leute, die mitwirken wollen.
Zur Tatzeit hat Derksen zwei Kinder. Ist verheiratet und arbeitet im AfD-Büro von Stephan Protschka.
Ich kann mir vorstellen, dass so ein feiger Angriff einen Menschen verändert.
Ist schon so, dass ich mich beobachtet gefühlt habe danach, obwohl es vielleicht auch nicht Fall war.
Immer darauf geachtet: Wer geht jetzt hinter mir? Sind das jetzt Schritte,
die mich verfolgen? Wenn einer auf einmal aufschreit, weil die sind da auch schreiend
da rausgelaufen, mehr oder weniger: Was ist da jetzt wieder? Kommt da wieder ein Angriff?
Es gab sowas. Das ist jetzt schon wieder abgeflaut, das Ganze.
Derksen sagt, er verstehe, wenn Menschen mit den Positionen der AfD nicht klarkommen.
Aber er verstehe nicht, warum Gesprächsangebote so häufig abgelehnt werden.
Die wollen gar keinen Dialog mit dir, du bist der Feind. Sie wollen dich fertig sehen.
Der AFD sollte man ausschließlich mit Argumenten be-gegnen, meine Meinung. Ich habe für mich entschieden
ich kann einem ADFler die Tür aufhalten, weil ich das für höflich halte.
Und ja, ich finde die Ansichten der AfD auch unmöglich, aber sie sind nun mal demokratisch gewählt.
Zurück zu Derksen: Wie viele andere aus der JA hat er einen Migrationshintergrund.
Seine Familie floh aus Glaubensgründen aus Sibirien. Geflüchtete in der AfD? Für mich ergibt das keinen Sinn
und ist irgendwie völlig paradox.
Derksen, der wirkt auf mich total differenziert, das hat mich überrascht.
Das komplette Gegenteil zu Frau von Storch, die probiere ich ja immer noch zu treffen und schreibe
mit dem Pressesprecher hin und her. Der gibt mir einen neuen Termin, dann sagt er wieder ab.
Ich habe das Gefühl, das ist alles nicht so das Richtige für ihn. Es ist ihm ja wichtig,
dass der Termin ein Erregungspotenzial hat, und ich glaube das haben die Termine nicht, die anstehen.
Bisschen komisch, vielleicht hat Frau von Storch auch einfach keine Lust.
Wie dem auch sei, ich habe mich jetzt anders verabredet, und zwar mit einem jungen AfDler.
Der will mich mitnehmen auf eine Wahlkampfveran-staltung und zeigen wie dieser Spießrutenlauf aussieht.
Euskirchen, NRW.
Der Mann, der den Anti AFD Aufkleber abfummelt, ist Felix Alexander Cassel.
Guck mal, haben sie schön gemacht. Oh, mit Glitter! Den hätte ich gerne.
23, Jurastudent aus Bonn und wie Derksen Mitglied in der JA
Seid ihr da durchgekommen? Ja, war ganz friedlich.Da kam gerade eine ältere Dame, die war bestimmt
58, 60, vielleicht 62, 63, und *zeigt Mittelfinger*. Boah, haben Sie einen Anstand.
Da waren ein paar Studenten auch, die habenmich erkannt. Haben dann gerufen: Ey, Cassel.