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YouTube | Y-Kollektiv - kurze Videodokumentationen und Reportagen, Nahverkehr umsonst: Wie weit gehen Aktivist:innen für kostenlose Bahntickets?

Nahverkehr umsonst: Wie weit gehen Aktivist:innen für kostenlose Bahntickets?

Könntet ihr euch vorstellen, so Bahn zu fahren?

Jörg und Manuel machen das seit Jahren so

und glauben, dass das Schild sie davor bewahrt, sich strafbar zu machen.

In Deutschland ist Erschleichen von Leistungen verboten

und ich sage, ich erschleiche mir keine Leistung, wenn ich es ganz offen hinschreibe.

Die zwei machen das, weil sie finden: Bus- und Bahnfahren sollte kostenlos sein!

Für alle.

Und dafür kämpfen sie.

Wir haben halt nur diesen einen Planeten.

Ich versteh quasi nicht, wie Leute die Einstellung haben können, dass es das nicht wert ist,

sich mit seiner Zeit und Arbeit dafür einzusetzen.

Klingt richtig. Aber geht das alles wirklich so enfach?

Und reicht es, sich so ein Schild umzuhängen, bis es so weit ist?

Dieser Film beginnt im Februar 2020 in München – vor Corona.

Ich bin mit Manuel Erhardt, der mit den braunen Haaren, und Jörg Bergstedt unterwegs.

Die beiden sind Umweltaktivisten und kämpfen für den Nulltarif

also dafür, dass alle Menschen kostenlos Bus und Bahn fahren können.

Ich begleite die beiden heute bei einer Protestaktion in der U-Bahn.

Die hier gleich?

Nee, wir müssen Richtung Hauptbahnhof.

Ja, ist er doch.

Nee, aber das ist...

Hauptbahnhof, steht ja dran. Achso, ja genau.

Ich blicke hier nicht durch.

Die beiden kaufen sich schon seit Jahren keine Tickets mehr

und hängen sich dafür diese Schilder um.

Damit machen sich – so ihre Logik – nicht strafbar,

weil sie sich keine Leistung erschleichen, sondern offen ankündigen,

dass sie keine Tickets haben.

Sie wollen auffallen – und das klappt:

Entschuldigung, aber das Schild hilft euch nicht

von den 60 Euro weg, oder?

Das stimmt.

Die müsst ihr trotzdem zahlen? Aber nur wenn du Geld hast.

Wenn du unter den Pfändungsgrenzen liegst, die liegen im Moment bei 1200 Euro im Monat,

musst du das auch nicht zahlen.

Echt jetzt?

Steht hier auch alles nochmal drauf.

Jörg ist 56 und seit den 80er-Jahren Umweltaktivist

Und: Er hat keine Scheu, seine Gesprächspartner in Grund und Boden zu argumentieren.

Fängt gut an.

Wir machen hier eine Aktion für den Nulltarif, dass man keine Fahrkarten mehr kaufen muss,

und der ganze öffentliche Personennahverkehr besser ausgebaut wird,

damit Autos aus der Stadt herauskommen und alle fahren können,

weil es gibt ne Menge Leute, die können sich Fahrkarten nicht leisten.

Interessiert es sonst irgendjemanden?

Nulltarif-Idee oder so?

Es kriegen alle Hartz IV.

Ja, genau und zwar 30 Euro pro für… Ja, ja, trotzdem.

Ja, das ist immer ein bisschen schwierig, man schleudert ein Argument raus

und dann möchte man… Lassen Sie mich in Ruhe. Aber Sie haben doch angefangen!

Nein, nein, es geht uns gar nicht um uns, sondern wir wollen insgesamt,

dass die Autos mehr rauskommen aus München und mehr Platz ist für Fahrräder und für ÖPNV…

Das ist äußerst lustig.

Wir kämpfen jetzt immerhin dafür und sie beschimpfen die Leute…

Das ist aber illusorisch, das ist illusorisch, das ist einfach nur, das ist...

Das ist nur ein verlorener Kampf.

Vielleicht weil es so viele Leute gibt wie Sie, die gleich sagen, das geht eh nicht,

also Sie wollen mit mir nicht reden glaube ich, weil Sie sich einreden wollen,

dass es sowieso nichts bringt, damit Sie nicht mitkämpfen müssen, für einen besseren ÖPNV.

Ich finde es unterhaltsam, den beiden zuzugucken – kann die Fahrgäste irgendwo aber auch verstehen.

Ich finde es meistens auch nervig, in der Bahn von Leuten angequatscht zu werden

auch wenn es für eine gute Sache ist.

Und ich würde dafür gern auch mal Infomaterial mitgeben, wenn es Leute interessiert…

Manuel erlebe ich etwas zurückhaltender, er will sich niemandem aufdrängen,

hat er mir vorher gesagt.

Er wird lieber auf sein Schild angesprochen und erklärt dann sein Anliegen.

Mein Ziel ist der Nulltarif, also der kostenlose öffentliche Nahverkehr für alle Menschen.

Das finde ich einerseits wichtig aus Anti-Diskriminierung,

damit auch Leute, die weniger oder kein Geld zur Verfügung haben, soziale Teilhabe garantiert ist.

Andererseits aus Umwelt-Gründen: Wir müssen eine Alternative schaffen zum Autoverkehr,

der wirtschaftlich vorteilhaft ist und wo Leute einfach in die Innenstadt kommen

ohne auf ihr Privatauto angewiesen zu sein.

Manuel ist 21 und Service-Kraft in der Gastro.

Er fährt nur noch mit diesem Schild Bus und Bahn – und das seit drei Jahren.

Vielleicht denkt ihr jetzt, das ist naiv, aber in einigen Fällen wurden Nulltarif-Aktivisten,

die mit Schild und ohne Ticket fahren, auch schon freigesprochen.

Die meisten Münchner scheinen heute nicht besonders offen für sein Thema.

Ich habe das Gefühl, viele sehen nur das Schild und finden es unfair,

dass sie für Tickets zahlen sollen und er nicht.

Könntest du dir das leisten, theoretisch?

Ja, ich glaube, ich könnte es mir finanziell leisten.

Ich arbeite im Saisonbereich, also ich arbeite mehrere Monate am Stück in einem Betrieb,

dann wechsle ich hin und wieder und lebe jetzt halt von dem Geld.

Ich könnte es zwar auf jeden Fall einrichten, dass ich mir das Ticket leisten könnte,

aber mir geht es mit dieser Forderung auch nicht darum, dass ich so entspannt

mir einen schönen Abend mache und denk mir so: "Scheiß drauf, fahr ich halt kostenlos,

ist ja schön für mich".

Sondern mir geht es tatsächlich um das Ziel, dass es für alle Leute zugänglich ist.

Ich finde es beeindruckend, wie engagiert Manuel ist.

Aber das Ganze wirkt auf mich auch ziemlich anstrengend.

Die meisten Kontrolleure beeindruckt das Schild wenig.

Gerade läuft sogar ein Strafverfahren gegen ihn. Denn wer ohne Ticket fährt,

kann sich wegen Erschleichen von Leistungen strafbar machen.

Manuel ist deswegen in 16 Fällen angeklagt.

Er hofft auf einen Freispruch.

Im schlimmsten Fall kann es dafür aber auch eine Freiheitsstrafe geben.

Juristisch klären wir es gerade.

Ich bin fester Überzeugung, dass das die Form der Straffreiheit darstellt.

Mal schauen, was da jetzt rauskommt.

Ich finde gut, wofür die beiden kämpfen – ich meine, wer nicht?

Aber ins Gefängnis würde ich dafür nicht gehen wollen.

Aber ist das, was die beiden da fordern, überhaupt realistisch?

Der Bund deutscher Verkehrsbetriebe sagt: Nein.

Bus- und Bahnfahren bundesweit kostenlos zu machen, würde 13 Milliarden Euro jährlich kosten.

Manuel und Jörg finden, das Argument zählt nicht.

Das Geld sei schon da, man müsse es nur anders verteilen.

Außerdem gibt es schon Städte, die den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbieten.

Zum Beispiel Monheim am Rhein.

Die Stadt liegt zwischen Köln und Düsseldorf und hat rund 43.000 Einwohner

und einen innovativen Bürgermeister.

Daniel Zimmermann gehört zur Lokalpartei Peto

und hat die Verkehrspolitik der Stadt ganz schön umgekrempelt.

Seit Mitte Februar fahren hier diese selbstfahrenden E-Busse durch die Stadt.

Drinnen befindet sich aber noch ein Schaffner, der notfalls eingreifen kann.

Und: Seit dem 1. April ist das Busfahren in diesen, aber auch in normalen Bussen für alle Monheimer kostenlos.

Ich treffe Daniel Zimmermann am Busbahnof.

Ich würde Ihnen gern die Hand geben, aber Corona… Ellbogen, alles klar.

Daniel Zimmermann ist 37 und seit zehn Jahren Bürgermeister in Monheim.

Für einige Jahre war er der jüngste Bürgermeister in NRW.

Mittlerweile wurde er aber abgelöst.

Wir haben uns zum Busfahren verabredet.

Dürfen wir schon vorne einsteigen, wieder? Nein, vorne nicht, nur hinten.

Ok, dann machen wir das so. Ich dachte, Sie wollten was fragen.

Nein, nein, dann halten wir uns an die Regeln. Ok, kein Problem.

Der Kameramann kommt mit, ne? Wir filmen ein Interview mit dem…

Kein Problem! Super.

Die meisten Monheimer fahren mehr als die Hälfte ihrer Wege mit dem Auto.

Der Bus wurde bislang eher selten genutzt.

Durch das kostenlose Busticket soll sich das jetzt ändern.

Wie gut das angenommen wird, kann Daniel Zimmermann wegen Corona noch nicht sicher sagen.

Ich will wissen, warum er sich überhaupt dafür eingesetzt hat.

Es geht einfach darum, dass wir die Leute wirklich in den öffentlichen Nahverkehr reinbringen,

dass wir alle Hindernisse beseitigen, die die Leute möglicherweise davon abhalten,

Bus und Bahn zu nutzen.

Das sind mit Sicherheit die Kosten. Es ist ein Einstieg, zumindest schonmal

innerhalb der Stadt kostenlos zu fahren und nur noch weitere Strecken aufzahlen zu müssen.

Wir haben auch an den Wochenenden und in den Abendstunden die Linien erheblich erweitert.

Und versuchen jetzt den ÖPNV so attraktiv zu machen, dass er wirklich eine Alternative zum Auto darstellt.

Viele Städte würden sich das bestimmt wünschen, aber oft höre ich dann: Zu unrealistisch, zu teuer.

Wieso schafft Monheim das denn, was viele Städte sich wünschen?

Also unrealistisch und teuer finde ich es eigentlich gar nicht.

Also ÖPNV finanziert sich ja nicht durch die Ticketeinnahmen

sondern in erster Linie, zum größeren Teil sogar, durch öffentliche Subventionen.

Und die haben wir ja jetzt noch ein Stückweit gesteigert.

Ich glaube auch, dass andere Städte das können.

Zumindest sind die Beträge die für Straßenverkehr ausgegeben werden

– für Parkplätze, für Dinge, die Autofahrern zugutekommen –

in den meisten Haushalten deutlich höher, als das, was für den ÖPNV fließt.

Um das Busfahren für Einwohner kostenlos anbieten zu können,

hat Daniel Zimmermann die städtischen Mittel erhöht.

Die Verkehrsunternehmen verlieren dadurch aber kein Geld,

da die Stadt für ihre Einwohner die Tickets kauft – rund 70 Euro sind das monatlich.

Die Stadt hat aber auch Geld:

Durch das Senken der Gewerbesteuer gilt Monheim im Umkreis als „Steueroase“

und erzielt jährlich Millionenüberschüsse.

Was glauben Sie, müsste passieren, damit andere Städte das auch schaffen?

Also, warum hört man denn so oft: "Das ist unrealistisch, das geht nicht"?

Ist es da fehlender Wille, also glauben Sie, wenn man das wirklich will, könnte man das schaffen?

Oder woran, glauben Sie, liegt das? Das glaube ich schon.

Klar gibt es natürlich auch Städte, wenn wir jetzt an Großstädte denken,

wo U-Bahnen, Straßenbahnen fahren, wo das ganze System deutlich teurer ist als bei uns,

wo wir letztendlich nur Busverkehr haben.

Aber am Ende hängt es von den Prioritäten ab und der Frage, ob man das weiter befördern will,

dass Menschen mit Autos sich fortbewegen, oder ob man die Alternativen so attraktiv macht,

dass sie tatsächlich dann auch Menschen anziehen.

Daniel Zimmermann glaubt schon, dass ein bundesweiter kostenloser

öffentlicher Nahverkehr möglich wäre, wenn der Wille da wäre.

Dann dürften die Städte aber nicht auf den Kosten sitzen bleiben, so wie jetzt,

sondern bräuchten mehr Geld vom Bund.

Das Bundesverkehrsministerium sagt dazu, es könne nur einzelne Projekte fördern.

Zum Beispiel das „Sofortprogramm Saubere Luft“,

das gerade in fünf Städten läuft und mit 131 Millionen Euro gefördert wird.

Für Daniel Zimmermann ist das ein Anfang, aber nicht ausreichend.

Am Ende geht es eben um die Prioritäten:

Will man das? Will man den ÖPNV so attraktiv machen?

Oder setzt man darauf, dass es sich irgendwie selbst organisieren muss?

Dann wird man aber keine großen Beiträge zum Klimaschutz durch den ÖPNV erreichen können.

Er glaubt, dass Monheim seine Klimaziele bis 2035 erreichen kann.

Auch wegen Maßnahmen wie des kostenlosen Bus-Tickets.

Beispiele wie Monheim sind für Jörg und Manuel der Beweis,

dass der Nulltarif schon möglich ist, wenn man ihn wirklich will.

Zurück nach München.

Wir sind vor dem Oberlandesgericht – denn hier beginnt heute ein Verfahren gegen Manuel

wegen Erschleichen von Leistungen in 16 Fällen.

In einer ersten Instanz wurde er dafür bereits schuldig gesprochen und zu einer Strafe von 900 Euro verurteilt

aber Manuel hat Revision eingelegt.

Auch diese Aufnahmen sind vor Corona entstanden.

Wie gehts dir denn, bist du aufgeregt?

Es geht, ich find es jetzt noch sehr berechenbar, also heute werden auch viele formale Sachen geklärt,

also wenig wo überraschende Punkte passieren.

Darum bin ich noch relativ entspannt, mal schauen.

Ich fühl mich gut vorbereitet.

Manuel hat sich darauf vorbereitet, sich selbst zu verteidigen.

Dafür musste er sich ziemlich viel Einlesen.

Er hofft aber, dass er heute einen Antrag stellen kann,

damit Jörg ihn als Laienverteidiger vertreten kann.

Ob das klappt ist aber noch völlig unklar.

Und dann wird Manuel doch nervös – denn Jörg hat seine Bahn verpasst.

Ok, perfekt, dann gehen wir gleich zusammen rein, passt.

Bis gleich.

Ist er jetzt da? Ja, er kam jetzt gerade mit der U-Bahn an.

Er müsste jetzt gleich hochkommen. Sehr gut.

Während wir schonmal reingehen, wartet Manuel draußen – und kommt deswegen zu spät.

Wir dürfen deshalb den Beginn des Prozesses nicht mitfilmen

und die Kamera erst nach der Verhandlung wieder anmachen.

Die Stimmung im Gerichtssaal war ziemlich angespannt.


Nahverkehr umsonst: Wie weit gehen Aktivist:innen für kostenlose Bahntickets? Free public transport: How far do activists go for free train tickets? Transports publics gratuits : jusqu'où les militants peuvent-ils aller pour obtenir des billets de train gratuits ?

Könntet ihr euch vorstellen, so Bahn zu fahren?

Jörg und Manuel machen das seit Jahren so Jörg und Manuel machen das seit Jahren so

und glauben, dass das Schild sie davor bewahrt, sich strafbar zu machen.

In Deutschland ist Erschleichen von Leistungen verboten

und ich sage, ich erschleiche mir keine Leistung, wenn ich es ganz offen hinschreibe.

Die zwei machen das, weil sie finden: Bus- und Bahnfahren sollte kostenlos sein!

Für alle.

Und dafür kämpfen sie.

Wir haben halt nur diesen einen Planeten.

Ich versteh quasi nicht, wie Leute die Einstellung haben können, dass es das nicht wert ist,

sich mit seiner Zeit und Arbeit dafür einzusetzen.

Klingt richtig. Aber geht das alles wirklich so enfach?

Und reicht es, sich so ein Schild umzuhängen, bis es so weit ist?

Dieser Film beginnt im Februar 2020 in München – vor Corona.

Ich bin mit Manuel Erhardt, der mit den braunen Haaren, und Jörg Bergstedt unterwegs.

Die beiden sind Umweltaktivisten und kämpfen für den Nulltarif

also dafür, dass alle Menschen kostenlos Bus und Bahn fahren können.

Ich begleite die beiden heute bei einer Protestaktion in der U-Bahn.

Die hier gleich?

Nee, wir müssen Richtung Hauptbahnhof.

Ja, ist er doch.

Nee, aber das ist...

Hauptbahnhof, steht ja dran. Achso, ja genau.

Ich blicke hier nicht durch.

Die beiden kaufen sich schon seit Jahren keine Tickets mehr

und hängen sich dafür diese Schilder um.

Damit machen sich – so ihre Logik – nicht strafbar,

weil sie sich keine Leistung erschleichen, sondern offen ankündigen,

dass sie keine Tickets haben.

Sie wollen auffallen – und das klappt:

Entschuldigung, aber das Schild hilft euch nicht

von den 60 Euro weg, oder?

Das stimmt.

Die müsst ihr trotzdem zahlen? Aber nur wenn du Geld hast.

Wenn du unter den Pfändungsgrenzen liegst, die liegen im Moment bei 1200 Euro im Monat,

musst du das auch nicht zahlen.

Echt jetzt?

Steht hier auch alles nochmal drauf.

Jörg ist 56 und seit den 80er-Jahren Umweltaktivist

Und: Er hat keine Scheu, seine Gesprächspartner in Grund und Boden zu argumentieren.

Fängt gut an.

Wir machen hier eine Aktion für den Nulltarif, dass man keine Fahrkarten mehr kaufen muss,

und der ganze öffentliche Personennahverkehr besser ausgebaut wird,

damit Autos aus der Stadt herauskommen und alle fahren können,

weil es gibt ne Menge Leute, die können sich Fahrkarten nicht leisten.

Interessiert es sonst irgendjemanden?

Nulltarif-Idee oder so?

Es kriegen alle Hartz IV.

Ja, genau und zwar 30 Euro pro für… Ja, ja, trotzdem.

Ja, das ist immer ein bisschen schwierig, man schleudert ein Argument raus

und dann möchte man… Lassen Sie mich in Ruhe. Aber Sie haben doch angefangen!

Nein, nein, es geht uns gar nicht um uns, sondern wir wollen insgesamt,

dass die Autos mehr rauskommen aus München und mehr Platz ist für Fahrräder und für ÖPNV…

Das ist äußerst lustig.

Wir kämpfen jetzt immerhin dafür und sie beschimpfen die Leute…

Das ist aber illusorisch, das ist illusorisch, das ist einfach nur, das ist...

Das ist nur ein verlorener Kampf.

Vielleicht weil es so viele Leute gibt wie Sie, die gleich sagen, das geht eh nicht,

also Sie wollen mit mir nicht reden glaube ich, weil Sie sich einreden wollen,

dass es sowieso nichts bringt, damit Sie nicht mitkämpfen müssen, für einen besseren ÖPNV.

Ich finde es unterhaltsam, den beiden zuzugucken – kann die Fahrgäste irgendwo aber auch verstehen.

Ich finde es meistens auch nervig, in der Bahn von Leuten angequatscht zu werden

auch wenn es für eine gute Sache ist.

Und ich würde dafür gern auch mal Infomaterial mitgeben, wenn es Leute interessiert…

Manuel erlebe ich etwas zurückhaltender, er will sich niemandem aufdrängen,

hat er mir vorher gesagt.

Er wird lieber auf sein Schild angesprochen und erklärt dann sein Anliegen.

Mein Ziel ist der Nulltarif, also der kostenlose öffentliche Nahverkehr für alle Menschen.

Das finde ich einerseits wichtig aus Anti-Diskriminierung,

damit auch Leute, die weniger oder kein Geld zur Verfügung haben, soziale Teilhabe garantiert ist.

Andererseits aus Umwelt-Gründen: Wir müssen eine Alternative schaffen zum Autoverkehr,

der wirtschaftlich vorteilhaft ist und wo Leute einfach in die Innenstadt kommen

ohne auf ihr Privatauto angewiesen zu sein.

Manuel ist 21 und Service-Kraft in der Gastro.

Er fährt nur noch mit diesem Schild Bus und Bahn – und das seit drei Jahren.

Vielleicht denkt ihr jetzt, das ist naiv, aber in einigen Fällen wurden Nulltarif-Aktivisten,

die mit Schild und ohne Ticket fahren, auch schon freigesprochen.

Die meisten Münchner scheinen heute nicht besonders offen für sein Thema.

Ich habe das Gefühl, viele sehen nur das Schild und finden es unfair,

dass sie für Tickets zahlen sollen und er nicht.

Könntest du dir das leisten, theoretisch?

Ja, ich glaube, ich könnte es mir finanziell leisten.

Ich arbeite im Saisonbereich, also ich arbeite mehrere Monate am Stück in einem Betrieb,

dann wechsle ich hin und wieder und lebe jetzt halt von dem Geld.

Ich könnte es zwar auf jeden Fall einrichten, dass ich mir das Ticket leisten könnte,

aber mir geht es mit dieser Forderung auch nicht darum, dass ich so entspannt

mir einen schönen Abend mache und denk mir so: "Scheiß drauf, fahr ich halt kostenlos,

ist ja schön für mich".

Sondern mir geht es tatsächlich um das Ziel, dass es für alle Leute zugänglich ist.

Ich finde es beeindruckend, wie engagiert Manuel ist.

Aber das Ganze wirkt auf mich auch ziemlich anstrengend.

Die meisten Kontrolleure beeindruckt das Schild wenig.

Gerade läuft sogar ein Strafverfahren gegen ihn. Denn wer ohne Ticket fährt,

kann sich wegen Erschleichen von Leistungen strafbar machen.

Manuel ist deswegen in 16 Fällen angeklagt.

Er hofft auf einen Freispruch.

Im schlimmsten Fall kann es dafür aber auch eine Freiheitsstrafe geben.

Juristisch klären wir es gerade.

Ich bin fester Überzeugung, dass das die Form der Straffreiheit darstellt.

Mal schauen, was da jetzt rauskommt.

Ich finde gut, wofür die beiden kämpfen – ich meine, wer nicht?

Aber ins Gefängnis würde ich dafür nicht gehen wollen.

Aber ist das, was die beiden da fordern, überhaupt realistisch?

Der Bund deutscher Verkehrsbetriebe sagt: Nein.

Bus- und Bahnfahren bundesweit kostenlos zu machen, würde 13 Milliarden Euro jährlich kosten.

Manuel und Jörg finden, das Argument zählt nicht.

Das Geld sei schon da, man müsse es nur anders verteilen.

Außerdem gibt es schon Städte, die den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbieten.

Zum Beispiel Monheim am Rhein.

Die Stadt liegt zwischen Köln und Düsseldorf und hat rund 43.000 Einwohner

und einen innovativen Bürgermeister.

Daniel Zimmermann gehört zur Lokalpartei Peto

und hat die Verkehrspolitik der Stadt ganz schön umgekrempelt.

Seit Mitte Februar fahren hier diese selbstfahrenden E-Busse durch die Stadt.

Drinnen befindet sich aber noch ein Schaffner, der notfalls eingreifen kann.

Und: Seit dem 1. April ist das Busfahren in diesen, aber auch in normalen Bussen für alle Monheimer kostenlos.

Ich treffe Daniel Zimmermann am Busbahnof.

Ich würde Ihnen gern die Hand geben, aber Corona… Ellbogen, alles klar.

Daniel Zimmermann ist 37 und seit zehn Jahren Bürgermeister in Monheim.

Für einige Jahre war er der jüngste Bürgermeister in NRW.

Mittlerweile wurde er aber abgelöst.

Wir haben uns zum Busfahren verabredet.

Dürfen wir schon vorne einsteigen, wieder? Nein, vorne nicht, nur hinten.

Ok, dann machen wir das so. Ich dachte, Sie wollten was fragen.

Nein, nein, dann halten wir uns an die Regeln. Ok, kein Problem.

Der Kameramann kommt mit, ne? Wir filmen ein Interview mit dem…

Kein Problem! Super.

Die meisten Monheimer fahren mehr als die Hälfte ihrer Wege mit dem Auto.

Der Bus wurde bislang eher selten genutzt.

Durch das kostenlose Busticket soll sich das jetzt ändern.

Wie gut das angenommen wird, kann Daniel Zimmermann wegen Corona noch nicht sicher sagen.

Ich will wissen, warum er sich überhaupt dafür eingesetzt hat.

Es geht einfach darum, dass wir die Leute wirklich in den öffentlichen Nahverkehr reinbringen,

dass wir alle Hindernisse beseitigen, die die Leute möglicherweise davon abhalten,

Bus und Bahn zu nutzen.

Das sind mit Sicherheit die Kosten. Es ist ein Einstieg, zumindest schonmal

innerhalb der Stadt kostenlos zu fahren und nur noch weitere Strecken aufzahlen zu müssen.

Wir haben auch an den Wochenenden und in den Abendstunden die Linien erheblich erweitert.

Und versuchen jetzt den ÖPNV so attraktiv zu machen, dass er wirklich eine Alternative zum Auto darstellt.

Viele Städte würden sich das bestimmt wünschen, aber oft höre ich dann: Zu unrealistisch, zu teuer.

Wieso schafft Monheim das denn, was viele Städte sich wünschen?

Also unrealistisch und teuer finde ich es eigentlich gar nicht.

Also ÖPNV finanziert sich ja nicht durch die Ticketeinnahmen

sondern in erster Linie, zum größeren Teil sogar, durch öffentliche Subventionen.

Und die haben wir ja jetzt noch ein Stückweit gesteigert.

Ich glaube auch, dass andere Städte das können.

Zumindest sind die Beträge die für Straßenverkehr ausgegeben werden

– für Parkplätze, für Dinge, die Autofahrern zugutekommen –

in den meisten Haushalten deutlich höher, als das, was für den ÖPNV fließt.

Um das Busfahren für Einwohner kostenlos anbieten zu können,

hat Daniel Zimmermann die städtischen Mittel erhöht.

Die Verkehrsunternehmen verlieren dadurch aber kein Geld,

da die Stadt für ihre Einwohner die Tickets kauft – rund 70 Euro sind das monatlich.

Die Stadt hat aber auch Geld:

Durch das Senken der Gewerbesteuer gilt Monheim im Umkreis als „Steueroase“

und erzielt jährlich Millionenüberschüsse.

Was glauben Sie, müsste passieren, damit andere Städte das auch schaffen?

Also, warum hört man denn so oft: "Das ist unrealistisch, das geht nicht"?

Ist es da fehlender Wille, also glauben Sie, wenn man das wirklich will, könnte man das schaffen?

Oder woran, glauben Sie, liegt das? Das glaube ich schon.

Klar gibt es natürlich auch Städte, wenn wir jetzt an Großstädte denken,

wo U-Bahnen, Straßenbahnen fahren, wo das ganze System deutlich teurer ist als bei uns,

wo wir letztendlich nur Busverkehr haben.

Aber am Ende hängt es von den Prioritäten ab und der Frage, ob man das weiter befördern will,

dass Menschen mit Autos sich fortbewegen, oder ob man die Alternativen so attraktiv macht,

dass sie tatsächlich dann auch Menschen anziehen.

Daniel Zimmermann glaubt schon, dass ein bundesweiter kostenloser

öffentlicher Nahverkehr möglich wäre, wenn der Wille da wäre.

Dann dürften die Städte aber nicht auf den Kosten sitzen bleiben, so wie jetzt,

sondern bräuchten mehr Geld vom Bund.

Das Bundesverkehrsministerium sagt dazu, es könne nur einzelne Projekte fördern.

Zum Beispiel das „Sofortprogramm Saubere Luft“,

das gerade in fünf Städten läuft und mit 131 Millionen Euro gefördert wird.

Für Daniel Zimmermann ist das ein Anfang, aber nicht ausreichend.

Am Ende geht es eben um die Prioritäten:

Will man das? Will man den ÖPNV so attraktiv machen?

Oder setzt man darauf, dass es sich irgendwie selbst organisieren muss?

Dann wird man aber keine großen Beiträge zum Klimaschutz durch den ÖPNV erreichen können.

Er glaubt, dass Monheim seine Klimaziele bis 2035 erreichen kann.

Auch wegen Maßnahmen wie des kostenlosen Bus-Tickets.

Beispiele wie Monheim sind für Jörg und Manuel der Beweis,

dass der Nulltarif schon möglich ist, wenn man ihn wirklich will.

Zurück nach München.

Wir sind vor dem Oberlandesgericht – denn hier beginnt heute ein Verfahren gegen Manuel

wegen Erschleichen von Leistungen in 16 Fällen.

In einer ersten Instanz wurde er dafür bereits schuldig gesprochen und zu einer Strafe von 900 Euro verurteilt

aber Manuel hat Revision eingelegt.

Auch diese Aufnahmen sind vor Corona entstanden.

Wie gehts dir denn, bist du aufgeregt?

Es geht, ich find es jetzt noch sehr berechenbar, also heute werden auch viele formale Sachen geklärt,

also wenig wo überraschende Punkte passieren.

Darum bin ich noch relativ entspannt, mal schauen.

Ich fühl mich gut vorbereitet.

Manuel hat sich darauf vorbereitet, sich selbst zu verteidigen.

Dafür musste er sich ziemlich viel Einlesen.

Er hofft aber, dass er heute einen Antrag stellen kann,

damit Jörg ihn als Laienverteidiger vertreten kann.

Ob das klappt ist aber noch völlig unklar.

Und dann wird Manuel doch nervös – denn Jörg hat seine Bahn verpasst.

Ok, perfekt, dann gehen wir gleich zusammen rein, passt.

Bis gleich.

Ist er jetzt da? Ja, er kam jetzt gerade mit der U-Bahn an.

Er müsste jetzt gleich hochkommen. Sehr gut.

Während wir schonmal reingehen, wartet Manuel draußen – und kommt deswegen zu spät.

Wir dürfen deshalb den Beginn des Prozesses nicht mitfilmen

und die Kamera erst nach der Verhandlung wieder anmachen.

Die Stimmung im Gerichtssaal war ziemlich angespannt.