Wie ist es, das Kind einer Sexarbeiterin zu sein? | Y-Kollektiv
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Kannst du dir vorstellen, dass deine Mutter sich prostituiert?
Weil man hört ja auch nicht alle Tage, okay, die Mutter arbeitet jetzt irgendwie als Sexarbeiterin.
In diesem Film geht es genau darum. Ich treffe Gina, sie ist eine "Hurentochter".
Aber darf man das überhaupt sagen?
Also es gab öfters mal Leute, die meinten: Ja, deine Mutter ist ne Nutte oder du Hurentochter
oder solche Sachen, aber da musst man dann halt auch ein dickes Fell haben, sag ich mal.
Wie viele Kinder von Sexarbeiterinnen es gibt, ist nicht klar. Fest steht: Es ist sau schwer sie zu finden.
Ich wollte einfach mal fragen, ob bei dir alles in Ordnung ist,
wir waren ja eigentlich heute verabredet.
Ich frage mich: Kann ich in diesem Film mit dem
Klischee vom "Hurensohn" und der "Hurentochter" brechen?
Eins direkt vorweg: Wie die Kinder von Prostituierten leben und mit der Arbeit
ihrer Eltern klarkommen, ist pauschal natürlich überhaupt nicht zu beantworten. Dieser Film
soll deshalb individuelle Geschichten erzählen - aber auch das, wird schwierig.
Wir wurden geghosted, also eigentlich ich. Wir sind gerade in Trier, ich wollte hier
eine Frau treffen, die seit zwanzig Jahren auf der Straße als Prostituierte arbeitet,
sie hat zwei Kinder, die wurden ihr dann irgendwann weggenommen,
jetzt hat sie wieder Kontakt zu einer Tochter und über diese ganze Geschichte wollte ich mit
ihr reden und wollte sie hier eben auf dem Straßenstrich in Trier treffen. Allerdings
habe ich seit gestern nichts mehr von ihr gehört. Ja, ist natürlich jetzt eher doof.
Mailbox. Auf Facebook sehe ich: Die Dame ist dort weiter aktiv, ich kann also ausschließen,
dass ihr etwas passiert ist. Also versuchen wir das Unmögliche möglich
zu machen und spontan Frauen zu finden, die mit uns über ihr Leben als Mutter und
Prostituierte sprechen wollen. Dafür fahren wir von Bordell zu Bordell. Eine verzweifelte Mission und ehrlich
gesagt auch ziemlich unangenehm bei so einem sensiblen Thema mit der Tür ins Haus zu fallen.
Mega Bock.
Aber wir wollen das Beste draus machen auch wenn das heute nicht viel ist:
Absage nach Absage - sinnbildlich für meine gesamte Recherche.
Und wir machen eine Reportage zum Thema, genau Prostituierte und Familie.
Mein Eindruck: Das Stigma Sexarbeit ist noch gewaltig, keiner will mit mir reden.
Hätten sie vielleicht Lust was zu dem Thema zu sagen?
Wir sind gebranntes Kind.
Und das obwohl die Arbeit in Deutschland legal ist.
Es gibt über 40.000 angemeldete Prostituierte, man geht von einer Dunkelziffer aus,
die vielfach so hoch ist. Noch unsichtbarer als die Frauen selbst: Ihre Kinder.
Um an Sie heranzukommen, muss ich also über die Mütter gehen.
Ich schreibe Bordelle in ganz Deutschland an, kontaktiere den Berufsverband, telefoniere und
treffe mich mit mehreren Frauen und Kindern - Sisyphusarbeit. Vor die Kamera will keiner.
Ich schreibe etwa 500 Damen auf der Seite Kaufmich an. Dort bieten Frauen
selbstständig ihre Dienste an und werden von Freiern direkt gebucht.
Hier werde ich fündig. Ich treffe eine Frau, die ich zu ihrem Schutz Lucy nenne.
Sie ist 40 Jahre alt. Auch wenn ich in meiner Recherche längst gelernt habe,
dass nicht alles was sich MILF schimpft, auch Mutter ist, habe ich hier Glück:
Lucy ist Mutter und lädt mich zu ihr nach Hause ein.
Sie arbeitet seit 4 Jahren als Sexarbeiterin.
Also ich hab schon, ich muss ganz ehrlich sein,
ich könnte mir nicht vorstellen in einem normalen Job wieder zu arbeiten.
Ach echt?
Ne gar nicht, weil ich hab durch diesen Job so eine Freiheit.
Also nicht nur eine finanzielle Freiheit,
sondern auch eine Freiheit für mich selbst zu entscheiden, ich bin komplett selbstbestimmt.
Lucy hat drei Kinder: Zwei volljährige Töchter und Lucy's Sohn wird bald 11, er wächst beim Vater auf.
Wie familientauglich ist der Job denn für dich?
Das ist sehr schwer, eigentlich. Ich gehe mit diesem Job sehr offen um,
ich habe mir immer gesagt, damals wo ich angefangen habe, entweder mache ich das richtig oder gar nicht und ich hab mich
ziemlich schnell dazu entschieden, das meiner Familie zu sagen, meinem engsten Familienkreis.
Ihr Gesicht will sie trotzdem nicht zeigen, weil eben nicht alle in ihrem Umfeld wissen, dass sie als Sexarbeiterin arbeitet.
Zunächst arbeitete Lucy in einem Bordell.
Ich denke mir so: Diesen ersten Schritt zu gehen, dieses zu sagen müssen: Okay, ich habe mich jetzt prostituiert oder so.
Ich stelle mir vor, dass das schon kurz mal schwierig ist sich das irgendwie klarzumachen,
dass man da so eine Grenze überschritten hat. Hast du dich kurz mal gefragt,
was mache ich hier eigentlich? Oder hast du dich da schnell ich sage mal zuhause gefühlt?
Ne, ich würde sagen, ich habe mich da eigentlich ziemlich schnell reingefuchst, würde ich jetzt mal sagen. Ich war schon
immer sehr sehr offen und neugierig und das war für mich einfach so, ich will das jetzt ausprobieren und
gucken und natürlich ist der Anfang, das war der erste Kunde wirklich, wo man sagt: Oh Gott,
nein, aber am Ende des Tages habe ich mir gedacht, das ist ja nichts, was dich ewig belastet. Du hast den jetzt nicht
geheiratet, du musst nicht 24/7 mit dem zusammen sein oder so, der kommt
und er geht ziemlich schnell. Keiner bleibt selten so lange, wie er wirklich tatsächlich gebucht hat.
Bevor Lucy als Sexarbeiterin anfängt, arbeitet sie in der Telekommunikationsbranche. Lucy sagt:
Die Arbeit als Prostituierte mache ihr mehr Spaß.
Welcher Job war für dich besser, um auch Mutter zu sein?
Tja, das Muttersein ist so ne Sache. Ich habe da immer so ein bisschen, muss ich zugeben meine
Probleme gehabt eine 100 Prozent Mutter zu sein. Das war ich noch nie, obwohl ich,
ich habe mich zwar entschieden Kinder zu bekommen, aber ich habe durch meine eigene
Erfahrung in der Kindheit mit meiner Mutter das nie richtig gelernt was es heißt Mutter zu sein.
Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben.
Und ich denke ich bin auch irgendwo eine gute Mutter. Aber ich bin sie nicht immer,
aber ganz ehrlich: Wer ist das? Du kannst ja auch nur das weitergeben, was du selbst gelernt hast.
Ich bin erstmal überrascht über so viel Ehrlichkeit: Neben Sexarbeiterin sein,
gehört auch „zugeben, dass einem die Mutterrolle nicht steht“ zu den größten Tabubrüchen.
Lucy's Tochter Gina kommt zu Besuch, sie ist 21, arbeitet im Einzelhandel und ist selbst schon Mutter.
Und das ist jetzt quasi das erste Mal, dass ihr hier in der Wohnung seid?
Ja. - Ne.
Nein mit *piep*, ja. - Achso mit *piep*, ja. Für sie nicht.
Ne, ich war schon öfters hier.
Wie alt warst du als du Oma geworden bist?
Wie alt war ich, als ich Oma geworden bin?
39.
39?
Das war schwer. Wo ich erfahren habe, das sie.. Oh Gott, war das ein Drama. Ich war absolut dagegen.
Hätte.. bin heute noch der Meinung, es hätte nicht sein müssen jetzt, aber jetzt ist er da.
Aber ich habe ihr gleich von Anfang an gesagt damals, ich werde nicht Oma sein.
Ich werde nicht da sein und am Wochenende aufpassen oder wie auch immer. Ich will meine Freiheiten jetzt haben.
Ich bin jetzt eigentlich am leben und das gebe ich jetzt nicht auf.
Ich merke: Lucy nimmt kein Blatt vor den Mund, als Tochter bestimmt nicht immer ganz leicht.
Wie ist denn euer Verhältnis zueinander?
Ja, also mittlerweile eigentlich ganz gut. Es war mal schwierig gewesen, also man kommt miteinander klar
aber ich glaub einfach auch weil wir durch die Jahre mitbekommen haben, wie wir das handeln,
also wie wir miteinander umgehen müssen. Deswegen ist es jetzt eigentlich ganz gut.
Mich erstaunt diese nüchterne Beurteilung. Erst jetzt wird mir klar, was genau Lucy meint,
als sie sagte, dass sie mit ihrer Mutterrolle nicht zurecht kam.
Und irgendwann haben die halt ein Urteil gefällt und gesagt, hier liegt eine aktive Kindeswohlgefährdung vor,
das Kind muss sofort raus. Die haben uns auch vor die Entscheidung gesetzt:
Entweder geben Sie das Kind jetzt freiwillig ab in unsere Obhut, oder wir entziehen Ihnen das Sorgerecht.
Da war Gina 11. Sie erzählt mir, dass sie oft mit ihrer Mutter aneinander geraten ist,
sie sich geritzt hat und ihre Mutter nicht wusste, wie sie damit umgehen soll. Dann hat das Jugendamt reagiert.
Für sie war es irgendwo auch, vermute ich jetzt mal im Nachhinein, so ein bisschen Abenteuer, raus,
weg, irgendwie cool, was anderes.
Klingt aber schon auch.. Aber war nicht schön. War nicht schön.
Gina ist 4, als sie ihre Mutter zum ersten Mal verlässt um zu ihrer Oma
zu gehen, dann folgen verschiedene Heimaufenthalte, zwischendurch ab und an wieder bei Mama.
Wenn ich dann merke, ich bin nicht willkommen, dann dreht man natürlich als Pubertierende auch wieder am Rad.
Dann ging's halt wieder zum Notdienst, dann wieder in die nächste WG und da bin ich dann geblieben
bis ich 18 gewesen bin. Puh, schon aber auch hart irgendwie.
Also finde ich jetzt so als Außenstehende.
War auch nicht schön, es hat auch viel auf meine Psyche eingeschlagen, ich bin in ein tiefes Loch gerutscht,
so mit Depressionen und Borderline und alles drum und dran.
Heftig mit was für einer Selbstverständlichkeit Maya diese traumatische Geschichte mal eben so
nebenbei erzählt. Eigentlich wollte ich her kommen, um mit Gina über den Job ihrer
Mutter reden. Während Gina's Kindheit hat Lucy aber noch gar nicht als Prostituierte
gearbeitet - was also hat diese Geschichte mit meiner Reportage zu tun? Driften wir ab?
Ich finde nicht. Denn wenn man die Geschichte der Tochter einer Prostituierten erzählt,
kann es nicht nur um den Job der Mutter gehen, sondern es muss auch ums Tochter sein gehen.
Wir gehen auf den Spielplatz. Gina erzählt mir, wie sie mit 18 mit ihrer Mutter im Auto sitzt,
als die ihr dann erzählt, warum sie plötzlich mehr Geld hat als früher.
Könnte sein, dass ich eventuell sowas wie Escort mache. Dann habe ich gesagt: Okay, gut. Was machst du da?
Naja, ich geh mit Männern essen und die bezahlen mir dafür Geld. So, okay. Sie so: Ja okay, vielleicht stimmt das auch nicht so
ganz und ich so: Ja, was den jetzt noch? Ja, vielleicht können die mich für eine Nacht dazu buchen. Und ich so: Okay. Ja,
das stimmt eventuell auch nicht so ganz. Ich dann: Ja was den jetzt nun? "Naja, ich arbeite in einem Puff."
In einem Zwingerklub halt. Ich so: Okay. Dann war ich auch erstmal still gewesen, weil ich nicht genau wusste,
was sich dazu jetzt sagen soll, weil man hört ja auch nicht alle Tage, okay, die Mutter arbeitet
jetzt irgendwie als Sexarbeiterin. Und dann hat man erstmal diese Stille gehabt im Auto und dann
sind wir direkt zu dem Laden gefahren. Sie meinte: Wir müssen da jetzt ganz schnell hinfahren, wir kommen nicht drum
rum, möchtest du im Auto warten oder möchtest du mitkommen? - Also in das Bordell?
Genau. Und dann dachte ich mir so: Okay, gut, gehste einfach mal mit. Schaust dir das so an.
Da war halt im Flur überall Betrieb gewesen, weil du hattest halt drei offene Zimmer gehabt
und hattest ein Buffet und alles. Und die Männer haben da halt im Handtuch gestanden
und dann lief, dann sind alle wieder ins Zimmer rein, 10 Männer auf eine
Frau rauf oder haben einfach nur in der Ecke gestanden, das war natürlich so:
Okay, wo bist du jetzt hier gelandet? Und das i-Tüpfelchen war dann natürlich, dass da ein Film lief.
Also ein Porno?
Genau, ein Porno. Und da war halt meine Mutter zu sehen und
das war dann für mich so: Okay gut, ich brauche jetzt erstmal was zu trinken.
Boah, das glaub ich! Ich bin überrascht wie locker Gina damit umgeht.
Aber was denkt man denn so im allerersten Moment? Ich stelle mir das schon schwierig vor.
Ja, es ist auch ein bisschen schwierig aber.. *piep* *piep*. Komm her!
Jetzt läuft er weg.
Während Gina sich schon wieder um ihren Sohn kümmert,
geht mir ihre Geschichte nicht aus dem Kopf.
Ich muss trotzdem noch einmal fragen: Wenn ich mir vorstelle, dass ich meine Mutter in einem