Kapitel 1 – Geschichte der Tür - 02
„Es ging ihm wie uns allen, immer wenn er meinen Gefangenen ansah, bemerkte ich, daß Sawbones blass vor Wut wurde und Lust verspürte, ihn zu töten. Wir errieten gegenseitig unsere Gedanken, und da das Töten außer Frage war, taten wir das nächstbeste. Wir sagten dem Manne, daß wir ein solches Aufsehen von der Sache machen wollten, daß sein Name von einem Ende Londons bis zum anderen stinken würde. Wenn er irgend Freunde oder Kredit hätte, wollten wir sorgen, daß er sie verliere. Während der ganzen Zeit, als wir in der Hitze des Augenblicks solches hervorstießen, mussten wir die Weiber so gut wir konnten zurückhalten, denn sie waren wie die Furien so wild. Niemals sah ich so viele hasserfüllte Gesichter, und dabei stand der Mann in der Mitte mit einer Art finsterer, höhnischer Gleichgültigkeit — wenn auch furchtsam, das konnte ich sehen, aber wenn ich eine genaue Beschreibung davon machen soll, wie der leibhaftige Satan. Wenn Sie aus dieser Sache Nutzen ziehen wollen, sagte er, so bin ich natürlich hilflos. Kein Gentleman, der nicht eine Szene zu vermeiden sucht, fuhr er fort, stellt mir Eure Forderungen. Wir forderten hundert Pfund für des Kindes Angehörige. Er würde sich wohl gerne herausgezogen haben aus der Affäre, wenn nicht die Anwesenden ihn mit Unheil bedroht hätten, so daß er sich zuletzt darin fügte. Unsere nächste Sorge war, das Geld zu erhalten. Und kannst Du Dir denken, wohin er uns führte? Zu jener Tür. Schnell zog er einen Schlüssel, ging hinein und kam bald mit zehn Pfund in Gold und einem Wechsel für die Bank von Coutto zurück, welcher zahlbar an den Überbringer und unterzeichnet mit einem Namen war, den ich nicht nennen kann, obwohl er sehr wichtig für diese Geschichte ist, der aber sehr wohl bekannt und oft gedruckt worden ist. Die Zahlen waren flüchtig geschrieben, aber die Unterschrift war wertvoll und unverfälscht. Ich nahm mir die Freiheit, diesem Manne zu erklären, daß die ganze Angelegenheit mir verdächtig vorkäme, umso mehr, als es im gewöhnlichen Leben wohl nicht vorkäme, daß ein Mensch um vier Uhr morgens in eine Kellertüre ginge und dann wiederkehrte mit einem fremden Wechsel über hundert Pfund. Er erwiderte gelassen und höhnisch: „Beruhigen Sie sich, ich bleibe, bis die Bank geöffnet wird und werde den Wechsel selbst einlösen.“ So gingen wir, der Doktor, der Vater des Kindes und ich, mit unserem gemeinschaftlichen Freund nach meiner Wohnung, wo wir den Rest der Nacht verbrachten. Am folgenden Tage gingen wir, nachdem wir gefrühstückt hatten, sämtlich nach der Bank. Ich gab den Wechsel selbst auf, indem ich sagte, daß ich allen Grund hätte zu glauben, eine Fälschung liege hier vor. Aber nichts derartiges, der Wechsel war echt.“
„Na nu,“ sagte Mr. Utterson.
„Ich sehe, du fühlst wie ich,“ entgegnete Mr. Enfield. „Es ist eine sonderbare Geschichte, umso mehr, da dieser Mensch so abstoßend war, daß niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte. Der Aussteller aber des Wechsels, ein Mann, der sehr vermögend und geachtet ist und, was das Schlimmste ist, ein Mann, der, wie man sagt, Gutes tut. Ich vermute, daß hierbei eine dunkle Vergangenheit im Spiele ist und ein ehrlicher Mann auf diese Weise seine Jugendstreiche büßen muss. Black Mail House, (Haus der dunklen Vergangenheit), nenne ich seit der Zeit das Gebäude mit der Tür, obwohl selbst das noch nicht alles genau erklärt, fügte er in Nachsinnen verfallend hinzu.
Aus diesem Brüten wurde er durch Mr. Utterson geweckt, der ihn fragte, „und du weißt nicht, ob der Unterzeichner des Wechsels dort lebt?“
„Ist das denn eine passende Wohnung für ihn?“ entgegnete Mr. Enfield. „Ich habe aber seine Adresse aufgeschrieben, er wohnt in einem der anderen Viertel.“
„Und fragtest du niemals nach dem Platz mit der Tür?“ erkundigte sich Mr. Utterson.
„Nein, ich besitze zu viel Zartgefühl dazu. Über das Fragestellen denke ich überhaupt sehr streng, es sieht einer Gerichtssitzung gar zu ähnlich. Wenn du eine Frage stellst, so gleich dieses einem hingeworfenen Stein, der vom Gipfel des Berges heruntergeschleudert, andere mit sich reißt, weiter und weiter rollt, und plötzlich einen guten alten Vogel, dasjenige, was man am wenigsten denkt, in seinem eigenen Neste trifft. Nein, ich habe es mir zur Regel gemacht, um so weniger zu fragen, je mehr mir eine Sache abenteuerlich erscheint.“
„Eine sehr gute Regel dies,“ sagte der Advokat.
„Jedoch habe ich den Platz selbst untersucht,“ fuhr Mr. Enfield fort. „Es hat kaum das Aussehen eines Hauses, es hat keine andere Tür, und niemand geht dort ein noch aus, nur bisweilen der Mann meines Abenteuers. Vom ersten Stockwerk gehen drei Fenster nach dem Hof hin. Diese sind stets geschlossen, aber dennoch rein. Dann ist ein Schornstein dort, welcher meistens raucht, woraus ich schließe, dass jemand dort wohnen muss. Ganz sicher ist es dennoch nicht, da die Hofgebäude so aneinander gebaut sind, dass es schwer zu sagen ist, wo das eine aufhört und das andere anfängt.“
Das Paar ging eine Zeit lang schweigend weiter. Dann wiederholte Mr. Utterson nochmals, „Enfield, das ist ein sehr guter Grundsatz von dir.“
„Ja, das ist doch meine Meinung,“ lautete Enfields Antwort.
„Aber dennoch möchte ich einen Teil wissen,“ fuhr der Advokat fort. „Kannst du mir den Namen des Mannes nennen, der das Kind trat?“
„Warum nicht?“ meinte Mr. Enfield. „Ich sehe keinen Grund ein, weshalb ich ihn verschweigen solle. Hyde war sein Name.“
„Hm! Wie sieht der Mann ungefähr aus? fragte Mr. Utterson.
„Es fällt mir schwer, ihn zu beschreiben. In seiner Erscheinung liegt etwas Abstoßendes, etwas durchaus Missfallendes, in einem Wort Verabscheuungswürdiges. Ich habe noch keinen zuvor gesehen, der mir so missfiel, doch weiß ich kaum, warum. Er muss irgendwie missgestaltet sein, jedenfalls macht er den Eindruck eines verwachsenen Menschen, wie wohl ich die Stelle nicht anzugeben weiß. Er sieht ganz außergewöhnlich aus, und dennoch kann ich nichts Besonderes an ihm finden. Beim besten Willen kann ich ihn nicht beschreiben, das ist nicht etwa Gedächtnisschwäche, denn mir ist es, als stünde er mir vor Augen.“
Mr. Utterson ging wieder eine Weile stillschweigend weiter, sichtlich überlegend, und fragte schließlich: „Bist du auch sicher, dass er einen Schlüssel benutzte?“
„Aber, mein lieber Freund…“ begann Mr. Enfield ganz überrascht.
„Ja, ich weiß, es erscheint dir wunderbar, der Grund, weshalb ich nicht nach dem Namen des anderen Beteiligten frage, ist der, weil ich ihn bereits kenne. Du siehst, Richard, deine Geschichte ist schon bekannt, und wenn du in irgendeinem Punkt von der Wirklichkeit abgewichen bist, tätest du gut, es zu verbessern.“
„Ich finde, du hättest mich warnen können,“ erwiderte der andere mit einem Anflug von Niedergeschlagenheit; „Aber ich bin genau bei der Sache geblieben, wie du es nennst. Der Geselle hatte einen Schlüssel, oder vielmehr, er hat ihn noch. Ich sah, wie er ihn vor einer Woche noch benutzte.
Mr. Utterson seufzte tief, aber sagte kein Wort, und der junge Mann bemerkte dann: „Das ist wieder eine Lehre, das man nicht sagen soll. Ich schäme mich meiner plauderhaften Zunge. Lass uns das Gelübde tun, niemals auf dieses Thema zurückzukommen.“
„Von ganzem Herzen,“ sagte der Advokat; „gib mir die Hand darauf, Richard.“