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Lektion

Lektion

Das Steuerparadies nebenan Nach den Enthüllungen der Paradise Papers stehen die Niederlande erneut in der Kritik. Bei Steuertricks von Großkonzernen spielt das Land eine entscheidende Rolle. Dabei ist der Nutzen für die Niederländer selbst gering.

Von Alexander Sarovic

Getty Images Amsterdam Sonntag, 12.11.2017 11:32 Uhr

Wenig Zeit? Am Textende gibt's eine Zusammenfassung.

Das Exotische schwingt schon im Namen mit: Steuerparadies. Kleine Inseln, nach denen man auf der Weltkarte erst einmal suchen muss, oft sehr weit weg - das dürfte eine der gängigsten Assoziationen sein, die der Begriff bei den meisten Menschen hervorruft. Doch hin und wieder lohnt der Blick vor die Haustür, auch beim Thema Steuervermeidung.

Die Veröffentlichung der Paradise Papers hat ein Nachbarland Deutschlands erneut in den Fokus dieser Debatte gerückt. Die Enthüllungen zeigen, wie der US-Sportartikelhersteller Nike die Gesetze der Niederlande nutzt, um Millionen an Steuern zu sparen. Als Reaktion kündigte die Regierung in Den Haag jüngst an, 4000 Steuerdeals mit Unternehmen und internationalen Organisationen zu prüfen.

Dass Nike kein Einzelfall ist, ist nicht erst seit dieser Ankündigung klar. Spätestens seit einem Sonderdeal mit Starbucks steht die niederländische Steuerpraxis in der Kritik. Der US-Konzern nutzte damals ein komplexes Finanzkonstrukt, um seinen Gewinn kleinzurechnen - mit Unterstützung der niederländischen Behörden. Die EU-Kommission sah darin einen Verstoß gegen europäisches Wettbewerbsrecht.

Von Waschbecken und Leitungsrohren

Wie zentral die Rolle ist, die das Land bei den Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne spielt, zeigt eine im Sommer veröffentlichte Studie. Mithilfe eines datenbasierten Ansatzes untersuchten Forscher der Universität Amsterdam die Eigentumsverhältnisse von 98 Millionen Firmen. Die Länder, von deren Steuergesetzen die Unternehmen profitieren, unterteilten die Autoren der Studie in zwei Gruppen: "sink countries" und "conduit countries".

Als "sink countries" (frei übersetzt "Waschbecken-Länder") bezeichneten die Forscher die Staaten, in die das Geld, das am Fiskus vorbei soll, letztlich fließt. 24 Länder gehören demnach zu dieser Gruppe - darunter viele jener weit entfernten Inselparadiese wie die Kaiman- und Bermudainseln oder die Britischen Jungferninseln.

Die Länder, durch die das Geld auf dem Weg dorthin fließt, nannten die Forscher - metaphorisch im Sanitärbereich bleibend - "conduit countries" oder "Leitungsrohr-Länder". Zu diesen zählten vor allem Länder, die von Deutschland aus mit einem Billigflieger in kürzester Zeit zu erreichen sind: Sechs Prozent aller Investitionen, die in Ländern der ersten Gruppe landeten, flossen laut der Studie durch die Schweiz, 14 Prozent durch Großbritannien. 23 Prozent flossen durch die Niederlande, so viel wie durch kein anderes Land.

Anders als "sink countries" zeichnen sich "conduit countries" nicht durch geringe oder ganz fehlende Körperschaftsteuern aus. So liegt der Spitzensatz in den Niederlanden bei 25 Prozent, in Großbritannien immerhin bei 19 Prozent. "Für 'conduit countries' ist dagegen typisch, dass der Transfer von Geld niedrig besteuert wird", sagt Javier García Bernardo, der Hauptautor der Studie.

Halbherzige Reformbemühungen

Laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) führen die - ganz legalen - Steuervermeidungstricks multinationaler Konzerne dazu, dass Staaten weltweit rund 240 Milliarden US-Dollar entgehen.

Durch die Steuerpraktiken der Niederlande erleiden alleine die Entwicklungsländer Einnahmeausfälle von 460 Millionen Euro. Auf diese Zahl kommt zumindest ein Bericht des niederländischen Oxfam-Ablegers aus dem Jahr 2013. "Die Ausfälle für EU-Staaten und andere Länder mit hohem Einkommen dürften deutlich größer sein", sagt der Oxfam-Steuerexperte Francis Weyzig.

Getty Images Finanzviertel von Amsterdam Die Kritik am niederländischen Steuersystem ist deshalb nicht neu - genauso wenig wie die Reformversprechen. Nach der Entscheidung der EU-Kommission im Starbucks-Fall kündigte die niederländische Regierung an, entsprechende Schlupflöcher bis 2020 zu schließen. Nun will sie Tausende Steuerdeals prüfen und zwei EU-Richtlinien zur Steuervermeidung umsetzten. (Mehr zu europäischen und internationalen Reformbemühungen im Kampf gegen Steuerflucht lesen Sie hier. ) Steuerexperte Weyzig hält die jüngste Ankündigung allerdings für Augenwischerei. So wolle die Regierung allein das Verfahren bei den Deals, sprich: die Formalitäten, prüfen. Die zugrundeliegenden Steuergesetze, die die Tricks ermöglichen, blieben davon unberührt.

Das gilt laut Weyzig nicht nur für Konstellationen, in denen Geld durch die Niederlande in "sink countries" fließt. Für Fälle wie den von Nike, in denen infolge des Zwischenschaltens von Briefkastenfirmen der zu versteuernde Gewinn gleichsam zwischen den Niederlanden und den USA verschwindet, sei ebenso wenig eine Lösung vorgesehen.

Viel Schaden im Ausland, wenig Nutzen daheim

Beträchtliche Steuerausfälle für andere Staaten also, zunehmende internationale Kritik und ein Imageschaden für einen Staat, der zu den Gründungsmitgliedern der EU gehört und seit Jahrzehnten zu den Säulen dieser Wirtschafts- und Wertegemeinschaft zählt. Ein solches Land wird nur dann bereit sein, diese politischen Kosten in Kauf zu nehmen, wenn der wirtschaftliche Nutzen im Gegenzug erheblich ist. So denkt man - und irrt.

Der niederländischen Zentralbank zufolge waren im vergangenen Jahr mehr als 21.000 sogenannte Zweckgesellschaften registriert. Laut Vincent Kiezebrink von SOMO, einer Nichtregierungsorganisation, die sich mit multinationalen Konzernen beschäftigt, sind die meisten dieser Körperschaften Briefkastenfirmen.

Ein Jobmotor sind diese Firmen nicht: Steuerfachmann Weyzig von Oxfam schätzt, dass sie nur wenige Tausend Arbeitsplätze vor allem für Juristen und Wirtschaftsprüfer schaffen. Das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande lag 2016 bei rund 770 Milliarden Dollar. Briefkastenfirmen dürften dazu nur einen Betrag im niedrigen einstelligen Milliardenbereich beitragen - eine Summe, auf die die fünftgrößte Volkswirtschaft des Euroraums wahrlich nicht angewiesen ist. Und auch die Steuereinnahmen, die am Ende beim niederländischen Staat hängen bleiben, sind verschwindend gering.

Dass das Land bisher dennoch an diesen Steuergesetzen festgehalten hat, sei wohl nur mit dem Einfluss einer kleinen Anzahl von Dienstleistern und dem großer multinationaler Konzerne zu erklären, sagt Francis Weyzig.

Doch nach den jüngsten Enthüllungen hat der Druck auf die Regierung erneut zugenommen. Die politischen Kosten steigen weiter.

Zusammenfassung: Die Enthüllungen der Paradise Papers haben die Niederlande erneut in den Fokus der Debatte um Steuervermeidung gerückt. Laut einer Studie der Universität Amsterdam ist das Land das wichtigste "conduit country". 23 Prozent aller Investitionen, die in Steueroasen wie den Bermuda- oder Kaimaninseln landeten, flossen durch die Niederlande. Die Steuerpraktiken führen zu erheblichen Ausfällen für andere Staaten. Der Nutzen für die niederländische Wirtschaft ist hingegen gering.

Lektion Lesson

Das Steuerparadies nebenan Nach den Enthüllungen der Paradise Papers stehen die Niederlande erneut in der Kritik. Bei Steuertricks von Großkonzernen spielt das Land eine entscheidende Rolle. Dabei ist der Nutzen für die Niederländer selbst gering.

Von Alexander Sarovic

Getty Images Amsterdam Sonntag, 12.11.2017 11:32 Uhr

Wenig Zeit? Am Textende gibt’s eine Zusammenfassung.

Das Exotische schwingt schon im Namen mit: Steuerparadies. Kleine Inseln, nach denen man auf der Weltkarte erst einmal suchen muss, oft sehr weit weg - das dürfte eine der gängigsten Assoziationen sein, die der Begriff bei den meisten Menschen hervorruft. Doch hin und wieder lohnt der Blick vor die Haustür, auch beim Thema Steuervermeidung.

Die Veröffentlichung der Paradise Papers hat ein Nachbarland Deutschlands erneut in den Fokus dieser Debatte gerückt. Die Enthüllungen zeigen, wie der US-Sportartikelhersteller Nike die Gesetze der Niederlande nutzt, um Millionen an Steuern zu sparen. Als Reaktion kündigte die Regierung in Den Haag jüngst an, 4000 Steuerdeals mit Unternehmen und internationalen Organisationen zu prüfen.

Dass Nike kein Einzelfall ist, ist nicht erst seit dieser Ankündigung klar. Spätestens seit einem Sonderdeal mit Starbucks steht die niederländische Steuerpraxis in der Kritik. Der US-Konzern nutzte damals ein komplexes Finanzkonstrukt, um seinen Gewinn kleinzurechnen - mit Unterstützung der niederländischen Behörden. Die EU-Kommission sah darin einen Verstoß gegen europäisches Wettbewerbsrecht.

Von Waschbecken und Leitungsrohren

Wie zentral die Rolle ist, die das Land bei den Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne spielt, zeigt eine im Sommer veröffentlichte Studie. Mithilfe eines datenbasierten Ansatzes untersuchten Forscher der Universität Amsterdam die Eigentumsverhältnisse von 98 Millionen Firmen. Die Länder, von deren Steuergesetzen die Unternehmen profitieren, unterteilten die Autoren der Studie in zwei Gruppen: "sink countries" und "conduit countries".

Als "sink countries" (frei übersetzt "Waschbecken-Länder") bezeichneten die Forscher die Staaten, in die das Geld, das am Fiskus vorbei soll, letztlich fließt. 24 Länder gehören demnach zu dieser Gruppe - darunter viele jener weit entfernten Inselparadiese wie die Kaiman- und Bermudainseln oder die Britischen Jungferninseln.

Die Länder, durch die das Geld auf dem Weg dorthin fließt, nannten die Forscher - metaphorisch im Sanitärbereich bleibend - "conduit countries" oder "Leitungsrohr-Länder". Zu diesen zählten vor allem Länder, die von Deutschland aus mit einem Billigflieger in kürzester Zeit zu erreichen sind: Sechs Prozent aller Investitionen, die in Ländern der ersten Gruppe landeten, flossen laut der Studie durch die Schweiz, 14 Prozent durch Großbritannien. 23 Prozent flossen durch die Niederlande, so viel wie durch kein anderes Land.

Anders als "sink countries" zeichnen sich "conduit countries" nicht durch geringe oder ganz fehlende Körperschaftsteuern aus. So liegt der Spitzensatz in den Niederlanden bei 25 Prozent, in Großbritannien immerhin bei 19 Prozent. "Für 'conduit countries' ist dagegen typisch, dass der Transfer von Geld niedrig besteuert wird", sagt Javier García Bernardo, der Hauptautor der Studie.

Halbherzige Reformbemühungen

Laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) führen die - ganz legalen - Steuervermeidungstricks multinationaler Konzerne dazu, dass Staaten weltweit rund 240 Milliarden US-Dollar entgehen.

Durch die Steuerpraktiken der Niederlande erleiden alleine die Entwicklungsländer Einnahmeausfälle von 460 Millionen Euro. Auf diese Zahl kommt zumindest ein Bericht des niederländischen Oxfam-Ablegers aus dem Jahr 2013. "Die Ausfälle für EU-Staaten und andere Länder mit hohem Einkommen dürften deutlich größer sein", sagt der Oxfam-Steuerexperte Francis Weyzig.

Getty Images Finanzviertel von Amsterdam Die Kritik am niederländischen Steuersystem ist deshalb nicht neu - genauso wenig wie die Reformversprechen. Nach der Entscheidung der EU-Kommission im Starbucks-Fall kündigte die niederländische Regierung an, entsprechende Schlupflöcher bis 2020 zu schließen. Nun will sie Tausende Steuerdeals prüfen und zwei EU-Richtlinien zur Steuervermeidung umsetzten. (Mehr zu europäischen und internationalen Reformbemühungen im Kampf gegen Steuerflucht lesen Sie hier. ) Steuerexperte Weyzig hält die jüngste Ankündigung allerdings für Augenwischerei. So wolle die Regierung allein das Verfahren bei den Deals, sprich: die Formalitäten, prüfen. Die zugrundeliegenden Steuergesetze, die die Tricks ermöglichen, blieben davon unberührt.

Das gilt laut Weyzig nicht nur für Konstellationen, in denen Geld durch die Niederlande in "sink countries" fließt. Für Fälle wie den von Nike, in denen infolge des Zwischenschaltens von Briefkastenfirmen der zu versteuernde Gewinn gleichsam zwischen den Niederlanden und den USA verschwindet, sei ebenso wenig eine Lösung vorgesehen.

Viel Schaden im Ausland, wenig Nutzen daheim

Beträchtliche Steuerausfälle für andere Staaten also, zunehmende internationale Kritik und ein Imageschaden für einen Staat, der zu den Gründungsmitgliedern der EU gehört und seit Jahrzehnten zu den Säulen dieser Wirtschafts- und Wertegemeinschaft zählt. Ein solches Land wird nur dann bereit sein, diese politischen Kosten in Kauf zu nehmen, wenn der wirtschaftliche Nutzen im Gegenzug erheblich ist. So denkt man - und irrt.

Der niederländischen Zentralbank zufolge waren im vergangenen Jahr mehr als 21.000 sogenannte Zweckgesellschaften registriert. Laut Vincent Kiezebrink von SOMO, einer Nichtregierungsorganisation, die sich mit multinationalen Konzernen beschäftigt, sind die meisten dieser Körperschaften Briefkastenfirmen.

Ein Jobmotor sind diese Firmen nicht: Steuerfachmann Weyzig von Oxfam schätzt, dass sie nur wenige Tausend Arbeitsplätze vor allem für Juristen und Wirtschaftsprüfer schaffen. Das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande lag 2016 bei rund 770 Milliarden Dollar. Briefkastenfirmen dürften dazu nur einen Betrag im niedrigen einstelligen Milliardenbereich beitragen - eine Summe, auf die die fünftgrößte Volkswirtschaft des Euroraums wahrlich nicht angewiesen ist. Und auch die Steuereinnahmen, die am Ende beim niederländischen Staat hängen bleiben, sind verschwindend gering.

Dass das Land bisher dennoch an diesen Steuergesetzen festgehalten hat, sei wohl nur mit dem Einfluss einer kleinen Anzahl von Dienstleistern und dem großer multinationaler Konzerne zu erklären, sagt Francis Weyzig.

Doch nach den jüngsten Enthüllungen hat der Druck auf die Regierung erneut zugenommen. Die politischen Kosten steigen weiter.

Zusammenfassung: Die Enthüllungen der Paradise Papers haben die Niederlande erneut in den Fokus der Debatte um Steuervermeidung gerückt. Laut einer Studie der Universität Amsterdam ist das Land das wichtigste "conduit country". 23 Prozent aller Investitionen, die in Steueroasen wie den Bermuda- oder Kaimaninseln landeten, flossen durch die Niederlande. Die Steuerpraktiken führen zu erheblichen Ausfällen für andere Staaten. Der Nutzen für die niederländische Wirtschaft ist hingegen gering.