Weihnachtlicher Budenzauber
Jährlich locken Weihnachtsmärkte Millionen von Touristen in deutsche Städte und bescheren Gastronomie und Handel entsprechende Umsätze. Beliebt ist nicht nur Kunsthandwerk made in Germany, sondern auch Glühwein und Co.
Weihnachtsmärkte haben eine sehr lange Tradition. Ursprünglich, im Spätmittelalter, waren es Warenmärkte, auf denen die Menschen vor dem Winter noch Essensvorräte ergänzten und sich mit Gegenständen und Kleidung eindecken konnten. Oft dauerten diese Märkte auch nur einen einzigen Tag. Der erste Weihnachtsmarkt nach heutigem Verständnis, auf dem auch kunsthandwerkliche Gegenstände, geröstete Mandeln, Esskastanien oder Kleinigkeiten zum Verschenken verkauft wurden, wurde im Jahr 1310 in München veranstaltet: der Nikolausmarkt. Das bezeugen alte Urkunden. Nach und nach veranstalteten auch andere Städte in Deutschland in den Wochen vor Weihnachten besondere Märkte. Inzwischen gehören Weihnachtsmärkte zum vorweihnachtlichen Brauchtum in Deutschland und locken jedes Jahr Millionen Touristinnen und Touristen aus dem In- und Ausland an. Waren es 2001 laut dem Deutschen Schaustellerverband etwa 50 Millionen stieg ihre Zahl 2016 auf 85 Millionen. Auch die Zahl der Weihnachtsmärkte ist in den letzten Jahren gestiegen.
Sich dem Budenzauber hinzugeben, an den festlich geschmückten kleinen Holzbuden vorbeizubummeln, die Auslagen anzuschauen und vielleicht sogar das eine oder andere Informationsgespräch zu führen, ist etwas ganz Besonderes. Wie wichtig es ist, auch ein bisschen Englisch sprechen zu können, weiß Kunsthandwerker Peter, der an seinem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Kölner Dom die Fragen einer britischen Kundin beantwortet:
„If you need some information ... / Oh, thank you. Have you made that all yourselves? / The jewellery is made by myself, yes, together with my wife. / Oh, lovely. It's really pretty.“ [„Wenn Sie mehr wissen möchten … / Oh, danke. Haben Sie das alles selbst gemacht? / Ja, ich mache den Schmuck zusammen mit meiner Frau. / Oh, der ist großartig. Wirklich sehr schön!“]
Vor Peter liegen Schmuckstücke in allen Farben und Variationen aufgereiht. Neben seinem Kopf baumeln ein paar Schneemänner aus Glas. Schon seit Jahren hat er auf dem Weihnachtsmarkt am Kölner Dom seinen Stand. Bereits Monate im Voraus hat er gemeinsam mit seiner Frau für das Weihnachtsgeschäft produziert, nicht ganz grundlos, wie er sagt:
„Hier der Weihnachtsmarkt plus das Mehraufkommen von Großhandelsaufträgen schätze ich mal, dass die letzten drei Monate im Jahr 50 Prozent vom Jahresumsatz gemacht werden. Also, so den Stellenwert hat das.“
Für Peter und alle, die auf dem Weihnachtsmarkt mit ihren Ständen vertreten sind, gilt: Der Verkauf in diesen vier Wochen und in den zwei Monaten davor, ist sehr bedeutend, hat einen hohen Stellenwert. So fällt die Hälfte von Peters Jahresumsatz, der Gesamtsumme, die er für seine verkauften Waren innerhalb eines Jahres bekommt, in die Weihnachtszeit. Neben der Bude steht ein Glasbrenner. Peter setzt sich hin, nimmt sich einen Glasrohling. Die dünne Glasstange in seiner Hand verkrümmt sich in der glühenden Hitze. Vorführungen wie diese vertreiben nicht nur die Winterkälte – sie locken auch besonders viele Kundinnen und Kunden an, was notwendig geworden ist, sagt er:
„Im Großen und Ganzen sind die Zeiten hart geworden für uns eigentlich. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ohne Weihnachten kein einziger Kunsthandwerker in Deutschland überhaupt existieren würde.“
Für Kunsthandwerker wie Peter sind die Zeiten hart geworden. Es ist schwieriger geworden, Käuferinnen und Käufer zu finden – und das, obwohl Kunsthandwerk ‚Made in Germany‘ gerade bei Amerikanern und Briten sehr beliebt ist. Peters Stand gehört zu den etwa 150 Ständen, die sich zwischen dem Dom und dem Römisch-Germanischen Museum sternförmig aneinanderreihen. Dieser Weihnachtsmarkt ist nicht der einzige in Köln. Als er 1995 zum ersten Mal stattfand, gab es zwei weitere. Inzwischen sind es fast dreimal so viele an unterschiedlichen Standorten der Millionenstadt. Die Leitung des Marktes am Dom hat 2009 Monika Flocke übernommen. Trotz der vielen Konkurrenz ist sie mit dem Geschäft zufrieden:
„Das ist jetzt nicht so, dass wir plötzlich boomen und im nächsten Jahr dann plötzlich das bittere Erwachen da ist, sondern das ist 'n kontinuierlicher Wachstumsmarkt. So sehe ich es. Ob das Wachstum irgendwann mal stillsteht, das weiß ich nicht. Im Moment habe ich so den Eindruck, der Zulauf zu den Weihnachtsmärkten nimmt kontinuierlich zu.“
Monika Flocke rechnet nicht damit, dass die Geschäfte in einem Jahr sehr gut laufen, boomen, im nächsten Jahr dann aber das bittere Erwachen kommt, man feststellt, dass man Verluste macht. Vor allem das Geschäft mit Glühwein, Grillschinken, Reibekuchen und anderen deftigen Speisen läuft auf allen Weihnachtsmärkten sehr gut – auch in Dortmund, wo Hans Peter Arens auf dem Weihnachtsmarkt unter anderem einen Grillschinkenstand betreibt. Der langjährige Schausteller verkaufte schon mit zehn Jahren gebrannte Mandeln am Stand seiner Eltern. Ein halbes Leben lang reiste er selbst mit Karussells und Fahrgeschäften von Volksfest zu Volksfest. So wie er satteln viele Schausteller, die sonst auf Jahrmärkten oder Volksfesten unterwegs sind, auf Bratwürstchen und Glühwein um – denn das Interesse an Volksfesten ist zurückgegangen, sagt Hans Peter Arens:
„Die Volksfeste haben das Problem, dass das Frühjahr sehr schlecht geworden ist. Die ganzen kleineren Volksfeste haben nachgelassen. Also bis fast Anfang August machen wir Minus. Und diese Zeit muss durch vernünftige Einnahmen aus dem Weihnachtsmarkt ausgeglichen werden.“
Die Verluste, das Minus, das die Schausteller im Frühjahr und in den Sommermonaten machen, müssen sie durch das Weihnachtsmarktgeschäft wieder reinholen. Die Verkäuferinnen und Verkäufer auf den Weihnachtsmärkten profitieren besonders von den vielen ausländischen Gästen. Die Stadt Köln zum Beispiel bewirbt ihre Märkte gezielt in den Nachbarländern. Und so trudeln jeden Tag Reisebusse aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und vielen anderen Ländern im Zentrum der Dom-Metropole ein.
Neben den eher konventionellen Weihnachtsmärkten gibt es auch die mittelalterlichen Märkte, die mancherorts sogar vor historischer Kulisse in einer Burganlage oder vor einem Schloss stattfinden. Hier lassen sich unter anderem traditionelle Bürstenmacher, Seifenhersteller, Schuhmacher oder Schmiede über die Schulter schauen. Nicht nur sie, sondern auch mittelalterlich kostümierte Darstellerinnen und Darsteller sowie Laute-, Dudelsack- oder Drehleierspielerinnen und -spieler sorgen dafür, dass sich die Besucher in die damalige Zeit zurückversetzt fühlen. Natürlich kommen auch auf Mittelaltermärkten das Essen und das Trinken nicht zu kurz. Vor allem beim Alkoholkonsum gibt dieser Besucher – sprachlich passend zur damaligen Zeit – zu bedenken:
„Man muss achtgeben, wenn man doch mehr als drei Humpen davon hiernieder nimmt, dann kommt man schon beträchtlich wohl in Schwankung. Die Stimmung wird besser, aber die Gebeine, sie versagen dann schon fast den Dienst.“
Wer mehr als drei Humpen – Halb- bis Literkrüge mit einem Henkel – leert, hiernieder nimmt, ist ganz sicher betrunken. Dann versagen die Beine den Dienst, man kann nicht mehr stehen, fängt an zu schwanken. Gründe, einen mittelalterlichen Weihnachtsmarkt zu besuchen, gibt es viele verschiedene:
„Jeder Weihnachtsmarkt ist immer dasselbe, egal wo man hingeht. Hier ist es einfach mal anders, und man kennt die Produkte nicht so aus dem Effeff. / Es ist so unkonventionell und nett. / Diese mittelalterliche Stimmung und halt auch die Bands, die hier spielen. / Vor allem diese Shows finde ich ganz interessant, und weil es so auch vom Essen her was anderes gibt. / Ja ansonsten ist ja interessant, wie viele ja auch verkleidet hier so rumlaufen.“
Mittelalterliche Märkte sind anders, die Angebote unterscheiden sich von den konventionellen Weihnachtsmärkten, bei denen man im Voraus weiß, was man bekommt. Man kennt die Produkte aus dem Effeff. Trotzdem gibt es auch Unterschiede zwischen den bundesweit mehr als 2.500 Weihnachtsmärkten. Egal in welcher Region, auf welchem Markt: Ein Besuch lohnt sich eigentlich immer.