PR - Manipulation auf Wikipedia
Man ist meiner Meinung nach erst dann ein echter Optimist, wenn man davon ausgeht, dass
kein Mensch, der weiß, dass die größte Informationsquelle der Welt OpenSource ist,
jemals versuchen wird, diese Tatsache für Geschäftszwecke auszunutzen.
Wikipedia ist großartig und wahrscheinlich nach wie vor das beste Argument für das Internet.
Es übertrifft traditionelle Enzyklopädien in Bezug auf Richtigkeit in fast allen Bereichen
um Längen und wie es ein Schwarm aus ehrenamtlichen ganz normalen Leuten schafft, im Chaos, das
das Internet ja eigentlich ist, derart hohe Qualität zu halten ist mir jeden Tag aufs
Neue ein Rätsel.
Die Wikipedia ist riesig, ja.
Sie ist die Informationsquelle unserer Zeit und wird in sehr vielen Fällen ihrem Bestreben
nach Neutralität und Sachlichkeit auch gerecht.
Aber der Fakt, dass nun mal jeder an diesem riesigen, beliebten und als neutral wahrgenommenen
Wissensspeicher mitarbeiten kann … klingt für die Falschen eben oft zu … verlockend.
Anfang der 2000er wird ein hessischer Landtagsabgeordneter der Grünen von einem CDU-Politiker rassistisch
beleidigt.
Entsprechender Zwischenfall landet auf der Wikipedia-Seite des Grünen … bis der Absatz
eines Tages stark abgeschwächt wird und man die IP-Adresse des Editors wenig später in
den hessischen CDU-Landesverband zurückverfolgt.
Die CDU reagiert erstaunt, sagt, das wäre ein Praktikant gewesen.
Die Versuchung ist groß, unliebsame Passagen aus der Wikipedia zu streichen und mit werbenden
Botschaften zu ersetzen, aber ist das wirklich so einfach?
*Intro*
In meiner Schule hat man den Punktabzug bei “zu viel Wikipedia” damit begründet,
dass “da ja jeder irgendwas reinschreiben könne”.
Und auch wenn diese Aussage genau genommen nicht falsch ist, ist sie doch zu simpel um
einfach so hingenommen zu werden.
Wikipedia hat eine Hierarchie an Nutzern.
Es gibt unregistrierte und registrierte Nutzer, passive und aktive Sichter, Administratoren,
sogenannte “Bürokraten” und global noch die Stewards.
Man kann sich natürlich vor den Computer setzen und schreiben, dass Globuli ja echt
voll die gute Alternative sind und auch wirklich ne richtige Wirkung haben.
Hier n Link zu meinem Shop, gönnt euch Leude, aber das wird nie jemand sehen.
Denn bevor eine vorgenommene Veränderung an einem Artikel auch für andere Nutzer angezeigt
wird, muss sie erst von einem aktiven Sichter geprüft und freigeschaltet werden.
Entsprechend wenig Schaden kann man also anrichten, wenn man einfach anfängt unliebsame Passagen
durch werbliche Texte zu ersetzen.
Man geht also anders vor, man erstellt sich nicht nur einen Account sondern gleich mehrere
Dutzend.
Sogenannte “Sockenpuppen”, die man immer dann zückt, wenn ein anderer, echter Wikipedia-Autor
den Änderungen am Artikel widerspricht und man ein paar Befürworter für die folgende
Diskussion braucht.
Auch ist es sehr viel weniger auffällig, wenn scheinbar ganz viele unabhängige Leute
den Artikel immer nur jeweils ein bisschen anpassen als wenn einer einmal komplett alles
umstellt.
Das befreit einen aber immer noch nicht vor der Tatsache, dass jede Änderung, die man
vornimmt, nach wie vor von einem Sichter geprüft und freigegeben werden muss.
Und wenn man nunmal unbelegt einfach irgendwelche Dinge behauptet, sind die Karten, diese Prüfung
zu bestehen, äußerst schlecht.
Was sagt einem also der moralische Kompass, wenn man keine Belege für das findet, was
man behaupten möchte?
Genau, man schafft sich seine Belege einfach selbst.
DIY-Belege nach altem Hausrezept.
Am besten, in dem man eine Person kennt, die bei irgendeinem eher unbekannten aber doch
gerade so noch seriös genug wirkenden Lokalblatt schreibt und ihr mit einer überschaubaren
Gewinnbeteiligung die Wörter “Journalismus” und “Ethik” aus dem Kopf kauft.
Schon wird ein Artikel geschrieben, in dem Ultralativ als die neue Hoffnung für visualisierte
Schachtelsätze beschrieben wird, das ganze wird als Beleg für diese eben noch so haltlose
Behauptung genutzt und schon steigen die Chancen, die Überprüfung durch einen Sichter zu bestehen,
enorm.
Wenn man nun aber nicht darauf hoffen will, ob man es auch wirklich schafft andere zu
täuschen, versucht man eben den Prüfungsprozess zu umgehen, in dem man eben selbst zum Sichter
wird.
Dabei reicht es schon ein sogenannter “passiver Sichter” zu sein, denn die können bereits
ihre eigens vorgenommenen Änderungen automatisch selbst sichten und freigeben.
Alles was man dafür tun muss ist 30 Tage registriert zu sein und 150 Bearbeitungen
vorgenommen zu haben.
Das ist… gar nichts.
Natürlich können die eigenen Manipulationsversuche auch dann noch von einem anderen ehrlichen
Wikipedia-Nutzer entlarvt und die Seite wiederhergestellt werden, aber die Gefahr besteht trotzdem,
damit schon Schaden angerichtet zu haben.
Und das passiert nicht selten.
Die Lufthansa löscht eine Zeile, in der gesundheitliche Schäden von Fluglärm belegt sind.
MAN versucht einen Absatz zu ihren Geschäften mit den Nazis zu entfernen.
Die Gauselmann-Gruppe euphemisiert “Spielsucht” zu “zeitweise übertriebenes Spielverhalten”
und im Kernkraftwerk Biblis wird ein ”Störfall” zu einem “meldepflichtigen Ereignis” und
das Kraftwerk selbst zu einem “Meilenstein in punkto Sicherheit”.
Wikipedia ist natürlich kein Platz für PR.
Genau genommen sind diese Manipulationsversuche auch keine PR, denn sie Verstoßen gegen die
Transparenzregeln der Branche.
Und leider sehen viele auch den Trend steigender “bezahlter” PR-Schreiber und weniger ehrenamtlicher
Autoren auf der Plattform, was zumindest aktuell nicht hoffen lässt, dass dieses Thema bald
vorbei ist.
Und in Paranoia zu verfallen und ab sofort einfach gar nichts mehr zu glauben, ist auch
keine wirklich gut abgewogene Reaktion darauf, aber dieses Problem existiert trotzdem…
und das ist furchtbar schade.