Ich wiege 130 Kilo - Dinas Kampf gegen Vorurteile | reporter
D: Die Leute haben einfach wahnsinnig Vorurteile. Wenn die jemanden sehen, der übergewichtig
ist, dann sagen die: „Oh, der macht keinen Sport und
der arbeitet bestimmt nichts“.
Am besten so richtig faul mit Jogginghose auf'm Sofa, arbeitslos.
M: Gibt's nicht einen anderen Weg, der nicht so steil ist?
D: Aber der ist viel schöner! M: Wie ist das, wenn Leute einen aufgrund
seines Übergewichts immer wieder als dumm, faul und
schwach abstempeln?
Dina ist 23 Jahre alt und bringt mit ihren 1,60 Meter ganze 130 Kilo auf die
Waage und bekommt diese Vorurteile sehr regelmäßig zu hören.
Und darauf hat sie keinen Bock mehr.
Auf Facebook hat sie uns eine Nachricht geschrieben und
mich zum Wandern eingeladen.
Dafür bin ich hier in Neuffen, das ist eine Kleinstadt hier in Baden-
Württemberg und hier in der Nähe wohnt Dina.
Und ganz ehrlich - wer von euch war schon mal so richtig wandern?
Ich ehrlich gesagt noch nie.
Hi, Marspet.
D: Dina, hi.
M: Hi, das ist der Patrick.
D: Hi.
M: Ja, erzähl mal gerne, was haben wir vor heute?
D: Wir gehen heute zusammen wandern und zwar Richtung Hohenneuffen, das ist die größte
Burg hier in der Umgebung.
Schau, da oben.
Das ist unser heutiges Ziel.
M: Und du läufst dann so hoch, oder?
D: Ne, ich brauch noch Schuhe, Stöcke und einen Rucksack.
Das habe ich im Auto mit dabei.
M: Und wie regelmässig gehst du so wandern?
D: Also, im Sommer bin ich eigentlich jede freie Minute unterwegs.
Vor allem auch jedes Wochenende fahre ich eigentlich in die Berge, zum große Touren
machen.
Und im Winter sobald das Wetter das zulässt und es nicht voll Matsch ist.
Ich brauch' das hier noch.
Bisschen einfacher zum Kilos hochschleppen.
Und dann hab' ich noch meinen Rucksack.
M: Jetzt bist du so super ausgestattet und ich hab' so gar nichts.
D: Dafür bin ich für uns alle ausgestattet.
M: Das ist die Hauptsache.
D: Aber das geht schon.
M: Woher kommt diese Leidenschaft für's Wandern?
D: Ich hab' das schon als ganz kleines Kind gemacht.
Also, meine Mutter hat mich schon im Kinderwagen den Berg hochgeschoben praktisch.
Und ich bin dann jedes Jahr wandern gegangen mit denen.
Oder musste mehr oder weniger.
Damals habe ich es noch als Müssen empfunden.
Und dann bin eine ganze Weile nicht mehr gegangen.
So in der Pubertät.
Und später ist dann die Leidenschaft von meiner Seite
wieder aufgeflammt.
M: Das ist so richtig idyllisch hier.
D: Mega.
Richtig richtig schön.
M: Hier kann man so richtig gut runterkommen.
D: Ja.
Ist auch Naturschutzgebiet hier oben.
M: Ich sollte mehr Sport treiben.
Du hast ja auch in deiner Facebook Nachricht gesagt, dass du oft zu hören bekommst, du
seist faul und schwach.
D: Ja.
M: Wo erlebst du das und ich sag mal, wie trifft dich das?
D: Die Leute haben einfach wahnsinnig Vorurteile. Wenn die jemanden sehen, der übergewichtig
ist, dann sagen die: „Oh, der macht kein Sport und
der arbeitet bestimmt nichts“.
Am besten so richtig faul mit Jogginghose auf'm Sofa, arbeitslos.
Die richten über einen, bevor sie einen kennenlernen.
Und das finde ich mega schade, weil das auch im Beruf so ist.
Ich geh' dann hin und sag: „Hey, passt auf, es ist nicht so, schau's dir an, so und
so ist das wirklich“.
Und viele trauen sich das nicht und leben mit diesen Vorurteilen und leiden auch sehr
darunter.
M: Du bist echt sehr sportlich, also ich mach' nicht mal ansatzweise so viel Sport.
D: Wenn ich frei hab', bin ich immer beim Schwimmen, oder beim Fitness, oder beim Wandern.
Macht mir einfach Spaß.
Und natürlich versuch' ich trotz allem das Gewicht halt bisschen runterzukriegen.
Ist schwierig, weil ich eine Autoimmunkrankheit hab', wo ich
quasi einen sehr sehr geringen Grundumsatz hab'.
Das heißt, wenn ich tausend Kalorien am Tag esse, trotz Arbeit und Sport, kann ich mein
Gewicht gerade so halten.
Und tausend Kalorien ist halt gar nichts.
Viele Ärzte haben mir auch schon geraten, dass ich eine OP machen soll.
Aber ich hab gesagt: "Hey, das ist das Allerletzte, was ich machen will und solange ich nicht
alles versucht hab', es so loszukriegen mache ich
das auch nicht".
Es gab auch eine Phase, wo ich wirklich abgenommen hab', von 138 auf 90.
Aber da bin ich morgens um 5 aufgestanden, war zwei Stunden
auf'm Crosser, bevor ich zur Arbeit gegangen bin.
Arbeit, dann acht Stunden stehen und körperlich.
Nach der Arbeit ins Fitnessstudio und gegessen habe ich ungefähr 400 Kalorien am Tag.
M: Und das jeden Tag?
D: Das jeden Tag.
Über ein Jahr lang.
Und dass ich normal abnehme, also wirklich so, wie man sollte, langfristig, ist sehr sehr
schwer.
Und das dauert zehn Mal solange wie bei anderen Leuten.
Und viele Sachen, die ich gerne machen würde, ich hab' zum Beispiel von meinem Freund zum
allerersten Geburtstag, da haben wir uns nichtmal ein halbes Jahr gekannt, habe ich eine
Panzerfahrstunde geschenkt gekriegt.
Die läuft dieses Jahr ab, ich hab's immer noch nicht
gemacht, weil ich nicht in dieses Panzerloch reinpasse.
Und das sind halt die Sachen, wo ich's dann wirklich bereue.
M: Schiebst du dir die Schuld selber zu dann?
Das höre ich ein bisschen heraus.
D: Die Schuld schiebe ich mir schon selber zu, weil natürlich du kannst Hashimoto haben,
wenn du nichts isst, dann wirst du nicht zunehmen.
Bei mir war es halt so, seit der dritten Klasse habe ich schon Unmengen gegessen früher und
ich hab's mir schon selber angefressen wirklich,
anders kann man's nicht sagen.
Aber ich hab' halt jetzt die Schwierigkeit durch die Krankheit, dass ich's nicht mehr
loskriege sozusagen.
M: Oh Gott.
Ich befürchte, ich werde hier herunterfallen.
D: Ist ein bisschen Körpereinsatz gefragt.
Aber ich komm' auch schon außer Atem.
M: Wie sollen wir denn da hochkommen?
D: Jetzt muss ich auch was trinken.
Lass uns was trinken.
M: Schöne Aussicht.
D: Es gibt ja so viele Leute mit Übergewicht.
Und alle sagen halt immer nur: „Hey, dann iss' halt weniger“.
Aber es ist halt nicht so, weil entweder hast du was Schlimmes erlebt oder einfach irgendwas,
was du verarbeiten musst, irgendwas, was dich fertig macht.
Andere, die nehmen eben Drogen, andere fangen an zu trinken, andere fangen an zu essen.
Die andere Seite ist halt dann das, dass alle sagen Body Positivity.
Aber es ist eben auch ein Extrem.
Man sagt, du musst dich selber lieben, du musst dich so akzeptieren, wie du bist.
Das ist okay, in einem Maß, wo es noch gesund ist.
Wenn du jetzt aber 150 Kilo auf 1,50 wiegst, dann bringt dir das nichts, weil es trotzdem
ungesund ist.
Und das gibt wirklich Probleme irgendwann.
Und wenn man alt ist, sowieso.
Solche Sachen wie Diabetes, wie irgendwelche Gelenksachen, braucht man ja gar nicht anfangen,
das ist schon klar.
Aber es fängt auch früher schon an, dass es einfach im Weg ist.
M: Hast du Angst vor diesen Krankheiten?
D: Ja.
M: Und wie das jetzt - sag' ich mal - wenn sich jetzt jemand aus deinem Umfeld Sorgen macht um deine
gesundheitliche Situation.
Wie fragt er dich „richtig“, ob es dir gut geht.
D: Ich finde, dass man es auf jeden Fall ansprechen darf.
Es kommt nur auf den Ton an, wie bei allem.
M: Ich muss sagen, ich kenne das von mir tatsächlich gar nicht so, dass wenn ich Leute auf der
Straße sehe, ob das jetzt Übergewichtige oder sehr dünne Menschen sind, dass ich mir
so denke: „Ja, iss' mal mehr oder iss' weniger“.
Kann natürlich auch daher kommen, dass ich selber das sehr gut kenne, dass mir sehr sehr
oft Leute auch sagen: „Ja, iss' mal mehr“.
Und ich denke mir so, ich esse nicht noch mehr, als ich brauche.
Ich esse genauso viel wie andere auch und ich bin einfach so schlank.
Und das nervt mich auch total.
Und deswegen kann ich das voll verstehen, dass dich das so stört.
D: Ja, es ist nichts anderes.
Wenn zu dir jemand sagt: „Hey, du bist voll dünn“.
Viele sagen dann auch zu so ganz dünnen Leuten: „Geh' mal ins Fitnessstudio, Muskeln aufbauen
oder sowas“. M: Habe ich auch schon sehr oft gehört.
D: Da fühlt man sich doch auch blöd.
Das ist bei mir nichts anderes.
Egal, in welche Richtung, das ist nicht nur beim Übergewicht, das ist auch,
wenn du dünn bist, wenn du eine Hasenscharte, sonst irgendwas, wenn irgendwas mit dir anders
als die Norm, dann wirst du gleich als komisch abgestempelt und: „Hach ja, mach doch mal
was, damit du der Norm entsprichst“.
Aber eigentlich sollte die Norm ja so sein, dass jeder so ist, wie er ist.
Wir haben's geschafft.
M: Wir haben's geschafft.
Und wie geht's dir?
D: Ich bin am Ende, aber mir geht's gut.
Jedes Mal denke ich mir so: „Boah, du hast es wieder
geschafft und das ist so richtige Bestätigung einfach nur“.
M: Jetzt erstmal runterkommen, ich bin auch echt fertig.
M: Hab' Hunger und Durst.
Du machst ja sehr viele Beiträge auch zu Ernährungs- und Fitnesstipps.
Was ist für dich die Motivation, damit auch an die Öffentlichkeit
zu gehen?
D: Mein Traum ist im Prinzip eine Art Beratungsgruppe zu machen oder einfach eine Gruppe
aufzumachen, mit der ich wandern gehen kann, speziell für dicke Menschen.
Und das geht natürlich einfach noch nicht, weil kannst du nicht einfach so herzaubern.
Und in dem Moment habe ich's ganz einfach viral gemacht sozusagen und online.
Einfach zu sagen: "Hey, es funktioniert und mach' du doch auch sozusagen".
Und in dem Moment natürlich auch paar Werkzeuge in die Hand zu geben.
Paar Rezepte, ein paar Tipps und sowas, damit die selber auch einfach
damit starten können.
M: So, jetzt geht's den ganzen Weg nochmal runter.
M: Ja, vielen Dank für deine Zeit.
D: Ja gerne, kein Problem.
M: Hat sehr viel Spaß gemacht und hoffentlich bis bald.
D: Auf jeden Fall.
Na, komm' her.
M: Komm' gut nach Hause.
D: Ihr auch.
M: Bis sehr bald.
D: Tschüss.
M: Ja, ich bin tatsächlich auch ziemlich froh, dass wir jetzt wieder unten sind, weil es
war echt mega anstrengend.
Aber ich bin auf der anderen Seite auch sehr froh, jetzt Dina getroffen zu haben und
ich hab' echt großen Respekt vor ihr.
Sie ist auf uns zugekommen und hat gesagt: „Hey, passt auf,
ich möchte mit euch darüber reden, ich möchte auch anderen Leuten Mut machen und ihnen
zeigen, dass dieser Weg auch funktioniert".
Und ich glaube, wenn wir als Gesellschaft alle irgendwie aufhören, mit dem Finger auf
Leute wie Dina zu zeigen, dann muss sie sich vielleicht
irgendwann nicht mehr damit rumschlagen und ich
wünsche ihr auf jeden Fall, dass sie in Zukunft auch dahin kommt, dass sie ihren Traum erfüllen kann auch selber Touren führen zu können.