TikTok und die moderne Zensur
Im November diesen Jahres erreichte TikTok den eine Milliarde-Nutzer-Meilenstein.
Es ist die am schnellsten wachsende soziale Plattform aller Zeiten, von der sich Musical.ly
vor zwei Jahren für eine Milliarde Dollar kaufen ließ und mittlerweile sogar von der
Tagesschau bespielt wird.
Aber so rekordverdächtig idyllisch wie die Inhalte auf der Plattform ist es vielleicht
gar nicht um TikTok bestellt.
Denn TikTok gehört ByteDance, einem der größten chinesischen Unternehmen überhaupt.
Und das verunsichert viele.
Schließlich ist Chinas Einfluss auf die restliche Medienwelt schon lange kein Geheimnis mehr.
Spätestens nach Blizzards Umgang mit Kritik an China auf einem ihrer Turniere ist klar,
dass China es mit Meinungsfreiheit nicht ganz so genau nimmt.
Und tatsächlich fiel in der Vergangenheit auf, dass TikTok trotz seiner enormen Größe
kaum Videos zu politisch kontroversen Themen bereithielt.
Erst recht nicht zu welchen, die das autoritäre System China schlecht dastehen ließen.
Bis vor ein paar Wochen als die Amerikanerin Feroza Aziz in einem ihrer Videos in sehr
direkter weise über die Konzentrationslager und deren Praktiken sprach, abertausende Zuschauer
für sich gewann und dann auf einmal wegen “mehrerer Verletzungen der Community Guidelines”
gesperrt wurde.
Der Vorwurf gegen TikTok lautet nun, dass sie Inhalte zensieren, die der chinesischen
Regierung nicht gefallen, um china-kritische Themen klein zu halten und den medialen Einfluss
auf die restliche Welt dank TikToks Erfolg zu erweitern.
Um in irgendeiner weise auf diesen Vorwurf eingehen zu können müssen wir erstmal verstehen
wie TikTok seine Inhalte moderiert.
Netzpolitik.org hat vor ein paar Wochen mit einer anonymen Quelle bei TikTok gesprochen
und herausgefunden, wie die Moderation dort funktioniert.
Und während man zuerst denkt, dass ein Contentmoderator zwischen den Knöpfen “Online lassen”
und “Löschen” sitzt, sind es bei TikTok tatsächlich nicht diese beiden Knöpfe sondern
6 verschiedene.
Jedes Video auf TikTok wird einer dieser Stufen zugeordnet.
Im besten Fall ist das Video so harmlos, kreativ oder lustig, dass es “gefeatured” wird,
also einen extra Algorithmusboost bekommt.
Wenn es ganz normal ist wird es als “General” eingestuft und nur eventuell in einigen Ländern
nicht angezeigt.
Mehr dazu gleich.
Es kann aber auch als “Not Recommended” eingestuft werden und damit nicht mehr im
“Für dich”-Feed, also der Startseite von TikTok, angezeigt werden.
Für härtere Fälle kann “Not for Feed” dafür sorgen, dass das Video weder im “Für
dich”-Feed auftaucht, noch in den Suchergebnissen sonderlich weit oben angezeigt wird.
Und wenns ganz kritisch wird zückt TikTok die “Visible to self”-Karte, die das gepostete
Video zwar online lässt, aber nur für den Uploader selbst sichtbar ist.
Und schlussendlich gibt es auch immer noch die Möglichkeit zur Löschung des Inhalts.
Wer also froh darüber ist, dass das eigene Video mega viele Leute gesehen haben und unproportional
viele Likes absahnt, der hat mit sehr großer Wahrscheinlichkeit einfach einem Moderator
bei TikTok ganz gut gefallen und einen Boost spendiert bekommen.
In einer 8 Std.
Schicht als Moderator bei TikTok soll man 1000 dieser Videos einsortieren.
Das sind etwas weniger als 30 Sekunden pro Video.
Wenn man eine Windel trägt.
Das Geoblocking, also das Nichtanzeigen von Inhalten in bestimmten Ländern, hat schon
häufiger negative Schlagzeilen gemacht.
So führt ein Regenbogenflaggenemoji in der Profilbeschreibung zum Beispiel häufiger
dazu, dass das jeweilige Profil in islamischen Ländern nicht angezeigt wird.
Auch Videos zu den Protesten in Hong Kong sollen in Chinas Version von TikTok kaum repräsentiert
sein.
Wer weniger als 30 Sekunden hat, um eines dieser Videos einzusortieren, wird früher
oder später die Konzentration verlieren und höchstwahrscheinlich nur stichprobenartig
durch die Videos springen.
Und genau das scheint sich Feroza Aziz zunutze gemacht zu haben.
Ihr Video fängt nämlich wie ein harmloses Beauty-Video an.
Die Vermutung liegt nahe, dass sie es geschafft hat damit durchs System zu schlüpfen, ihr
Video und ihre Aussagen nicht an einer Visible-to-self-Einstufung verlor und viel mehr Leute erreichte als von
TikTok beabsichtigt.
Ihre darauffolgende Sperrung ging in den Nachrichten um die Welt und übte enormen Druck auf TikTok
aus, so dass das Video mittlerweile tatsächlich wieder online ist.
TikTok bestreitet regelmäßig, dass sie Videos aus politischen Gründen löschen würden.
Ob sie die Empfehlung und Sichtbarkeit von politischen Inhalten jedoch einschränken
beantworten sie dabei aber auffällig häufig nicht.
Und das führt uns wieder zur Tagesschau.
Was machen die auf so einer App?
Na ja, sie lassen Jan Hofer Krawatten raussuchen, beantworten Nutzerfragen und bereiten Themenkomplexe
einfach verständlich auf.
Auch zu den Protesten in Hong Kong, den Konzentrationslagern und der Überwachung durch den Staat.
Mit über 500.000 Aufrufen.
Dann… kann die Abstrafung durch die Plattform ja gar nicht so schwer sein.
Vielleicht hat die Tagesschau den TikTok Code ja geknackt und schafft es auch trotz Zensurmechanismen
china-kritische Themen populär zu machen.
Nein.
Denn wie der NDR herausfand befinden wir uns auf einer Insel.
Das Profil der Tagesschau ist in der chinesischen Version von TikTok unauffindbar.
Und das bringt uns zu einem wohl immer relevanteren Aspekt von Massenmedien.
Dem Agenda Setting.
Ein Phänomen, das beschreibt, dass die Themenwahl in den Massenmedien einen Einfluss auf das
haben, was die Leute bewegt und beschäftigt.
Das Ganze ist komplexer und sicher Stoff für ein eigenes Video, bedeutet sehr verkürzt
aber: Den Rezipienten werden die Themen wichtig, die sie vermehrt in den Medien sehen.
Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Den Rezipienten sind die Themen weniger wichtig, die in den
Medien kaum auftauchen.
Wenn es TikTok also schafft die eigenen Creator zu demotivieren, sich politisch gegen China
zu positionieren, dann werden zwangsläufig auch weniger Leute mit Kritik gegen China
in Berührung kommen und das Thema insgesamt weniger wichtig.
Wer merkt, dass sein Video zu Hong Kong auf TikTok unendlich schlecht geklickt und geliked
wird, der geht womöglich zunächst davon aus, dass derartiger Content auf TikTok nunmal
weniger gern gesehen wird und macht beim nächsten Mal etwas anderes, vielleicht was lustiges
mit Emojis und so.
Und so kann sich TikTok eine Szene heranzüchten, die selbst nicht merkt, wie sehr sie eingeschränkt
wird.
Zuerst scheint es so als ob man mit den Werkzeugen dieser App unendliche kreative Möglichkeiten
hätte, doch in Wahrheit soll man einfach nur fröhlich sein, Memes erstellen und die
Finger von Politik und Kontroversen lassen.
Ob die chinesische Regierung nun wirklich das letzte Wort hat ist dabei gar nicht so
wichtig, denn allein der Fakt, dass die Plattform regimekonform moderiert, macht es zu einem
verdammt problematischen Fall.
Und das ist nur der Anfang.
TikTok sagt seinen Moderatoren, dass sie freizügige Personen, bei denen sie nicht sicher sind,
ob sie 18 sind oder nicht, mal ruhig als 18 durchgehen lassen können.
Straft Leute mit Down-Syndrom, Autismus oder Verfärbungen im Gesicht in Suchergebnissen
ab, damit sie nicht gemobbt werden und gibt seinen Moderatoren ganze 15 Sek.
Zeit, um zu entscheiden ob eine Person ein potenzielles Mobbingopfer ist oder nicht.
Aber all das würde an dieser Stelle zu weit führen.
Nur so viel: ByteDances Steuersitz ist in China.
Ein Großteil der Einnahmen durch die App geht also zu den Leuten, die besagte Konzentrationslager
betreiben.
Und das ist… ganz schön eklig.