„Das Bild von Putin ist jetzt deutlich angeknackst“
Deutschlandfunk, Information und Musik.
Russland hat in den letzten 36 Stunden den wohl schwersten Machtkampf seit Jahrzehnten erlebt.
Der Chef der Wagner-Miliz Prigoschin fordert Putin offen heraus, rückt mit seinen Kämpfern auf Moskau vor.
Am Abend dann die überraschende Wende. Er zieht seine Truppen wieder ab, macht einen Deal mit dem Putin-Regime.
Prigoschin bleibt straffrei und das trotz des militärischen Aufruhrs.
Obwohl er Putin offen herausfordert, den Ukraine-Krieg und Putins Begründung dafür für völlig verfehlt erklärt.
Was bedeutet das für Putin? Wie fragil ist das Machtsystem nach diesem Putschversuch?
Wir wollen das alles analysieren mit Sabine Fischer, Russland-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Guten Morgen.
Guten Morgen, Herr Götzke.
Frau Fischer, erleben wir da gerade den Anfang vom Ende des Regimes Putin?
In jedem Fall zeigt das, was gestern passiert ist, dass die Fundamente des Regimes bei weitem nicht so stabil sind, wie das immer wieder angenommen worden ist.
Auch seit Beginn der Vollinvasion.
Aus meiner Sicht war immer klar, dass mit dem Beginn dieses großen Krieges, des vollumfänglichen Krieges gegen die Ukraine Putin tatsächlich sein Regime
und natürlich auch ein Stück weit das Schicksal seines Landes und seiner Bevölkerung mit als Einsatz in dieses Spiel eingebracht hat.
Das sehen wir nicht zum ersten Mal, aber das ist natürlich das weitreichendste Ereignis, das wir bislang seit Beginn der Vollinvasion letztes Jahr im Februar gesehen haben.
Wie nah war Russland gestern einem Bürgerkrieg?
Also unterm Strich nach dem Ende dieses ganzen Spukes, anders kann man das ja nicht nennen, würde ich sagen noch nicht so nah.
Aber man muss sich einfach klar sein, dass bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in Russland eben, wie ich schon gesagt habe, seit Februar letzten Jahres deutlich wahrscheinlicher geworden sind.
Und die Tatsache, also was man gestern gesehen hat oder vorgestern in der Nacht, von vorgestern auf gestern, war, dass ein Gewaltakteur von vielen Gewaltakteuren, die es in Russland gibt,
noch mehr seit Beginn der Vollinvasion sich entschieden hat, gegen das Regime vorzugehen.
Und dann war wichtig zu beobachten, gibt es Absetzbewegungen?
Oder polarisieren sich andere Gewaltakteure in den Streitkräften oder Kadirov oder andere mit Prigogine und seinem Ziel, das Regime zu stürzen?
Das war ja das, was er letztendlich als Ziel ausgelobt hatte oder nicht. Und das ist nicht passiert.
Man muss aber sagen, das Bild von Putin ist natürlich deutlich angeknackster jetzt.
Und es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass es wieder zu solchen Ereignissen kommt in der nächsten Zeit, in naher oder etwa fernerer Zukunft.
Und dass es dann eben auch wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Russland kommt.
Das ist eine logische Konsequenz letztendlich auch der Kriegsentscheidung, die Putin letztes Jahr getroffen hat.
Lassen Sie uns über dieses Ende, diese Vereinbarung reden.
Prigogine hat seine Truppen abgezogen, er bleibt straffrei, soll nach Belarus.
Wie erklären Sie sich diese überraschende Wendung? Hatte er einfach zu wenig Rückhalt?
Also mangelnder Rückhalt ist sicherlich eine Erklärung.
Das macht Ungleichgewicht zwischen dem, was Prigogine aufzubieten hatte, an militärischer Kapazität.
Er hat ja selbst gesagt, vorgestern Abend glaube ich noch, dass 25.000 Mann hinter ihm stehen.
Ich kann diese Zahlen nicht abschließend bestätigen, aber natürlich ergibt sich da ein enormes Machtungleichgewicht,
weil sich eben andere Teile der Sicherheitselite oder auch der Streitkräfte nicht mit ihm solidarisiert haben.
Das hat mit Sicherheit eine Rolle gespielt.
Ich denke, er hat am Ende erkannt, dass sein Unterfangen aussichtslos ist und hat deswegen eingedreht.
Wer in der russischen Machtelite profitiert von diesen Ereignissen gestern?
Also ich würde sagen, in der russischen Machtelite profitiert niemand.
Im Gegenteil, es gibt einen großen Verlierer in meinen Augen, das ist Prigogine selbst.
Er hat seine Macht verloren, er verliert Wagner, er muss sich absetzen ins Ausland.
Ich würde auch sagen, man sollte sehr genau beobachten, was mit ihm weiter passiert.
Putin hat sich gestern mit seiner Rede sehr weit aus dem Fenster gelehnt.
Er ist bekannt dafür, dass er Verrat nicht vergibt.
Das hat er ja selbst in seiner männlichen Attitüde in den letzten 20 Jahren immer wieder erklärt und auch danach gehandelt.
Ich würde sagen, Prigogins Leben steht durchaus auf dem Spiel.
Putin hat verloren, weil dieses Ereignis gestern oder diese Entwicklung in seinem Image schwer geschadet haben.
Insgesamt hat das einfach offengelegt, dass die Fundamente dieses Regimes brüchig sind
und dass eben auch das Fundament, von dem aus Russland diesen Krieg in der Ukraine führt, brüchig ist.
Letztendlich hat davon niemand einen Vorteil in der Machtelite, auch Putin nicht, Prigogin schon gar nicht.
Wer ein kleines bisschen gewonnen hat, ist Alexander Lukaschenko, der sich gestern mal wieder als Vermittler positionieren konnte.
Aber letztendlich ändert das am Gesamtbild der belarussisch-russischen Beziehungen auch nichts.
Kann es da in Russland jetzt ein Back to Normal geben oder droht das Land im Chaos zu versinken?
Was ist da Ihre Prognose?
Meine Prognose ist, dass das Land jetzt erstmal nicht im Chaos versinkt.
Wir werden jetzt sehr genau beobachten müssen, was weiterhin politisch passiert.
Ich könnte mir vorstellen, oder ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Repressionen in Russland jetzt weiter zunehmen werden.
Wie gesagt, ich würde im Moment auch nicht viel Geld auf das Überleben von Prigogin selbst oder anderer Wagner-Kämpfer,
die sich an dieser Meuterei beteiligt haben, gestern verwetten.
Zu weiteren innenpolitischen Instabilitäten kann es kommen, wenn der russische Krieg in der Ukraine weiter schlecht läuft.
Ich denke, was wir gesehen haben, ist auch einfach ein Symptom, eine ausgedrückte Nervosität, die in Russland, in Moskau besteht,
unter den russischen Kämpfern in der Ukraine, im Hinblick auf die ukrainische Offensive, die seit Anfang Juni läuft.
Das sind alles Zusammenhänge, die man weiter beobachten müssen wird.
Ich kann es nur immer wieder sagen, eine logische Konsequenz dieses massiven Krieges, zu dem Russland,
zu dem Russland, nicht nur Putin, sich entschieden hat, sein Land in diesem Krieg zu führen im Februar letzten Jahres,
kann eben sein, dass es in Russland zu massiver Instabilität und massiver Gewalt kommt.
Das ist einfach nicht auszuschließen.
Wie gefährlich ist denn so ein chaotisches, ein so fragiles Russland auch für die westlichen Nachbarn, für den Westen?
Also jeder potenziell implodierende Staat, vor allen Dingen, wenn er groß ist,
und das lässt sich bei Russland ja nicht von der Hand zuweisen, ist natürlich ein Stabilitätsrisiko für Nachbarstaaten.
Gleichzeitig sind solche Entwicklungen eine Destabilisierung des Regimes.
Interne Auseinandersetzungen könnten für die Ukraine durchaus in Anführungszeichen positive Auswirkungen haben,
weil sie eben militärischen Druck von der Ukraine wegnehmen können.
Also ich würde sagen, die Auswirkungen sind da gemischt.
Ich kann allerdings hier nur immer wieder betonen, dass Einflussversuche von außen im Grunde genommen völlig aussichtslos sind.
Es ist eine Entwicklung, durch die Russland wird gehen müssen, wenn sie denn eintritt,
und wo man von außen sehr, sehr, sehr wenig darauf Einfluss nehmen wird.
Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verlauf dieses Krieges und den innenpolitischen Entwicklungen in Russland.
Aber sollte es wieder und weiter zu solchen Auseinandersetzungen kommen, dann müssen sie es unter sich auskämpfen.
Lassen Sie uns noch ganz kurz auf die Ukraine blicken. Ist das jetzt die Chance für die verstärkte Gegenoffensive?
Es ist mit Sicherheit eine Chance, weil ganz klar das Putin-Regime durch diese Entwicklung geschwächt worden ist.
Und ich denke, die ukrainische Säte hätte es begriffen und hat entsprechend auch schon reagiert.
Aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass damit jetzt dieser fürchterliche Krieg,
den Russland in Putin letzten Februar begonnen hat, vom Zaun gebrochen hat, also die Vollinvasion, schnell zu einem Ende kommt.
Sagt Sabine Fischer, Russland-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Vielen Dank für Ihre Einschätzungen und für die Analyse.
Vielen Dank Ihnen.